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Plenarsitzung

„Invasion ist ein Bruch des Völkerrechts“

24. Okt. 2019

Die militärische Invasion des NATO-Partners Türkei in Nordsyrien stelle laut Fraktion DIE LINKE einen Bruch des Völkerrechts dar und müsse zu breitem Protest der demokratischen Kräfte in der EU und Deutschland führen. Laut Antrag müsse die Türkei mit sofortiger Wirkung aus der NATO ausgeschlossen werden oder Deutschland müsse seine Mitgliedschaft in diesem Militärbündnis suspendieren, da ansonsten der Bündnisfall drohe. Sämtliche Waffenlieferungen in die Türkei seien sofort zu stoppen. Die kurdische Selbstverwaltung verdiene als wichtiger Partner gegen den IS „unsere Solidarität und Unterstützung in der Gefahr ihrer völligen Vernichtung“.

Tausende Kurden sind im Nordosten Syriens auf der Flucht. Foto: UNHCR/Ritzau Scanpix

Keine legitimen Sicherheitsinteressen

Zwar habe der Landtag keine außenpolitischen und militärpolitischen Kompetenzen, aber die kriegerischen Interventionen der Türkei in Syrien bewegten auch die Menschen in Sachsen-Anhalt, sagte Wulf Gallert (DIE LINKE), und so würde das Thema Bestandteil der Landtagsdebatten. Sachsen-Anhalt sei von dieser Intervention ebenfalls mehrfach betroffen: Zum einen schwinde die Aussicht der Syrer hier, bald wieder in ihre Heimat zurückzukehren, gleichzeitig entstünden vor Ort neue Fluchtursachen.

Laut Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Bundestags sei die türkische Intervention ein ganz klarer Bruch des Völkerrechts und des NATO-Vertrags des NATO-Partners Türkei. Doch scheine dieser Ausschlussgrund durch andere Mitgliedstaaten bereits verbraucht. Die Türkei müsste umgehend aus dem Bündnis ausgeschlossen werden. Werde sie nicht ausgeschlossen, müsste sich Deutschland im Bündnisfall am Einsatz der Türkei beteiligen – „Und das darf unter keinen Umständen passieren“, betonte Gallert.

Erdoğans strategische Ziele seien keine legitimen Sicherheitsinteressen, denn es sei noch kein Funken einer Gefahr für die Türkei seitens der kurdischen Selbstverwaltungszone in Syrien ausgegangen, so Gallert. Erdoğan strebe offenbar die Wiederauferstehung des Osmanischen Reiches an und wolle die erstarkende Opposition gegen sein autokratisches, ja, faschistisches System spalten. Erdoğan benutze seine islamistischen Verbündeten gegen die Kurden und reaktiviere den IS gegen Assad. Ziel sei es, Kurden, Jesiden und Christen dort zu vertreiben, wohin er die in der Türkei lebenden Syrien-Flüchtlinge zwangsumsiedeln wolle.

Gallert kritisierte, dass es seitens der NATO-Partner keine Sanktionen, keine militärische Isolierung der Türkei gebe. Stattdessen würden Waffenlieferungen nicht einmal komplett und augenblicklich eingestellt. Erdoğan missbrauche den Flüchtlingspakt mit der EU als Druckmittel. Seine Politik führe allerdings dazu, dass es immer mehr Flüchtlinge gebe, so Gallert. Die Appeasement-Politik mit der Türkei sei ein großer Fehler.

Kein Bündnisfall einzufordern

Die Türkei werde sich nicht auf den NATO-Bündnisfall berufen können, stellte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) dar. Kein Land habe das Recht, die Souveränität eines anderen Staates hinsichtlich eigener Interessen zu missachten. Die europäischen Staaten stünden hier vor einer großen politischen Herausforderung. Der Machtanspruch der Türkei führe zu einer dramatischen Verschiebung der politischen Kräfte in der Region, auch der IS erstarke wieder, konstatierte Stahlknecht. Europa müsse sich als geeinte Kraft der Türkei entgegenstellen.

Hilfsgüterverteilung für Flüchtlinge im Nordosten Syriens. Foto: UNHCR/Ritzau Scanpix

„An Tragik kaum zu überbieten“

„Was sich derzeit in Syrien vor den Augen der Welt abspielt, ist eine humanitäre Katastrophe“, sagte Holger Hövelmann (SPD). Es treffe ein in weiten Teilen ausgezehrtes und zerstörtes Land, die Invasion habe Auswirkungen auf die Verschiebung der Machtverhältnisse und auf die Sicherheitsarchitektur des Gebiets. Dass die Kurden – ehemals Verbündete der USA – nun wieder zu Opfern würden, sei an Tragik kaum zu überbieten. Mit dem Einmarsch in Syrien habe Erdoğan die NATO und die ganze Weltgemeinschaft bloßgestellt und sie zur Geisel seiner nationalistischen Pläne gemacht, konstatierte der SPD-Abgeordnete. „Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien.“

Hövelmann sprach sich dafür aus, Erdoğan vor dem Internationalen Gerichthof in Den Haag anzuklagen. Zudem forderte er die Durchsetzung eines europäischen Waffenembargos gegen die Türkei sowie nationale und europäische Wirtschaftssanktionen gegen das Land. Das völkerrechtswidrige Verhalten dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die zwischen Erdoğan und Putin getroffene Vereinbarung lasse indes wenig für die kurdische Gemeinschaft in Syrien hoffen. Es sei unerträglich, dass das NATO-Mitglied Türkei gegen das Völkerrecht verstoße.

Greueltaten an der kurdischen Zivilbevölkerung

„Wir von der AfD-Fraktionen sehen die Situation in Syrien mit ähnlicher Sorge“, betonte Tobias Rausch (AfD). Nach Szenen eines überstürzten Abzugs der kriegsmüden Amerikaner kämpften Russland, die Türkei und Assad um die Vormachtstellung in Syrien. Die Türkei spreche von einer Friedensmission, aber mit dem Völkerrecht passe das in keiner Weise zusammen. Jedem sollte klar sein, dass dieses Vorgehen abzulehnen sei, es handle sich um Greueltaten an der kurdischen Zivilbevölkerung, so Rausch. Erdoğan wolle eine Besatzungszone in einem strategisch sehr wichtigen Gebiet in Syrien einrichten. Nach Verhandlungen zwischen Putin und Erdoğan soll nun eine Schutzzone mit einer Breite von zehn Kilometern eingerichtet werden, hierhin sollen dann die syrischen Flüchtlinge umgesiedelt werden. Die Türkei wolle damit verhindern, dass sich die dortige kurdische Selbstverwaltungszone festige.

Bundestag muss Sanktionen und Embargo umsetzen

Wir seien weit weg und würden dennoch Zeugen der schrecklichen Militärinvasion in Syrien,  „wir verurteilen diese Vorgänge“, sagte Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Ohnmächtig werde diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zugesehen. Erdoğans „Gründe“ für die Invasion seien zynisch und menschenverachtend. Es gehe Erdoğan allein um die Erlangung der politischen Hoheit in einem Land, das nicht die Türkei sei, ethnische Säuberungen seien zu befürchten. Der Deutsche Bundestag müsse sich dringend mit der Verantwortung von Deutschland und der EU auseinandersetzen und entsprechende Entscheidungen treffen. Nachdem das US-Militär weg sei, sei eine Kettenreaktion ausgelöst worden. Frederking forderte Wirtschaftssanktionen und ein Waffenembargo gegen die Türkei sowie die Unterstützung der demokratischen Kräfte in der Türkei.

„Krieg ist keine Lösung“

Markus Kurze (CDU) zeigte sich beruhigt über die zwischen Erdoğan und Putin beschlossene Waffenruhe in Syrien, denn Krieg sei keine Lösung. Die türkische Invasion habe unendlich viel Leid in die Region gebracht; auch die CDU-Fraktion verurteile diesen völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Syrien. Deutschland bekenne sich zur NATO, ob Deutschland sich aber an einer Friedensmission in Syrien beteiligen werde, bezweifle er, so Kurze. Er sprach sich für Sanktionen gegen die Türkei wegen deren völkerrechtswidrigen Handelns aus.

Im Anschluss an die Debatte wurde der Antrag der Fraktion DIE LINKE mit Ausnahme von zwei Stimmen in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien überwiesen.