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Plenarsitzung

Schülergespräch am Holocaustgedenktag

Der Holocaustgedenktag, an dem seit 1996 in Deutschland jedes Jahr der Opfer der Nazi-Diktatur gedacht wird, hat in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten Zeitzeugen die Möglichkeit gegeben, im öffentlichen Raum auf eigene Erlebnisse hinzuweisen, Rechenschaft abzulegen und Staat und Gesellschaft die Gefahren von Extremismus und Fremdenhass ins Bewusstsein zu rücken. 69 Jahre nach dem Krieg und der Befreiung der Insassen der Konzentrationslager muss das Gedenken aber Schritt für Schritt andere Formen annehmen. Denn welche Erinnerung folgt, wenn der letzte Überlebende und Zeitzeuge gestorben und also für immer verstummt sein wird?

Eine neue Form des Erinnerns

Im Rahmen der diesjährigen zentralen Gedenkveranstaltung des Landes wurden als Redner daher Menschen eingeladen, die nicht unmittelbar von den Nazi-Verbrechen betroffen waren, sondern durch Familienmitglieder informiert oder durch die eigene Forschung aufmerksam gemacht worden sind: Franziska Seßler, deren Urgroßmutter Lina Haag unter anderen im KZ Lichtenburg Prettin als politischer Häftling einsaß, und Prof. Dr. Andreas Nachama, der als Direktor der Stiftung Topographie des Terrors (Berlin) für das Informieren der kommenden Generationen verantwortlich zeichnet. Vor ihren Reden während der offiziellen Gedenkstunde nahmen sich die beiden Zeit, um gemeinsam mit Melanie Engler, der Leiterin der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin, mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Jessen über die Zeit des Nationalsozialismus, den Holocaust und das wichtige Erinnern zu sprechen.

Das Erinnern war eines der zentralen Themen des Schülergesprächs. Wie erinnert man sich richtig und an was? Um etwas nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, kam es etwa aus den Reihen der Schüler, oder auch um Vergangenes aufzuarbeiten. Andreas Nachama bestätigte all dies und fügte noch hinzu: „Wir erinnern uns an Dinge auf ganz besondere Weise, wenn wir auch in der Gegenwart auf Ähnliches stoßen. Dann stellen wir Bezüge von der Vergangenheit zum Heute her.“ Ein Beispiel wäre der immer wieder aufkeimende Fremdenhass, den es nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gebe. Das politische System sei aber dieser Tage so gestaltet, dass eine politische Ermächtigung wie zu Zeiten der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht mehr ohne Weiteres möglich sei. In Deutschland und überhaupt in demokratischen Staaten sei in den jeweiligen Verfassungen dargelegt, dass es eine strikte Trennung von Exekutive und Judikative geben müsse, so Nachama. Dies sei damals nicht so gewesen, sodass die Nazis Politik nach eigenen Wünschen hätten machen können.

Welche Rolle spielen nun Zeitzeugen, vor allem vor dem Hintergrund, dass nach und nach für die letzten von ihnen die Uhr des Lebens abläuft? „Wir müssen die Zeitzeugen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen nutzen, solange sie da sind“, erklärte Franziska Seßler. Sie selbst habe immer wieder ausführlich mit ihrer Urgroßmutter über deren politisches Leben und ihre jahrelange Haft und die ihres Mannes gesprochen. Es habe sich gezeigt, dass es ein Sammelsurium vieler kleiner Ereignisse gewesen sei, das letztlich in die große Katastrophe geführt habe. Nach dem Krieg und belastet mit den im Grunde unmenschlichen Erfahrungen hätten viele der Opfer Schwierigkeiten gehabt, ins „normale“ Leben zurückzufinden, hin und her geworfen zwischen Verarbeitung und Verdrängung. Auf die Frage, ob es speziell für Franziska Seßlers Großmutter so etwas wie Vergebung gegeben habe, erwiderte sie: Eine der Maxime Lina Haags sei gewesen, „am Leben zu lernen“, kritisch zu denken und in schwierigen Situationen geradezustehen. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird den Gedenkstätten als Orte der Erinnerung eine noch wichtigere Rolle zuteilwerden. Sie werden dann Ort der Information und der Bündelung von Zeitzeugenaussagen sein.

Demokratie stabil halten

Kann sich eine Situation wie die von 1933 bis 1945 wiederholen? Primo Levi, Schriftsteller und Holocaustüberlebender, habe einmal gesagt: „Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen“, sagte Andreas Nachama. Die politische Situation sei heute aber eine andere, die Generationen nach dem Krieg hätten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Man müsse dafür Sorge tragen, dass demokratische politische Systeme in aller Welt stabil und in ihrem Aufbau überschaubar blieben. Politische Auseinandersetzungen sollten im Parlament ausgetragen werden. Mit diesen Eindrücken nahmen die Schülerinnen und Schüler anschließend an der Gedenkveranstaltung teil und umrahmten diese mit Musik und Rezitationen.