Dr. Katja Pähle (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Krieg, das war und ist für Menschen in vielen Teilen der Welt bittere Realität. Und wer bei uns mit wachen Augen das Weltgeschehen beobachtet, der war sich dessen immer bewusst. Krieg war für Menschen in Mitteleuropa in den letzten 75 Jahren aber vor allem eines: weit weg.

(Zuruf: Und Jugoslawien?)

Das hat sich mit dem vom russischen Präsidenten Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine drastisch geändert. Von Berlin nach Kiew ist es genau so weit wie von Berlin nach Rom und von Berlin nach Kaliningrad ist es genau so weit wie nach Stuttgart. Das, was jetzt geschieht, geschieht buchstäblich vor unserer Haustür. Dieser Krieg, der gerade erst begonnen hat und doch aktuell mit brachialer Gewalt fortgesetzt wird, wird vor allem großes Leid über die ukrainische Zivilbevölkerung bringen. Schon die ersten Bilder sind erschreckend.

Darüber hinaus werden die wirtschaftlichen Folgeschäden dieses Konfliktes den gesamten Kontinent treffen, ebenso Russland. Es führt jedoch kein Weg daran vorbei, dass die Staaten der Europäischen Union auf das russische Vorgehen eine unmissverständliche und geschlossene Antwort geben, auch wenn das einen hohen ökonomischen Preis bedeutet - zu einschneidend ist der Verstoß gegen alle Werte der internationalen Staatengemeinschaft.

Blicken wir zurück auf die Anfänge der Nachkriegsordnung. Unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus gründeten 50 Staaten, darunter übrigens neben der Sowjetunion auch die Ukraine und Belarus, nur wenige Wochen nach der Kapitulation Nazideutschlands die Vereinten Nationen.

In der Charta der Vereinten Nationen verankerten sie Grundsätze, die bis heute für das Zusammenleben der Staaten verbindlich sind: die Souveränität der Staaten, ihr Recht auf territoriale Integrität, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Gewaltlosigkeit in den internationalen Beziehungen und die Achtung der Menschenrechte. Gegen jeden einzelnen dieser Grundsätze hat Putin mit seinem Angriffsbefehl verstoßen.

(Beifall)

Das ist für ihn keineswegs ein Kollateralschaden. In seiner Fernsehansprache hat er deutlich gemacht, dass er der Ukraine das Existenzrecht abspricht. Der Angriff auf die Ukraine ist deshalb ein Angriff auf das Wertesystem der internationalen Gemeinschaft insgesamt.

(Beifall)

Deshalb ist es ein Gebot der Menschlichkeit und der Solidarität, aber auch unseres eigenen Interesses als Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates, dass wir uns nachdrücklich und entschieden an die Seite des ukrainischen Volkes stellen und sagen: Der Krieg muss enden!

(Beifall)

Putins Truppen müssen sich aus der Ukraine vollständig zurückziehen! Und: Wir werden es nicht akzeptieren, dass Russland in der Ukraine eine Gewaltherrschaft errichtet, wie es der Plan von Putin zu sein scheint. Ich habe mehrmals den Satz gelesen: Wir stehen seit gestern früh in einer anderen Welt, als sie sich noch am Abend vorher dargestellt hat. Das stimmt auch.

(Zustimmung)

Das heißt aber nicht, dass wir uns in einer Welt wie dieser einrichten müssen. Jetzt gilt es daher, Flagge zu zeigen; denn wir dürfen das Spiel von Putin und anderen Diktatoren nicht mitspielen.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was heißt das? - Erstens. Wir müssen dafür sorgen, dass der Protest gegen den Einmarsch nicht zu übersehen ist, damit die Menschen in der Ukraine wissen, dass wir an ihrer Seite stehen. Politische Beschlüsse wie der, den wir gleich fassen werden, sind wichtig. Wichtig sind aber auch die Demonstrationen und Protestaktionen, die gestern schon spontan stattgefunden haben, und natürlich auch der Protest im Netz, der in der Ukraine und hoffentlich auch in Russland ankommt.

Zweitens. Die Antwort der demokratischen Staaten muss für den Aggressor spürbar sein. Wir zeigen deshalb, dass wir auch zu wirtschaftlichen und diplomatischen Sanktionen in der Lage und bereit sind, auch wenn sie wirtschaftliche Nachteile für unser Land bringen sollten.

Herr Ministerpräsident, ich teile Ihre Sorge um die Auswirkungen von steigenden Energiepreisen oder sogar Lieferausfällen auf die Wirtschaft und die Menschen in Sachsen-Anhalt. Tatsache ist: Gas, das uns heute fehlt oder fehlen könnte, können wir nicht durch erneuerbare Energien von morgen ersetzen, durch Kohle aus verlängerten Laufzeiten von übermorgen allerdings auch nicht. Ich halte dabei an der Botschaft von Armin Willingmann aus der letzten Woche fest: Gerade jetzt müssen wir auf mehr Energieunabhängigkeit setzen; dazu tragen die erneuerbaren Energien wesentlich bei.

(Zustimmung - Zuruf: Und wer bezahlt das?)

Drittens. Wir müssen die zarten Pflänzchen der Zivilgesellschaft in Russland unterstützen. Es stimmt ja, dass das russische und das ukrainische Volk in enger Nachbarschaft leben, nicht erst seit der Sowjetzeit. Die verwandtschaftlichen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bande sind eng. Deshalb sind auch in Russland Menschen empört darüber, was Putin in der Ukraine anrichtet. Wir können ahnen, wie viel Mut dazu gehört, in Russland eine kritische Stimme zu erheben und auf die Straße zu gehen. Das müssen wir ermutigen und unterstützen.

(Beifall)

Viertens. Die NATO-Mitgliedsstaaten in Osteuropa, in denen sich die Menschen große Sorgen machen, brauchen unsere Unterstützung. Ich weiß, dass die Frage der NATO-Osterweiterung in den letzten 25 Jahren durchaus umstritten ist. Jetzt gilt es jedoch, den Grundsatz „Pacta sunt servanda“ auch einzuhalten. Deshalb stehen wir zu unseren Verpflichtungen im Bündnis. Aber wir sollten auch nicht Ausweitungen der bewaffneten Auseinandersetzungen Vorschub leisten. Den Menschen in der Ukraine hilft es nicht, wenn weitere Länder in den Krieg hineingezogen werden. Weder ist ein militärisches Eingreifen in der Ukraine eine Option für die Nachbarstaaten, noch ist es sinnvoll, dass z. B. Deutschland zu Waffenlieferungen in diesem Konflikt übergeht.

Fünftens. Wir müssen humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen. Ich begrüße es daher sehr, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser   ich habe gehört, auch unsere Innenministerin   vorsorglich Sachen in die Hand nimmt, um mit Flüchtlingen, die möglicherweise in Deutschland ankommen, umzugehen. Das ist der richtige Schritt. Natürlich wollen wir nicht hoffen, dass Menschen in erheblichen Größenordnungen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Aber wir sind für den Fall der Fälle zu einem starken Signal der Mitmenschlichkeit verpflichtet und bereit.

(Beifall)

Mir wäre es wichtig, dass in dieser Situation die verbliebenen Flüchtlinge, die an der Grenze zwischen Polen und Belarus als Faustpfand gehalten werden, nicht vergessen werden. Auch für diese brauchen wir jetzt eine Lösung.

(Beifall)

Das sind die Aufgaben, die sich aktuell stellen. Zu den Leitlinien unseres Handelns muss es aber immer gehören, auf absehbare Zeit zu einer stabilen Friedensordnung in Europa zurückzukehren.

Als Willy Brandt im Jahr 1971 in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennahm, skizzierte er seine grundlegenden Vorstellungen dazu, wie man an einem europäischen Haus des Friedens arbeiten und bauen kann. Ich erinnere daran: Das geschah nicht in einer Phase jahrzehntelangen Friedens, sondern im tiefen Misstrauen des Kalten Krieges. Aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus, mit Krieg und Verfolgung, mit dem Mauerbau in Berlin und mit der Kubakrise, in der der Weltfrieden für einige Tage auf Messers Schneide stand, formulierte Willy Brandt Grundsätze, die gerade in unserer heutigen Lage eindringlich wirken und die uns zugleich zeigen, was für einen weiten Weg wir in den nächsten Jahren zurücklegen müssen. Er sagte:

„Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. Kein nationales Interesse lässt sich heute noch von der Gesamtverantwortung für den Frieden trennen.

Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio.“

(Beifall)

Er sagte weiter:

„Wir müssen […] ein Gleichgewicht zwischen den Staaten und Staatsgruppen schaffen und wahren, in dem die Identität und die Sicherheit eines jeden von ihnen geborgen sein kann.

Wir müssen der Gewalt und der Androhung von Gewalt im Verkehr der Staaten entsagen, endgültig und ohne Ausnahme. Das schließt die Unverletzlichkeit bestehender Grenzen notwendig ein. Unantastbarkeit der Grenzen kann jedoch nicht heißen, sie als feindliche Barrieren zu zementieren.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden es an meiner Stimme gehört haben: Die Ereignisse in der Ukraine beschäftigen uns alle, auch mich. Lassen Sie uns als Politiker klug mit dieser Situation umgehen.

(Beifall)

Lassen Sie uns abwägen, vernünftige Entscheidungen im Sinne der Menschen treffen, der Menschen hier und auch der Menschen in der Ukraine. - Vielen Dank.

(Beifall)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Frau Dr. Pähle, Kollege Striegel möchte Ihnen gern eine Frage stellen. - Bitte.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Frau Kollegin Pähle, Sie haben auf die Wichtigkeit der Proteste in Solidarität mit der Ukraine verwiesen. Sie haben das Thema Wirtschaftssanktionen angesprochen und die Notwendigkeit, auch schwerwiegende Eingriffe und daraus folgende eigene Schädigung zu akzeptieren. In der Ukraine gibt es gerade sehr, sehr viel Unverständnis darüber, dass unter anderem die Bundesrepublik Deutschland die Abkoppelung von Russland aus SWIFT nicht unterstützt. Ich möchte Sie gern nach der Position der sachsen-anhaltischen SPD fragen. Unterstützen Sie die Abkoppelung Russlands aus SWIFT?


Dr. Katja Pähle (SPD):

Sehr geehrter Kollege Striegel, in diesen internationalen Beziehungen gilt erst recht der Grundsatz „Schuster, bleib bei deinem Leisten“. Die Bundesregierung hat an dieser Stelle deutlich gemacht, dass das gestern auf der europäischen Ebene geschnürte Paket von Sanktionen ein erstes Signal ist. Sie hat weiterhin deutlich gemacht, dass weitere Schritte, wenn notwendig, folgen werden. Es ist auch meine Einschätzung, dass das ein kluges Vorgehen an dieser Stelle ist. - Vielen Dank.