Tagesordnungspunkt 3

Beratung

Erprobung neuer Modelle zur Unterrichtsorganisation an den Schulen in Sachsen-Anhalt

Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/759


Einbringer für diesen Antrag ist der Abg. Herr Borchert. Er ist auf dem Weg nach vorn, wie ich sehe. Wir haben dazu eine Fünfminutendebatte vereinbart. Demzufolge beträgt die Einbringungszeit maximal 15 Minuten. - Herr Borchert, Sie haben das Wort. Bitte sehr.


Carsten Borchert (CDU):

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 22. August 1911 hat der damalige preußische Kultusminister August von Trott zu Solz die sogenannte Kurzstunde für alle höheren Lehranstalten verbindlich gemacht. Alle anderen deutschen Länder folgten diesem Beispiel. Wir waren bei 45 Minuten.

Heute, am 24. Februar 2022, liegt Ihnen ein Antrag der Koalition zur Erprobung neuer Modelle zur Unterrichtsorganisation an den Schulen von Sachsen-Anhalt vor, der etwas Besonderes in sich birgt.

Ich bitte Sie, in den nächsten zehn Minuten Ihre Gespräche einzustellen, um zuzuhören, weil ich weiß, wie schwierig es ist, wenn man bei Dingen zuhören und über sie befinden muss, für die man eigentlich gar kein Fachmann ist. Das geht mir in anderen Bereichen genauso. Vielleicht haben Sie in diesen zehn Minuten die Möglichkeit, das zu verstehen, was die Koalition jetzt wagt, als Antrag zu stellen.

Dieser Antrag wurde nicht von der Politik und auch nicht von den Bildungstheoretikern dieses Landes geboren. Nein, das ist ein Antrag, der aus dem Herzen unserer Bildung kommt, nämlich aus den Schulen selbst, von den Lehrerinnen und Lehrern, die tagtäglich versuchen, das Schiff, welches „Bildung“ heißt, vor Ort zu steuern, und die vor Ort reagieren müssen, wenn das Schiff „Bildung“ spontan in einen Sturm kommt, sei es, weil Lehrer fehlen, sei es, weil eine Epidemie das bisherige Arbeitsleben komplett verändert, sei es, weil sich morgens um 7 Uhr plötzlich mehrere Lehrer krankmelden und die Schulleitungen trotzdem die Pflicht haben, alle ihre Schüler zu unterrichten.

Keiner hilft ihnen in solchen Momenten, weder das Landesverwaltungsamt noch dieses Hohe Haus. Sie müssen vor Ort Lösungen finden, die oft in keinem Buch und in keinem Erlass des Kultusministeriums stehen.

Nun hat Lehrerinnen und Lehrer gegeben, die sich gefragt haben, was man anders machen könnte, um die derzeitige Situation an unseren Schulen nicht nur zu kritisieren, sondern um Möglichkeiten zu finden, aus dieser Situation im Interesse ihrer selbst und der Schüler das Beste zu machen, um neue Wege zu gehen, die immer schwierig sind und die viele Kritiker, Zweifler und schlaue Leute, die nur sagen werden, was daran negativ sein könnte, auf den Plan rufen, sodass die meisten Menschen im Regelfall sagen werden: Wir lassen alles beim Alten und reihen uns in die Gruppe derer ein, die nur kritisieren und keine konstruktiven, umsetzbaren Vorschläge machen wollen oder gar nicht machen können.

Zum Glück gibt es aber Schulen und viele Lehrerinnen und Lehrer, die sich Gedanken machen und Ideen nicht nur entwickeln, sondern sie auch ausprobieren und nutzen möchten, um aktiv dabei zu helfen, die derzeitige Misere in unserem Bildungssystem zu überwinden.

Wir müssen uns nicht darüber unterhalten, dass wir uns keine neuen Lehrer backen können. Wir müssen aktuell neue Wege beschreiten, die an einer Schule passen und an einer anderen Schule wiederum nicht. Wir brauchen eine Unterrichtsorganisation, die wir akzeptieren wollen und können, um an unseren Schulen erfolgreich andere Wege zu unterstützen im Interesse unserer Schüler, aber auch im Interesse unserer Lehrer und damit im Interesse unserer Gesellschaft.

Wie erreicht man eine neue Form der Unterrichtsorganisation? Was ist die Voraussetzung dafür?

Die erste und wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass es eine vorbehaltlose Rückendeckung und Vertrauen durch dieses Hohe Haus sowie die Überzeugung gibt, dass es möglich ist, Veränderungen herbeizuführen, die nicht in diesem Haus geboren worden sind.

Zweitens braucht es das Wollen und die Überzeugung von Lehrkräften, die dieses Konzept umsetzen wollen und können.

Drittens benötigt man ein entsprechendes konkretes pädagogisches Konzept der jeweiligen Schule dazu.

Zweitens und drittens gibt es schon; erstens soll und muss heute durch Sie auf den Weg gebracht werden.

Was kann man dadurch erreichen? - Sie haben es gelesen: 80 plus 10. Die Lehrer haben durch ein solches Modell drei Stunden mehr zum Arbeiten. Aber ist es dafür da, den Lehrern noch mehr Last aufzubürden, weil sie dann nicht 25, sondern 28 Stunden arbeiten müssen? - Nein, es geht definitiv nicht darum, Lehrern mehr Arbeit aufzubürden, unseren Schülern zu schaden und uns als Verbrecher für das zu bezeichnen, was wir mit unseren Schülern machen. Nein, das ist definitiv eine Möglichkeit, eine Methode, mit der man an einer Schule etwas erreichen kann, was wir bisher noch gar nicht diskutiert haben.

Es geht nicht darum zu sagen, dass ein Lehrer dann drei Stunden mehr Unterricht machen kann, dass ein Deutschlehrer dann drei Stunden mehr Deutsch unterrichten kann, um vielleicht noch eine Klasse abzusichern. Vielmehr geht es darum   das ist das Entscheidende und das Wichtige; darüber haben sich viele Lehrerinnen und Lehrer Gedanken gemacht  , dass man durch die dreimal 40 Minuten, die man freibekommen könnte, jedem Lehrer die Möglichkeit gibt, eine Klassenleiterstunde zu geben, was heutzutage fast nicht mehr möglich ist, weil wir einfach nicht mehr die Anzahl an Lehrern an den Schulen haben, die wir brauchen und die wir wollen. Wir können jetzt jammern und sagen: Macht mal! - Aber wenn wir keine Lehrer haben, können wir auch keine backen.

Wir brauchen die Zeit, um dahin zu kommen, Zeit, die die Schule nutzen kann und schon nutzt, um zu sagen: Wir machen eine Vertretungsreserve pro Woche, in der man die Lehrer einsetzen kann. Es ging Ihnen, als Sie noch nicht in diesem Parlament und für Betriebe verantwortlich waren, doch nicht anders. Wenn jemand nicht da ist, dann fehlt er. Es kommt keiner aus dem Schrank und macht dann die Arbeit für den, der nicht da ist.

Wir haben die folgende Möglichkeit   die finde ich unwahrscheinlich interessant  : Es gibt viele Klassen mit 30 oder 31 Schülern. Wenn ein Lehrer bereit ist, zu sagen: „Ich gehe dieses Konzept mit, mache aus den 25  28 Stunden und bin bereit, eine von den drei Stunden als Pflichtstunde zu machen“, dann gewinnt man an einer mittelgroßen Schule einen kompletten Lehrer.

Man gewinnt dadurch aus drei Klassen mit 30 Schülern vier Klassen mit 16, 17 oder 18 Schülern. Der Lehrer hat dann für einmal 40 Minuten mehr Zeit, um sich mit 16, 17 oder 18 Schülern zu beschäftigen. Damit hat ein Lehrer die Möglichkeit, an die soziale Komponente seiner Schüler heranzugehen. Wir alle wissen, wie schwierig das für die Lehrerinnen und Lehrer ist.

Das sind kleine Beispiele von Lehrerinnen und Lehrern, die uns Politiker angesprochen und gesagt haben: Wir haben ein solches Konzept vor anderthalb Jahren entwickelt; wir unterrichten seit zwei Jahren so; aber jetzt ist eine Grenze erreicht, wir wollen Rechtssicherheit haben; wir wollen Unterstützung vom Land haben; wir wollen Unterstützung von der Verwaltung haben. Die Kritiker sind ja immer da und sagen: Das ist falsch; das geht anders.

Wir sind dafür gewählt worden, dass wir hören, was draußen gesagt wird, und dass wir auf die Praktiker zugehen, die uns sagen: Das ist eine Idee. - Diese Idee ist an die Koalition herangetragen worden. Sie hat sich zusammengesetzt und diesen Antrag formuliert, damit wir dieses Projekt an höchster Stelle unterstützen und grünes Licht geben, damit die Lehrerinnen und Lehrer merken, dass sie Vertrauen zu uns haben können. Wir sind nicht die Oberschlauen, die nur etwas erzählen und alles besser wissen.

Ich bin froh darüber, dass ich in der Koalition Kolleginnen und Kollegen an meiner Seite habe, die wissen, was es heißt, in den Schulen zu unterrichten und zu arbeiten. Herr Bernstein schaut mich gerade an. Auch er hat sein ganzes Leben als Lehrer gearbeitet. Wir sind nicht schlauer als diejenigen, die draußen sind, und auch nicht schlauer als Sie, die Sie alle in diesem Raum sitzen.

Ich will meine Rede nicht künstlich verlängern. Ich wollte Ihnen mit kurzen, sachlichen und vernünftigen Worten erklären, warum wir diesen Antrag eingebracht haben. Ich bitte auch die Opposition, diesen Antrag zu befürworten.

Für alle Probleme, die arbeitsrechtlich und aufgrund der KMK-Vorgaben in Bezug auf die Stunden zu lösen sind, ist dann das Ministerium verantwortlich, wenn es heute von uns den Auftrag bekommt, diese Sache zu unterstützen. Wir sitzen hier, um das Ministerium in die Verantwortung zu nehmen.

Ich danke fürs Zuhören. Ich hoffe, Sie haben, auch wenn Sie keine Bildungsfachleute sind, so wie ich kein Wirtschaftsfachmann bin, verstanden, was die Koalition mit diesem Antrag erreichen will. - Vielen Dank.

(Beifall)