Tobias Krull (AfD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Unruhe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ganz kurz: Wir konzentrieren uns auf Herrn Krull. Ich glaube, es wird interessant. - Danke.


Tobias Krull (CDU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich mit meinen inhaltlichen Ausführungen beginne, eine Vorbemerkung machen. Herr Siegmund, Sie haben hier in Ihren zehn Minuten das Thema, das so wichtig ist, überhaupt nicht angesprochen.

(Zustimmung)

Sie haben zehn Minuten lang wieder Ihre üblichen Hasstiraden losgelassen. Sie haben über Ihre sozialen Medien gesprochen. Es ist erschreckend, auch wie Sie die Ausschusssitzung für sich interpretiert haben. Wir werden das im Protokoll alles noch einmal genau nachlesen.

(Zurufe)

Es ist für mich wirklich erschreckend, Herr Siegmund, denn Sie beschäftigen sich nicht mit Sachproblemen, sondern Sie wollen Ihre Polemik hier vortragen. Das ist es wirklich nicht wert, Ihnen zuzuhören.

(Zustimmung)

Ich möchte meine Rede inhaltlich mit einem Zitat beginnen. Es stammt von einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer einer Studie des Forschungsverbundes Kindheit, Jugend und Familie in der Coronazeit des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik, einer Stiftung der Universität Hildesheim, und dem Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung der Goethe-Universität Frankfurt am Main und lautet:

    „Die Coronapandemie hat mir wertvolle Zeit genommen. Mir kommt es so vor, als wäre das Jahr 2020 ein Jahr der Zeitverschwendung gewesen, eine Freistunde in der Schule, in der nichts getan wird, außer auf den Gong zu warten, dass die Stunde endlich zu Ende geht. Mein letztes Schuljahr kann ich nicht genießen, da viele Mitschülerinnen und Mitschüler in Quarantäne müssen und nicht anwesend sind.“

Ich glaube, diese Aussage macht die vorhandenen Probleme und Herausforderungen für junge Menschen durch die Pandemie und die Maßnahmen zu deren Bekämpfung sehr eindrücklich und konzentriert deutlich. Derzeit gibt es im Verhältnis zur Anzahl anderer Studien rund um das Thema Covid-19-Virus nur eine relativ geringe Anzahl wissenschaftlicher Studien und Befragungen zu den Auswirkungen der aktuellen Situation auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Dies mag auch daran liegen, dass die Konzentration der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf anderen Bevölkerungsgruppen lag, deren Gesundheit deutlich und akuter gefährdet erschien.

Die Antragsteller beziehen sich in ihrem Antrag auf eine Studie einer großen deutschen Krankenkasse, in deren Auftrag forsa eine Umfrage unter 1 000 Studentinnen und Studenten sowie Auszubildenden durchführte. Dieser Personenkreis befindet sich an einem Wendepunkt in seinem Leben. Es geht darum, nach der Schule den Start in ein selbstbestimmtes Leben zu wagen. Diese Zeit ist ohnehin für viele Menschen voller Herausforderungen, aber durch Corona sind diese noch deutlich gestiegen und die Hürden erscheinen teilweise unüberwindlich.

Es geht vor allem um zwei Bereiche. Während der Schulzeit ist das Leben doch relativ stark strukturiert. Mit dem Start in die berufliche Ausbildung, insbesondere beim Studium, ist deutlich mehr Selbstorganisation gefragt. Damit fühlen sich viele junge Menschen schnell überfordert und es kommt zu Stresssituationen. Häufig werden dafür eigene Lösungswege gefunden. Man tauscht sich mit Freunden und Familien aus, und nur ein geringer Teil nutzt tatsächlich professionelle Hilfe.

Als häufigste Beschwerde infolge dieser Situation nannten Studentinnen und Studenten sowie Auszubildende die Demotivation. Es fehlt der notwendige Antrieb, sich für die Ausbildung, das Studium oder eine Freizeitaktivität zu engagieren. Weiterhin wurden Müdigkeit und Erschöpfung beklagt, dazu kommen Traurigkeit, schnellere Gereiztheit, körperliche Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen, Schlafprobleme und Ängstlichkeit.

Der Blick in die Zukunft ist bei vielen sorgenvoll. Die größte Angst gibt es dabei vor erneuten Kontaktbeschränkungen. Gerade in dieser Altersgruppe ist der Austausch mit Gleichaltrigen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, von höchster Bedeutung. Es geht auch um fehlende Planbarkeit. Zu vielen Studiengängen gehören verpflichtend Auslandssemester, die plötzlich nicht mehr möglich waren; Gleiches gilt für Praktika.

Dies führt nicht nur zu dem Gefühl, etwas zu verpassen, sondern auch zur Befürchtung, dass durch die fehlenden Erfahrungen langfristig berufliche Nachteile entstehen. Es geht aber auch darum, einmal ungezwungen zu feiern, neue Menschen kennenzulernen. Weitere Sorgenfelder sind der versäumte Lernstoff, auch wenn man ihn aufholen kann, das Gefühl der Einsamkeit, wenn aus dem erhofften pulsierenden und abwechslungsreichen Studentenleben nur die Onlinelehre im eigenen WG-Zimmer wird.

In der vergangenen Woche hatte ich einen Termin mit Studentinnen und Studenten der Hochschule Magdeburg-Stendal. Nach dem offiziellen Teil fragte ich sie, wie sie mit der Situation umgehen. Eine Studentin erklärte mir mit deutlich erkennbarer Niedergeschlagenheit, sie sei zum Studium von Hannover nach Magdeburg gezogen und habe seitdem fast nur Onlinevorlesungen erlebt. Sie würde gern einmal eine Vorlesung in einem vollen Hörsaal erleben, einfach mal so. - Ich denke, diese Situation beschreibt, wie es viele in diesem Bereich empfinden.

Schlussendlich geht es auch um finanzielle Sorgen. Fest eingeplante Nebeneinkünfte aus den typischen Studentenjobs in der Gastronomie oder im Handel fallen weg; es muss also nach anderen Tätigkeiten gesucht werden. Die Familien müssen mehr zum Lebensunterhalt beisteuern als geplant. Das ist von beiden Seiten häufig so nicht gewollt und führt zu neuen Abhängigkeiten, die aber eigentlich beendet werden sollten. Dies trifft auch auf ausländische Studierende zu, die in Deutschland ihr Studium absolvieren. Dazu kommen noch Verständigungsschwierigkeiten und die Fragen der Aus- und Einreise.

Eine weitere Studie, auf die ich hinweisen möchte, stammt vom Deutschen Jugendinstitut und trägt den Titel „Jugend ermöglichen - auch unter den Bedingungen des Pandemieschutzes“. Dabei geht es nicht nur um die negativen Seiten der Pandemie für diese Altersgruppe, sondern es wird auch behandelt, dass zum Beispiel Angebote der Kinder- und Jugendarbeit in den digitalen Raum verlegt wurden, um mit der Zielgruppe Kontakt zu halten, oder um das Engagement vieler junger Menschen für Hilfsbedürftige, zum Beispiel in Form von Einkaufsdiensten.

Auch das Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe, Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit in Coronazeiten, eine Zwischenbilanz zu den Auswirkungen auf Jugendliche, junge Erwachsene und die Strukturen der Jugendsozialarbeit und Jugendarbeit, ist zu nennen.

Neben einer Analyse der aktuellen Lage, die sich weitestgehend mit den bereits vorgetragenen Ergebnissen anderer Studien deckt, gibt es auch ganz konkrete Forderungen, die aus meiner Sicht sehr ernst zu nehmen sind. Zunächst einmal geht es um die Wahrnehmung der Problemlage durch die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung. Kinder und Jugendliche wurden dabei vor allem im Kontext der Betreuung in Kindertageseinrichtungen und Schulen betrachtet, Studierende faktisch überhaupt nicht.

An dieser Stelle möchte ich deutlich machen, dass die Aufrechterhaltung des Betreuungsangebots in Kitas und des Präsenzunterrichts in Schulen so lange, wie es verantwortbar ist, absolut richtig und notwendig ist. Wir werden dazu im Laufe des Tages noch bei anderen Tagesordnungspunkten intensiv diskutieren.

Aber zurück: Es geht auch darum, die anderen Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht zu vergessen. Neben der Nutzung von Freizeit- und Sportangeboten geht es vor allem um die Möglichkeit der Kommunikation mit Gleichaltrigen, mit Personen, die nicht im Schul- oder Familienkontext stehen. Bei einer späteren Analyse, was richtig gelaufen ist, wo aber auch Defizite entstanden sind, gehört dies zweifelsohne zu letzterem Bereich. Dazu wird es auch einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung bedürfen. Die Hochschuleinrichtungen unseres Landes sind in der Lage, hierzu wertvolle Beiträge zu liefern.

Auf die Verlagerung von Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendsozialarbeit in den digitalen Raum bin ich bereits kurz eingegangen. Auch wenn es mich persönlich sehr freut, welche Fortschritte aus dieser Lage heraus erzielt worden sind, können solche digitale Angebote auf keinen Fall den direkten, persönlichen Kontakt ersetzen.

Die entscheidenden Lernrückstände wurden bereits von der vorigen Bundesregierung erkannt, und so wurde das Maßnahmenpaket „Aufholen nach Corona“ auf den Weg gebracht. Ob das vorhandene Geld und die unterschiedlichen Maßnahmen ausreichen, muss fortlaufend überprüft werden, um rechtzeitig reagieren zu können.

Auch das Land hat im Rahmen des Corona-Sondervermögens Maßnahmen ergriffen. Gemeinsam mit Interessenvertretungen wie der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen-Anhalt oder Projekten wie „Jugend + Kommune“ ist nach Möglichkeiten zu suchen, wie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ihre Interessen auch unter den aktuellen Umständen formulieren können, damit sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass auf kommunaler Ebene die Leistungen der Kinder- und Jugendarbeit nach dem Sozialgesetzbuch VIII grundsätzlich nicht im Rahmen von Konsolidierungsmaßnahmen eingespart werden; denn die Streichung der vermeintlich freiwilligen Leistungen produziert erhebliche negative Folgewirkungen, auch finanzieller Natur.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zweifelsohne haben Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eine erhebliche Last bei der Bewältigung der Pandemie zu tragen. Das ist eine Form der Solidarität unter den Generationen. Im Umkehrschluss darf man aber auch erwarten, dass Solidarität auch von jenen geübt wird, deren gesundheitlicher Schutz das Ziel der Kontaktbeschränkungen war. In diesem Sinne werbe ich noch einmal ausdrücklich für die Nutzung der vorhandenen Impfangebote. Für meine Fraktion darf ich an dieser Stelle fest zusichern, dass wir die Interessen derjenigen, die die Zukunft unseres Landes nicht nur sprichwörtlich in den jungen Händen halten, bei allen weiteren Entscheidungen berücksichtigen werden. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Ich danke Ihnen. - Gibt es eine Nachfrage?


Christian Albrecht (CDU):

Nein, eine Kurzintervention, ein kleiner Nachtrag zu den Intensivbetten in Sachsen-Anhalt. Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt: 2019 waren es 874 und 2020  858. Das sind die richtigen Zahlen.