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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 21

Beratung

Wir brauchen eine Überwindung von Hartz IV und keine ausgeschmückte Armut per Gesetz - ein neuer Name ändert nichts!

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1707


Einbringerin ist Frau Monika Hohmann. - Frau Hohmann, Sie haben das Wort.


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Das SGB II, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, erfährt mit dem nun vorliegenden Zwölften Änderungsgesetz eine grundlegende Reform. Auf der Bundesebene hieß es 17 Jahre lang: fordern und fördern. Seit 17 Jahren erklären wir als DIE LINKE, dass das Grundsicherungssystem ALG II, auch Hartz IV genannt, generell menschenunwürdig und die Armut per Gesetz ist.

Nun wurde im letzten Jahr in der Koalitionsvereinbarung der Ampelkoalition auf der Bundesebene die Überwindung von Hartz IV festgeschrieben. Doch mit dem bestehenden Referentenentwurf wurden die Hoffnungen an vielen Stellen stark gedämpft. Rundum kann gesagt werden, dass mit dem aktuellen Entwurf Hartz IV nicht überwunden werden kann. Folglich bilden die niedrigen Regelleistungen und die Leistungsminderungen charakteristische Kennzeichen des Hartz-IV-Systems. So sind die Ansätze des Entwurfs zu befürworten, aber leider reichen diese nicht zur Etablierung einer armutsfesten Grundsicherung aus.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Positiv zu benennen ist, dass bei der Arbeitsvermittlung und beim Neubezug von Grundsicherungsleistungen Erleichterungen für die Leistungsbeziehenden spürbar werden. Dies betrifft insbesondere die Schonfristen bei der Anrechnung von Vermögen, bei der Anerkennung von Wohnkosten und die Weiterbildungsmöglichkeiten bzw. -bedingungen. Diese helfen aber nur bestimmten Personengruppen. Doch für eine Vielzahl der Leistungsberechtigten ergeben sich keine spürbaren Verbesserungen. So müssen wir feststellen, dass Langzeiterwerbslose, chronisch Kranke, Bezieherinnen der Erwerbsminderungsrente oder auch Personen mit aufstockendem Leistungsbezug keine hilfreiche Berücksichtigung im Referentenentwurf finden.

Dies ist unter Berücksichtigung der aktuellen Zahlen mehr als bedauerlich und zeigt, dass die Überwindung von Hartz IV für Kompromisse und Symbolpolitik einer vermeintlich geeinten Ampelkoalition des Bundes ad acta gelegt wurde.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir uns die Zahlen einmal genau ansehen, dann lässt sich schnell feststellen, dass bundesweit jeder zwölfte Haushalt hilfebedürftig ist. Hierzu zählen insbesondere Alleinerziehende, welche vor allem dann betroffen sind, wenn diese drei oder mehr Kinder haben. Hierzu bedarf es kurzfristig höherer Leistungsbezüge für unter 18-jährige Kinder und Jugendliche sowie auf lange Sicht einer bedingungslosen Kindergrundsicherung, die nicht auf die Transferleistungen von Familienangehörigen angerechnet werden kann und generell sanktionsfrei sein sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Aussichten langzeiterwerbsloser Menschen auf eine Erwerbstätigkeit sind insgesamt niedrig und in den vergangenen Jahren gesunken. Zudem erhalten Menschen, die länger als ein Jahr erwerbslos sind, von etwa der Hälfte der Betriebe im Einstellungsprozess keine Chance. Es steht daher außer Frage, dass der Markt die Langzeiterwerbslosigkeit und die dadurch bedingte Perspektivlosigkeit der Betroffenen nicht lösen wird. Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und viele Bundesländer fordern deshalb seit Jahren entschlossene Maßnahmen zu öffentlich geförderter Beschäftigung.

(Zustimmung von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Kerngedanke dabei ist, die ohnehin erforderlichen Transferleistungen für Erwerbslose um weitere Mittel zu ergänzen. Statt Arbeitslosigkeit wird Teilhabe an gesellschaftlich sinnvoller und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung finanziert. Neben dem Aspekt der verfehlten Problembehebung ist die Erhöhung der Regelsätze in Höhe von 50 € zwar besser als nichts, aber sie ist keine Wohltat der Regierung, sondern gleicht lediglich die Inflation in diesem Jahr aus.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bestehende Kleinrechnerei beim Regelsatz geht also weiter. Die Erhöhung ist viel zu niedrig und lässt Menschen mit Hartz IV bis Januar 2023 im Stich. Es ist schon jetzt klar, dass die Preise im kommenden Jahr weiter steigen werden. Trotz Regelsatzerhöhung bleibt es somit bei einem massiven Kaufkraftverlust für die Betroffenen. Wir fordern einen ehrlich berechneten Regelsatz in Höhe von mindestens 687 €.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Einschätzung teilen ebenso die Sozialverbände, wie bspw. in der Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zu lesen ist.

Das kleingerechnete Bürgergeld lässt auch immer noch Sanktionen zu. In diesem Fall kann gesagt werden, dass die Sanktionen im neuen Gesetz nun Leistungsminderungen heißen und die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 umsetzen. Doch die Charakteristik der Leistungsminderung ist eigentlich eindeutig.

Neben dem Punkt, dass das Verhängen von Sanktionen auch immer die im Haushalt lebenden Kinder und Jugendlichen unverschuldet betrifft, sind diese menschenunwürdig. Die Folgen von Sanktionen wiegen schwer. Zudem   das ist höchst spannend   konnte nie die Wirksamkeit der Sanktionen nachgewiesen werden. Schon in den Jahren 2006 bis 2008 konnte erkannt werden, dass die erfolgreichen Widerspruchsverfahren   das ist bis heute so   gegen Sanktionsbescheide zunahmen.

Notwendig ist, dass sich Sachsen-Anhalt für eine sanktionsfreie Grundsicherung mit einer menschenwürdigen Berechnungsgrundlage auf der Bundesebene einsetzt. Auch wenn das Gesagte nicht alle Baustellen des Referentenentwurfes aufgreift, möchte ich eine andere große Baustelle ansprechen, nämlich die Zeit, die den Landkreisen und den Jobcentern nach dem Beschluss des Bürgergeldes zur Verfügung steht, um die Reform umzusetzen.

So sieht die Landesregierung zwar keine Bedenken gegen die Umsetzung der Systemreform und auch keinen Handlungsbedarf, um den Landkreisen bzw. zuständigen Jobcentern personell, technisch oder infrastrukturell Unterstützung anzubieten, doch die Hilferufe aus den zuständigen Verwaltungsstrukturen sind vorhanden und können nicht ignoriert werden. So bezeichnet bspw. der Landkreistag Sachsen-Anhalt den Starttermin am 1. Januar 2023 in der „Volksstimme“ als „absurd“.

Die Kommunen beklagen, dass Überlastungen und lange Wartezeiten für Betroffene zustande kommen können, nicht weil sich der Kreis der Aufstockerinnen erweitert, sondern weil den Kommunen Personal und Mittel fehlen, die steigenden Bedarfe sowohl personell als auch finanziell zu decken.

Alarmiert durch diese Meldung in der „Volksstimme“ haben wir vier Dringliche Anfragen zum Thema eingereicht. Glauben Sie mir, es war beeindruckend, wie sich einerseits die Antworten der Landesregierung und andererseits die Meldungen aus den Kommunen widersprechen. Interessanterweise widersprechen sich die Antworten teilweise sogar untereinander. Auch wenn die Machbarkeit der Einführung zum 1. Januar 2023 nicht pauschal beantwortet werden kann, bestehen vonseiten der Landesregierung keine Bedenken, dass es zu Wartezeiten oder Versorgungslücken kommt oder gar Gefahren der Nichtumsetzbarkeit bestehen.

Begründet wird dies einerseits mit der stufenweisen Einführung des Bürgergeldes und andererseits damit, dass die betroffenen Verwaltungsstrukturen dies gewohnt sind, weil die Reform nur ein Softwareupdate darstellt   vergleichbar mit den jährlichen Updates der Software zur Regelleistungsanpassung   und wie bei früheren kurzfristigen Gesetzesanpassungen durch die Mitarbeitenden manuell zu lösen ist.

Ebenso werden aufkommende Mehrkosten der Kommunen durch die anteilige Wohnungskostenübernahme vonseiten der Landesregierung nicht als begründet angesehen. In der Begründung sagen Sie, dass die meisten Kosten vom Bund getragen werden. Die Landesregierung verweist auf die Zuständigkeit von Bund und Kommunen und meint   ich zitiere  , keine Einflussmöglichkeiten zu haben. Sie sollen keinen Einfluss nehmen, sondern sowohl die Kommunen als auch die Leistungsberechtigten bei einem reibungslosen Übergang unterstützen - unter Berücksichtigung der aktuell steigenden Energie- und Wohnkosten.

In Sachsen-Anhalt leben ca. 200 000 Menschen mit Anspruch auf Leistungsbezug, die zum 1. Januar 2023 auf die Auszahlung des Bürgergeldes angewiesen sind. Auch in Sachsen-Anhalt zeigt sich, dass die Bedürftigkeit wächst, und mit dem Wissen der Landesregierung, dass   ich zitiere   manuelle Anpassungen bei der Bewilligung zu einem höheren Verwaltungsaufwand sowie einer höheren Fehleranfälligkeit führen können oder Fälle von Mittellosigkeit bei Leistungsberechtigten im Einzelfall entstehen können, haben die Jobcenter erprobte Mechanismen entwickelt.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Hohmann, das mag möglich sein. Aber kommen Sie jetzt zum Ende.


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Das letzte Wort. - Eine Abwälzung der Lösungsfindung auf die zuständigen Mitarbeitenden in den Jobcentern oder Landkreisen ist aus meiner Sicht unzulässig. Noch haben wir die Möglichkeit, hier präventiv zu unterstützen. Lassen Sie die Menschen also nicht allein im Regen stehen! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Hohmann, danke erst einmal. Es gibt zwei Fragen. Die erste Frage ist von Frau Schüßler. Wollen Sie diese beantworten?


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Ja.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Dann, Frau Schüßler, können Sie sie stellen.


Xenia Sabrina Schüßler (CDU):

Vielen Dank, Frau Hohmann. Meine Frage hat sich während Ihrer weiteren Rede erledigt. Ich wollte wissen, was Sie als angemessenen Betrag sehen. Aber das haben Sie dann erklärt. - Danke.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Nein, nicht so schnell. Herr Hövelmann wollte auch eine Frage stellen. Sie bleiben hier vorn stehen, deshalb denke ich, Sie versuchen, sie zu beantworten. - Herr Hövelmann, Sie können sie stellen.


Holger Hövelmann (SPD):

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Verehrte Frau Hohmann, Sie haben sich kritisch zu dem Thema Sanktionen bzw. Leistungskürzungen positioniert. Ich persönlich finde, das wird in der Debatte viel zu sehr in den Vordergrund gestellt. Das betrifft gerade einmal 3 % aller Bezieher von Leistungen, aber trotzdem ist es ein wichtiges Thema.

Ich wollte Sie fragen, ob Sie Ideen oder Vorschläge haben, wie wir an die Menschen herankommen und sie bewegen können, mitzuhelfen, aus dem System Hartz IV oder künftig des Bürgergeldes herauszukommen, wenn sie herauskommen können, aber nicht wollen. Ich will das ganz offen sagen, es gibt sehr viele schwierige Situationen, in denen wir staatlicherseits sagen: Mensch, dahin gehen Steuergelder, und wer partout nicht will und sich weigert, Termine wahrzunehmen, Angebote anzunehmen - - Es muss doch Möglichkeiten geben, einen solchen Mann/eine solche Frau dazu zu bewegen, mitzuhelfen. Meine Frage ist: Haben Sie Ideen oder Vorschläge, was wir an der Stelle machen können, obgleich Ihre Grundsatzkritik nicht unberechtigt ist?


Vizepräsident Wulf Gallert:

Jetzt können Sie antworten, Frau Hohmann.


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Herr Hövelmann, wir haben die Situation, dass mittlerweile feststeht, dass Sanktionen kein geeignetes Instrument sind. Dazu gibt es Untersuchungen usw.

(Zuruf von Daniel Roi, AfD)

Die Problematik ist, dass bei vielen Widersprüchen zu den Sanktionen, auch bei den Widersprüchen zu bestimmten Entscheidungen zugunsten der Betroffenen entschieden wird. Deshalb haben wir im Antrag vorgeschlagen - das ist nicht neu  , dass man versucht, einen Großteil derjenigen, die im Hartz-IV-Bezug sind, über den öffentlichen Beschäftigtensektor wieder in die Gesellschaft hineinzuholen. Dann gibt man zwar noch etwas mehr Geld dazu, aber sie sind dann sozialversicherungspflichtig. Gerade im öffentlichen Beschäftigungssektor hat man viel mehr Einflussmöglichkeiten, als wenn wir diese Leute, sage ich einmal, in die normale Arbeitswelt hineinnehmen, in der sie bestimmte Regeln nicht kennen. Das betrifft Personen, die langjährig in der Arbeitslosigkeit sind, und die Struktur des Alltags usw. Ich glaube    


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Hohmann, wir sind in einer Dreiminutendebatte. Eine Minute Frage bedeutet eigentlich auch nur eine Minute Antwort. Das wäre schon eine Zielrichtung. Ich würde Sie bitten, zu versuchen, zum Ende zu kommen, Frau Hohmann.


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Nur noch einen Satz: Ich glaube nicht   egal, welche Maßnahmen wir nehmen  , dass wir zu 100 % alle Menschen in Arbeit bringen können. Aber wir können geeignete Maßnahmen ergreifen. Wir hatten auch schon Förderprogramme über die Arbeitsagentur usw., bei denen wir gesehen haben, dass Menschen doch wieder in Arbeit gekommen sind. Deshalb müssen wir schauen, was wir anbieten können, damit wir es hinbekommen. Die, die Sie gemeint haben, die gar nicht wollen, werden wir nicht erreichen. Aber die erreichen wir auch nicht durch Sanktionen. Und ganz schlimm ist es, wenn sie Kinder haben.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Hohmann, nicht noch einmal von vorn, bitte. - Danke, in Ordnung. - Dann sind wir mit der Einbringung am Ende angelangt und können in die Dreiminutendebatte eintreten.