Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident! - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es herrscht Krieg in Europa. Menschen leiden. Menschen sterben. Ich hatte gehofft, nie in die Situation kommen zu müssen, meinen Kindern zu erklären, was nun gerade passiert.

Die Ukraine steht spätestens seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 in ihrer Souveränität und Sicherheit unter Druck. Der am gestrigen Morgen begonnene Angriffskrieg des Putin-Regimes auf einen freien und souveränen europäischen Nationalstaat sprengt aber nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere europäische Friedens- und Sicherheitsordnung, ja weltweite Gewissheiten.

Putin spricht der Ukraine die Existenz als Nation ab. Er will das Land von der Landkarte fegen. Als er sich mit Macron getroffen hatte, hat er zu Präsident Selenskyj gesagt: „Ob's dir gefällt oder nicht, du wirst dich fügen müssen, meine Schöne.“ Diese Vergewaltigungsandrohung bedarf keiner Interpretation mehr. Das ist eindeutig. Das ist klar.

Unsere Solidarität gilt deshalb dem ukrainischen Volk und der demokratisch gewählten ukrainischen Regierung unter Präsident Selenskyj, die offensichtlich durch ein russisches Sockenpuppen-Regime ersetzt werden soll.

(Zustimmung)

Bereits die Annexion der Krim und die de facto russische Besetzung der sogenannten Volksrepubliken im Osten waren Angriffe auf die territoriale Integrität der Ukraine. Die Anerkennung der russischen Stellvertreter-Regime durch Putin als unabhängig, mit anschließendem Einmarsch militärischer Kräfte, ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts.

(Zustimmung)

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg, der gestern Morgen durch Putin gestartet wurde, ist ein Verbrechen - ein Verbrechen, das man dem Mann im Kreml und seiner korrupten Machtelite nicht durchgehen lassen darf.

Putins Handeln hat zum Bruch aller völkerrechtlichen Vereinbarungen geführt, die Russland in den letzten Jahrzehnten eingegangen ist. Neben der Verletzung der Charta der VN negiert Russland mit seinen massiven Eskalationen die Schlussakten von Helsinki und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Pariser Charta zum Ende der Teilung Europas im Kalten Krieg, das Budapester Memorandum zum Nuklearwaffenverzicht der Ukraine gegen die Garantie seiner Souveränität sowie die Minsker Vereinbarung zur Deeskalation und Befriedung der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine.

Wladimir Putin hat aus seinen Vorstellungen nie wirklich einen Hehl gemacht. In einem Aufsatz über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer aus dem Juli des vergangenen Jahres hat er die Existenz einer souveränen Ukraine verleugnet. Das Land sei - ich zitiere - ganz und gar und durch und durch ein Geschöpf der Sowjetära. Seine Existenz sei ein historischer Fehler der Bolschewiki und im Konkreten Lenins, der nun im Zuge eines wiederentstehenden großrussischen Reiches behoben werden müsse. Das im Jahr 1924 im Rahmen der sowjetischen Verfassung etablierte Bestimmungsrecht der sowjetischen Teilrepubliken zur Unabhängigkeit sei eine - Zitat - Zeitbombe gewesen, die ihre zerstörerische Wirkung nach dem Machtverlust der KPdSU entfaltet habe.

Putin entwickelt in seinem Aufsatz die Erzählung einer organischen russischen Nation, die Anspruch auf einen historisch definierten Raum habe. Dies ist letztlich eine völkische Blut- und Bodenideologie, die auch die Begeisterung deutscher Putinlakaien und Rechtsextremer für den Mann im Kreml erklären könnte; man steht auf einem gemeinsamen von Alexander Dugin geschaffenen ideologischen Grund.

Der Westen, Europa, die NATO und besonders wir Deutschen haben diese Bedrohung des freien Selbstbestimmungsrechts der Völker und die Machtfrage, die Putin damit in den Raum gestellt hat, bislang zu wenig ernst genommen. Spätestens mit dem militärischen Eingreifen im Jahr 2008 in Georgien war das Muster etabliert, das dieser auf Atomwaffen sitzende Diktator wieder und wieder anwenden würde. Wir als Süchtige nach Gas und Erdöl haben ihn mit Handel und mit Reisefreiheit für seine Oligarchen in Europa belohnt. Wir haben seine Gift- und Mordanschläge, ob in London, Salisbury oder im Berliner Tiergarten, weitgehend hingenommen. Wir haben seinem Cyberkrieg und seiner Desinformationskampagne zu wenig entgegengesetzt.

(Zustimmung)

Wir haben damit auch die Ukraine verraten, indem wir ihr nicht einmal Defensivwaffen liefern wollten, nur um Russland nicht zu verärgern.

(Zustimmung)

Wir laufen Gefahr, auch die baltischen Staaten alleinzulassen, wenn wir jetzt nicht fundamental anders handeln.

Putin will mehr als die Ukraine. Er will sein Land zu alter imperialer Größe führen. Er definiert postsowjetische Interessensphären und unterjocht dafür innere und äußere Gegner. Wir müssen fragen, was es braucht, um die Souveränität der europäischen Staaten dauerhaft gegen ein imperial agierendes Russland zu verteidigen. Und alles   alles!  , was es dafür braucht, muss jetzt getan werden, in der NATO, der EU, in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt.

Die bislang beschlossenen Sanktionen sind dafür so wenig ausreichend wie unsere militärischen Kapazitäten in der Bundesrepublik und in Europa. Für diese Fragen aber ist - das ist heute hier zutreffend festgestellt worden - der Bund in der Verantwortung. Unsere Aufgabe kann es nur sein, die Willensbildung zu wirksamen Antworten auf Putins Angriff voranzutreiben und zu ergreifenden Maßnahmen nicht mit Verweis auf die vermeintlichen Interessen und Abhängigkeiten unseres Bundeslandes im Weg zu stehen. Notwendig ist jetzt, whatever it takes, was immer es braucht, um diesen Angriff auf ein freies Europa abzuwehren.

(Zustimmung)

Dazu gehört aus meiner Sicht eben auch, SWIFT für Russland zu suspendieren. Als Bundesland selbst müssen wir tun, was in unserer Macht steht. Fangen wir doch mit den kleinen Dingen an.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Striegel, es gibt eine Zwischenfrage von Herrn Gallert. Möchten Sie diese beantworten?


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Das würde ich am Ende meiner Rede machen.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Gut.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Ministerpräsident, befreien Sie die Bundeswehr aus der Notwendigkeit der Amtshilfe in der Pandemie. Unsere Soldatinnen und Soldaten werden zur Landes- und Bündnisverteidigung und zur Vorbereitung humanitärer Unterstützung für die Ukraine gebraucht.

(Zuruf)

Frau Innenministerin, bereiten Sie schon heute die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter vor. Mehr als vier Millionen Menschen haben das Land seit 2014 bereits verlassen, viele weitere werden folgen. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen zur Durchreise und Aufnahme schaffen. Dazu gehört auch, dem Bund ein festes Kontingent anzubieten, um sofort Menschen unterbringen zu können.

Aktivieren Sie die Ressourcen und Organisationen der humanitären Hilfen in Sachsen-Anhalt. Koordinieren Sie sie und stellen Sie diese über den Bund der Ukraine und den Nachbarländern zur Verfügung.

Frau Grimm-Benne, klären Sie mit unseren Krankenhäusern, wie wir trotz der Pandemie den Transport und die Aufnahme von Verwundeten aus der Ukrainerin organisieren können.

Frau Hüskens, stärken Sie jetzt die Resilienz unserer digitalen Infrastruktur, damit wir russischen Angriffen auf unsere IT wirksam begegnen können.

(Zuruf)

Herr Wirtschaftsminister, unterstützen Sie die sachsen-anhaltischen Unternehmen dabei, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu entflechten, und sorgen Sie vor allem mit dafür, dass unsere bestehende fossile Abhängigkeit von Russland schnellstmöglich beendet wird.

(Zustimmung)

Der Profit aus jedem Kubikmeter russischem Gas, das in Sachsen-Anhalt nicht verbraucht wird, fehlt dem Kreml zum Führen seiner Kriege.

(Zustimmung)

Wir als Süchtige müssen weg von der Nadel. Kohle, Öl und Gas haben ausgedient. Atomenergie ist - auch das zeigt der Krieg in der Ukraine - keine sichere Alternative. Wir müssen unseren Gashunger kurzfristig drastisch reduzieren, unsere Quellen diversifizieren und grünen Wasserstoff zur Alternative entwickeln.

(Zurufe - Unruhe)

Mittelfristig kann uns nur das konsequente Umsteuern auf 100 % erneuerbare Energien aus der Abhängigkeit von Despoten befreien.

(Unruhe)

Dafür kann und muss unser Bundesland mehr tun. Lassen Sie uns zudem prüfen, wie russische wirtschaftliche Betätigung in unserem Bundesland wirksam beschränkt werden kann.

(Zurufe)

Unser Bundesland sollte zum Beispiel Möglichkeiten prüfen, wie wir den Einfluss des russischen Miteigentümers Gazprom auf den Gasspeicher bei Peißen im Salzlandkreis beschränken können. Mir ist nicht bekannt, Herr Ministerpräsident, ob die Pläne, den russischen Impfstoff Sputnik V bei IDT Biologika in Dessau herstellen zu lassen, weiter existieren.

(Zuruf)

Sollte es sie geben, müssen diese sofort beendet werden. Sputnik V ist eben kein unpolitischer Impfstoff.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch der Landtag kann etwas tun. Heben Sie den von Ihnen in der Sitzung des Landtages im Januar gefassten Beschluss auf, Nord Stream 2 unverzüglich ans Netz zu nehmen. Die Pipeline ist tot. Durch sie kann, darf und wird kein Gas fließen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Die Ukraine braucht Frieden. Europa braucht Frieden. Russland braucht Frieden. Dieser Frieden war für die Ukrainer schon seit 2014 nicht mehr selbstverständlich. Für uns ist er es spätestens seit Putins Angriff gestern Morgen nicht mehr.

Es wird mit Putin und seinen korrupten Eliten keinen Frieden, sondern allenfalls die Abwesenheit von Krieg geben können. Dem Diktator im Kreml muss klargemacht werden, dass wir Europas Freiheit und Sicherheit nicht aufgeben werden.

(Unruhe)

Wir streben - auch das hat der Ministerpräsident noch einmal sehr deutlich gemacht - nach Frieden mit Russland. Denn mit dem russischen Volk verbindet uns viel, gerade in Sachsen-Anhalt.

Dass es gestern in ganz Russland Demonstrationen und Proteste gegen den Krieg und für Frieden mit der Ukraine gegeben hat, ist mein Hoffnungszeichen in dunkler Zeit.

(Zustimmung)

Der Kreml hat die unter hohem persönlichen Risiko demonstrierenden Menschen massenhaft verhaften lassen. Die Verbindungen mit der russischen Zivilgesellschaft wollen und müssen wir deshalb verstärken. Russland ist mehr als Putin und seine Oligarchenfreunde. Selbiges gilt für unsere Partnerschaft mit der Ukraine. Unsere Solidarität dort muss praktisch werden.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt wird den Krieg in der Ukraine nicht beenden. Aber unser Land kann seinen Beitrag dafür leisten, Schritte zum Frieden zu gehen. Machen wir uns auf den Weg - jetzt!

(Zustimmung)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Striegel. Herr Gallert möchte Ihnen gern eine Frage stellen. Vielleicht möchte er Ihnen das mit Nord Stream 2 noch einmal erklären. - Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Nein, mit Sicherheit nicht, weil das eine Intervention und keine Frage wäre.

Herr Striegel, wir sind uns in der Analyse dessen - das ist anhand des gemeinsamen Antrags deutlich geworden  , was jetzt ist, relativ einig. Dass wir sehr wohl unterschiedliche Optionen, wie man darauf reagieren sollte, haben, dürfte unter Demokraten auch selbstverständlich sein. Ich frage jetzt aber einmal ganz deutlich, weil mich das wirklich interessiert, nach Ihrer persönlichen Position oder nach der Position Ihrer Partei - das können Sie entscheiden  : Die wirkliche Sanktion, die jetzt sofort radikal treffen würde, wäre ein Stopp der Energielieferung von Erdgas und Öl aus Russland nach Deutschland. Stehen Sie dafür? Wollen Sie das oder wollen Sie das nicht?


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Mein Parteikollege Robert Habeck, Herr Gallert, hat gestern Abend - ich meine, es war in der ARD - sehr deutlich gesagt, dass wir auch an dieser Stelle tätig werden müssen:

Erstens. Der Gasmarkt muss reguliert werden. Das ist er bisher nicht.

(Zuruf von Rüdiger Erben, SPD - Weitere Zurufe)

- Herr Kollege Erben, bitte warten Sie noch einen kurzen Moment. - Zweitens hätten wir und haben wir tatsächlich ausreichend Gasvorräte. Bei Erdöl sieht es anders aus.

(Lachen)

- Wir haben ausreichend Gasvorräte, um noch über den Winter zu kommen. Ich glaube, das ist unstreitig.

(Unruhe)

Insofern ist klar, dass wir die Abhängigkeit von russischem Erdgas weiter reduzieren müssen und uns diversifizieren müssen. Und ja, ich sage ausdrücklich: Wir müssen weniger und am besten gar kein russisches Erdgas mehr importieren. - Vielen herzlichen Dank.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Also weder ja noch nein, gut. - Danke, Herr Striegel.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Präsident, ich verbitte mir, dass Sie meine Rede hier am Rednerpult interpretieren. Das ist nicht Ihre Aufgabe.

(Zurufe - Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ich habe Ihre Rede nicht interpretiert. Ich habe nur festgestellt, was Sie gesagt haben: ja und nein. Ich habe das nicht interpretiert. Das steht mir gar nicht zu. Das mache ich auch nicht. - Danke, Herr Striegel. Es gibt keine weiteren Fragen.

(Zuruf - Unruhe)