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Plenarsitzung

Feierstunde „30 Jahre Landesverfassung“

22. Jun. 2022

Videoaufzeichnung der Feierstunde „30 Jahre Landesverfassung“ im Landtag von Sachsen-Anhalt


Die Sonne schien am 9. April vor 30 Jahren in den Plenarsaal, als die Abgeordneten des Landtags erstmals über den Entwurf einer Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt berieten. Der Sonnenschein sei angemessen, meinte der SPD-Abgeordnete Dr. Reinhard Höppner, als er ans Rednerpult trat. Immerhin gehöre dieser Tagesordnungspunkt zu den Höhepunkten der Beratungen des Parlaments in der ersten Legislaturperiode. 

So begann die nunmehr 30 Jahre währende Geschichte unserer Landesverfassung offiziell im Landtag von Sachsen-Anhalt. (Mehr dazu lesen Sie in unserem Artikel: „So ist die Landesverfassung entstanden“). In einer Feierstunde am 22. Juni 2022 anlässlich des 30. Jubiläums unterstrichen Politiker und Verfassungsrichter die Bedeutung der Verfassung für die Entwicklung des Landes und zukünftige Generationen.

Verfassung ist „stabil und widerstandsfähig" 

Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger erinnerte eingangs seiner Rede daran, dass die Landesverfassung vor 30 Jahren auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs aller (!) Fraktionen und einer Beschlussempfehlung des Verfassungsausschusses beschlossen wurde. Anlässlich des 30. Jubiläums fragte Landtagspräsident Schellenberger sich und alle Anwesenden: „Sind wir in guter Verfassung?“ Bei der Beantwortung stellte der Landtagspräsident fest: „Wir haben eine solide, auf verbalen Pomp verzichtende Landesverfassung.“ Sie sei ehrlich und mache den Menschen gerade in ihrem Verhältnis zum Staat nichts vor. Diese Einschätzung werde durch Artikel 3 gestützt. Darin werde klargestellt, „auf welch unterschiedliche Weise die Grundrechte, Einrichtungsgarantien und Staatsziele den Staat binden“.

Zudem hätten wir eine Landesverfassung, die feste Strukturen geschaffen habe, die sich in den Krisen der vergangenen 30 Jahre als sehr stabil, als handlungs- und auch als widerstandsfähig erwiesen hätten. Die Verfassung sei zudem an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst worden, betonte Schellenberger. So habe der Landtag wiederholt die für die direktdemokratischen Verfahren erforderlichen Quoren abgesenkt. Dies habe aber noch nicht zur gewollten Belebung der direkten Demokratie im Land geführt. Schellenberger sagte: „Ich glaube, dass das Haus hier eine Aufgabe hat zu prüfen, woran das liegt.“

Die Verfassung zeige außerdem, dass bereits die Mütter und Väter die Aufgaben von heute gesehen und erkannt hätten. Damals wie heute gehe es darum, „die Grundlagen für ein soziales und gerechtes Gemeinschaftsleben zu schaffen, die wirtschaftliche Entwicklung und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ganzen Land zu fördern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, das Klima als Grundlage menschlichen Lebens zu schützen und einer globalen Erwärmung im Rahmen des Möglichen entgegenzuwirken sowie die kulturelle und geschichtliche Tradition in allen Landesteilen zu pflegen.“ Genau so stehe es seit 1992 in der Präambel unserer Verfassung.

Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger während seiner Rede beim Festakt zu „30 Jahre Landesverfassung“ am Rednerpult im Plenarsaal..

Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger während seiner Rede beim Festakt zu „30 Jahre Landesverfassung“.

„Respektvoll um die beste Lösung streiten“

Abschließend appellierte Schellenberger, diese Aufgaben gemeinsam in Respekt vor alternativen Lösungsansätzen und den Menschen, die sie vertreten, anzugehen. Besonders vorsichtig müsse man sein, wenn in ideologisch stark aufgeladenen politischen Debatten über die Fundamente unserer öffentlichen Ordnung auf das Letzte zugespitzt werde, mit der erklärten Gewissheit, die einzig angemessene, richtige Lösung zu haben.

Die Werte der Verfassung müssten nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt werden, insbesondere bei Debatten im Plenarsaal – dem politischen Forum unseres Landes. Es müsse darum gehen, „respektvoll um die für das Land beste Lösung zu streiten“. Eine selbstbewusste, demokratisch gesinnte Gemeinschaft freier Bürgerinnen und Bürger dürfe diese politische Kultur erwarten und einfordern. „Sie muss es sogar und tut es auch.“

Minister Prof. Dr. Armin Willingmann während seiner Rede beim Festakt zu „30 Jahre Landesverfassung“ am Rednerpult im Plenarsaal.

Minister Prof. Dr. Armin Willingmann während seiner Rede beim Festakt zu „30 Jahre Landesverfassung“ am Rednerpult im Plenarsaal.

„Keine Demokratie ohne Demokraten" 

Prof. Dr. Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt, hielt in Vertretung des erkrankten Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff die Festrede zum 30-jährigen Jubiläum der Landesverfassung. Willingmann erklärte: „Unser Land ist im wahrsten Sinne des Wortes in guter Verfassung. Unsere Landesverfassung war uns in den zurückliegenden Jahrzehnten eine gute Richtschnur. Und sie wird es auch weiterhin sein.“ Auf diesem sicheren Fundament könnten die vor uns liegenden Aufgaben und Herausforderungen gut bewältigt werden. Die Verfassung enthalte den „Bauplan für unsere freiheitliche Demokratie und unsere Werte- und Grundordnung“.

Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass die geschriebene Verfassung auch mit Leben erfüllt werden müsse. „Sie muss angenommen und nach ihr muss gehandelt werden. Demokratie will gelebt werden.“ Dieser Aufgabe müssten sich alle Menschen täglich neu stellen. „Die Werte unserer Demokratie setzen sich nicht von selbst durch. Sie müssen von jeder Generation aufs Neue verteidigt werden. Für unsere Überzeugungen und demokratischen Institutionen müssen wir entschlossen eintreten“, betonte Willingmann. Freiheit heiße demnach auch, Verantwortung wahrzunehmen – eine Demokratie ohne Demokraten werde keine Zukunft haben.

In dem Zusammenhang sagte Minister Willingmann: „Keine Demokratie kann dauerhaft gegen eine Mehrheit politisch unzufriedener, passiver und an der Politik nicht interessierter Bürgerinnen und Bürger bestehen.“ Ohne eine intakte und aktive Zivilgesellschaft sei eine stabile Demokratie nicht denkbar. Letztlich müssten die Menschen eine Verfassung mit Leben erfüllen, erzwingen lasse sich eine solche politische Kultur jedoch nicht, sondern dies beruhe auf Freiwilligkeit.

„Freiheiten sind nicht selbstverständlich"

Oftmals würden unsere Freiheiten für selbstverständlich gehalten, bewusst wahrgenommen würden sie dagegen nur selten. Ein Blick in die Geschichte und andere Länder zeige jedoch, dass der demokratische Verfassungsstaat nicht selbstverständlich sei, so Willingmann. „Der Bogen der Geschichte neigt sich nicht zwangsläufig in Richtung Demokratie. Unsere Zivilisation ist fragil.“ Auch heutzutage könnten Demokratien scheitern.

Wachsender Populismus und „schwindender Respekt gegenüber demokratischen Normen und Institutionen“ würden dazu beitragen. Die Grenzen des Sagbaren würden sich immer mehr verschieben. Willingmann unterstrich: „Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung sind eine Bedrohung für jede freiheitliche Gesellschaft. Der Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 war auch ein Angriff auf unsere Verfassung und deren Werte.“

Abschließend verwies Willingmann noch einmal auf die große Bedeutung der Verfassung für die Stabilität unserer demokratischen Ordnung. „Nicht nur zu besonderen Anlässen sollte man ein Gespür für dieses Glück, aber auch seine Verletzlichkeit haben. Wenn wir dafür empfänglich sind, dann ist die Zukunft zwar weiter offen, aber die Chancen, dass sie gut wird, sind groß.“

  • Faktenwissen zur Verfassung

    Die Landesverfassung regelt das Zusammenleben aller Menschen in Sachsen-Anhalt. Sie besteht, ähnlich wie das Grundgesetz, aus einer Präambel, einem Grundrechtekatalog und einem staatsorganisatorischen Teil. Ihre Leitmotive wurden in der Präambel niedergeschrieben. Diese sind insbesondere:

    • Sicherung der Freiheit und der Würde des Menschen
    • Schaffung von Grundlagen für ein soziales und gerechtes Gemeinschaftsleben
    • Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung
    • Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen
    • Kultur- und Traditionspflege in allen Landesteilen

    Zur Änderung der Landesverfassung bedarf es einer Zweidrittelmehrheit des Landtags. Dies geschah bislang unter anderem durch die Verfassungsänderung vom 27. Januar 2005, mit der die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre erweitert wurde, vom 5. Dezember 2014, durch die Kinderrechte in die Landesverfassung aufgenommen wurden, sowie mit der am 28. Februar 2020 beschlossenen Änderung, durch die die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ und die „Nichtverbreitung nationalsozialistischen, rassistischen und antisemitischen Gedankenguts“ in der Landesverfassung verankert wurden.

Landesverfassungsgerichtspräsident Dr. Uwe Wegehaupt während seiner Rede beim Festakt zu „30 Jahre Landesverfassung“ am Rednerpult im Plenarsaal.

Landesverfassungsgerichtspräsident Dr. Uwe Wegehaupt während seiner Rede beim Festakt zu „30 Jahre Landesverfassung“ am Rednerpult im Plenarsaal.

Gericht wacht über Einhaltung der Verfassung

Dr. Uwe Wegehaupt, Präsident des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt, erklärte, Sachsen-Anhalt hätte sich in den vergangenen 30 Jahren zu einem „geschätzten und geachteten Bundesland in Deutschland“ entwickelt. Die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung werde vom Landesverfassungsgericht überprüft. Obwohl dies hierzulande niemand in Frage stelle, sei es nicht selbstverständlich, dass es ein Landesverfassungsgericht gebe. Dies zeige selbst ein Blick in andere europäische Länder. Zwar werde das von ihm geleitete Gericht in der Verfassung nur in drei Artikeln erwähnt, daraus dürfe man jedoch nicht auf eine geringe Bedeutung schließen.

Es ein selbstständiges und unabhängiges Verfassungsorgan, das zu keinem Ministerium gehöre, führte Wegehaupt weiter aus. „Die Richter sind an keine Weisungen gebunden und können bei unliebsamen Entscheidungen nicht ausgetauscht werden.“ Das Gericht sei keine politische Institution, auch wenn seine Entscheidungen politische Auswirkungen haben könnten. Die Stärke des Gerichts zeige sich in der Wirksamkeit seiner Entscheidungen. Allerdings könne es die Umsetzbarkeit nicht erzwingen, sondern ist auf die Akzeptanz seiner Entscheidungen angewiesen.

Mit der Einführung der Urteilsverfassungsbeschwerde (2019) sei das Landesverfassungsgericht zu einem Bürgergericht geworden und die Aufgaben hätten zugenommen, so Wegehaupt. Ob damit gleichzeitig das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für die Verfassung und ihre Inhalte zugenommen hätte, vermochte er nicht einzuschätzen. Genau dies wäre sein Wunsch – eine Belebung der Verfassung durch Politik und Bürgerschaft. Denn die Verfassung sei „das essenzielle Werkzeug zur Ausübung unserer gesellschaftlichen Verantwortung“.