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Plenarsitzung

Oberharz: Wandern im Dreiländereck

Natur pur mit ausgedehnten Bergwiesen, Fichten-, Laub- und Mischwäldern, idyllisch gelegenen Seen, ursprünglichen Bächen und imposanten Talsperren sowie, fast immer in Sichtweite, dem „Berg der Deutschen“, der höchsten Erhebung des Harzes.

Oberharz am Brocken ist eine Stadt mit zehn Ortsteilen, die es erst seit dem 1. Januar 2010 gibt. Der gemeinsame Name dieses Konglomerats mehrerer Kommunen, die sich im Zuge der Gemeindegebietsreform zu einer Einheitsgemeinde zusammenschlossen, will ihren Bewohnern Identität vermitteln und für Urlauber gut klingen.

Und die Zahl der Touristen übertrifft die der Bewohner der Stadt Oberharz am Brocken, die sich im Harz über ein Terrain von 271,5 Quadratkilometer erstreckt, erheblich: rund 10 850 Einheimischen stehen jährlich geschätzte 1,5 Millionen Tagesbesucher gegenüber. Markus Mende, Chef des städtischen Tourismusbetriebs, verweist stolz auf eine im vergangenen Jahr gegenüber 2010 um 21 Prozent gestiegene Übernachtungszahl „Oben im Harz“ – und das bei gesunkener Bettenzahl!

Imposanter Blick auf die längste Fußgänger-Hängebrücke der Republik über der Bode. Foto: Gudrun Oelze

„Oben im Harz“ ist die Marke, unter der Markus Mende und sein Team Gästen der Stadt Oberharz am Brocken unter anderem Abenteuer-Urlaub und auch tolle Aussichten auf schönen Wegen bieten möchten. Immerhin 500 Kilometer umfasst das ausgewiesene Wanderwegenetz im Terrain der Stadt Oberharz am Brocken: der Harzer-Hexen-Stieg, der Teufelsstieg von Elend zum Brocken, der Weg Deutscher Kaiser und Könige gehören ebenso dazu wie der Harzer Grenzweg als ein Abschnitt des „Grünen Bandes“, das Sachsen-Anhalts Landtag gerade erst zum Nationalen Naturmonument erklärt und unter besonderen Schutz gestellt hat und damit Natur und Erinnerungskultur verbindet – die Erinnerung an die einstige innerdeutsche Grenze. 30 Jahre nach dem Mauerfall lässt sich der Natur gewordene Grenzstreifen im Harz erwandern – auf beinahe hundert Kilometern, sowohl auf lauschigen Pfaden als auch auf Betonplatten des einstigen Kolonnenwegs. Ein Stück dieses geschichtsträchtigen Wegs tangiert auch die zur Stadt Oberharz am Brocken gehörenden Orte Benneckenstein, Sorge und Elend.

Besonders eindrucksvoll nacherlebbar ist jüngere Harzgeschichte in und um Sorge, wo ein Verein die Erinnerung an die Zeit der deutschen Teilung wachhält. Sorges langjährige, ehemalige Bürgermeisterin Inge Winkel hat diese Zeit miterlebt. Sie kam nach ihrer Heirat 1971nach Sorge, weil es dort für die junge Familie Wohnraum gab, aber auch wohlwissend, dass sie künftig in einem Sperrgebiet leben würde, Besuch nur nach Anmeldung und Genehmigung empfangen durfte, die Grenze und deren Bewacher allgegenwärtig waren, obwohl es kaum Kontakt zu ihnen gab. 

Sorge hatte damals mehr als 250 Einwohner, eine Kita, Post und Konsum. Man hielt zusammen, passte aber auch auf den Nachbarn auf, blickt Inge Winkel zurück. Heute leben nicht einmal mehr hundert Menschen in dem hübschen und kleinsten Ort der Stadt Oberharz am Brocken. Das einstige FDGB-Ferienheim „Sorgenfrei“, das kurz vor dem Mauerfall noch einmal generalüberholt worden ist, erwacht nach langem Leerstand zu neuem Leben. Seit fünf Jahren von einem Holländer mit Familienangehörigen und Freunden geführt, erinnert das Interieur an längst vergangene DDR-Zeiten. So wachen über einer Sitzecke im Lokal nach wie vor die Konterfeis von Honecker und Co. über das Geschehen und Karl Marx blickt über dem Klavier hinab auf die Gäste. Die Gäste mögen dieses Nostalgie-Flair, meint der heutige Betreiber des Erlebnis-Ferienheims „Sorgenfrei“.

Wie sie kommen auch viele Gäste der modern ausgestatteten Pension Sonnenhof nach Sorge, um den dortigen Bahnhof zu besuchen. Fahrkarten werden in dem Gebäude schon lange nicht mehr verkauft. Seit 2009, dem 20. Jahrestag der Grenzöffnung, aber ist es Domizil für eine Ausstellung des Vereins Grenzmuseum Sorge e. V., die vom Alltag der Bewohner und der Grenztruppen im einstigen Sperrgebiet berichtet. Vereinsvorsitzende Inge Winkel erklärt an einem anschaulichen Modell, wie die 13 Kilometer lange Grenze am Abschnitt Sorge gesichert war. Sechs Menschen wurden dort nach 1960 erschossen. Die tragisch endende Flucht von zwei 15-jährigen Schülern im Dezember 1979 wurde im Dokumentarfilm „Tödliche Grenze – der Schütze und sein Opfer“ nachempfunden.

Schnaufen und Pfeifen kündigt das Nahen der Harzquerbahn an, die mehrmals täglich am Bahnhof Sorge hält. Das war auch so, als Sorge nicht von jedermann nach Lust und Laune besucht werden konnte. Transportpolizei habe damals genau aufgepasst, wer in dem Grenzdorf ein- und ausstieg, erinnert sich Inge Winkel. Wer in Richtung Elend weiterfahren durfte, konnte nach einer Kurve einen Blick auf die Grenzanlage erhaschen, die hier keine Mauer, sondern ein ausgeklügeltes Zaunsystem war.

Die heute die Schmalspurschienen unweit des Bahnhofs Sorge überqueren und auf den oben mit Stacheldraht gesicherten Maschendrahtzaun zusteuern, bestaunen im Freiland-Grenzmuseum Reste der originalen Sicherungsanlagen. Dass diese nicht gänzlich zerstört wurden, sei dem beherzten Handeln des ersten Bürgermeisters nach der Grenzöffnung zu verdanken, berichtet Inge Winkel, die sich als Vorsitzende des Vereins Grenzmuseum Sorge seit Jahren dafür engagiert, dass Originalobjekte sowie viele erklärende Info-Tafeln in deutscher und englischer Sprache nachfolgenden Genrationen einen beeindruckenden Anschauungsunterricht über das einstige System der Grenzsicherung am historischen Schauplatz bieten: an Resten der Grenzzäune 1 und 2, einer Hundelaufanlage, einer Grenzsäule, einem Beobachtungsturm (B-Turm), einer Gewässersperre aus der warmen Bode und einem Erdbunker vorbei führt der rund zwei Kilometer lange Weg zum „Ring der Erinnerung“. Der ehemalige Todesstreifen führt mitten durch diesen kreisförmigen Wall aus aufgeschichteten Totholzstämmen, die mittlerweile zusammengefallen, verrottet und von neuem Grün überwuchert sind. Vergangenheit und Zukunft, Werden und Vergehen – dafür steht dieses Landschafts-Kunstwerk direkt an der ehemaligen Grenze.

Am Grenzmuseum in Sorge. Foto: Gudrun Oelze

Wie Sorge lag damals auch Elend im absoluten Sperrgebiet, und wie der Name des Nachbarortes spiegelt auch dieser weder Sorgen noch Elend seiner Bewohner wider: der von Sorge leitet sich von Zarge – Grenze – ab, denn das kleine Dorf im Harz lag von jeher in einem Grenzgebiet. Und die Ortsbezeichnung von Elend, des charmanten Erholungsorts am Fuße des Brockens, hat ihren Ursprung im althochdeutschen Begriff „eli lenti“ – „fremdes Land“. Mit der Errichtung einer Sägemühle nahe Braunlage und dem Beginn der Eisenverhüttung in Mandelholz entstand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das kleine Dorf, in dem später Forst- und Viehwirtschaft und der Fremdenverkehr zu wichtigen Einnahmequellen wurden.

Wahrzeichen der etwa 400 Einwohner zählenden Gemeinde ist die 1897 erbaute Kirche, der 1904 nachträglich ein schlanker Turm hinzugefügt wurde. Der Fachwerkbau im neugotischen Stil mit gerade einmal 60 Quadratmetern Fläche und einem „rollenden“ Altar bietet maximal 90 Personen Platz und gilt als kleinste Holzkirche der Bundesrepublik.

Sorge war einst Sperrgebiet. Darüber gibt das Im Grenzmuseum Auskunft. Foto: Gudrun Oelze

Idyllisch im Dreiländereck, unmittelbar an den Grenzen zu Niedersachsen und Thüringen gelegen, zieht der Erholungs- und Wintersportort Benneckenstein zu allen Jahreszeiten Besucher an. Ein weitverzweigtes Wandernetz mit Natur- und Erlebnis-, Heilkräuter- und Bergwiesenlehrpfaden lockt zu Ausflügen in die Harzlandschaft. Im Ort selbst bietet das Bahnhofsmuseum Eisenbahnliebhabern einen Einblick in die Geschichte der 1899 eingeweihten Harzer Schmalspurbahnen und die Heimatstube zeigt eine Ausstellung zu Kulturgeschichte, Brauchtum, Tradition und altem Handwerk in der Region. Ein besonderes Wintervergnügen bieten in Benneckenstein alljährlich im Januar die Huskys beim traditionellen Schlittenhunderennen.

Der Verwaltungssitz der Stadt Oberharz am Brocken befindet sich in Elbingerode – einem Erholungsort mit tausendjähriger Bergbaugeschichte. Ihr folgen kann man auf einen Lehrpfad zur Bergbau- und Hüttengeschichte der Region, denn wie Elbingerode ist allen Orten auf der Hochfläche des Harzes gemeinsam, dass sie früher im Wesentlichen von der Montanindustrie lebten – vom Bergbau, der Verhüttung der Erze, der Weiterverarbeitung des Metalls oder der Forstwirtschaft. Einen interessanten Einblick in die Geschichte des Harzer Eisenerzbergbaus und die schwere Arbeit unter Tage ermöglicht bei Elbingerode das Schaubergwerk Büchenberg. Auch auf anderen thematisch gestalteten Wanderwegen lädt vielfach ungestörte Natur rund um Elbingerode mit seiner aus allen Himmelsrichtungen weithin sichtbaren Kirche „St. Jakobi“ zu ausgedehnten Streifzügen ein. 

Durch den Harz mit der Harzer Schmalspurbahn. Foto: Gudrun Oelze

Auf dem Gebiet des heutigen Ortes Tanne lässt sich die Eisen- und Kupferverhüttung bis ins frühe 13. Jahrhundert zurückverfolgen, stand hier doch über Jahrhunderte eine der ältesten Eisenhütten der Region, die die Entwicklung der einst bedeutenden Bergbausiedlung prägte. 1965/66 stellte die Tanner Hütte ihren Betrieb ein, doch die Kultur dieser Zeit lebt in traditionellen Festen und der Pflege des Brauchtums weiter. Die Geschichte Tannes als Kur- und Erholungsort reicht bis in die Zeit vor 1900 zurück, wurde der Ort doch bereits 1894 als „Sommerfrische für Erholungsbedürftige“ bezeichnet. Zudem ist Tanne auch einer der „Geburtsorte“ des Harzer Wintersports. Zahlreiche Wanderwege und im Winter gespurte Loipen führen durch unberührte Landschaft und Naturschutzgebiete.

Mit urwüchsiger Harzlandschaft bezaubert auch Königshütte, ebenfalls ein traditioneller Hüttenort, über dem die Burgruine Königsburg thront. In dieser Ortschaft der Stadt Oberharz am Brocken vereinen sich die Kalte und die Warme Bode, bevor sie gemeinsam in die Königshütter Talsperre einmünden und von dort als Bode weiter nach Rübeland fließen.

Der Höhlenort Rübeland mit den Ortschaften Neuwerk und Susenburg lockt mit schroffen Felswänden und mystischen Höhlenwelten Besucher aus nah und fern an. Die Baumannshöhle als älteste Schauhöhle in Deutschland und die Hermannshöhle im gleichen Ort gehören neben dem Brocken zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten „Oben im Harz“. Neben den geologischen Wunderwerken unterirdischer Tropfsteine und den dort entdeckten Knochenfunden des heute ausgestorbenen Höhlenbären hat Rübeland seinen Gästen auch Erlebnisfahrten mit der historischen Rübelandbahn über das höchste Eisenbahnviadukt des Harzes zu bieten und unweit des Orts die Rappbodetalsperre, die im Oktober 2019 ihr 60-jähriges Bestehen feierte.

Entlang der höchsten Staumauer Deutschlands, 120 Meter über dem Tal der Rappbode, können Abenteuerlustige an der größten Doppelseilrutsche Europas einen Kilometer pures Adrenalin spüren. Außer der Megazipline und dem Wallrunning an der Wendefurther Staumauer begeistert dort seit Frühjahr 2017 auch die längste Fußgänger-Hängebrücke der Republik die Harz-Urlauber. Ein 120 Tonnen schweres Stahlkonstrukt, fast einen halben Kilometer lang, schwebt dort hundert Meter über der Talsohle. Kein Wunder, dass diese Hängebrücke, von der sich, verbunden mit einem gewissen Nervenkitzel, ein atemberaubender Blick hinunter ins Tal sowie hinauf in die Harzer Landschaft bietet, schnell zu einem vielbesuchten Highlight der Stadt Oberharz am Brocken wurde.

Blick von der Rappbodetalsperre. Foto: Gudrun Oelze

Nicht weit davon entführt Pullman City, die Westernstadt im Harz, in eine ganz andere Welt. Der Erlebnispark am Ortsrand von Hasselfelde und der Ortschaft Rotacker ermöglicht kleinen und großen Besuchern bei einer Reise durch die Zeit des „Wilden Westens“, sich einmal wie ein echter Indianer oder Cowboy zu fühlen. Der Luftkurort Hasselfelde auf einem Hochplateau mitten im Naturpark Harz wurde schon immer gern von Urlaubern besucht. Durch seine zentrale Lage „Oben im Harz“ sind Städte wie Wernigerode oder Quedlinburg schnell erreichbar und der Brocken oder das Selketal mit der Harzer Schmalspurbahn „erfahrbar“. Seit der Grenzöffnung vor 30 Jahren sind von Hasselfelde aus Ausflüge in alle Richtungen und naturbelassenen Landschaften des Harzes möglich. Unweit der Stadt kündet das Freilichtmuseum Harzköhlerei Stemberghaus von der traditionellen Herstellung der Holzkohle. Zudem ist Hasselfelde einer der acht Orte, in denen noch das seit 2014 als Immaterielles Weltkulturerbe anerkannte Brauchtum des Harzer Finkenmanövers gepflegt wird.

Am Knotenpunkt der Harzer Schmalspurbahnen zwischen Hasselfelde und Güntersberge befindet sich das Harzörtchen Stiege – mit Europas kleinster Wendeschleife für eine Eisenbahn. Wahrzeichen der weit über 1 000 Jahre alten Gemeinde aber ist das Stieger Schloss, eines der wenigen erhaltenen Bauwerke des frühen Hochmittelalters, das vermutlich als Jagdschloss oder Rastplatz für Harzdurchquerungen während der Zeit Heinrichs I. um 919 erbaut wurde. Gleich daneben prägt auch eine im 18. Jahrhundert im Fachwerkstil errichtete Holzkirche das beschauliche Ensemble über dem Stieger See. Auf historischen Wanderwegen von Kaisern und Königen können heutige Harzbesucher den Spuren mittelalterlicher Geschichte in dieser Region folgen. 

Das Wahrzeichen des Ortsteils Trautenstein ist die 1701 erbaute Kirche, ein Kleinod mit einer Tonnendecke, die mit Wolken und Sternen bemalt ist.

Das Wappen der Stadt Oberharz am Brocken spiegelt die Gemeinsamkeiten aller Ortsteile wider: Einen mit silbernen Wellen unterlegten grünen Dreiberg, dessen größerer Mittelgipfel von einem schwarzen Hirsch mit achtendigem Geweih übersprungen wird. Darüber ein Bergmannsgezähe zwischen zwei grünen Tannen – Berge für den Harz, Fichten für den Waldreichtum, Wellenlinien für den Wasserreichtum und Gezähe für die Bergbautraditionen.