Andreas Silbersack (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Unsere Zukunft ist Europa, eine andere haben wir nicht.“ - Das sind Worte von Hans-Dietrich Genscher, einer der wesentlichen Außenminister und ein wahrer Europäer, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Für uns kann es keinen Zweifel geben: Wir brauchen eine starke europäische Gemeinschaft, eine starke Europäische Union, außenpolitisch und wirtschaftlich. Wir erleben einen Widerstreit der Interessen von Amerika, China und Europa - darin einbezogen der Rest der Welt  , wie wir ihn bisher nicht gekannt haben. Insofern ist der 9. Juni von ganz wesentlicher Bedeutung für die Frage: In welche Richtung entwickelt sich Europa? In welche Richtung entwickelt sich Deutschland?

Wir können es uns nicht leisten, dass das Europa der 27 Nationalstaaten auseinanderdriftet. Wir können es uns nicht leisten, dass Partikularinteressen einzelner Staaten in den Vordergrund treten. Wenn jeder für sich die Frage, die vorhin von Herr Scharfenort gestellt wurde, was nützt es uns, was nützt es mir, in den Fokus rückt, dann ist das die Trumpsche Vorstellung von der Welt: Ich zuerst, dann lange nichts. Das ist nicht die Idee von Europa, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir brauchen eine Gemeinschaft. Wir brauchen einen Grundkonsens. Ich muss einmal ganz deutlich sagen - an der Stelle bitte ich einfach auch die AfD, einmal darüber nachzudenken  : Es gibt in den letzten 30 Jahren auf dem Binnenmarkt keinen größeren Profiteur als Deutschland. Unser Wohlstand basiert auf diesem Binnenmarkt.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Es ist ein Binnenmarkt, der Milliarden gebracht hat, der uns Arbeitsplätze - jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland ist exportorientiert - gebracht hat. Das heißt, wir sind seit dem Jahr 2000 der größte Nutznießer dieser Europäischen Union. Wenn Sie sagen, das wollen wir nicht, wir wollen Zölle, wir wollen Schranken, wir wollen erst einmal an uns denken, dann schießen wir uns damit selbst ins Knie. Damit sind wir nicht einverstanden. Das machen wir nicht mit.

(Lothar Waehler, AfD: Wo fließen denn die Gewinne hin?)

Wir wollen ein starkes, freies Europa. Wir wollen selbstverständlich Nationalstaaten mit eigener Identität; das ist überhaupt keine Frage. Aber es muss die Fähigkeit dazu bestehen zusammenzukommen. Die Fähigkeit, bei der Frage der Wirtschaft, bei der Frage der Migration, bei der Frage von Lieferketten, bei der Frage des Klimas einen Konsens zu bilden, ist die große Herausforderung. Der Widerstreit, den wir im Augenblick erleben, fußt doch darauf, dass 27 Nationalstaaten unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie das eine oder das andere erreicht werden kann.

Deshalb bin ich Herrn Macron sehr dankbar dafür, dass er mit Blick auf den Green Deal gesagt hat: Lasst uns doch einmal etwas piano machen; lasst uns nicht uns selbst überfordern. Es ist auch Ausdruck einer Europäischen Union, dass man wieder miteinander streitet und die Dinge miteinander löst. Das heißt nicht, dass ich den Abgesang von Europa erkläre, sondern, dass ich näher zusammenrücke.

Ich verspreche Ihnen eines: Es wird in der Zukunft stärker und wichtiger denn je sein. Wenn wir am 9. Juni eine Wahl erleben, die proeuropäisch ausfällt, dann bin ich fest davon überzeugt, dass es im Widerstreit mit den Interessen von China und Amerika ein starkes Europa auch ein zukunftsfähiges Europa sein wird, meine Damen und Herren.

Zu der Frage, wie es mit einzelnen Themen weitergeht, z. B. mit dem Thema Migration, sage ich: Glauben Sie denn wirklich, dass das ein Land für sich klären kann? Das müssen wir gemeinsam klären.

(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Ich persönlich glaube nicht, dass die Entscheidung Großbritanniens, dass die Ruanda-Lösung das Allheilmittel sein wird. Das wird auch nicht funktionieren. Lassen Sie uns lieber gemeinsam ein Europa der Zukunft bauen.

Ob es eine Fiskalunion sein wird, eine Sozialunion, das sind alles Fragen, die man gemeinsam klären muss. Jedes Land muss natürlich sein Interesse wahren. Aber eines ist klar: Sie werden den Abschwung, Sie werden den Niedergang, auch in Deutschland, voranschreiten lassen, wenn hier ein Protektionismus raumgreift, der uns in dieser Welt am ehesten schadet.

Ich neide es niemanden, nicht den Polen, nicht den Griechen, nicht den Spaniern, wenn sie Vorteile, wenn sie einen Aufschwung haben, dann freue ich mich mit. Denn das ist es, was die Zukunft für ein gemeinsames, starkes Europa bildet.

(Zuruf von Frank Otto Lizureck, AfD)

Denn nach dem Krieg - daran will ich auch erinnern - waren es die anderen Länder, die uns geholfen haben, die Dinge wieder aufzubauen. Wenn wir uns hinstellen und sagen: Nein, wir zuerst, dann erst einmal lange nichts, dann ist das nicht der Geist, der nach 1945 Europa zu dem gemacht hat, was es ist, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Für uns in Sachsen-Anhalt - das sage ich ganz klar; Herr Gallert hat es bereits gesagt  , mitten in Europa, ist ein Partner wie Polen eine Prosperität im Zusammenhang, im wirtschaftlichen Miteinander. Das ist etwas Positives. Genau so müssen wir Europa verstehen.

(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Ich kann den Wählerinnen und Wählern für den 9. Juni nur eines sagen: Wenn wir ein starkes Europa wollen, dann müssen wir proeuropäisch denken; dann dürfen wir nicht als Erstes nur an uns selbst denken; dann muss gemeinsam die Frage der Wirtschaft, der Migration, der Schrittgeschwindigkeit beim Green Deal gelöst werden.

(Zurufe von Jan Scharfenort, AfD, und von Frank Otto Lizureck, AfD)

Das schaffen wir nur gemeinsam. Dafür muss jeder nicht nur an sich, sondern eben auch an den anderen denken. Das ist der Unterschied zu Ihnen, liebe AfD. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

 


(Zustimmung bei der CDU)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Silbersack. - Herr Rausch hat eine Frage.

(Zuruf von der AfD)


Tobias Rausch (AfD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Silbersack, Sie meinten, wir sollen doch in uns gehen und den Binnenmarkt nicht infrage stellen. Ich frage Sie, ob Sie mir nicht zugehört haben. Ich habe in meinem Redebeitrag ganz klar gesagt, dass wir für einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt sind.

(Guido Kosmehl, FDP: Aber der geht nur in der EU! - Zuruf von der AfD: Das stimmt doch gar nicht! - Unruhe)

- Herr Kosmehl ist gerade nicht dran. - Wir sind für weitreichende Reformen der EU, dafür, dass der Abbau der Bürokratie erfolgt, dass die Bevormundung aufhört. Sie selbst haben ein paar Sachen angesprochen. Wenn es nicht geht, dann muss man die EU wieder auf eine Gemeinschaft reduzieren, die sich überwiegend auf den Binnenmarkt, auf die Reisefreiheit usw. konzentriert. Das ist unser Konzept.

(Unruhe - Zuruf von Juliane Kleemann, SPD)

Unser Konzept ist es nicht     Dass Sie als FDP-Politiker der Mär von Herrn Gallert auf den Leim gehen, dass es gut ist, wenn die Polen und wir wirtschaftliche Beziehungen haben    

Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel: VW hat das Werk für den VW-Crafter in Düsseldorf geschlossen und hat es nach Polen verlagert, dort mit EU-Fördermitteln, mit Subventionen aus Polen gebaut. Die Zuliefererbetriebe aus Sachsen-Anhalt, Nemak und Trimet, liefern nun die Werkzeugteile und die Maschinenteile nicht mehr nach Düsseldorf, wo das Auto zusammengebaut wurde, sondern nach Polen. Es hat sich nur verlagert. Wir haben Arbeitsplätze aus Düsseldorf nach Polen verlagert.

Sie haben gesagt, dass Sie drauf stolz sind und es gut finden. Das nehme ich zur Kenntnis. Ich kann nur jedem raten, der sich das angehört hat, sich zweimal zu überlegen, die FDP zu wählen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von der AfD: Bravo!)

Andreas Silbersack (FDP):

Zweimal die FDP zu wählen, ist natürlich richtig.

(Frank Otto Lizureck, AfD: Das passiert, wenn man die Zusammenhänge nicht erkennt! - Zuruf von der AfD: Strack-Zimmermann geht voran! - Lachen bei der AfD - Guido Heuer, CDU: Diese Meinung hast du exklusiv!)

Selbstverständlich ist es gut, wenn wir gute wirtschaftliche Beziehung zu Polen haben. Wenn Pat Gelsinger von Intel genauso denken würde wie Sie, dann wäre er als Letztes auf die Idee gekommen, tatsächlich eine Investition in Magdeburg zu tätigen.

(Zustimmung bei der FDP)

Das ist es doch gerade. Das ist dieses protektionistische Denken, dass man im Grunde genommen in einem eingekesselten Ich denkt. So funktioniert die Welt aber nicht; wir können nur Gemeinschaft.

(Zuruf von der AfD: Das stimmt doch nicht! - Tobias Rausch, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

Eines sage ich noch: Die Europäische Union basiert auf Verträgen.

(Unruhe)

- Hören Sie mir doch einfach mal zu! - „Verträge“ wie „vertragen“, d. h., man schließt einen Konsens. Dazu gehört eben auch der Binnenmarkt.

(Jan Scharfenort, AfD: Ja, richtig!)

Das heißt, man hat sich konsensual auf etwas beschränkt, bei dem der eine etwas gibt, aber der andere eben auch. Das eröffnete uns den Binnenmarkt und ist das, was uns in den letzten 30 Jahren unseren Wohlstand beschert hat. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Binnenmarkt haben. Wenn Sie sagen: Sie wollen den Binnenmarkt, aber Sie wollen im Grunde den Rest nicht, dann kann der Vertrag nicht gehalten werden.

(Unruhe - Tobias Rausch, AfD: Sie haben uns nicht zugehört! Das ist das Problem! Sie haben nicht zugehört!)

- Das ist die Wahrheit, lieber Herr Rausch, und deshalb haben Sie Unrecht. - Danke.