Alexander Räuscher (CDU):

Danke, Herr Präsident. - Ich habe zwei Fragen zu dem Thema Wolf. Diese richten sich an unseren Umweltminister. Sehr geehrter Herr Minister Willingmann, seit dem Jahr 2000 kehren die Wölfe nach Sachsen-Anhalt zurück und erschließen sich immer mehr Territorien. Inzwischen haben wir 22 Rudelterritorien nachgewiesen, davon drei ohne Reproduktion, drei Paarterritorien und sechs grenzübergreifende Territorien sowie drei Gebiete mit unklarem Status. Das entspricht laut dem Wolfskompetenzzentrum im Monitoringjahr 2021, dem letzten Jahr, das abgeschlossen ist, 188 Individuen, also Wölfen.

Erstens: Wachstum der Wolfspopulation. Für die Prognosen über die Entwicklung der Wolfspopulation ist eine Wachstumsrate von 30 % pro Jahr wissenschaftlich anerkannt und auch bei uns in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren typisch gewesen. Somit hätten wir   ich betone: rein rechnerisch   in Sachsen-Anhalt heute 244 Wölfe, im Jahr 2023, im nächsten Jahr, 318 Wölfe, im Jahr 2024  413 Wölfe, im Jahr 2025   rechnerisch   537 und im Jahr 2026, also zum Ende dieser Legislaturperiode, 798 Wölfe.

Am 19. Januar 2022 gab es im Ausschuss für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten eine Anhörung zu dem Thema Wolfspopulation und den daraus resultierenden Konsequenzen. Aus Ihrem Haus, Herr Minister Willingmann, war zu diesem Tagesordnungspunkt Herr Dr. W. anwesend und hat im Namen des Ministeriums ausgeführt, dass die nordöstlichen Bereiche des Landes bereits besetzt seien und keine weiteren Rudel vertragen würden. Lediglich im Harzbereich gäbe es noch Kapazitäten für ein bis zwei Rudel. Weiter führte er aus, dass das Land ein Wachstum der Population von 10 % bis 20 % vertragen könne, ausgehend von den 188 Individuen im Monitoringjahr 2020/2021. Ich kann das noch nicht im Wortlaut wiedergeben, das Protokoll wird wohl noch geschrieben. Die CDU hat ein Wortprotokoll über die Ausschusssitzung beantragt; sobald es vorliegt, können wir das darin nachlesen.

(Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ganz kurz. - Können die anderen Kollegen bitte ihre Plätze einnehmen? Die Diskussionsveranstaltung können Sie außerhalb des Plenarsaals machen. - Danke. - Sie können fortsetzen.


Alexander Räuscher (CDU):

Danke, Herr Präsident. - Legen wir die Aussagen Ihres Ministeriums zugrunde, sehr geehrter Herr Minister, dann ist festzustellen, dass bereits im Jahr 2022, also im aktuellen Jahr, ein Wachstum der Wolfspopulation um 10 % bis 20 % erfolgt ist und dass damit schon heute die maximale Zielpopulation erreicht bzw. übertroffen worden ist.

Wie wollen Sie das unkontrollierte Wolfspopulationswachstum eindämmen und die Zielpopulation konstant halten, ohne den Schutzstatus zu ändern? Wie wollen Sie die Bevölkerung sowie die Nutz- und Wildtiere vor der kommenden Wolfsüberpopulation schützen? - Das ist die erste Frage.

Zweitens: Zielkonflikt Tierschutz. So erfreulich die Rückkehr des Wolfes aus der Sicht des Artenschutzes, zumindest für Raubtiere, auch sein mag, ist rückblickend festzustellen, dass sich eine Vielzahl von früheren Aussagen zur Ausbreitungsgeschwindigkeit, zur Habitatwahl     

(Unruhe)

- Störe ich Sie?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Frau Frederking! - Das gilt für alle. Ich bitte um Konzentration. Wenn Sie Fragen stellen, möchten Sie im Plenum auch haben. - Danke. - Setzen Sie fort.


Alexander Räuscher (CDU):

Danke schön. - Es ist festzustellen, dass sich die früheren Aussagen zur Ausbreitungsgeschwindigkeit, zur Habitatwahl, zum Beutespektrum, zum Verhalten des Wolfes gegenüber dem Menschen und zum notwendigen Aufwand für den Herdenschutz als unzutreffend erwiesen haben. Der Wolf erweist sich als starker Kulturfolger. Immer mehr Elektrozäune in der Natur     


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Kommen Sie jetzt bitte zur Frage. Werden Sie bitte fertig.


Alexander Räuscher (CDU):

Ja, gut, ist klar, es ist ja eine Befragung. - Dann kommen wir zur Frage: Wie wollen Sie den Zielkonflikt beim Tierschutz gerecht lösen, wenn durch die steigende Wolfspopulation immer mehr Tiere getötet oder gequält werden? Wie rechtfertigen Sie das Verhältnis zwischen Zehntausenden Tieren, die zunehmend Verschlechterungen hinnehmen müssen, und der Anzahl freilebender Wölfe?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Räuscher. - Herr Willingmann, bitte.

 

Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Herr Präsident! Herr Abg. Räuscher, das Protokoll dieser Sitzung kennen Sie nicht und auch ich nicht, weil es das offenbar noch nicht gibt. Insoweit konfrontieren Sie mich im Moment mit Aussagen eines leitenden Mitarbeiters meines Hauses, die ich weder verifizieren kann noch mir habe berichten lassen. Denn es ist nicht üblich, dass im Nachgang zu den Sitzungen noch einmal Einzelheiten berichtet werden. Es ist auch nicht üblich, dass wir vorher ein Manuskript abstimmen. Es handelt sich bei dem Kollegen Herrn W. um einen anerkannten Experten, der dieses Thema seit vielen Jahren begleitet.

Es ist klug, dass Sie dieses Thema im Landwirtschaftsausschuss wie auch im Umweltausschuss weiterverfolgen, übrigens auch die Berechnungsmodi, die Sie gerade angesprochen haben, die mutmaßliche Wachstumsrate von 30 %. Ich glaube, bei den Wildschweinen liegt sie bei 300 %, aber da bin ich nicht ganz sicher.

Nur der Ordnung halber: Es hat, glaube ich, wenig Zweck, diese Frage jetzt zu beantworten, in einem Prozess, den Sie, wie ich finde, vernünftigerweise über den Landwirtschaftsausschuss angestoßen haben, in dem Sie in eine Diskussion eintreten wollen mit Experten, die Sie dazu eingeladen haben, auch mit den Experten der Häuser, sowohl des Landwirtschaftsministeriums als des für Jagdrecht zuständigen Hauses als auch des Umweltministeriums als des für den Artenschutz zuständigen Hauses. Wir sollten diesen Prozess vielleicht erst einmal anlaufen lassen.

Wenn Sie von mir jetzt eine Antwort auf die Frage haben wollen, wie ich mit einer Modellrechnung umgehe, die Sie eben gerade in den Raum gestellt haben, dann wäre die Antwort darauf nicht seriös. Deshalb kann ich Ihnen an dieser Stelle keine Antwort darauf geben. Ich möchte diesen Prozess im guten Einvernehmen führen, und zwar nicht nur in der Koalition, sondern mit allen Menschen, die sich dem Naturschutz ebenso wie dem Herdenschutz verpflichtet sehen. Diese Diskussion müssen wir führen.

Was den Wolf an sich betrifft - das Thema haben wir morgen auf der Tagesordnung. Ich ging bislang davon aus, dass wir Punkte, die regulär auf der Tagesordnung stehen, aus der Regierungsbefragung herauslassen, weil wir ja bei anderer Gelegenheit darüber reden. Dennoch will ich Ihnen gern antworten.

Das für den Naturschutz zuständige Ministerium hat vor allen Dingen die Aufgabe, den Rechtszustand, der im Moment besteht, zu wahren. Dieser Rechtszustand besteht bei uns in Bezug auf den Wolf und er ist unmissverständlich. Es gibt im Moment auch keine Pläne übergeordneten Rechts, ihn zu verändern. Wir sollten also weiterhin darüber diskutieren, wie wir den Herdenschutz intensivieren und wie wir dafür sorgen können, dass die Weidetierhaltung weiterhin abgesichert wird. Aber wir sollten nicht in eine Richtung steuern, die meint, dass eine vermeintliche Überpopulation möglicherweise durch Eingriffe reguliert werden kann. Das sollten wir den Expertengesprächen vorbehalten und danach sollten wir entscheiden.

(Zustimmung)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. Es gibt eine Nachfrage. - Herr Loth.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Jetzt kommt GW 688m!)


Hannes Loth (AfD):

Es ist schön, dass Herr Lange auch schon manche Wölfe beim Namen kennt. Dieser Wolf ist sehr auffällig, weil er immer wieder Tiere reißt. Das führt mich zu meiner Frage. In der Sitzung des Ausschusses, die Kollege Räuscher angesprochen hat, ist eine kleine Verhaltenstabelle vorgestellt worden, die zeigt, was passiert, wenn sich der Wolf dem Menschen nähert, welche Maßnahmen ergriffen werden und wann der Wolf reguliert werden darf.

Ich hatte nach einer solchen Tabelle, die sich auf Tierangriffe bezieht, gefragt. Wann wird der Wolf übergriffig? Wann wird er zum Problemwolf? Wie wird die Richtlinie dazu ausgelegt? Konkret: Wann darf der Wolf nach Übergriffen auf Tiere entnommen werden? Bis heute ist eine solche Übersicht nicht vorgelegt worden. Ich weiß nicht, ob Ihr Haus das noch machen wird. Ich hoffe, das wird noch vorgelegt. Das ist meine Frage: Wann kommt diese Liste, aus der hervorgeht, welches Verhalten der Wolf gegenüber Tieren an den Tag legen muss, um regulär entnommen werden zu dürfen, was man ja eigentlich schon darf?

Außerdem möchte ich etwas zu meinem Vorredner bemerken. Danke, dass die CDU endlich die Argumente der AfD aufgegriffen hat.

(Zustimmung)


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Ich wiederhole, Herr Abg. Loth, da ich das Protokoll dieser Ausschusssitzung noch nicht kenne, werde ich nachfragen, wo die Ihnen zugesagte Auskunft bleibt. Diese wird dann selbstverständlich nachgereicht.

Meine Damen und Herren! Wir sind uns darin einig, dass Problemwölfe natürlich entnommen werden dürfen. Das ist naturschutzrechtlich bereits möglich. Über die Festlegungen, wann dies der Fall ist, vor allen Dingen aber über die Frage, ob wir das tatsächlich als echtes Regulativ nutzen wollen, müssen wir sehr intensiv reden. Wir haben dazu naturschutzrechtliche Bedenken.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. - Herr Räuscher hat noch eine Frage. - Bitte.


Alexander Räuscher (CDU):

Herr Loth, wenn Sie genau zuhören, werden Sie feststellen, dass meine Fragen in eine ganz andere Richtung gehen. - Durch die Unruhe ist das vielleicht nicht richtig angekommen, Herr Prof. Willingmann. Meine Frage betraf weniger die Statistik. Ich habe mit der Statistik nur aufgezeigt, wohin sich das Problem entwickeln wird. Bisher war es kein Problem. Mittlerweile zeigt sich ein sehr guter Erhaltungszustand und es zeichnet sich eine Überpopulation ab.

Meine Frage war aber, wie Sie ohne eine Änderung des Schutzstatus eine Überpopulation verhindern wollen. Herdenschutzzäune greifen nicht in die Population ein, sondern versuchen, die Nutztierbestände zu schützen. Ich hatte den Zielkonflikt des Tierschutzes angesprochen; das kam ein bisschen kurz. Wir haben Unmengen von Zäunen. Es werden Einstallungen vorgenommen. Ein Wolf tötet elf oder 14 Tiere, frisst aber nur eines. Wie ist diese Ungleichheit zu bewerten? All das muss einfließen. Das müssen wir sozioökologisch bewerten. Die Änderung des Schutzstatus wäre die einzige Lösung, die ich sehe. Aber ich habe dazu von Ihnen bisher noch nichts gehört. Das hätte ich gern gewusst.


Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):

Deshalb führen wir diese Diskussion im Ausschuss, und zwar mit Experten. Aber ich will es noch einmal sagen: Überpopulationen regulieren sich normalerweise von selbst. Wir bauen sehr auf die natürliche Regulation. Wir bauen auf den Schutz der Herden und der Weidetiere.

Sie sprechen nicht aus, was Sie sich offenbar als Lösung vorstellen. Aber ein Regulativ, das darin besteht, die Population künstlich klein zu halten, ist im Moment rechtlich nicht möglich; denn der Wolf ist europa- und auch bundesrechtlich geschützt. Deshalb müssen wir uns über andere Dinge Gedanken machen, neben dem Vertrauen darauf, dass sich Überpopulationen normalerweise natürlich regulieren.