Tagesordnungspunkt 16

Beratung

Wohnungsunternehmen unterstützen, um Hilfsangebote für Mieter*innen zu erleichtern

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/899


Einbringen wird diesen Antrag Frau Hohmann. - Frau Hohmann, bitte. - Immer, wenn jemand redet, rufe ich schon den nachfolgenden Redner auf, damit dieser sich schon darauf vorbereiten kann, an das Pult zu gehen, und nicht erst seine Sachen zusammensuchen muss. Danach wird dann Frau Dr. Hüskens reden.

(Zurufe)

Frau Hohmann, bitte.


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn meiner Rede möchte ich Ihnen einige Zahlen näherbringen. Im Jahr 2020 hatten wir in Sachsen-Anhalt 2 626 Zwangsräumungen. Das sind pro Arbeitstag zehn Zwangsräumungen. Das heißt, während wir hier sitzen, finden zehn Zwangsräumungen im Land statt. Für das Jahr 2021 liegen uns diese Zahlen noch nicht vor; ich denke aber, Ende März könnten wir danach fragen. Aber meine Befürchtung ist, dass die Zahlen nicht besser aussehen werden als im Jahr 2020.

Aus einer jüngst veröffentlichten Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage von Dietmar Bartsch geht hervor, dass jeder zweite Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt derzeit so wenig verdient, dass nach 45 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente von weniger als 1 300 € brutto droht. Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge bedeutet das eine monatlich ausgezahlte Nettorente von rund 1 160 €. In Sachsen-Anhalt sind davon 258 727 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen. Also müssen 52 % der Vollzeitbeschäftigten mit einer schmalen Rente rechnen, trotz eines kompletten Arbeitslebens.

Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nehmen bis zu 60 % der Rentnerinnen und Rentner ihren Anspruch auf Grundsicherung im Alter nicht wahr. Im Jahr 2020 waren laut Statistik 7 370 Rentnerinnen und Rentner im Grundsicherungsbezug. Wenn man dann die fehlenden 60 % hinzurechnet, reden wir von 18 425 Personen, die eigentlich anspruchsberechtigt wären.

Der Hauptgrund für die Nichtinanspruchnahme ist das Stigma, das mit dem Gang zum Sozialamt verbunden ist. Deshalb ist das für viele keine Option. Vielmehr verzichten die Betroffenen und schauen, dass es irgendwie weitergeht, notfalls auch mit einer trockenen Scheibe Toastbrot am Ende des Monats.

Sehr geehrte Damen und Herren! Bei Altersarmut geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Einsamkeit.

(Zustimmung)

Ein weiteres Beispiel ist die Kinderarmut in unserem reichen Deutschland. Sachsen-Anhalt liegt im Vergleich aller Bundesländer mit einer Quote von 26,2 %   es betrifft also jedes vierte Kind   an vorletzter Stelle - Stand März 2022. Wann eine Kindergrundsicherung auf der Bundesebene kommt, ist ungewiss.

Ein vorletztes Beispiel: Der Schuldneratlas Deutschland 2021 weist für Sachsen-Anhalt eine Schuldenquote von 11,56 % aus. Hierbei belegen wir bundesweit wieder den vorletzten Platz. Dabei ist neuerdings bei den 60- bis 69-Jährigen als einziger Altersgruppe ein Anstieg der Überschuldungsfälle und der Überschuldungsquote zu verzeichnen. Das ist ein Anteil von 6 %.

Am Ende meiner Reihe ausgesuchter Beispiele komme ich zu dem Bereich der Bildung. Auch hierbei nehmen wir im Bundesvergleich einen der „rühmlichen“ letzten Plätze ein. Im Schuljahr 2020/2021 verließ fast jeder zehnte Jugendliche die Schule ohne Abschluss. 11 % der Schülerinnen und Schüler beendeten ihre Schullaufbahn mit einem Hauptschulabschluss. Addiert man beide Summen, ergibt sich, dass jeder fünfte Jugendliche entweder ohne oder nur mit einem Hauptschulabschluss die Schule verlässt. Und das, meine Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis für unser Land, das so dringend gut ausgebildete Fachkräfte benötigt. Ich sage nur das Stichwort Intel.

(Zustimmung)

Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist nun die Antwort der Landesregierung auf diese Ergebnisse? - Bei der hohen Quote der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss setzt das Land auf Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter. Das ist ein guter Ansatz, wenn da nicht die ständigen Querelen zur Finanzierung der Schulsozialarbeit wären. Wir haben gerade in der Mittagspause wieder erlebt, dass Betroffene bei uns gewesen sind und weitere Petitionen eingereicht haben.

Wenn ich mir die Situation bei den überschuldeten Bürgerinnen und Bürger ansehe und im Haushalt die Fortschreibung des Status quo bei der Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen feststelle, dann ist klar, dass es hierbei ebenfalls keine langfristige Unterstützung geben wird. Die Beratungsstellen sind schon jetzt am Limit.

Und wie sieht die Unterstützung beim Wohnen aus? - In meiner Kleinen Anfrage zu den Zwangsräumungen in Sachsen-Anhalt fragte ich expliziert danach. Die Antwort der Landesregierung lautete   ich zitiere  :

„Spezielle Landesprogramme zur Beschaffung von Wohnraum für Menschen und Familien, die in Wohnungsnot geraten sind bzw. ihre Wohnung verloren haben und obdachlos geworden sind, bestehen derzeit nicht. Das Land Sachsen-Anhalt fördert jedoch mit verschiedenen Programmen den sozialen Wohnungsbau. Der dadurch geschaffene Wohnraum steht den Haushalten, die sich am Markt nicht mit angemessenem Wohnraum versorgen können, zur Verfügung. Damit trägt der soziale Wohnungsbau dazu bei, der Gefahr von Obdachlosigkeit vorzubeugen.“

Nun frage ich mich allen Ernstes, welches soziale Wohnungsbauprogramm die Landesregierung derzeit umsetzt. Die Förderrichtlinie für den sozialen Wohnungsbau ist bis heute nicht in Anspruch genommen worden und wir werden wieder einmal die Gelder aus der Bundesförderung zurückzahlen müssen.

(Unruhe)

Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Monaten bin ich landesweit bei verschiedenen Wohnungsunternehmen gewesen. Dabei interessierten mich folgende Themen: die Inanspruchnahme der Förderrichtlinie zum sozialen Wohnungsbau, der Umgang mit Mietschulden und Zwangsräumungen, die Problematik der Altschulden, die Entwicklung von Quartieren und die soziale Durchmischung beim Wohnen.

Je größer die Wohnungsunternehmen waren, desto mehr kreative Lösungen zur Bewältigung der Probleme konnten umgesetzt werden. So agieren viele Unternehmen mit eigenem Fachpersonal, sei es aus der Rechnungsabteilung oder aus der Sachbearbeitung. Einige haben sogar Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter eingestellt.

(Unruhe)

Die Erlebnisse, die sie bei den Schuldnerinnen und Schuldnern vor Ort gemacht haben, waren sehr unterschiedlich. Ein Unternehmen berichtete,

(Unruhe)

  also, Mensch!   dass sie auf Mieterinnen und Mieter gestoßen sind, die weder lesen noch schreiben konnten, sowie auf Personen, die noch nicht einmal wussten, dass es so etwas wie Wohngeld oder Grundsicherung gibt.

Kleinere Wohnungsunternehmen berichteten mir, dass sie für die aufsuchende Betreuung kein Personal hätten und auch nicht die Möglichkeit, solches zu finanzieren.

Sehr geehrte Damen und Herren! Aufgrund meines eingangs dargestellten Befundes, meiner Besuche in den Unternehmen vor Ort sowie der aktuell steigenden Preise bei Strom, Heizung und Lebenshaltungskosten haben wir überlegt, wie wir kurzfristig und nachhaltig Mieterinnen und Mieter unterstützen können. Unseren Lösungsvorschlag finden Sie in unserem Antrag. Wenn es uns gelingen würde, eine aufsuchende Betreuung hinzubekommen, wären wir, glaube ich, schon einen kleinen Schritt weiter.

(Zustimmung)

Wir setzen daher auf die Wohnungsunternehmen, weil diese einen besseren Zugang zu ihren Mieterinnen und Mietern haben. Unterstützung bei Antragsstellungen oder auch bei Zahlungsschwierigkeiten kann helfen, Mietschulden, Stromsperren oder gar Zwangsräumungen zu verhindern. Falls Sie einen besseren Vorschlag haben sollten, sind wir sehr daran interessiert und würden sehr gern mit Ihnen im Ausschuss darüber diskutieren. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Hohmann. - Jetzt steht Frau Schüßler für eine Kurzintervention am Mikrofon.


Xenia Sabrina Schüßler (CDU):

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Hohmann, bei den Gesundheitsämtern sind sozialpsychiatrische Dienste angesiedelt, die SPDI. Diese kümmern sich um solche Leute. Dafür brauchen wir keine Betreuer bei den Wohnungsbaugesellschaften einzustellen.


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Das mag richtig sein, damit haben Sie vielleicht recht. Aber mit Blick auf die Befunde, die ich anfangs erwähnt habe, die zeigen, in welcher Situation sich das Land Sachsen-Anhalt befindet, glaube ich, dass wir hier doch verstärkt noch anderes Personal brauchen als das, das Sie eben genannt haben. Sonst hätten wir diese schlechten Befunde wahrscheinlich nicht.

(Zustimmung)