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Plenarsitzung

Vom geheimen Mitglied zum SDP-Mitbegründer

Dr. Willi Polte war von 1990 bis 2001 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Magdeburg. Anschließend war er für eine Legislaturperiode Abgeordneter im Landtag. Foto: Wolfgang Schulz

Im August 1960 fuhr der 22-jährige Maschinenbaustudent Wilhelm (genannt Willi) Polte von Dresden aus nach Ost-Berlin, passierte klopfenden Herzens mit der S-Bahn die Sektorengrenze in den Westteil der Stadt und betrat erhobenen Hauptes das Westberliner Büro der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). „Knapp zwei Jahre zuvor hatte die SPD ihren Plan zur deutschen Einheit veröffentlicht“, erinnert sich der heute 81-Jährige. „Das war für mich letztlich entscheidend, den Antrag zur Aufnahme in die SPD zu stellen.“ Ein Jahr vor dem Mauerbau am 13. August 1961 wurde so der DDR-Bürger Polte Mitglied einer Partei, die es in der Bundesrepublik Deutschland, nicht aber in der DDR gab. Fast 30 Jahre lang musste er die Mitgliedschaft geheim halten. Ein offenes Bekenntnis hätte ihn ins Gefängnis gebracht.

Sozialdemokratisches Gedankengut erfuhr Willi Polte nach dem Zweiten Weltkrieg schon als Junge im väterlichen Handwerksbetrieb in seinem Geburtsort Niegripp bei Magdeburg. Viele Kunden, aber auch heimgekehrte Soldaten und Nachbarn schimpften über die rote Diktatur, die die braune Diktatur abgelöst hatte. Die SPD war 1946 unter Führung der sowjetischen Kommunisten mit der KPD zur SED zwangsvereinigt worden. Fortan durften Ideen und Ziele der Sozialdemokratie nur noch hinter vorgehaltener Hand diskutiert werden.

Für Polte, der nach dem Studium unter anderem in einem Magdeburger Forschungsinstitut und von 1978 bis 1990 an der Technischen Universität Magdeburg tätig war, eine schwere Zeit. „In der Schule, im Studium und natürlich auch im Beruf musste man sich verstellen und höllisch aufpassen, dass man seine wahren Gedanken nicht verriet.“ Der bundesdeutschen sozialdemokratischen Politik sei er aber immer verbunden geblieben. So verwundert es nicht, dass für das geheime SPD-Mitglied Polte im Sommer 1989 „eine wundervolle Zeit“ begann, in deren Verlauf der inzwischen 51-Jährige noch in der DDR ein offiziell gewählter Sozialdemokrat der ersten Reihe wurde.

Dr. Willi Polte war Mitbegründer und Vorsitzender

der SDP in der Stadt und im Bezirk Magdeburg. Foto: Wolfgang Schulz

Große Freude über SDP-Gründung

„Im Sommer 1989 bekam ich die ersten Nachrichten, dass es in Berlin Bestrebungen gab, eine sozialdemokratische Partei ins Leben zu rufen. Da wurde ich hellwach und wollte natürlich unbedingt mitmachen“, so Polte heute. Am 26. August 1989 hätten diese Bestrebungen mit der Vorstellung der „Erklärung zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR“ in der Berliner Golgatha-Kirche konkrete Formen angenommen. Ziel sei es gewesen, den Führungsanspruch der SED zu kippen und selbst an der Macht teilzuhaben. „Es ging um Freiheits- und Menschenrechte.“ Er selbst habe die Hoffnung gehabt, die DDR auf der Grundlage sozialdemokratischer Werte zu reformieren. „Ich wollte unbedingt bei dem Versuch dabei sein, die DDR freier und gerechter zu gestalten.“

Als evangelischer Christ hatte Polte in der DDR immer die Verbindung zur Kirche gehalten, und so sei es ganz automatisch gewesen, dass er ab September 1989 an den Friedensgebeten im Magdeburger Dom teilgenommen habe. Dabei gehörte er zu den Initiatoren, die am 2. Oktober 1989 eine Themenliste mit 22 Forderungen aufstellten. Sie machten damit deutlich, dass die Probleme in der DDR nur mit einer „parlamentarischen Mehrparteiendemokratie“ unter Abschaffung der führenden Rolle der SED sowie der Zulassung neuer Parteien gelöst werden könnten.

„Mit großer Freude habe ich dann von der Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, der SDP, am 7. Oktober 1989 durch Markus Meckel, Martin Gutzeit und andere in Schwante bei Oranienburg gehört.“ Das sei ein wahrer Freudentag für ihn gewesen. Schon zwei Tage später habe das SDP-Gründungsmitglied Konrad Elmer im Magdeburger Dom über die neue Partei berichtet und zu einem Treffen am 10. Oktober 1989 in die ökumenische Begegnungs- und Bildungsstätte in Niederndodeleben bei Magdeburg eingeladen, die von Markus Meckel geleitet wurde. „Natürlich habe ich an dieser Veranstaltung teilgenommen.“ Dabei sei beschlossen worden, sowohl einen SDP-Bezirksverband Magdeburg als auch einen SDP-Stadtverband Magdeburg zu gründen.

Paukenschlag vom 9. November fast nicht wahrgenommen

In den nächsten Tagen und Wochen habe es sehr viel Arbeit gegeben. Zum einen mussten Interessenten für die neue Partei geworben werden, zum anderen musste die künftige Parteiarbeit organisiert werden. Willi Polte hatte seine damalige Adresse in Magdeburg als Kontaktadresse zur Verfügung gestellt. „Es kamen jede Menge Briefe mit Anfragen und Bereitschaftserklärungen zur Mitarbeit. Ich bin mit dem Rad zu vielen Leuten gefahren und habe Informationen überbracht.“

Am 9. November 1989, dem Tag der Grenzöffnung, trafen sich abends etwa 25 Leute im Keller von Willi Poltes Haus und bereiteten die Gründungsversammlung für den Stadt- und Bezirksverband Magdeburg der SDP für den 18. November 1989 vor. „Wir waren so intensiv beschäftigt mit der Tagesordnung, den Reden und vielen organisatorischen Dingen, dass wir den Paukenschlag am 9. November gar nicht richtig wahrgenommen haben“, schmunzelt Polte heute. Doch dann hätten sie gedacht: „Jetzt erst recht, jetzt müssen wir dranbleiben und die SDP in Magdeburg gründen.“

Am 18. November 1989 kamen dann rund 80 Leute im Gemeindesaal der evangelischen Altstadtgemeinde in Magdeburg zur Gründungsversammlung zusammen und wählten Willi Polte sowohl zum Vorsitzenden des Regionalverbandes als auch des Stadtverbandes Magdeburg. In der Folgezeit beteiligten sich SDP-Mitglieder aktiv an den Runden Tischen, saßen im Bürgerkomitee und bereiteten die ersten freien Wahlen in der DDR vor. Am 18. März 1990 wurde Willi Polte in die Volkskammer gewählt, und am 6. Mai 1990 gewann er die Kommunalwahlen in Magdeburg. Damit bekam die Stadt nach 1933 zum ersten Mal wieder einen frei gewählten sozialdemokratischen Oberbürgermeister.

Die SDP, zu deren Magdeburger Gründungsvätern er gehört, vereinigte sich am 27. September 1990 auf einem Parteitag in Berlin mit der westdeutschen SPD. Für seine 50-jährige Mitgliedschaft in der SPD wurde Willi Polte 2010 mit dem Goldenen Parteiabzeichen geehrt. Er dürfte der einzige ehemalige DDR-Bürger sein, der diese Auszeichnung erhalten hat.