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Plenarsitzung

David Ayrapetyan

Mittlerweile studiert und forscht David Ayrapetyan länger in Deutschland als in seinem Heimatland Armenien. Der 29-Jährige kam vor etwa sieben Jahren zunächst nach Jena, um seinen Master in „Innovation and Change“ zu machen. Zuvor hatte er in seiner Heimatstadt Jerewan einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften gemacht. Derzeit steht er am Leibniz-Institut für Argarentwicklung und Transformationsökonomie in Halle (Saale) kurz vor der Fertigstellung seiner Doktorarbeit im Bereich Bio-Ökonomie. David Ayrapetyan spricht neben Armenisch auch Russisch, Englisch und Deutsch. Wie der junge Wissenschaftler auf sein Heimatland Armenien und seine Wahlheimat Sachsen-Anhalt blickt, erzählt er im Interview.

Portrait David Ayrapetyan

David Ayrapetyan ist Armenier, seit 2017 schreibt er seine Doktorarbeit am IAMO in Halle (Saale).

Wie gefällt es Ihnen in Halle (Saale) und der Region? Haben Sie einen Lieblingsort?

Mir gefällt es sehr gut, das Zentrum ist wirklich sehr schön. Ich bin zum Beispiel gern am Marktplatz und mag die alten Häuser und die Architektur. Schön ist auch, dass Halle so nah an Leipzig liegt, die Stadt wird ja nicht umsonst „das neue Berlin“ genannt. Mein Lieblingsplatz in Halle ist die Peißnitzinsel. Ich mag die Natur dort und bin dort gern mit Freunden zum Grillen und Entspannen.

Wenn Sie nur drei Minuten hätten, um den Menschen hier von Armenien zu erzählen. Welche drei Dinge müssten sie unbedingt über ihr Heimatland wissen?

Armenien ist ein gastronomisches Paradies, wenn Sie jemand sind, der Essen liebt, dann sollten Sie auf jeden Fall nach Armenien reisen. Außerdem ist es ein sehr sonniges Land und diese Wärme durchdringt auch die persönlichen Beziehungen. Alle Menschen, die nach Armenien kommen, sind sehr herzlich willkommen – auch die Menschen, die in letzter Zeit aus Russland gekommen sind. Allgemein werden alle Ausländer mit großer Gastfreundschaft behandelt. Und als Drittes würde ich sagen, Armenien ist ein sehr sicheres Land, Sie können egal wo Sie sind, überall nachts allein spazieren. Daneben haben wir eine wunderschöne Natur und viele Sehenswürdigkeiten.

Gibt es große Unterschiede im Alltag der Menschen zwischen Armenien und Sachsen-Anhalt?

Der Alltag ist grundsätzlich nicht sehr anders als hier, aber es gibt schon ein paar kulturelle Unterschiede. Zum Beispiel nehmen die Leute hier in Sachsen-Anhalt ihr Privatleben sehr ernst. Das habe ich zum Beispiel an den Schließzeiten von Supermärkten und Geschäften gemerkt. In Armenien sind alle Supermärkte, Geschäfte, Friseure usw. täglich geöffnet. Zudem sind die Armenier viel spontaner. Ich kann einfach 30 Minuten vorher jemanden anrufen und wir treffen uns. Hier muss man das viel länger im Voraus planen, ist zumindest mein Eindruck. Und die Leute hier sind äußerst pünktlich. Wenn ich zwischen diesen beiden Kulturen pendle, ist es immer eine kleine Herausforderung für mich. Ich muss zwischen deutscher und armenischer Pünktlichkeit wechseln.

Welche Träume, Wünsche, Hoffnungen haben die Menschen in Armenien?

Das Erste ist natürlich, dass wir einen dauerhaften Frieden wollen. Nach der letzten Eskalation mit Aserbaidschan im September verfolgen die Armenier stündlich die Nachrichten und haben Angst, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt. Das wollen wir natürlich nicht, sondern Sicherheit und Frieden. Armenien hat auch große Hoffnungen, diese Probleme mit Hilfe der Europäischen Union zu lösen.

Portrait David Ayrapetyan

Nach Abschluss seiner Doktorarbeit könnte sich David Ayrapetyan vorstellen, in Sachsen-Anhalt zu arbeiten.

Welche Rolle spielen Religion, Tradition und Kultur in Armenien?

Ich würde sagen, die größten Gemeinsamkeiten zwischen Armenien und Sachsen-Anhalt sind wahrscheinlich die Religion und die christlichen Werte, die wir teilen. Während all der Jahrhunderte hat diese Religion uns geholfen, unsere Sprache und Kultur zu bewahren, und wir schätzen diese Religion sehr. Grundsätzlich ist Armenien ein sehr traditionelles Land und auch sehr familienorientiert. Das Prinzip der Großfamilie ist bei uns noch sehr lebendig, unsere Eltern werden nie allein gelassen und wir würden sie auch nicht in ein Pflegeheim schicken. Wir haben auch eine lange Tradition im Kunsthandwerk, zum Beispiel bei Gold- und Silberschmiedearbeiten. In Armenien habe ich das zum Beispiel auch selbst als Hobby gehabt.

Welche Perspektiven haben junge Menschen, die trotz aller Schwierigkeiten in Armenien bleiben?

Es gibt natürlich auch Menschen, die sich entschieden haben, in Armenien zu bleiben. Wahrscheinlich hängt es ein bis bisschen davon ab, in welchem Bereich man arbeitet. Im Jahr 2018 hatten wir ja die sogenannte Samtene Revolution, mit der wir einen Weg hin zu einer demokratischen Entwicklung unseres Landes geöffnet haben, und wir wollen natürlich auf diesem Weg bleiben. Daher sind viele junge Menschen motiviert, sich politisch einzubringen und zu engagieren.

Grundsätzliche Voraussetzung für eine positive Entwicklung wären natürlich ein dauerhafter Frieden und Stabilität. Wenn das erreicht sein würde, was müsste sich aus Ihrer Sicht noch ändern, damit Armenien noch weiter vorankommt.

Aus meiner Sicht müssten als Nächstes die Ungleichheit zwischen der Hauptstadt Jerewan und dem ländlichen Raum verringert werden. Der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt ist in anderen Regionen Armeniens sehr gering. Dazu kommen schlechte Infrastruktur, fehlender Zugang zu Wasser und Strom und teils sehr schlechte Wohnungen. Das müssen wir verändern, das ist sehr wichtig für eine bessere Entwicklung des Landes.

Ist es möglich, die armenische Sprache und Schrift zu lernen?

Die armenische Sprache ist schon schwierig, wir haben zum Beispiel 39 Buchstaben und acht Fälle und wir haben eine sehr alte eigene Schrift, die bereits im Jahr 405 erfunden wurde. Nur wir Armenier haben diese Buchstaben, die noch dazu sehr schön sind. Also ja, ich muss zugeben, nur wenige Menschen schaffen es, Armenisch wirklich sehr gut zu lernen, aber es ist möglich.

Die armenische Diaspora ist sehr groß. Während etwa drei Millionen Menschen in Armenien leben, leben ca. 10 Millionen Armenier auf der ganzen Welt verstreut. Was macht das mit Ihrem kleinen Heimatland?

Das ist eigentlich eine traurige Besonderheit der Geschichte, denn der große Teil dieser Diaspora ist vor oder während des Ersten Weltkriegs entstanden. Und der Völkermord, der 1915 vom Osmanischen Reich an den Armeniern begangen wurde, war auch ein großer Impuls für diese Auswanderung. Jetzt lebt weniger als ein Drittel aller Armenier in Armenien. Diese Diaspora bedeutet für uns sehr viel, weil sie teilweise großen Einfluss auf die Wirtschaft, Kunst und Kultur des jeweiligen Landes haben. Es gibt weltweit viele berühmte Menschen, die Nachfahren armenischer Einwanderer sind. Der berühmteste ist vielleicht der armenisch-französische Chansonnier Charles Aznavour.

Was machen Sie nach dem Doktortitel?

Sachsen-Anhalt ist sehr prominent für seine Bio-Ökonomie, zum Beispiel wird mehr als die Hälfte der Stromenergie aus erneuerbaren Ressourcen erzeugt. Für mich bedeutet das, dass ich meine beruflichen Fähigkeiten hier in Zukunft anwenden könnte. Ich sehe daher gute Möglichkeiten, zukünftig in diesem Bereich hier zu arbeiten, auch wenn ich natürlich meine Familie und Freunde in Armenien sehr vermisse.

Vielen Dank für das Gespräch!