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Plenarsitzung

Enquete-Kommission und die Pflegereform

06. Mär. 2019

Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss im September 2018 die Einsetzung der Enquete-Kommission „Die Gesundheitsversorgung und Pflege in Sachsen-Anhalt konsequent und nachhaltig absichern!“. In deren konstituierender Sitzung hatte man sich auf eine erste Anhörung in öffentlicher Sitzung verständigt, die am Mittwoch, 6. März 2019, stattfand.

Geladen waren Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Ministerien und Sachverständige, um über die aktuelle Lage und die Stärkung der Ausbildung in den Gesundheitsberufen zu berichten, insbesondere über die Belange hinsichtlich der bundeseinheitlichen Pflegeberufsreform und deren Umsetzung in Sachsen-Anhalt.

Die Mitglieder der Enquete-Kommission „Die Gesundheitsversorgung und Pflege in Sachsen-Anhalt konsequent und nachhaltig absichern!“, hier auf einem Foto aus der konstituierenden Sitzung im Januar. Foto: Stefanie Böhme

Wichtige Änderungen durch die Pflegeberufsreform

  • Das neue Pflegeberufegesetz

    Die bisher im Altenpflegegesetz und im Krankenpflegegesetz getrennt geregelten Pflegeausbildungen werden in einem neuen Pflegeberufegesetz zusammengeführt.

  • Gemeinsame Ausbildung für zwei Jahre

    Alle Auszubildenden erhalten zwei Jahre lang eine gemeinsame, generalistisch ausgerichtete Ausbildung, in der sie einen Vertiefungsbereich in der praktischen Ausbildung wählen. Auszubildende, die im dritten Ausbildungsjahr die generalistische Ausbildung fortsetzen, erwerben den Berufsabschluss „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“.

  • Gesonderte Abschlüsse sind möglich

    Auszubildende, die ihren Schwerpunkt in der Pflege alter Menschen oder der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sehen, können wählen, ob sie – statt die generalistische Ausbildung fortzusetzen – einen gesonderten Abschluss in der Altenpflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege erwerben wollen.

  • Prüfung des Gesetzes nach sechs Jahren

    Sechs Jahre nach Beginn der neuen Ausbildungen soll überprüft werden, ob für die gesonderten Berufsabschlüsse in der Altenpflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege weiterhin Bedarf besteht.

  • Zwischenprüfung zur Ermittlung des Aussbildungsstands

    Nach zwei Dritteln der Ausbildung wird eine Zwischenprüfung zur Ermittlung des Ausbildungsstands eingeführt. Den Ländern wird dadurch die Möglichkeit eröffnet, die mit der Zwischenprüfung festgestellten Kompetenzen im Rahmen einer Pflegeassistenz- oder -helferausbildung anzuerkennen. Ein Bestehen der Prüfung ist nicht erforderlich, um die Ausbildung fortzuführen.

  • Tätigkeiten nur für Fachpersonal

    Vorbehaltene Tätigkeiten sind in § 4 geregelt. Für den Pflegebereich werden damit erstmals bestimmte berufliche Tätigkeiten, die dem Pflegeberuf nach diesem Gesetz vorbehalten sind, also nur von entsprechend ausgebildetem Personal ausgeführt werden dürfen, geregelt.

  • Kein Schuldgeld mehr

    Zukünftig wird kein Schulgeld mehr gezahlt werden. Zudem haben die Auszubildenden Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung.

  • Finanzierung über Landesfonds

    Die Finanzierung der Pflegeausbildung wird neu geregelt. Sie erfolgt einheitlich über Landesfonds und ermöglicht damit bundesweit eine qualitätsgesicherte und wohnort-nahe Ausbildung. Durch ein Umlageverfahren werden ausbildende und nicht ausbildende Einrichtungen gleichermaßen zur Finanzierung herangezogen.

  • Lehrgangskosten werden übernommen

    Wie bisher werden bei Umschulungen Lehrgangskosten durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter übernommen; dabei wird die Möglichkeit zur dreijährigen Umschulungsförderung dauerhaft verankert. Auszubildende werden auch dafür nicht mit Kosten belastet.

  • Neue Pflegeausbildung in der EU anerkannt

    Die neue generalistische Pflegeausbildung wird über die EU-Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in anderen EU-Mitgliedstaaten automatisch anerkannt werden. Die gesonderten Abschlüsse in der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege können weiterhin im Rahmen einer Einzelfallprüfung in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden.

  • Ausbildungen sollen 2020 beginnen

    Die neuen Pflegeausbildungen werden im Jahr 2020 beginnen. Pflegeschulen und Ausbildungseinrichtungen bleibt so genug Zeit, um sich auf die neuen Ausbildungen einzustellen.

Stimmen aus den Ministerien in der Anhörung

2020 starte die neue Ausbildung zu Pflegefachfrauen und -männern, die alten Berufsbilder der Pflege würden zusammengeführt, erklärte Michael Kunstmann, Krankenhausfinanzierungsreferent im Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration. Vorsorglich sei dafür eine ressortübergreifende Lenkungsgruppe im Ministerium eingerichtet worden, um die praxisorientierte Umsetzung der Ausbildung mit allen handelnden Institutionen zu gewährleisten. Entsprechende Verhandlungen seien schon angelaufen. „Wir befinden uns bereits auf dem Umsetzungsweg für die Pflegeberufsreform“, betonte Kunstmann.

Die schulische Pflegeausbildung sei an dieser Stelle nicht ganz unproblematisch, da die Verantwortlichkeit für die Ausbildungsrichtungen (Kinderpflege, Altenpflege etc.) bisher in verschiedenen Ministerien angesiedelt gewesen sei, erklärte Martina Klemme vom Bildungsministerium Sachsen-Anhalt. Um diese verschiedenen Ausbildungen zusammenzuführen, habe man sich ressortübergreifend darauf verständigt, ein Landesausführungsgesetz zu erstellen, durch das unter anderem geklärt werde, welchen Status Pflegeschulen haben sollen. In die Pflegeausbildung sollen die verschiedensten Bildungseinrichtungen im Land integriert werden. Geklärt werde noch die gesetzlich vorgesehene Übernahme von Miet- und Investitionskosten für Pflegeschulen sowie die Entwicklung eines Konzepts für die Lehrerfort- und -weiterbildung. Ende März 2019 solle der Entwurf des Ausführungsgesetzes im Kabinett vorgelegt werden, also relativ zeitnah, da noch einige Haushaltsfragen geklärt werden müssten, so Klemme.

Sachsen-Anhalt stehe an der Spitze der Entwicklung in Sachen Pflegeberufe, erklärte Uwe Paul vom Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung. Andere Gesundheitsfachberufe (beispielsweise Physiotherapeuten oder Logopäden) sei indes noch nicht akademisiert worden, was andernorts aber schon betrieben werde. Zwar gebe es in der Gesundheitswirtschaft eine hohe Nachfrage nach Fachkräften, aber die Zahl der Studierenden sei noch zu gering, um dieser Nachfrage auch tatsächlich gerecht zu werden.

Aus den Redebeiträgen der Sachverständigen

Die Reinventarisierung des Leistungskatalogs der Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich der medizinischen Primärversorgung sei geboten, erklärte Prof. Dr. Gabriele Meyer von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dabei gehe es um die Übertragung möglicher Tätigkeiten von Ärztinnen und Ärzten auf medzinisches Personal – für die Aufrechterhaltung einer niedrigschwelligen und erschwinglichen Gesundheitsversorgung, die jedoch zu qualitativ gleichwertigen Patientenergebnissen führen müsse. Pflegende beispielsweise in der mobilen Wundversorgung dürften keine Verschreibungen aufsetzen, dies müsse der Hausarzt bewerkstelligen – „das ist natürlich sehr ineffizient“, kritisierte Meyer. Die Ausweitung der praktischen Aufgaben von Pflegenden führe zu einer höheren Attraktivität des Pflegeberufs. Die Akademisierung der Ausbildung von Hebammen und Entbindungspflegern sei unabwendbar und werde deutlich begrüßt. „Wir brauchen diesen Kompetenzzuwachs, denn wir haben es immer mehr mit komplizierten Geburten und parallelen Belastungen der werdenden Mütter zu tun“, betonte Meyer.

Die neue generalistische Ausbildung werde begrüßt, auch dass vor dem Hintergrund der beruflichen Entwicklung ein neues Berufsbild mit einer Vertiefung in der Praxis entstehe, sagte Christina Heinze vom Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe e. V. (BLGS). Es könne so gelingen, auch Abiturienten für den Pflegeberuf zu gewinnen. Der Pflegeberuf sei immer noch stark weiblich definiert, nur 18 Prozent der Beschäftigten seien Männer. Es wäre sehr wünschenswert, den Ausbildungsstart bereits ins Frühjahr 2020 zu legen. Nachbesserungsbedarf erkannte Heinze auch, so sei beispielsweise die Anschubfinanzierung der Reform durch den Bund (für Vorbereitungsarbeiten in den Schulen) vergessen worden, darüber hinaus müssten die Vorhaltekosten in den Pflegeschulen (zum Beispiel für Lehrkräfte, wenn die Schülerzahlen durch Absprung sinken) refinanziert werden. Problematisch sei, dass Reha-Kliniken nicht mehr als Ausbildungsbetrieb fungieren dürften (hier sei die Refinanzierung anders geregelt). Jede Schule habe bereits jetzt großen Bedarf an pädagogischen Kräften, die nun Auszubildenden seien jedoch keine Lehrkräfte. „Wir brauchen dringend einen Bachelorstudiengang für Pädagogik“, so Heinze.

Er beobachte eine gewisse Erschöpfungssymptomatik im Krankenhaus und im Altenheim, sagte Jörg Heinrich vom Landespflegerat Sachsen-Anhalt. Die Mitarbeiter lebten in dem Bewusstsein, dass sie ihre Arbeit nicht schaffen können, sie lebten dauerhaft in der Angst, aus lauter Zeitdruck Fehler zu machen. „Wir reden zu Recht über eine bessere Praxisausbildung, aber die Leute brauchen auch genügend Zeit, ihre Fähigkeiten anzuwenden“, so Heinrich. Viel Personalmangel resultiere aus überbordender Bürokratie. Heinrich regte die Aufstellung von Arbeitsportfolios für die verschiedenen Einsatzbereiche im Krankenhaus und in der Pflege an: Älteren Beschäftigten sollte nicht mehr der komplette Dienst in allen Einsatzgebieten zugemutet werden. Auch die Gewinnung von niedergelassenen Hebammen für Geburten in örtlichen Kreißsälen sollte angestrebt werden, um den Erhalt dieser Einrichtungen auch zu gewährleisten.

Während in den zurückliegenden Jahren die Auszubildendenzahl in der Physiotherapie signifikant gestiegen sei, seien die Zahlen in der Altenpflege um 24 Prozent und in der Altenpflegehilfe um 19 Prozent gesunken, berichtete Jürgen Banse, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Privatschulen Sachsen-Anhalt e. V. Die Erhebung von Schulgeld für die Pflege sei in Zeiten mangelnder Auszubildender schon als Wettbewerbsnachteil zu bewerten gewesen. Die seit dem 1. August 2018 geltende Schulgeldfreiheit habe zu finanziellen Engpässen bei den Bildungsträgern geführt, da die in Aussicht gestellten Ersatzzahlungen pro Schüler noch nicht geleistet worden seien. [Nachtrag aus dem Bildungsministerium: Bescheide so gut wie auf dem Weg.] Darüber hinaus regte Banse eine Kampagne für die Ausbildung und Einstellung von Pflegelehrkräften „in Größenordnungen“ für die kommenden fünf Jahre an – sowohl für die staatlichen als auch die privaten Schulen, denn viele Lehrkräfte würden dann im Rentenalter sein und aus dem Unterricht ausscheiden.

Die Anhörung wird in einem zweiten Teil am 29. Mai 2019 wiederum in einer öffentlichen Sitzung fortgesetzt.