Nicole Anger (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene   auch ich erweitere dies ganz bewusst, denn es geht um eine ganze Generation   haben sich seit Anbeginn der Pandemie solidarisch und verständnisvoll gezeigt. Aus nicht wenigen Kindern wurden in dieser Zeit Jugendliche, aus Jugendlichen wurden junge Erwachsene. Viele von ihnen   wenn nicht gar alle   haben wichtige Phasen ihres Lebens durchlebt und dabei Übergänge anders erfahren als wir. Ob es nun Kinder aus der Kita waren, die eingeschult wurden, oder Kinder, die von der Grund- auf die weiterführende Schule wechselten, Jugendliche, die ihren Schulabschluss machten, sich beruflich orientierten, junge Erwachsene, die einen Freiwilligendienst aufnahmen, eine Ausbildung begannen oder mit dem Studium starteten - in den letzten zwei Jahren   das ist uns allen sehr bewusst   war vieles anders und auch vieles nur eingeschränkt möglich.

Dies gilt nicht nur für den Bereich des individuellen formalen Bildungsweges. Auch in ihrer Freizeit waren und sind junge Menschen immer noch eingeschränkt, und sie tragen diese Einschränkungen von Anfang an mit. Viele von ihnen akzeptieren die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Ein Teil der Jugendlichen   wir haben es schon gehört   konnte noch nie zum Tanzen in einen Klub oder auf Partys gehen, so wie wir das aus unserer Jugend kennen. Andere haben seit zwei Jahren ihre Hobbys aufgegeben. 40 % der Kinder betreiben keinen gemeinsamen Sport mit anderen mehr. Erfahrungen, die zum Erwachsenwerden gehören, sich ausprobieren, unbeschwert sein - das gehört zum Jungsein dazu.

Und ja, wir müssen uns Gedanken machen und vor allem auch anpacken, wie wir all diese Defizite ausgleichen können - nicht nur kurzfristig, sondern über die nächsten Jahre, vielleicht auch über das nächste Jahrzehnt oder die nächsten Jahrzehnte hinweg. Viele Träger von Kitas, die Schulen, aber auch Ausbildungsbetriebe, Einsatzstellen für Freiwilligendienste, Hochschulen sind unentwegt bestrebt, den jungen Menschen einen Alltag anzubieten, der ihren Bedarfen und Bedürfnissen gerecht wird, auch unter den Rahmenbedingungen der Pandemie.

Auch der außerschulische Bereich, die vielen Verbände und Vereine, die Schulsozialarbeit halten trotz pandemiebedingter Einschränkungen vielfältige Angebote vor; dies ist immens wichtig für die junge Generation. Wir müssen bei den jungen Menschen, egal ob sie studieren oder sich in einer Ausbildung befinden, wie die FDP hier eng fokussiert, oder auch bei den Jüngeren in der Kita und in der Schule genau hinschauen, genau zuhören, genau wahrnehmen. Einige von ihnen bekommen es ganz gut hin, gehen sogar gestärkt aus der Pandemie heraus, haben zum Beispiel in punkto Digitalisierung jede Menge dazugelernt oder sind viel selbstständiger geworden; anderen geht es anders.

Die COPSY-Studie   die Ministerin hat sie bereits erwähnt   weist darauf hin, dass es durch die Pandemie zu einer Zunahme von spezifischen Belastungen, wie Sorgen und Ängsten, gekommen ist, beispielsweise Zukunftsängste, allgemeine Ängstlichkeit, Unsicherheit, Versagensängste und Befürchtungen, die die Freundschaften betreffen. Diese Ängste und Sorgen der jungen Menschen kommen aus unterschiedlichen Erfahrungen, aus unterschiedlichen Lebenssituationen heraus. Es gibt nicht   d i e   eine Ursache, genauso wenig wie es die eine Antwort gibt und eben auch nicht   d e n   jungen Menschen. Aber es gibt mit der aktuellen Situation eine Verschärfung. Für alle jungen Menschen gilt gleichermaßen: Jeder Einzelne der jungen Menschen braucht unsere Unterstützung,

(Zustimmung)

und dazu müssen wir ihre Sorgen und Ängste sowie ihre Signale ernst nehmen. Wir haben junge Menschen, die während des Lockdowns unter den mangelnden sozialen Kontakten gelitten haben. Wir haben aber ebenso jungen Menschen, die sich wegen ihrer sozialen Kontakte in Schule und Ausbildung Gedanken um ihre Angehörigen machen. Aber klar ist: Aus welchen Gründen sie sich auch belastet fühlen - wir müssen ihnen Unterstützung zu sichern, und zwar eine Unterstützung, die da ist, die genutzt werden kann, wenn sie gebraucht wird, ohne lange Wartezeiten. Ich bin wirklich gespannt, was die Kollegen von der FDP und auch der Landesregierung nach dieser Aktuellen Debatte aufbieten werden.

Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen zum Denken und zum Überdenken schon einmal Folgendes mitgeben: Wir haben uns alle immer wieder gegenseitig bestätigt, dass die Pandemie unsere gewohnten Abläufe verändert, und den meisten von uns ist auch bewusst, dass diese Pandemie wie ein Brennglas wirkt. Viele Aspekte, die uns bereits vor der Pandemie vor Herausforderungen stellten   die einen sahen diese bereits, andere haben immer mal weggesehen  , sind nun mitunter noch verschärfter. Trotzdem tut man in vielen Bereichen des täglichen Lebens so, als gebe es die Änderungen durch die Pandemie nicht. Na klar sollten wir unseren Kindern so viel Alltag wie möglich bieten, und na klar brauchen alle von ihnen auch eine gute Alltagsstruktur.

Aber es ist auch eine Chance, längst überfällige Änderungen der Rahmenbedingungen vorzunehmen. So sollte es nach zwei Jahren Pandemie doch grundsätzlich möglich sein, digitalen Unterricht anzubieten und überall hybride Lernformen zu ermöglichen. Stattdessen wird an einem Leistungssystem festgehalten, bei dem man in immer kürzerer Zeit versucht, möglichst viele Bewertungen in Form von Noten zu erlangen, wo doch gerade allseits betont wird, wie wichtig die sozialen Kontakte sind. Was ist denn in der 2. Klasse oder in der 7. Klasse an einer Note in Musik oder Kunst oder Sport so wichtig? Wozu die zahlreichen Hausaufgaben? Wichtig ist doch, dass unsere Kinder miteinander agieren können und dass sie voneinander lernen, statt sich unter Leistungsdruck ständig miteinander zu messen.

Außerdem sollte man doch der Schulsozialarbeit insbesondere jetzt eine sichere Perspektive bieten. Dazu gehört für mich auch zu überdenken, wie viele neue Konzepte jetzt wieder geschrieben werden müssen oder ob sich nicht das Konzept der letzten Jahre bewährt hat und einfach fortgeführt werden kann, damit die Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter ansprechbar sind und nicht in Bürokratie ersticken.

Ich weiß, der Beitrag von Herrn Pott zielt darauf ab, junge Erwachsene im Studium in den Fokus zu rücken. Ich denke aber immer an alle jungen Menschen; denn auch die Jüngeren kommen irgendwann in diese Lebensphase. Wir haben es erkannt: Die Bedarfe, die jetzt entstehen, werden über viele Jahre anhalten.

Aber schauen wir einmal auf das Beispiel der Studierenden. Ich kenne Studierende, die Schwierigkeiten dabei haben, ihr Studium zu starten, weil sie allein in einer neuen Stadt wohnen, weil das Studium digital durchgeführt wird, weil sie keine Chance haben, ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen zu treffen oder ein Studentinnenleben zu führen. An dieser Stelle kommen die Studentenwerke ins Spiel. Diesen kommt eine besondere Aufgabe zu, die sie auch übernehmen. Umso verwunderlicher finde ich es, dass unser Antrag zur besseren Förderung der Studentenwerke vom Oktober 2021 noch immer im Ausschuss herumdümpelt.

(Zustimmung)

Nicht nur, aber besonders in der Pandemie leisten die Studentenwerke eine wichtige Aufgabe. Die Nachfrage nach psychosozialer Beratung durch die Studentenwerke ist in der Pandemie massiv gestiegen. Diesbezüglich hätten Sie schon längst etwas tun können - ja, tun müssen.

Hinzu kommt   auch das hörten wir schon  , dass viele junge Menschen ihre Minijobs verloren haben, die sie trotz Bafög benötigen, um über die Runden zu kommen. Niemand von den Regierenden ist hier eingesprungen und hat finanzielle Hilfen für Studentinnen und Studenten angeboten.

Zu der Einsamkeit im Studium kommen Existenzängste hinzu. Es sollte doch gerade der Fraktion von Herrn Pott ein Anliegen sein, im Bundestag zu veranlassen, dass es endlich ein rückzahlungsfreies elternunabhängiges Bafög gibt -

(Zustimmung)

ein Bafög, mit dem man studieren kann, ohne sich einen oder zwei Nebenjobs suchen zu müssen.

(Zustimmung)

Damit es aber auch klar ist: Nicht allein die Pandemie ist verantwortlich für die belastende Situation der jungen Erwachsenen. Die Grundverantwortung trägt vielmehr ein System, das nur auf Leistungsdruck fokussiert ist, Freiräume einschränkt und eine Stärkung der Kompetenzen unterbindet. Bildung darf nicht der Verwertungslogik unterliegen. Lerndruck und Lernstress sind systemisch bedingt, weil Sie Bildung als eine Ware verstehen.

Deswegen bin ich in der Tat sehr gespannt darauf, welchen Vorschlag Sie unterbreiten werden und wie Sie die Strukturen ändern wollen, damit junge Menschen sich ihren Stärken, Kompetenzen und Interessen entsprechend entwickeln können.

Ich sage Ihnen ganz klar: Allein die Hilfe von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten

(Zuruf)

wird die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen. Die Pandemie kommt nur on top. Ich hoffe, dass Sie anders als bei unseren Anträgen zum Corona-Sondervermögen   unsere Forderungen waren zugunsten der jungen Menschen ausgelegt  , die von Ihnen abgelehnt wurden, jetzt selbst gute Ideen haben, was Sie tun wollen und vor allen Dingen was Sie verändern wollen. Denken Sie daran: Junge Menschen sind junge Menschen und kein Humankapital.

(Zustimmung)