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Plenarsitzung

Zur Corona-Pandemie in Sachsen-Anhalt

28. Okt. 2020

Die Enquete-Kommission „Die Gesundheitsversorgung und Pflege in Sachsen-Anhalt konsequent und nachhaltig absichern!“ hat sich in ihrer Sitzung am Mittwoch, 28. Oktober 2020, mit dem Themenkomplex „Corona-Pandemie in Sachsen-Anhalt“ befasst und dazu eine öffentliche Anhörung mit Expertinnen und Experten durchgeführt. Neben den zuständigen obersten Landesbehörden hatten auch Sachverständige die Gelegenheit, ihre Standpunkte zu diesem Thema vorzutragen.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betreffen alle Lebensbereiche, insbesondere so sensible wie den Besuch bei der Ärztin oder die Behandlung von Alten und Kranken. Foto: fotolia.com

Aus den Wortmeldungen der Angehörten

Die Infektionszahlen im Land seien enorm angestiegen, konstatierte Staatssekretärin Beate Bröcker aus dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration. Das Kabinett habe sich darauf verständigt, zunächst Lockerungen, die zum 1. November 2020 in Kraft treten sollten, zurückzunehmen. Möglich würden Allgemeinverfügungen, um dem örtlich unterschiedlichen Infektionsaufkommen Rechnung zu tragen. Wichtiges Thema sei nach wie vor die Nachverfolgung der Infektionsfälle und der Kontaktpersonen. Der Pandemiestab des Landes arbeite rund um die Uhr, auch am Wochenende, so Bröcker. Ein weiterer Fokus liege auf vermehrte Schnelltests und die Ausarbeitung der kommenden Impfstrategie.

Bis Mitte Oktober seien etwa 50 000 Testungen durchgeführt worden, erklärte Alexander Nissle, Präsident des Landesamtes für Verbraucherschutz Sachsen-Anhalt. Auf eine solche Dauerbelastung sei das Amt nicht vorbereitet gewesen, deswegen seien die Maßnahmen in einem Testverbund (Magdeburg, Halle, Stendal) durchgeführt worden. Pro Woche könnten insgesamt 4 050 Tests bewältigt werden – wenn die materiellen und personellen Voraussetzungen erfüllt seien. „Hier haben wir Handlungsbedarf“, betonte Nissle, der sich für eine Gehaltszulage für die stärker geforderten Mitarbeiter*innen (viel mehr Tests, zu betreuende Hotline) einsetzte. Zudem sei die digitale Vernetzung aller beteiligten Institutionen zum Zwecke der Datenübermittlung zwingend erforderlich.

Die Bewältigung der Coronakrise laufe im Landkreis Wittenberg bisher komplikationsfrei und lösungsorientiert – mit dem Gesundheitsamt an der Spitze, betonte Jürgen Dannenberg, Landrat des Landkreises Wittenberg. Ein mehrfacher Infektionsfall (67 Fälle) in einem Pflegeheim in Jessen sei durch Hygienemaßnahmen, intensive Testung und Heimquarantäne überstanden worden. Der Landkreis habe 312 Infizierte seit Beginn der Pandemie, 58 seien davon zurzeit noch erkrankt. Mehrfachinfektionen seien auf verschiedene private Feiern (wieder in Jessen) zurückzuführen. Dannenberg sprach sich für eine Priorisierung der Pflichtaufgaben in den Ämtern durch die Landesregierung aus. Die Kontrolle der Einhaltung der Schutzmaßnahmen könne nicht allein durch die zuständigen Gesundheitsämter geleistet werden.

Man dürfe die Zuständigkeiten (unter anderem der kassenärztlichen Vereinigung) nicht aus dem Blick verlieren, erklärte Michael Struckmeier, stellvertretender Geschäftsführer des Landkreistags Sachsen-Anhalt. Die Landkreise und Gesundheitsämter könnten nicht alle Verantwortung allein tragen. Auch die Abstellung von Landespersonal in die Landkreise müsse geprüft werden. Struckmeier machte klar, dass es eine Priorisierung von Aufgaben (der Gesundheitsämter) geben müsse, um den Anforderungen der Pandemiebewältigung gerecht werden zu können.

Man habe bisher schon einen erheblichen Spagat bei der Bewältigung der Krise hingelegt, resümierte Dr. Claudia Schindler, Leitende Ärztin im Geschäftsbereich Medizin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt. Man habe nicht nur Personal zur Unterstützung anderer Einrichtungen zur Verfügung gestellt, sondern habe auch hausintern für Schutzmaßnahmen (unter anderem viel Homeoffice) gesorgt. Auf Krankenhausbegehungen (das heißt Qualitätsprüfungen) sei verzichtet worden, um die Kliniken zu entlasten und die Mitarbeiter*innen zu schützen. Abrechnungen seien „am grünen Tisch“ geprüft worden. Die Beschwerden aus den Pflegeheimen hätten mittlerweile aber die Summe 100 überschritten. Hier gehe es vornehmlich um unsachgemäße Pflege, fehlende Mobilisierungsmaßnahmen, Isolation und Gewichtsverlust der Bewohner*innen.

Der Medinetz Halle (Saale) e. V. bietet seit 2014 ehrenamtlich medizinische Beratung und Vermittlung von illegalisierten Migrant*innen, Menschen im Asylverfahren und Personen ohne Krankenversicherung an, hohe Behandlungskosten werden durch Spenden getragen. Viele Menschen in Deutschland hätten keine Krankenversicherung oder hätten Schwierigkeiten, ihre Beiträge zu bezahlen, erläuterte Katja Liebing von Medinetz Halle. Infektions- und Gesundheitsschutz könnten aber nur funktionieren, wenn diese für alle zugänglich seien. Nicht versicherte Menschen könnten es sich nicht leisten, zum Arzt zu gehen oder Medikamente zu kaufen, sie würden also zur Gefahr für sich selbst und für andere, so Liebing. Infektionsschutz könne nicht gewährleistet werden, wenn Menschen auf engem Raum zusammenleben müssten, wie dies in der ZASt Halberstadt der Fall sei, ergänzte Anton Weiß. Medinetz fordere daher, insgesamt Strukturen zu schaffen, die Menschen ohne Krankenversicherung auffingen, außerdem die Einführung der elektronischen Versicherungskarte für Asylbewerber*innen, um deren Behandlung zu vereinfachen und sicherer zu machen.

Das Unternehmen betreibe sechzehn Wohnparks im Land, erklärte Dr. Jörg Biastoch von der Humanas Pflege GmbH & Co. KG. Die Hygienemaßnahmen seien hier bereitwillig aufgenommen worden, weil man damit breite Erfahrung habe. Etwas schwierig sei die Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern gewesen, weil diese sich im Unternehmen regelmäßig an die falschen Ansprechpartner gewendet hätten (Pflegedienstleiter statt Manager). Die Arbeitsquarantäne (Zuhause–Arbeit–Zuhause) werde von den Beschäftigten als extrem belastend beschrieben.

Die bedrückenden Informationen zur Pandemie würden von Menschen mit Behinderungen/kognitiven Einschränkungen besonders sensibel aufgenommen, erklärte Heike Woost, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Magdeburg. Man habe umgehend Maßnahmen ergriffen, um Informationen (in Leichter Sprache) an die betreuten/beschäftigten Menschen auszugeben und die Werkstätten/Wohnstätten zu schließen. Die Familien seien vor große Herausforderungen gestellt gewesen, weil plötzlich die erwachsenen Kinder wieder ganztägig zuhause betreut werden mussten. Deutlich sei geworden, dass man der digitalen Aufrüstung bedürfe, betonte Woost. Man habe in der Pandemie-Zeit auch mit vielen Anfeindungen aus der Nachbarschaft der Einrichtungen zu tun bekommen, man sei offenbar von Akzeptanz und Inklusion noch sehr weit entfernt. Woost warb für eine Corona-Prämie auch für die Beschäftigten in der Behindertenbetreuung.

Schutz und Teilhabe in Einrichtungen seien praktisch nicht in Einklang zu bringen, denn man sei für die Gesundheit und den Schutz der Menschen in den Einrichtungen verantwortlich, erklärte Fabian Herrmann, Landesreferent beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. Die Kommunikation zwischen den beteiligten Institutionen (Einrichtungen/Ämter) sei dringend zu verbessern, vor allem im ländlichen Bereich sei man oft auf sich selbst gestellt. „Die Pflege kann keine Pause machen, auch alle Vertragspartner müssen sich bemühen, zeitnah Entscheidungen zu treffen und Entscheide auszusenden“, betonte Herrmann.

Die Heilmittelerbringer hätten schwere Zeiten durchlebt, rekapitulierte Constanze Rikirsch-Schöning, Vorsitzende des Landesverbands Sachsen-Anhalt e. V. des Deutschen Verbands für Physiotherapie. „Wir sind froh, dass wir arbeiten dürfen, denn die Patienten brauchen uns auch.“ Die Therapeuten seien auch vom Besuchsverbot in Einrichtungen betroffen gewesen und hätten Patienten nicht behandeln dürfen. Es sei sehr schwer gewesen, an persönliche Schutzausrüstungen zu gelangen, sodass auch die Praxen Masken und Handschuhe vorrätig gehabt hätten. Große (personelle) Engpässe habe es in den ländlichen Gebieten gegeben. Sachsen-Anhalt müsse endlich das Schulgeld für die Ausbildung zum Heilmittelerbringer abschaffen, forderte Constanze Rikirsch-Schöning, um die Versorgung der Patienten gewährleisten zu können. Problematisch sei, dass viele Kinder eingeschult worden seien, die einen Förderbedarf hätten, der aber durch die aktuellen Bedingungen nicht bearbeitet werden könne. Die Durchführung von Corona-Schnelltests in den Praxen sei unbedingt nötig, da man dicht an dicht am Patienten arbeite.

Die Enquete-Kommission wird sich in ihren kommenden Sitzungen weiter mit der nachhaltigen Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt beschäftigen. Am Ende sollen Handlungsempfehlungen für die Landesregierung erarbeitet werden.