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Plenarsitzung

Bekenntnisse zu Leben und Verantwortung

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff hielt zu Beginn der November-Sitzungsperiode des Landtags von Sachsen-Anhalt eine Regierungserklärung zum Thema „Verantwortung vor der Geschichte – Verantwortung für die Zukunft: Schutz und Anerkennung jüdischen Lebens“ halten. Hintergrund waren die aktuellen Ereignisse in Israel und die Auswirkungen auf jüdische Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen in Sachsen-Anhalt und Deutschland. Im Anschluss hatten die Fraktionen die Gelegenheit, zum Gesagten Stellung zu beziehen und eigene Aspekte in die Debatte einzubringen.

Nach dem Überfall der Hamas wurde als nach außen sichtbares Zeichen der Solidarität der Landtag in den Farben Israels illuminiert.

Nach dem Überfall der Hamas wurde als nach außen sichtbares Zeichen der Solidarität der Landtag in den Farben Israels illuminiert.

„Unverbrüchlich an der Seite Israels“

„Der 9. November ist kein Tag wie jeder andere“, sagte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff, sein historischer Gehalt bewege die Menschen in Deutschland auf besondere Weise. Tiefe Scham und große Schuld stünden unbeschreiblicher Freude gegenüber. Haseloff erinnerte an den 85. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November 1938, sie sollte den Anfang vom Ende des europäischen Judentums darstellen. Die Vorboten seien nicht ausreichend ernst genommen worden. Wenige Menschen hätten Zivilcourage bewiesen, zu viele Menschen hätten damals weggesehen.

Am 9. November 1938 sei auch die Synagoge in Dessau zerstört worden. Vor wenigen Wochen sei die neue Synagoge eröffnet worden – dies sei ein starkes Symbol und mehr als nur ein Neuanfang, jüdisches Leben werde wieder sichtbar, so Haseloff. Am 10. Dezember 2023 soll die neue Synagoge in Magdeburg eröffnet werden, auch deren Vorgängerin sei vor 85 Jahren zerstört worden.

Haseloff nannte die Shoa „ein Verbrechen wie kein anderes“, es sei das schlimmste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte gewesen. Es sei unverständlich, dass der Judenhass ‒ aus allen gesellschaftlichen Schichten ‒ auch trotz jahrzehntelanger Aufklärung weiter tradiert werde, öffentlich, vor allem aber im Internet. „Was ist da schiefgelaufen?“, fragte Haseloff. Die Erinnerung an die Shoa müsse mit Blick auf die sich wandelnde Gesellschaft auf eine neue Grundlage gestellt werden. Der Verlust der Unmittelbarkeit (Zeitzeugen) müsse kompensiert werden.

„Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels, die Hamas müsse zur Rechenschaft gezogen werden“, betonte der Ministerpräsident im Hinblick auf die anhaltenden terroristischen Übergriffe der Hamas auf Israel. Das Verbot der Hamas in Deutschland sei richtig. Sie passe nicht zu den Aussagen des deutschen Grundgesetzes. Haseloff forderte alle dazu auf, Haltung zu zeigen und Stellung zu beziehen.

„Importierten Antisemitismus ignoriert“

Die Ereignisse des 9. November 1938 sei Terror gewesen, der nicht noch einmal zugelassen werden dürfe, sagte Oliver Kirchner (AfD). „So etwas würde es mit der deutschen Bevölkerung heute nicht mehr geben.“ In den letzten Jahren sei insbesondere der „importierte islamische“ Antisemitismus auf deutschen Straßen vom CDU-Geführten Innenministerium ignoriert worden. „Diese Zustände haben wir der Merkel-CDU zu verdanken“, der Rechtsstaat ducke sich zu oft weg, so Kirchner. In Deutschland lebten derzeit so viele Ausländer wie nie. Zur momentanen Bevölkerung zählten sieben Millionen Muslime. Kirchner befürchte den „Volkstod der Deutschen durch Zuwanderung“.

Vor dem Hintergrund des Mauerfalls hätte der 9. November sich durchaus als nationaler Feiertag, als Tag der Deutschen, geeignet. Man hätte Vergangenes vergehen lassen und Frieden machen können und müssen. Die Deutschen hätten allen Grund und jedes Recht, auf Großeltern und Eltern stolz zu sein, die dieses Land aufgebaut hätten. „Sie schaffen es ja nicht mal, die Leute, die gar nicht hier sein dürften, zu integrieren, jetzt wollen Sie sie auch noch in unsere Erinnerungskultur integrieren“, monierte Kirchner Richtung Ministerpräsident Haseloff und forderte diesen auf, Parallelgesellschaften aufzulösen, arbeitsfähige Migranten in Arbeit zu bringen und Ausländer dazu zu bringen, die deutsche Sprache zu sprechen.

„Terrorismus aus unserer Mitte“

Dr. Katja Pähle (SPD) betonte anfangs ihrer Rede, auf das Gesagte des AfD-Abgeordneten Kirchner nicht eingehen zu wollen, weil dessen Aussagen der Würde des Gedenktags nicht gerecht würden. „Der hinterhältige Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung, das war Terror in der Urbedeutung des Wortes“, konstatierte Katja Pähle, diese Angriffe hätten gezeigt, dass Terror niemals Freiheitskampf sei. Die Angriffe hätten einmal mehr die Ausmaße der Bedrohung durch den gewalttätigen Islamismus gezeigt. Terroristen würden eine Weltreligion für Hass und Gewalt missbrauchen und gegen Demokratie, gegen eine offene Gesellschaft kämpfen.

Der terroristische Überfall in Halle (Saale) im Oktober 2019 habe gezeigt, dass Antisemitismus und lupenreiner Terrorismus auch in unserer Mitte wüchsen und nicht allein ein Problem durch Zuwanderer sei, betonte Pähle. Wir hätten keine Veranlassung, mit dem Finger auf andere zu zeigen und uns vorrangig mit „importierten Antisemitismus“ auseinanderzusetzen. Die neuen Synagogen in Dessau und Magdeburg seien ein Zeichen dafür, dass jeder Baustein für ein aktives jüdisches Leben in Deutschland zeige, dass Hitler nicht gewonnen habe. Jüdische Kultur und Religion seien Teil der deutschen Kultur und Religion – „nicht nur historisch, sondern auch in Zukunft; dafür wollen wir einstehen“, stellte Pähle klar.

„Hass ist menschlich, die Hoffnung aber auch“

Die Verbreitung von Gewalt und Schrecken sei ein Teil der Kriegsführung der Hamas, rekapitulierte Eva von Angern (DIE LINKE). „Wie kann man in einer solchen Situation zu einem Frieden kommen?“ Der Frieden könne nicht gelingen, wenn die Hamas die Vernichtung Israels fordere, aber auch nicht, wenn ein israelischer Minister mit der Atombombe drohe. Dieser Krieg polarisiere auch in Deutschland, so von Angern. Die Islamisten versuchten weltweit, die Stimmung zu eskalieren und überschütteten das Internet mit einer Flut von Propaganda und Falschmeldungen.

85 Jahre nach den Novemberpogromen müssten Menschen in Deutschland wieder fürchten, in der Öffentlichkeit als Jüdinnen und Juden erkannt zu werden, monierte die Linken-Abgeordnete. Neue Räume der Angst entstünden. Dies sei nicht die Zeit, sich abzuwenden, sondern genauer hinzusehen, auch sicherheitspolitisch. Die Versammlungsfreiheit ende dort, wo zu Gewalt aufgerufen werde. Die Verteidigung des Grundgesetzes beginne allerdings mit der Umsetzung des Grundgesetzes, die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten müssten abgebaut werden. Anderenfalls sei „der lachende Dritte die extreme Rechte“, sie sei es schon in der Corona-Zeit gewesen. „Hass ist menschlich, die Hoffnung aber auch“, betonte von Angern.

Verantwortung aus der Historie heraus

Auch in Sachsen-Anhalt hätten am 9. November 1938 die Synagogen gebrannt, erinnerte Andreas Silbersack (FDP). Als Beispiel führte er Halberstadt an, wo die jüdische Gemeinde über viele Jahrhunderte Teil der Gesellschaft gewesen sei ‒ bis zu eben jener Nacht. „Die Geschehnisse sind Teil unserer Geschichte, Teil unserer Verantwortung.“ Die Reichspogromnacht sei Beginn und zugleich Fortsetzung dessen gewesen, wie der Nationalsozialismus sich an der Menschheit vergangen habe. „Wir sind mit der Shoa genauso verbunden wie mit Goethe und Schiller“, konstatierte Silbersack. Die Industrie der Vernichtung – im Kleinen begonnen ‒ habe nach Auschwitz geführt.

„Aus der Historie des Holocausts ist für uns die Verantwortung für den jüdischen Staat, für Israel, erwachsen“, so Silbersack. Die Jüdinnen und Juden seien durch die Drohungen der islamischen Nachbarstaaten wie dem Irak und dem Irak ständiger Anfeindung und Angst ausgesetzt – und das seit der Staatsgründung 1948. Die Hamas benutze ihre eigene Bevölkerung als Faustpfand für ihren Krieg, einen Frieden für Israel könne es nur mit der Zerschlagung der Hamas geben. Auf islamistischen Hass und Hetze auf deutschen Straßen müsse der deutsche Rechtsstaat reagieren.

„Mehr Prävention, mehr Bildungsangebote“

„Nie wieder ist jetzt“, sagte Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), den Sonntagsreden müssten Taten folgen. Für den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 gebe es keine Rechtfertigung oder Erklärung. Die Unterstützung Israels sei in Deutschland Staatsräson, nehme also die oberste wertmäßige Priorität ein. „Die Hamas will keinen Frieden, sie ist eine mordende Terrorgruppe, sie will Israel von der Landkarte ausradieren“, ganz gezielt habe sie diesen Zeitpunkt für den Angriff gewählt, da es zarte Annäherungen der Staaten im Nahem Osten gegeben habe, so Lüddemann.

Es sei schlichtweg unerträglich, wenn sich Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr trauten, öffentlich jüdische Symbole zu tragen, wenn KZ-Gedenkstätten geschändet und Hakenkreuze an Gebäude und auf Grabsteine geschmiert würden. „Wir brauchen eine aktuelle, ehrliche und offene Bilanz über Erfolge und Schlussfolgerungen über das Landesprogramm zum jüdischen Leben in Sachsen-Anhalt“, betonte Lüddemann. „Der Hass darf nicht weiter Wurzeln schlagen, das werden wir nicht dulden.“ Der beste Schutz sei Prävention, man brauche mehr organisierte politische Bildung und Begegnungen, mehr Besuche von Gedenkstätten, mehr Schulen ‒ mehr Schülerinnen und Schüler mit Courage.

Antisemitismus mit allen Rechtsmitteln verfolgen

Es sei für ihn unvorstellbar gewesen, dass es nach dem Novemberpogrom 1938 und dem Holocaust wieder zu offenem Judenhass in Deutschland kommen könnte, dass sich Jüdinnen und Juden nicht mehr offen auf die Straße trauten, sagte Guido Heuer (CDU). Antisemitismus sei mit den Werten unserer Gesellschaft nicht zu vereinbaren. Wer Antisemitismus verbreite, müsse mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt werden.

„Wir haben das Glück, in einem Land zu leben, in der alle Macht vom Volke ausgeht“, betonte Heuer. Er erinnerte an den Mauerfall 1989 und dessen positive Folgen für das Land. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien heute die Basis für das politische Handeln in Deutschland. Es dürfe nicht sein, dass extremistische Kräfte die Demokratie und Antisemitismus die Jüdinnen und Juden in Deutschland gefährdeten.

Tobias Krull (CDU) erinnerte an die Ausgrenzung und Ermordung der Jüdinnen und Juden in Europa während des Nationalsozialismus. „Viele Menschen haben die Methoden damals mit gestützt“, auch weil das Gift des Antisemitismus seine Wirkung gezeigt habe, so Krull. Er sprach sich für eine Erinnerungskultur aus, die die Opfer der Shoa auch im Alltag und nicht nur an Gedenktagen lebendig erhalte. Krull warnte vor der Verharmlosung des Holocausts und der Tradierung antisemitischer Stereotype. Die Hamas wolle keinen Frieden, sondern Angst und Terror verbreiten. Krull erwarte ein Bekenntnis aller muslimischen Verbände und Vereine in Deutschland gegen Antisemitismus. „Wir müssen zeigen, dass Judentum in Deutschland Vergangenheit, Gegenwart und vor allem Zukunft hat.“

Im Anschluss an die Regierungserklärung und der dazugehörigen Aussprache wurden keine Beschlüsse zur Sache gefasst.