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Plenarsitzung

Fragen zu Judentum und Antisemitismus

Schülerinnen und Schüler der drei elften Klassen des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Halberstadt hatten am Mittwoch, 29. Januar 2020, die Möglichkeit, mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann über Judentum und Antisemitismus ins Gespräch zu kommen. Er hatte am Holocaustgedenktag die Gedenkrede im Landtag von Sachsen-Anhalt gehalten. Sein erster Besuch in Halberstadt fand im Juli 1990 statt, also noch zu DDR-Zeiten, mittlerweile ist es sein dritter Besuch in der Harzstadt.

Moshe Zimmermann berichtete zunächst ein wenig aus seinem Leben, von seiner besonderen Herkunft. Seine Eltern stammten aus Hamburg, waren noch vor dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina ausgewandert. Ein weiterer Familienzweig lebte zudem in Halberstadt. In Jerusalem wurde Zimmermann noch vor der Gründung Israels geboren, sodass er zunächst Palästinenser gewesen sei, mittlerweile allerdings Israeli.

Die Geschichte der deutschen Juden vor dem Zweiten Weltkrieg finde nicht die nötige Beachtung in der historischen Aufarbeitung. So wundert es nicht, dass Moshe Zimmermann sich speziell mit diesem Thema in seiner Forschungsarbeit beschäftigte. Wichtig sei, die Mechanismen des Dritten Reichs zum Umgang mit der sogenannten Judenfrage zu untersuchen, so der Historiker. Denn die Verfolgung der Juden habe ja nicht erst mit der Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager begonnen, sondern viel früher.

Der Historiker fragte: Wozu sich mit Geschichte auseinandersetzen? Um gute Noten in einem Test zu erzielen, oder soll dies Hilfe für die Orientierung liefern? Sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, nutze vor allem, wenn Schlüsse gezogen werden könnten, die relevant für die Gegenwart seien. Deswegen sei es nötig, Geschichte altersentsprechend zu vermitteln.

Aus dem Historiker-Schüler-Gespräch

Der Einstieg ins Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern wurde ausgerechnet über den Sport gefunden. Moshe Zimmermann ist bis heute HSV-Fan – wie seinerzeit dessen Vater und auch dessen Enkel. Dies zeuge von der Verbundenheit mit Deutschland, so der Historiker. Diese Verbundenheit finde sich auch heute noch bei den aus Deutschland stammenden Juden in Israel. Beide Hamburger Fußball-Sportvereine hätten sich ihrer eigenen antisemitischen Geschichte stellen müssen. Beide hätten nach der Machtübernahme der Nazis nämlich ihre jüdischen Mitglieder aus dem Verein geworfen, einer der Hamburger Spieler sei sogar als führender Kopf im KZ Neuengamme gewesen und später vor Gericht gestellt worden.

Auf jeden Schritt und Tritt sei man mit Antisemitismus konfrontiert – in Deutschland, Europa und der Welt, konstatierte Zimmermann auf die Frage nach der Wahrnehmung von Antisemitismus in Deutschland. Seit den Angriffen in Halle (Saale) befasse man sich wieder ausführlicher mit dem Thema in Deutschland. Gerade die sozialen Netzwerke böten viele Möglichkeiten, antisemitische Äußerungen – sozusagen über „Umwege“ – zu verlautbaren.

Warum werden Juden schon seit Jahrhunderten verfolgt? „Weil sie es verdient haben – würde ein Antisemit jetzt sagen“, erklärte Moshe Zimmermann. Juden leben seit 2 000 Jahren in Europa, es müsse also auch Zeiten gegeben haben, in denen es keine Verfolgung gegeben habe. „Natürlich waren Juden jederzeit Thema, denn sie lebten in Europa in einer vornehmlich christlichen Gesellschaft, der Umgang mit ihnen war jedoch heterogen und gebietlich nicht einheitlich. Wo es keine Relation zwischen den Religionen gebe, gebe es auch keinen Hass gegen Juden. Das Wort „Antisemitismus“ sei erst 1879 erfunden worden, Wilhelm Marr stellte damit die Trennung zwischen Juden und Nichtjuden neu her, die „Rasse“ sei als Unterscheidungsmerkmal eingeführt worden.

Wie gingen seine Eltern mit der Flucht aus Deutschland um? „Wir haben das nicht oft diskutiert“, erinnerte sich Zimmermann. „Wir hatten deutschsprachige Bücher im Haus, man sah also deutlich, woher wir kamen. Meist wurde von den sympathischen Erinnerungen an Deutschland gesprochen.“

Auch zum neuen Nahost-Friedensplan des US-Präsidenten Donald Trump wurde der Gast befragt. „Das erinnerte mich sofort an ein Ereignis in Mai 1919: die vier Großmächte sitzen zusammen und verkünden den Friedensvertrag von Versailles und man bestellt die Deutschen ein, um ihnen das Ergebnis zu übergeben. Wie kann der sogenannte Vermittler einen Friedensvertrag, der deutlich zum Vorteil von Israel ist, präsentieren, wenn nur eine der Konfliktparteien anwesend gewesen ist?“ Das Recht auf nationale Selbstbestimmung der Palästinenser sei völlig negiert worden, dies könne nicht der richtige Weg sein. „Wir brauchen einfach eine neue Diskette im Kopf, um die kriegerischen Auseinandersetzungen endlich zu einem Ende zu bringen.“ Nur ein dauerhafter Frieden, eine Abkehr von den Waffen könne die Region Naher Osten wirklich voranbringen.

Woraus ergibt sich die Kritik an der israelischen Regierung, was hat Zimmermann zur Besetzung palästinensischer Gebiete zu sagen? „Ein Historiker ist immer Skeptiker, der immerzu Fragen stellt und infrage stellt“, betonte Zimmermann. Daraus resultiere auch seine Kritik an der israelischen Regierung – beispielsweise hinsichtlich des Umgangs mit den Palästinensern und den besetzten palästinensischen Gebieten. Der Gegenwind zur Kritik sei stark, die nationalistischen Kräfte nähmen deutlich zu, monierte der Historiker.

Die „Judensau von Wittenberg“: Es gebe verschiedene Alternativen mit dem Umgang, so Zimmermann, – man könne sie entfernen oder abdecken oder eben so lassen, sie aber erklären: In welchem historischen Kontext ist das entstanden und warum beruft man sich in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr darauf?

Nächste Station von Moshe Zimmermann in Halberstadt war die Moses-Mendelssohn-Akademie.

Zum Dossier „Holocaustgedenktag 2020“ (Link)