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Plenarsitzung

Transkript

Guido Kosmehl (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was wir heute in der Aktuellen Debatte erleben   aber nicht nur heute, sondern immer wieder zu bestimmten Tagesordnungspunkten, im Verhalten der AfD-Fraktion  ,

(Oh! bei der AfD)

erinnert mich   für mich beängstigend   daran,

(Zuruf von der AfD: Dass es wahr ist!)

wie die parlamentarischen Debatten im Reichstag des Jahres 1933 abgelaufen sind.

(Starker Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Einige Abgeordnete von der AfD-Fraktion verlassen den Plenarsaal - Lachen bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Sebastian Striegel, GRÜNE: Nazis raus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir zur Vorbereitung auf diese Aktuelle Debatte das Protokoll der Reichstagssitzung angeschaut, es gelesen und war erstaunt darüber, wie schwer es eigentlich für einen Redner war, eine Aussage zu treffen, dass plötzlich während einer Sitzung das Horst-Wessel-Lied angestimmt wurde oder andere Zwischenrufe kamen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die parlamentarische Demokratie muss viel aushalten. Aber an dieser Stelle merken wir, dass, wenn Einzelne versuchen, das Parlament zu missbrauchen, und es eher in eine Schreibude verwandeln, dann leidet darunter auch die parlamentarische Demokratie.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kirchner, Sie haben heute versucht, Otto Wels zu einem möglichen Mitglied der AfD zu erklären. Das hat die AfD auch mit Franz Josef Strauß probiert und mit anderen Politikern, an die Sie gern heranreichen würden, aber nie heranreichen werden.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen, jeder von denen, die Sie aufzählen, würde niemals in die AfD eintreten - niemals!

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf dem Grabstein der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik ist der 24. März 1933   das ist der Tag des Inkrafttretens   vermerkt. Auf dem Totenbett lag die Weimarer Republik schon länger.

Auf eine breite Mehrheit der Wählerschaft und der gesellschaftlichen Eliten konnte sich die parlamentarische Demokratie in der Weimarer Republik nie wirklich stützen. Politische Ränder ließen sich allenfalls aus taktischen Gründen einbinden, um den Umsturz durch den politischen Gegner zu verhindern. Entsprechend   so müssen wir heute feststellen   war die parlamentarische Demokratie in der Weimarer Republik nahezu ständig in einer Krise. Straßenschlachten unter Beteiligung der SA und des Rotfrontkämpferbundes gehörten zur politischen Auseinandersetzung und dienten letztlich beiden Seiten zur Delegitimierung der Weimarer Republik.

(Daniel Roi, AfD: Heute nennen die sich Antifa!)

Schon nach den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1932 konnten gegen die antidemokratischen Parteien von rechts und links keine Mehrheiten gebildet werden. Die Reichstagswahl am 5. März 1933   Frau Kollegin Pähle hat darauf hingewiesen   hat den Rechtsextremisten aus der NSDAP und der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot sogar eine absolute Mehrheit im Parlament beschert.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, stellt sich natürlich die Frage: Hätte es ohne die Zustimmung des Reichstages zum Ermächtigungsgesetz das NS-Regime mit all seinen schrecklichen Folgen gegeben? - Die Antwort lautet wahrscheinlich: Ja. Denn Hitler und die NSDAP gebrauchten Wahlen und demokratische Prozesse sehr offen lediglich als Mittel zum Zweck, nämlich zur Erringung der uneingeschränkten Macht. Da Verfassung und Geschäftsordnung schon für diese Abstimmung gebeugt wurden, unter Zuhilfenahme auch von Drohungen und Gewalt, wird kaum jemand bezweifeln, dass die Nationalsozialisten genügend Verschlagenheit und Skrupellosigkeit besaßen, um das gewünschte Ergebnis auch auf anderem Wege zu erreichen.

Das enthebt diejenigen, die für das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben, nicht ihrer Schuld, selbstverständlich auch nicht die wenigen verbliebenen Reichstagsmitglieder des nahezu bedeutungslos gewordenen Liberalismus. Es waren fünf liberale Abgeordnete.

Dass in diesem Reichstag keine demokratische Regierung mehr zu bilden war, lag auf der Hand. Der Abg. Dr. Reinhold Maier hat in seiner Rede für die Deutsche Staatspartei   das war die Fraktion der Liberalen   auch festgestellt, dass der Wähler den Rechtsextremen offensichtlich eine Mehrheit gegeben hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Maier sagte weiter, dass das Ermächtigungsgesetz keine Garantien für die Geltung der verfassungsmäßigen Grundrechte des Volkes und der bürgerlichen Rechtsordnung enthielt, dass die Unabhängigkeit der Gerichte, das Berufsbeamtentum und seine Rechte, das selbstbestimmte Koalitionsrecht der Berufe, die staatsbürgerliche Gleichberechtigung, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sowie ihrer Lehre unantastbar bleiben müssen. Dr. Maier versuchte, sie als Teil einer hinübergeretteten alten deutschen und alten preußischen staatlichen Tradition zum Junktim des Ermächtigungsgesetzes zu erklären.

Seine Hoffnungen waren allerdings vergebens. Nur wenige Tage nach der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz wurden mit der Verordnung zur Sicherung der Staatsführung vom 7. Juli 1933 sowohl den Sozialdemokraten als auch den Abgeordneten der Deutschen Staatspartei ihre Mandate im Reichstag, die sie in Wahlen erworben hatten, aberkannt.

Deshalb sage ich an dieser Stelle ausdrücklich: Sehr verehrte Kollegen von der SPD, unsere allerhöchste Achtung gebührt den sozialdemokratischen Abgeordneten, die gegen das Gesetz gestimmt haben.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch in ihrer Fraktion gab es Diskussionen. Sie haben am Ende die Entscheidung nicht aus Verwegenheit getroffen, um ein Zeichen zu setzen, sondern einzig und allein aus Mut. Dafür gebührt den mutigen Parlamentariern im Reichstag, die der SPD angehört haben, auch heute, 90 Jahre danach, Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist auch nicht in Abrede zu stellen, dass die Abgeordneten von KPD und SPD, die verhaftet wurden, untergetaucht oder geflohen waren, denen ihre Mandate offenkundig rechtswidrig aberkannt wurden, ebenso gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hätten.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch einen Einschub machen, um den Blick nach vorn aufzuzeigen. Einige der Kommunisten, die den Nationalsozialismus und auch die stalinistischen Säuberungsaktionen überlebt haben, stellten nur etwas mehr als zehn Jahre später durchaus unter Beweis, dass sie die parlamentarische Demokratie ebenfalls beseitigen und eine repressive Diktatur wollten.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und bei der SPD)

Ich will an dieser Stelle drei Namen nennen: Walter Ulbricht war Mitglied dieses Hauses, des ersten Landtages der preußischen Provinz Sachsen, von 1946 bis 1950. Otto Walter war stellvertretender Minister für Staatssicherheit. Wilhelm Pieck war der erste Staatspräsident der DDR und damit hochverantwortlich für das Wirken in der DDR. Diese drei waren neben vielen anderen Mandatsträger, denen das Mandat aberkannt wurde und die untergetaucht sind. Sie haben einige Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft die Repressalien gegen Demokratie und gegen frei gewählte Abgeordnete, auch dieses Hauses, angewendet. Damals waren CDU- und LDP-Abgeordnete die Opfer.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Schluss. Zu behaupten, wir als Parlamentarier wüssten heute, wie wir in dieser Situation gehandelt hätten, wäre überheblich.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich jedenfalls hoffe, dass ich, sollte ich in eine solche Abstimmungssituation kommen, den gleichen Mut hätte wie Otto Wels. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Kosmehl, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Dr. Tillschneider.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Herr Kosmehl, Sie haben sich, ähnlich wie schon ihre Vorrednerin, in Ihrer Situation heute in Bezug auf uns verglichen mit dem Verhältnis zwischen Opposition und Nationalsozialismus, wobei Sie sich in der Rolle der Opposition und uns in der Rolle der Nationalsozialisten sehen. Dazu muss ich Ihnen Folgendes sagen: Ich wüsste nicht, dass gewaltbereite JA-Mitglieder Ihnen am Eingang Schläge angedroht hätten. Es ist mir auch nicht bekannt, dass Teile Ihrer Fraktion im AfD-Gefängnis sitzen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Aber Herr Kirchner hat das gefordert!)

Und ich sehe dort oben auf den Rängen oder dort hinten auch keine Blaugardisten mit Pistole im Holster. - Sie anscheinend schon. Deshalb rate ich Ihnen: Suchen Sie sich professionelle Hilfe für ihre Wahrnehmungsstörungen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der AfD - Olaf Meister, GRÜNE: Das Niveau ist ja unglaublich! - Unruhe)


Guido Kosmehl (FDP):

Herr Tillschneider, ich versuche es noch einmal. Das Parlament ist die Herzkammer der Auseinandersetzung in einer parlamentarischen Demokratie. Hier wollen wir diskutieren, hier sitzen durch Wahlen legitimierte Abgeordnete.

Was ich am Anfang gesagt habe   das würde ich auch jederzeit wiederholen   ist: Wenn Sie sich die Protokolle der Reichstagssitzungen in den Jahren 1932 und 1933 anschauen und sie vergleichen mit Ihrem Agieren während der Parlamentsdebatten,

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von der AfD: Mit dem von Herrn Striegel! - Das geht an Herrn Striegel!)

dann merken Sie, dass Sie, Herr Büttner, in gleicher Weise den Parlamentsbetrieb stören, weil Sie kein Interesse an einer Parlamentsdebatte haben,

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

weil Sie glauben    

(Daniel Roi, AfD: Herr Kosmehl, das ist eine Frechheit! Hören Sie auf und setzen Sie sich hin, verdammt noch mal! Das ist doch nicht mehr normal, was Sie hier erzählen! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Quod erat demonstrandum! - Zuruf von der AfD: Das verstehen Sie doch gar nicht! - Daniel Roi, AfD: Ich stehe auch dazu, weil es eine Frechheit ist, was Sie machen!)

- Herr Roi, versuchen Sie doch, sich inhaltlich mit mir auseinanderzusetzen, statt immer zu pöbeln. Das wäre schon mal ein großer Fortschritt.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber noch einmal: Ich habe das für mich festgestellt. Mir war das nicht bewusst. Wenn man die ganze Debatte liest, auch die Redebeiträge von der Zentrumspartei und anderen und sieht, wie oft sie unterbrochen wurden, dann stellt man eben fest, dass es offensichtlich Kräfte gibt   damals waren es die der NSDAP, heute ist es eben eine andere Gruppierung  , die an einer Debatte kein Interesse hat.

(Lothar Waehler, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

Und ich rede hier als Abgeordneter, der an parlamentarischen Auseinandersetzungen ein Interesse hat und nicht am gegenseitigen Niederbrüllen. - Vielen Dank.

(Zuruf von der AfD: Das ist doch nicht normal! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Mit welchem Recht geht der wieder ans Mikrofon?)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Der kann doch noch.


Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):

Nein! Nein, das stimmt nicht. Wir haben hier höchstes Interesse an Debatten. Wir haben noch nie auf Debattenbeiträge verzichtet.

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

Sie verzichten ständig. Wir stellen uns der Auseinandersetzung.

(Beifall bei der AfD)

Und was Sie nicht verstehen: Wir pflegen einen lebendigen Debattenstil. Aber das ist Ausdruck lebendiger Demokratie. Sie können nicht vergleichen, wie die AfD heute spricht und wie die NSDAP damals im Reichstag gesprochen hat.

(Dr. Falko Grube, SPD, und Holger Hövelmann, SPD: Doch!)

Zum einen hinkt der Vergleich, weil wir heute ganz anders sprechen. Zum anderen machen Sie einen Fehler. Sie machen einen Fehler, einen Historikerfehler. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Sie müssen vergleichen, wie die NSDAP damals gesprochen hat und wie die Kommunisten und die Sozialdemokraten damals gesprochen haben. Der Debattenstil damals war ein ganz anderer. Sie können nicht über die Zeiten springen und das, was heute geschieht, mit dem von damals vergleichen. Das ergibt Nonsens. Das kann ich Ihnen gern einmal ausführlich erklären.

Man sagt, Björn Höcke spricht wie Goebbels oder wie Hitler. Das ist etwas, das oft gesagt wird. Das geht in die gleiche Richtung. Haben Sie sich schon einmal eine Kurt-Schumacher-Rede im Bundestag Ende der 1940er-Jahre/Anfang der 1950er-Jahre angehört? - Die hört sich genau so an wie eine Hitlerrede, weil das damals die deutsche Rhetorik war.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Also, wirklich!)

Also bitte ich Sie: Bleiben Sie sachlich

(Olaf Meister, GRÜNE: Also, das ist ja    Schumacher und Hitler! Geht‘s denn noch? Und da soll man sachlich bleiben!)

und vergleichen Sie nicht Äpfel mit Birnen.

(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von der AfD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Er hält sich an die Geschäftsordnung, der Herr Kosmehl! - Weitere Zurufe von der AfD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Tillschneider war gar nicht mehr dran! - Unruhe)