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Plenarsitzung

Zeitzeugen sind Geschichtsspeicher

Den Anfang des Jugendforum 2014 machte für die jungen Gäste aus Meinersen und Celle in Niedersachsen sowie Wernigerode und Jessen in Sachsen-Anhalt am Sonntag, 19. Oktober, ein Gespräch mit Zeitzeugen, mit Menschen, die im Jahr 1989 mittendrin im Wendegeschehen waren, die sich selbst für die Ziele dieser Friedlichen Revolution engagierten. Sie gaben den jungen Menschen einen Abriss jener Wochen und Monaten, die nicht nur für sie persönlich, sondern für alle Deutschen von großer – damals noch kaum zu fassender – Bedeutung waren.

Längst keine Abenteuergeschichte mehr

Dr. Sascha Möbius, heute Leiter der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn, ist einer von jenen, die die Maueröffnung von der anderen Seite, aus dem Westen miterlebte. In den 1970er Jahren war er mit seinen Eltern zum ersten Mal „Transit nach Westberlin“ gereist – eine für ein Kind aufregende Erfahrung. „Heute denke ich über die Durchsuchung unseres Autos in der Transitgarage natürlich anders“, sagte Möbius. Drei Stunden habe das Filzen gedauert, mit der durchgeladenen Maschinenpistole hätten die Grenzer ihn, den 7-jährigen Jungen, und seine Eltern bewacht. „Wir waren eine harmlose Familie und wurden behandelt wie Schwerverbrecher.“ Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn sieht er als wichtigen „Geschichtsspeicher“, in dem auch das Wissen der Vergessenen aufbewahrt werde, also jener Aktivisten der Wendezeit, deren Ideen sich nicht haben durchsetzen können.

Mitstreiter wurden einfach „zugeführt“

Bernd Schulze war im Jahr 1989 Pfarrer und wurde zum Mitstreiter der Oppositionsbewegung „Neues Forum“. Unter dem Schutz der Kirche habe man sich ganz bewusst mit dem Staat angelegt, erinnerte sich Schulz. Die Kirche sei damals der einzige gesellschaftliche Raum gewesen, der für Diskussionen offen gewesen sei. Freilich habe auch hier die Stasi versucht, Einfluss zu nehmen – indem Aktivisten oder deren Familien bedroht wurden oder indem eingeladene Redner „zugeführt“ (sprich zum Verhör mitgenommen) wurden. Die Stasi sei „Schild und Schwert der SED gewesen“, erinnerte Bernd Schulz, sie habe auf Befehl der Staatsführung agiert. Von den jungen Menschen von heute wünscht sich der Pfarrer, dass sie ihre kritische Einstellung stärkten und die Demokratie kritisch lebten.

Freie Wahl ein echtes Privileg

Der Journalist Marko Litzenberg war Pionier und FDJler, ehe er mit 16 Jahren beginnt, sich politisch zu engagieren. Das blieb natürlich nicht ohne Folgen, recht schnell war die Staatssicherheit ihm auf den Fersen. Die Vernehmungen seien beängstigend gewesen, hätten aber auch dazu geführt, mehr und mehr Mut zu gewinnen. „Ich wollte damals Pfarrer werden und habe das auch laut gesagt – warum sollte man auch nicht sagen dürfen, was man werden möchte?“, erinnerte sich Litzenberg. Die Konsequenz war katastrophal: Er durfte kein Abitur machen. Am 6. Oktober 1989 war er bei der ersten Demonstration in Aschersleben dabei, organisierte danach weitere. Als zum ersten Mal wirklich frei gewählt werden durfte, sei das für ihn ein echtes Privileg gewesen. Es sei bis heute eines. Litzenberg rief die Jugendlichen aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt auf, sie politisch (auch im Kleinen) zu engagieren, denn jeder Einzelne könne etwas bewirken.

Ein getrenntes Dorf in der Altmark

Wie nah und zugleich fern der Westen war, weiß Ulrich Lange, Landwirt aus Böckwitz-Zicherie nur zu genau. 1952 war quer durch den Ort die innerdeutsche Grenze gezogen worden. Von einem Tag auf den anderen lebten Familien getrennt in Ost und West. Stacheldraht und Selbstschussanlagen gehörten für Jahrzehnte zu „normalen“ Lebensalltag in dem kleinen Ort. Als im November 1989 die Grenze geöffnet und auch in Böckwitz-Zicherie ein Übergang eingerichtet wurde, konnten sich die einst Getrennten endlich wieder in die Arme schließen – zunächst mit offiziellen Papieren, dann ganz ohne.

Im Anschluss an das Zeitzeugengespräch begaben sich die Jugendlichen aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt auf einen besonderen Stadtrundgang. Die Schülerinnen und Schüler wurden zu authentischen Orten des Herbstes ’89 mitgenommen. Am Abend kamen sie erneut im Landtagsrestaurant zusammen – um miteinander ins Gespräch zu kommen, aber auch um das besondere Datum zu feiern, mit Essen und guter Musik der Staßfurter Band „Sonic Jam“.