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Plenarsitzung

Entkriminalisierung statt Stigmatisierung

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte für die August-2025-Sitzungsperiode des Landtags eine Aktuelle Debatte mit dem Titel „Schwangerschaftsabbruch legalisieren statt kriminalisieren – Gesundheitsversorgung für ungewollt schwangere Frauen in Sachsen-Anhalt absichern“ beantragt. Ungewollt Schwangere, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, fühlten sich stigmatisiert und hätten nur schlecht Zugang zu Informationen, so die Fraktion. Die Hauptursache der schwierigen Versorgungslage bundesweit sei die Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, die einen Schwangerschaftsabbruch vornähmen, sowie der betroffenen Frauen.

Eine Frau ist zur Untersuchung bei ihrer Gynäkologin.

Eine Frau ist zur Untersuchung bei ihrer Gynäkologin.

„Hin zu einem Recht auf Beratung“

Frauen würden in Deutschland seit 1871 wegen eines Schwangerschaftsabbruchs kriminalisiert, monierte Susan Sziborra-Seidlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Mit der Wiedervereinigung seien die liberaleren Regelungen der DDR-Zeit (seit 1972) abgeschafft worden. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gingen in Sachsen-Anhalt in Ruhestand. 83,2 Prozent der Frauen mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch sähen sich Vorbehalten ausgesetzt, dies beeinflusse die psychische Gesundheit der Frauen negativ, so Sziborra-Seidlitz. Über 90 Prozent der Frauen hielten ihre Entscheidung nach dem Eingriff für richtig. „Frauen sind sehr wohl selbst in der Lage, abzuwägen, ob sie ein Kind austragen wollen oder nicht.“ Die Grünen setzen sich für die Abschaffung des § 218 StGB ein. Die Landesregierung solle sich für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs, die Kostenübernahme, und das Ende der Beratungspflicht hin zu einem Recht zu Beratung einsetzen.

Forschungsergebnisse gründlich auswerten

Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) verwies auf die Abschlussberichte zur psychosozialen Situation und zu Unterstützungsbedarfen von Frauen mit ungewollter Schwangerschaft. Diese wiesen den Rückgang der Zahl der Ärztinnen und Ärzte auf, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. § 218 StGB bewahre das Rechtsgut Leben in einer Phase besonderer Schutzbedürftigkeit. Die Prüfung dieses Rechts sei auf Bundesebene angesiedelt. Weidinger warb für eine gründliche Auswertung der umfangreichen Forschungsergebnisse der Studie, erkenne jedoch aktuell keine Notwendigkeit einer verbindlichen Neubewertung der Gesetzgebung auf Bundesebene.

„Hausaufgaben im Land machen“

Die Grünen hätten bereits im Oktober 2024 eine Bundesratsinitiative zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs anstoßen wollen, nun folge diese Aktuelle Debatte nach, monierte Karin Tschernich-Weiske (CDU). Es gehe um die sensible Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Das Land Sachsen-Anhalt sei aber nicht der Bundesgesetzgeber. Es sei folglich besser, die Hausaufgaben im Land zu lösen, als sich über Gesetze auf Bundesebene auszutauschen, „die zu ändern nicht unsere prioritäre Aufgabe ist“.

„Den Trend umkehren“

Die AfD-Fraktion setze auf die seit Jahrzehnten geltende ausgleichende Lösung (§ 218 StGB), wie mit der menschlich und moralisch schweren Situation eines Schwangerschaftsabbruchs umgegangen werden soll, erklärte Gordon Köhler (AfD). Keine der aktuell gültigen Maßnahmen in Bezug auf einen Schwangerschaftsabbruch sei unverhältnismäßig. „Der Kompromiss im Strafgesetzbuch bleibt und ist unantastbar“, betonte Köhler. Es gebe in Sachsen-Anhalt auch keine Engpässe in der Versorgung. Es gelte eher, den Trend umzukehren – dass sich ungewollte Schwangere für das Leben entschieden. Als Gründe für einen Abbruch würden berufliche und wirtschaftliche, familiäre und partnerschaftliche sowie gesundheitliche Abwägungen genannt – „hieran müssen wir arbeiten“. Man müsse von politischer Seite Perspektiven aufzeigen, damit Frauen sich gegen eine Abtreibung entschieden, so der AfD-Abgeordnete.

Schmerzhafte Entscheidung

Trotz der in der Gesellschaft verankerten Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung müssten sich Frauen noch immer für die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen, kritisierte Konstantin Pott (FDP). Es sei eine „wohlüberlegte und oft schmerzhafte Entscheidung“ – die den Zugang zu entsprechenden Informationen notwendig mache. „Wer glaubt, Frauen würden diese Entscheidung leichtfertig treffen, der verkenne die Realität.“ Es dürfe nicht sein, dass Frauen, die sich für einen Abbruch entschieden, in die Defensive gedrängt oder gar kriminalisiert würden. Mit der Abschaffung des § 219a StGB sei endlich Informationsfreiheit geschaffen worden; Gynäkologinnen und Gynäkologen dürften nun über die von ihnen angewandten Behandlungsmethoden informieren. Pott wies auf die Wichtigkeit hin, dass sich angehende Medizinerinnen und Mediziner hinsichtlich dieses sensiblen Themas aus- und weiterbilden ließen.

Ins Schwangerschaftskonfliktgesetz

Der § 218 StGB gehöre endlich gestrichen, der Schwangerschaftsabbruch sei eine Gesundheitsleistung und kein Verbrechen, legte sich Eva von Angern (Die Linke) fest und verwies auf die Ergebnisse der interdisziplinären Studie „Psychosoziale Situation und Unterstützungsbedarf von Frauen mit ungewollter Schwangerschaft“, für die mehr als 4 500 Frauen befragt worden sind. Ungewollt Schwangere träfen auf vielerlei strukturelle menschliche und bürokratische Hürden. Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs liefere zudem den „hasserfüllten Lebensschützern“ Futter für deren Aggressionen. Die Linke spreche sich dafür aus, einen Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei zu regeln ‒ dies und alle weiteren Belange im Schwangerschaftskonfliktgesetz abseits des Strafgesetzes.

„Mehr als nur ein medizinischer Eingriff“

In den letzten Jahren sei im Landtag häufiger über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gesprochen worden, erinnerte Katrin Gensecke (SPD): „Ob eine Frau schwanger wird, diese Schwangerschaft austrägt oder sie abbricht, dies ist allein ihre Entscheidung, und die darf nicht länger kriminalisiert werden.“ Die vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studie zeige, dass sich Frauen, die einen Abbruch durchführen ließen, immer wieder stigmatisiert und kriminalisiert fühlten. Die Streichung des § 219a StGB habe dazu geführt, dass Ärztinnen und Ärzte endlich sachlich und straffrei darüber informieren dürften, wie ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden könnte und mit welchen Kosten er verbunden sei ‒ dies sei ein gesellschaftspolitischer Meilenstein gewesen, so Gensecke. Es gehe bei dem Thema jedoch um viel mehr als einen medizinischen Eingriff, es gehe um die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper und ‒ insbesondere von konservativer und rechtspopulistischer Seite ‒ um die Zurückdrängung der Frauen in ein überholtes patriarchales System.

Im Anschluss an die Aktuelle Debatte wurden wie üblich keine Beschlüsse zur Sache gefasst.