Die AfD‐Fraktion hatte eine Aktuelle Debatte mit dem Titel „Zehn Jahre Grenzöffnung ‒ zehn Jahre Kontrollverlust“ beantragt. Hintergrund: Ende August 2015 hätten Tausende Menschen, meist junge Männer aus dem Nahen Osten und Nordafrika, in Ungarn darauf gewartet, in Richtung Norden weiterreisen zu dürfen. In dieser Situation habe die damalige Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen nach Deutschland geöffnet – ein Fehler, aus Sicht der AfD‐Fraktion.

An einer der EU-Grenzen nach Deutschland.
„Abschieben, abschieben, abschieben“
„Das Jahr 2015 wird als negativer Wendepunkt in die deutsche Geschichte eingehen“, sagte Ulrich Siegmund (AfD). Wohlstand, Freiheit, innere Sicherheit und kulturelle Identität in Deutschland seien für eine Ideologie der offenen Grenzen geopfert worden. Millionen Menschen hätten 2015 bereitgestanden, um auf dem Ruf der CDU nach Deutschland zu kommen. Gesteuert worden sei dies nicht zuletzt durch eine vierte Gewalt, eine mediale Desinformation, so Siegmund. Die wenigsten Menschen seien qualifiziert oder gar asylanspruchsberechtigt gewesen. Das Bürgergeld sei zu einem „Migrantengeld“ geworden. Von der von der CDU angekündigten Asylwende sei nichts zu spüren. Es herrschten Zustände, die es in unserem Land, in unsere Kultur zuvor nicht gegeben habe. „Wir brauchen keine Anreize mehr, wir müssen abschieben, abschieben, abschieben“, betonte Siegmund.
„Migrationszahlen sind rückläufig“
Im Zuge einer humanitären Notlage seien im Jahr 2015 34 000 Asylsuchende in Sachsen-Anhalt aufgenommen worden, erinnerte Innenministerin Dr. Tamara Zieschang (CDU). Einige von ihnen hätten sich schon gut integriert, seien sogar schon eingebürgert. Diejenigen, die sich nicht an die hiesigen Regeln hielten, müssten das Land wieder verlassen. Die Integration sei ein großer Kraftakt, dieser müsse von den Betroffenen auch eingefordert werden. 2015 habe gezeigt, dass Migration gesteuert werden müsse, die irreguläre Migration müsse begrenzt werden. Dafür habe sie, Zieschang, vor Monaten schon einen Maßnahmenplan vorgestellt, darin unter anderem der bessere Schutz der deutschen Außengrenzen und die Rückführung von Straftätern nach Afghanistan. Die Migrationszahlen seien seit einigen Monaten rückläufig, nach Sachsen-Anhalt seien im August 2025 60 Prozent weniger als im August 2024, 75 Prozent weniger als 2023 gekommen. „Die Migrationswende ist bereits Realität, die Migrationswende ist in vollem Gang“, so Zieschang.
„Die AfD lebt von der Krise“
„Das Geschäftsmodell der AfD: Sie lebt von der Krise, und sei es auch nur von herbeigeredeten Krisen“, rekapitulierte Rüdiger Erben (SPD). Die Flüchtlingskrise habe die AfD wiederbelebt, danach habe sich die AfD in der Corona-Pandemie mit Verschwörungstheoretikern verbündet, im Krieg in der Ukraine stelle sich die AfD als Friedensengel dar, dabei sei sie aber „die fünfte Kolonne Moskaus in Deutschland“. Die Zustände von 2015 zeugten von einem Versagen der Europäischen Union in der Migrationspolitik, insbesondere des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán. Wer aber meine, man hätte 2015 einfach die Grenzen abriegeln können, der sei naiv oder habe keine Vorstellung davon, was in Wirklichkeit los gewesen sei, oder es handle sich um Menschen, die kein Herz im Leib hätten und auch auf Flüchtlinge hätten schießen wollen, sagte Erben. Aus der Ausnahmesituation von 2015 seien bereits Konsequenzen gezogen worden, so Erben, aber „Integration ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf“, das gelte für beide Seiten.
Krise hat schon lange vor 2015 begonnen
Die Flüchtlingssituation habe nicht erst 2015 begonnen, sondern viel früher in Syrien und im Irak, erinnerte Wulf Gallert (Die Linke). Seinerzeit sei eine Reihe von Hilfsprogrammen für Menschen in den Flüchtlingslagern in Jordanien eingestellt worden. „Frau Merkel hat sie nicht gerufen, es war der Hunger, der sie weggetrieben hat.“ Heute fordere die AfD wieder die Streichung aller Hilfen im Ausland und wundere sich dann, dass es mehr und mehr Flüchtlinge gebe ‒ „Das nenne ich verkommen!“ Es hätte aufgrund des Schengen-Abkommens gar keine Möglichkeit gegeben, die Grenzen zu schließen, weil es die faktisch gar nicht mehr gegeben habe. „Diese Form der Migration ist eine grundlegende Bevölkerungsbewegung, die wir in der Mitte der Bevölkerung Europas immer schon hatten, bliebe sie aus, würden die sozialen Sicherungssysteme bald krachend zusammenbrechen.“ Migration sei eine extrem wichtige gesellschaftliche Aufgabe, betonte Gallert.
„Die Realität ist komplexer“
Die Debatte zeige mal wieder, wie leicht man sich vom eigentlichen Thema wegbewegen könne, sagte Guido Kosmehl (FDP). Die AfD habe die Dinge verkürzt dargestellt oder in einen Topf geworfen. „Das Thema bereitet vielen Menschen im Land Sorgen, diese Sorgen dürfen wir nicht kleinreden, wir müssen sie ernst nehmen, vor allem müssen wir Antworten finden.“
Man dürfe sich nicht zehn Jahre lang mit Angstschürerei über Wasser halten wie die AfD. „Die Realität ist komplexer als die einfache Erzählung vom Kontrollverlust.“ Die Migrationspolitik der letzten Jahre sei oft widersprüchlich, gar planlos gewesen, räumte Kosmehl ein. Aber man dürfe deswegen doch nicht alle Migrantinnen und Migranten unter Generalverdacht stellen. Es seien bereits wichtige Maßnahmen getroffen worden, um illegale Einwanderungen zu verhindern und die Rückführungsabkommen mit den Herkunftsstaaten zu verbessern.
Weniger Leerstand, mehr Pflegekräfte
„Die Legendenbildung zum Sommer 2015 wuchert und wuchert“, sagte Susan Sziborra-Seidlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). „Dieser Sommer 2015 war ein kraftvoller Ausdruck einer humanen Migrationspolitik und eine Sternstunde des ehrenamtlichen Engagements.“ Man habe an offenen Grenzen festgehalten, gerade in dieser Ausnahmesituation. „Das Schreckgespenst Kontrollverlust ist ein Schauermärchen“, so Sziborra-Seidlitz. Deutschland habe unbürokratisch geholfen, durch den großen Einsatz der Kommunen und der Beschäftigten sei der Zustand beherrschbar geblieben. 66 Prozent der syrischen Geflüchteten seien ausgebildete Fachkräfte in ihrem Land gewesen. „Migration heißt nicht nur temporär ankommen, sondern dauerhaft bleiben“, betonte Sziborra-Seidlitz, „Migration verändert Gesellschaften – das war schon immer so“. Resultat dieser Zuwanderung seien weniger Leerstand und mehr Pflegekräfte.
„Sozialstaat muss entlastet werden“
Mit der neuen Bundesregierung sei es zu einer tatsächlichen Zeitenwende in der deutschen Migrationspolitik gekommen, betonte Chris Schulenburg (CDU). Man habe stärkere Grenzkontrollen gefordert, und die seien nun massiv hochgefahren worden. „Die Bundespolizei ist mit Hundertschaften im Einsatz, um den Schutz der deutschen Außengrenze sicherzustellen.“ Sachsen-Anhalt habe als eines der ersten Länder die Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt. Endlich gebe es auch Rückführungen nach Afghanistan und Syrien. „Wir wollen keine Straftäter, wir wollen keine Gefährder auf deutschen Straßen.“ Die Koalition habe den Beschluss gefasst, dass die Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe zu einer Regelausweisung führen soll. Die irreguläre Migration sei um circa 60 Prozent zurückgegangen. „Wer keinen Rechtsanspruch hat, wer Straftaten verübt, wer keiner Arbeit nachgeht, muss unser Land verlassen, denn unser Sozialstaat muss ent- und nicht stärker belastet werden“, betonte Schulenburg.
Im Anschluss an die Debatte wurden wie gewohnt keine Beschlüsse zur Sache gefasst.