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Plenarsitzung

Transkript

Gordon Köhler (AfD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerade noch vor der Mittagspause reden wir darüber, dass Kinder die Zukunft sind. Jetzt unterhalten wir uns über das komplette Gegenteil. Das ist an Zynismus natürlich kaum zu überbieten, meine sehr geehrten Damen und Herren. 

(Zustimmung bei der AfD)

Mittlerweile zum fünften Mal in zwei Jahren und auf Wunsch der GRÜNEN reden wir hier im Landtag über dieses Thema. Ich kann nur anfügen: Schade, dass Ihnen die Geburtenförderung nicht so wichtig ist. 

Um es gleich vorwegzunehmen, wir als AfD-Fraktion stehen weiterhin zu dem Kompromiss, der mittlerweile seit Jahrzehnten eine ausgleichende Lösung dafür bietet, wie mit dem menschlich und moralisch schwierigen Komplex des Schwangerschaftsabbruchs umzugehen ist. 

Der Status quo ermöglicht es, die Schwangerschaft in notwendigen Fällen und unter klar definierten Voraussetzungen straffrei zu beenden. Keine der aktuell notwendigen Maßnahmen ist unverhältnismäßig, gerade in der Abwägung dessen, was zur Debatte steht. Wir können froh darüber sein, dass der Gesetzgeber einen für alle Seiten halbwegs erträglichen Kompromiss geschaffen hat. 

Nun zum konkreten Inhalt der Debatte. Ganz offen gesprochen, wir haben als Fraktion am Freitag den Hinweis bekommen auf die Aktuelle Debatte. Nachdem man sich die ELSA-Studie angeschaut hat, gehört zur Wahrheit dazu, dass diese 999 Seiten nicht innerhalb weniger Tage so studiert und erfasst sein können, dass man jetzt wirklich eine tiefgreifende Debatte über das Thema führt. Also, damit schließe ich mich den Vorrednern an.

(Ulrich Siegmund, AfD: Richtig!)

Ansonsten möchte ich an dieser Stelle auch kurz persönlich werden. Auch ich hatte die Möglichkeit, mit einigen Frauen zu sprechen, die einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen haben, auch in verschiedenen Altersgruppen. Das ist nur mein sehr subjektiver, persönlicher Eindruck. Es ist eine schwere Entscheidung, und ja, ich möchte nicht mit diesen Frauen tauschen. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass es Frauen auch viele Jahre nach dieser schweren Entscheidung weiter bewegt, auch den Partner, und dass man sich häufig eben auch die Frage stellt, was hätte, was wäre, was ist möglich gewesen. Deshalb noch einmal: Diese Entscheidung, wenn man das Leben beendet, darf keine leichte sein. 

Wenn Sie dann, liebe GRÜNE, es der Gesellschaft versuchen abzutrainieren, sich für das Leben einzusetzen, und sie diffamieren, wie Sie das hier getan haben, dann stellen wir uns dem selbstverständlich klar und energisch entgegen. 

Für uns als Fraktion steht fest, dass der Kompromiss, so wie er jetzt im Strafgesetzbuch geregelt ist, bleibt und unantastbar ist. 

Jetzt zur Versorgungslage. Es ist auch schon in den vorangegangenen Debatten klar geworden, dass es in Sachsen-Anhalt keine Engpässe gibt, wie Sie sie ja immer heraufbeschwören. Die Abdeckung mit Beratungsstellen ist überdurchschnittlich und die Erreichbarkeit von Abtreibungsärzten ist   das gehört zur Wahrheit dazu und ist auch traurig   besser als die von Geburtskliniken. Sie können dazu gern in die ELSA-Studie schauen, Seite 616, oder auch in das sachsen-anhaltische Krankenhausgutachten. Das sagt eigentlich alles darüber aus, wo die wichtigen Baustellen in unserem Land sind. Das führt uns letzten Endes zu der Frage, wie wir den Trend umkehren können, wie wir Frauen, auch ungewollt Schwangere, eben dazu bewegen können, sich tatsächlich für das Leben zu entscheiden. 

Wir wissen natürlich auch, dass die GRÜNEN hieran kein Interesse haben. Die von Ihnen so bemühte ELSA-Studie befasst sich leider nur stiefmütterlich mit dem Thema, was nicht weiter überrascht. Sie verweist aber im Hinblick auf die Gründe für die Entscheidung zum Abbruch auf eine andere Studie aus dem Jahr 2013, die sich wiederum auf Datensätze aus dem Jahr 2012 bezieht, also Daten, die zu Beginn der ELSA-Studie bereits acht Jahre alt waren. Dennoch wird auch in den wenigen Betrachtungen über die Entscheidungsfindung oder über die Gefühls- und Erlebniswelt deutlich, dass sich die Ergebnisse der ELSA-Studie mit denen in anderen Erhebungen decken und dass die Ursachen übereinstimmen. 

Es gibt wesentliche Faktoren, die eine Entscheidung hin zur Abtreibung beeinflussen: die berufliche und wirtschaftliche Situation wurde genannt; die familiäre und partnerschaftliche Situation und, ja, auch die gesundheitliche. Die Daten finden Sie etwa in Veröffentlichungen des „Ärzteblattes“, in besagter „frauen leben 3“-Studie und in weiteren Publikationen, wenngleich in keiner weiteren offiziellen Statistik. Ja, hieran müssen wir arbeiten. Wirtschaftliche und finanzielle Faktoren dürfen eben kein ausschlaggebender Grund sein für eine Abtreibung, zumal das der Punkt ist, der politisch sogar relevant sein könnte, weil man hierbei etwas Gestaltungsmacht im politischen Raum hat. 

Im „Ärzteblatt“ wird etwa für Sachsen-Anhalt aufgezeigt, dass Frauen finanzielle Gründe am vierthäufigsten als Grund für einen Schwangerschaftsabbruch nannten, gefolgt von beruflichen Gründen auf Platz 5 sowie dem Grund „während oder in Ausbildung befindlich“ auf Platz 7, was im Grunde genommen natürlich auch wirtschaftliche und finanzielle Aspekte betrifft. Der Erhebungszeitraum hierfür war von 2009 bis 2022. Selbst die ELSA-Studie lässt durchblicken, dass wirtschaftliche Unsicherheit einen großen Einfluss auf die Entscheidung zum Abbruch hat; denn von den Befragten, die eine ungewollte Schwangerschaft abgebrochen haben, gaben fast 70 % an, dass ein Kind oder ein weiteres Kind ihrer Einschätzung nach zu einer sehr angespannten finanziellen Situation geführt hätte. Nach der „frauen leben 3“-Studie liegen wirtschaftliche Gründe bei knapp 20 %. 

Hierbei muss der Staat, also unser Gemeinwesen, dringend nachbessern, aber nicht nur, was die Förderung von Familien angeht, sondern auch bei dem gesellschaftlichen Grundkonsens, dass man eine Willkommenskultur für Kinder schafft. Das betrifft eben auch das Familienbild. Gerade in zerrütteten und unklaren Familienverhältnissen fällt es den Frauen schwerer, sich für ein Kind zu entscheiden. Auch das beinhaltet die Studie. 

Partnerschaftliche Probleme werden in allen Erhebungen mit als Hauptgrund identifiziert. Das Signal muss heißen, dass die Gesellschaft sie eben nicht im Stich lässt und sie unterstützt. 

Wir müssen also Wege finden, um Frauen eine Perspektive jenseits der Abtreibung aufzuzeigen, auch wenn mir sehr bewusst ist, dass das natürlich nicht einfach ist. Das sind die Baustellen, die wir anpacken müssen als Politik. Das sind die Hürden, die wirklich abgebaut werden müssen. - Vielen Dank. 

(Beifall bei der AfD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Herr Köhler. Es gibt eine Nachfrage, wenn Sie sie zulassen, und zwar von Frau Sziborra-Seidlitz. 


Gordon Köhler (AfD): 

Ja.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 


Ja. - Frau Sziborra-Seidlitz, bitte. 


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank für das Zulassen der Nachfrage. Herr Köhler, Sie implizieren ja immer einen Kontext zwischen geringen Geburtenzahlen und der Möglichkeit, Schwangerschaften abzubrechen. Sie werfen uns vor, wir würden in einer Situation, in der ohnehin zu wenig Kinder geboren würden, mit dem Wunsch oder mit dem Begehr, dass Schwangerschaftsabbrüche liberalisiert würden, an dieser Stelle noch Öl ins Feuer gießen und die Situation verschärfen wollen. 

Ist Ihnen bewusst, dass in der DDR, die ich nun wirklich nicht verherrlichen will, in der seit dem Jahr 1972 der Schwangerschaftsabbruch sehr viel liberaler geregelt war, die Geburtenrate pro Frau zu jedem Zeitpunkt höher war als in der Bundesrepublik, in der Frauen kriminalisiert waren? 

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wie bewerten Sie das?

(Daniel Rausch, AfD: Kinderförderung!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Herr Köhler. 


Gordon Köhler (AfD): 

Grundsätzlich ist das tatsächlich sehr interessant dahin gehend, dass mir die Geburtenzahlen in der DDR auch der 1970er-Jahre bekannt sind. Die DDR hat erkannt, dass sie Maßnahmen einleiten muss aus dem politischen Raum, um die Geburtenzahl wieder zu steigern. Das ist wahrscheinlich eher das, worauf wir hinauswollen. Wir wollen das analog zu dem, wie es die DDR gemacht hat. Damals gab es Anfang der 1980er-Jahre große Bauvorhaben, Wohnungsbau etc. pp. Man hat es als DDR geschafft, die Geburtenzahl pro Frau deutlich zu steigern, nicht über das bestandserhaltene Niveau von 2, aber deutlich zu steigern. 

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Ich kann Ihnen die Zahlen zeigen! Das stimmt nicht!)

Dahin müssen wir kommen. Wir müssen als Politik versuchen, genau solche Wege aufzuzeigen und nutzbar zu machen, damit sich Frauen dann im besten Fall dafür entscheiden, das Kind zu behalten. 

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE, meldet sich zu Wort)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Aber eine kurze Nachfrage, bitte. 


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Eine kurze Nachfrage; denn das, was Sie gerade dargestellt haben   das ist mir wichtig  , ist komplett unwahr. Die Geburtenzahlen waren in der DDR in den 1970er-Jahren   ich gucke gerade nach  

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE, schaut auf ihr Mobiltelefon)

bei 2,2 Kindern pro Frau und im Jahr 1990 bei 1,5 Kindern pro Frau. 

(Daniel Rausch, AfD: 1990 gab es gar keine DDR mehr!)

Die Zahlen sind genau wie in der Bundesrepublik kontinuierlich gesunken, auch seit den 1970er-Jahren. Sie waren aber immer über den Zahlen der BRD. Gestiegen ist aber nichts. 

(Oliver Kirchner, AfD: Das hat doch mit der Familienpolitik zu tun!)


Gordon Köhler (AfD): 

Ich mache Ihnen ein Angebot: Wir schauen im Nachgang noch einmal hinein. Gleichwohl erinnere ich mich auch an andere Situationen und Debatten, die wir hier vorne geführt haben, in denen Sie mir auch Unrichtigkeit vorgeworfen haben. Es ging z. B. um die ELSA-Studie selbst. Der Kollege Bernstein kann das bezeugen. Wir haben uns nämlich gleichzeitig den Artikel von „Zeit online“ angeschaut. Darin stand, dass finanzielle Gründe sehr wohl ein Hauptgrund für die Abtreibung sind. Damals haben Sie mir schon gesagt, das stimme nicht. Jetzt steht es in der ELSA-Studie schwarz auf weiß. Also, wie gesagt, auch dabei bessere ich es nach.