Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder vierte Studierende in Deutschland leidet unter starkem Stress. Auch Angststörungen und depressive Symptome sind leider keine Seltenheit unter Studierenden, sondern betreffen bis zu 20 %.

Die Lernenden an unseren Hochschulen und Universitäten sind also häufig in ihrer seelischen Gesundheit beeinträchtigt oder leiden sogar unter psychischen Erkrankungen. Um Verwirrung vorzubeugen und um es gleich klarzustellen, dieser Befund stammt aus der Vor-Corona-Zeit, genau genommen aus einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung der FU Berlin und der Techniker-Krankenkasse aus dem Jahr 2018.

Auch bei der Situation der Studentinnen und Studenten im Land gilt, Corona verschärft bestehende Problemlagen und rückt kritische Strukturen ins grelle Licht der öffentlichen Wahrnehmung. Unter Corona spitzen sich problematische Verhältnisse oftmals zu und beschleunigen sich krisenhaften Entwicklungen.

(Zuruf: Oh!)

In der im Antrag zur Aktuellen Debatte zitierten Forsa-Umfrage vom Dezember des letzten Jahres wird von einem Anteil von etwa 40 % der Studierenden mit depressiven Symptomen berichtet. Legt man beide Umfragen nebeneinander, ergibt es eine Steigerung um etwa 45 %. Auch wenn die Zahlen derart eindeutig erscheinen, gerade im Falle der Studierenden hat es sehr lange gedauert, bis auch sie als Gruppe mit besonderen Coronabelastungen in den Fokus rückten.

Ja, es gab eine Verlängerung der Regelstudienzeit und, ja, bereits im Sommer des vorigen Jahres lagen Umfragen zur seelischen Belastung Studierender vor mit bereits damals alarmierenden Zahlen. Ansonsten kamen diese jungen Menschen in der Debatte aber kaum vor.

Wahrscheinlich ist es landläufig auch einfach ungewöhnlich, junge Erwachsene eben auch als mögliche vulnerable Gruppe zu betrachten, ganz generell und gerade im Zusammenhang mit der Pandemie. An dieser Stelle nehme ich uns GRÜNE gar nicht aus. Auch wir haben es zu lange versäumt, Studieren in der Pandemie als eigenes Thema aufzugreifen. Daher ist es richtig und wichtig, diese Gruppe speziell in den Blick zu nehmen und hier und heute als Politik in Sachsen-Anhalt auch klar zu vermitteln, wir sehen euch und eure aktuellen Probleme.

Natürlich ist es gerade für Studienanfängerinnen und Studienanfänger schwierig, ihre ersten Semester ausschließlich digital zu erleben. Der Einstieg in das Unileben kann kaum gut gelingen, wenn man die Kommilitonen nicht wirklich kennenlernen kann und wenn der Studienort gar nicht erkundet werden kann.

Studierende wohnen oftmals auch - das wurde vorhin auch schon benannt - in eher engen Verhältnissen. Darum haben Lockdown und Abstandsregelungen einen viel stärkeren Einfluss auch auf das Alltagsleben. Auch der Wegfall vieler Arbeitsmöglichkeiten wurde schon benannt in den klassischen Bereichen von Studierendenjobs wie in der Gastronomie. Das kann, für uns alle nachvollziehbar, für große Sorgen, für erheblichen psychischen Stress, für schlaflose Nächte und sicherlich auch für konkrete Auswirkungen wie dem Rückzug ins Elternhaus sorgen.

Einigen Studierenden mag helfen, dass wir GRÜNE bei den Verhandlungen über das Hochschulgesetz in der vergangenen Legislatur die Abschaffung der Langzeitstudiengebühren durchsetzen konnten. Dadurch wird der finanzielle Druck genommen, das Studium unbedingt innerhalb der Regelstudienzeit bewältigen zu müssen. Das Scheitern an der Regelstudienzeit war zuvor mit hohen Kosten verbunden. Die Abschaffung dieser Gebühren war und ist eine große Erleichterung für Studierende, die aus verschiedenen Gründen nicht dazu in Lage waren oder sind, ihr Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen. Die Coronazeit wird die Zahl dieser Studierenden sicherlich erhöhen.

Es ist wichtig und gut, dass die Studierendenwerke an den Standorten der universitären Lehre im Land ein flächendeckendes Angebot an psychosozialer Beratung vorhalten. Es gibt somit Angebote, um Studierenden bei der Bewältigung des Studienalltags und auch bei höherer seelischer Belastung zu helfen. Auch bei finanziellen Schwierigkeiten bieten die Studierendenwerke Hilfsangebote in Form von Beratung und Studienkrediten. Es gibt ehrenamtliche Angebote von Psychologiestudierenden, um anderen Studierenden bei mentalen Belastungen zu helfen. Als Beispiel kann man die Initiative „Hängematte - Auffangen und Anstoßen“ an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg nennen.

Dass diese Angebote auch bei der durch Corona gestiegenen Belastung eher nicht ausreichend sind, liegt jetzt auf der Hand. Wir werden aber auch in Zukunft genau hinsehen müssen. Sinnvoll ergänzen sollten wir sie z. B. mit Hochschulprojekten zum studentischen Gesundheitsmanagement und mit gezielten Angeboten zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und der Resilienz.

Aber auch professionelle psychotherapeutische Angebote müssen nicht nur für die Studierenden in Sachsen-Anhalt ausgebaut werden. Ich bin froh darüber, dass die Ampelkoalition im Bund - auch das ist schon genannt worden - dieses Problem erkannt hat und dass ein Ausbau der Therapieplätze in Deutschland Teil des Koalitionsvertrages ist.

Ich hoffe sehr darauf, dass Ihre aktuelle Debatte, verehrte FDP, nicht nur ein Strohfeuer ist und dass Sie das Thema der psychischen Gesundheit und etwa die dafür notwendigen Beratungsangebote auch bei den Haushaltsberatungen präsent haben.

Wir GRÜNE werden sehr darauf achten, dass sich die steigenden Bedarfe eben auch in einer verlässlichen und aufgestockten Förderung entsprechender Beratungsangebote niederschlagen,

(Zustimmung)

auch um die neuen Formen digitaler Beratung technisch umsetzen zu können.

Es ist doppelt gut, dass wir GRÜNE darauf gedrängt haben, die Langzeitstudiengebühren abzuschaffen. Sie wären in der aktuellen Lage sicherlich ein weiterer destruktiver Stressfaktor.

Ich hoffe sehr, dass solche Umfragen zur seelischen Gesundheit weiter dafür sorgen, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren; denn noch schlimmer als eine Depression oder als depressive Symptome ist eine Depression, über die man aus Angst vor Stigma gar nicht sprechen kann und die man für sich behält.

Man darf das Gesamtbild aber auch nicht zu düster malen. Gegenüber der Forsa gaben auch etwa 20 % der Befragten an, digitale Lehrveranstaltungen wären für sie gut geeignet. Also immerhin jede fünfte Studierende oder jeder fünfte Studierende favorisiert anscheinend diese Variante der digitalen Lehre. Es gilt, diese neuen Angebote auch in der Zukunft zu nutzen; denn digitale Studienangebote können gerade in einem Flächenland wertvolle Funktionen erfüllen, weil dann für die Aufnahme eines Studiums z. B. nicht zwangsläufig ein Wohnortwechsel notwendig ist oder für die Vereinbarkeit von Familie und Studium.

Zum Ende hin möchte ich es aber nicht versäumen, die eigentliche Ironie dieser Aktuellen Debatte anzusprechen. Die psychischen Belastungen der Studierenden bereits vor Corona werden von Dr. Dr. Burkhard Gusy, einem der beiden Studienleiter der erwähnten Umfrage von 2018 von der Freien Universität Berlin, in Verbindung gebracht mit Leistungsdruck, Prüfungsangst und etwa auch der Belastung durch hohe BAföG-Schulden.

Welche politischen Kräfte stehen denn für die Preisung des Leistungsprinzips, für das Trimmen der Gesellschaft auf Effizienz, Nützlichkeit und Wettbewerb?

(Zuruf: Oh!)

Welche politische Kraft hebt denn das Prinzip der Konkurrenz über alles? Welche politische Kraft verwechselt denn gerade in Zeiten der Pandemie oftmals reinen Egoismus mit Freiheit

(Zustimmung)

und preist einen anorektischen Staat mit schwindenden Einnahmen als Befreiung des Unternehmergeistes?

(Zustimmung)

Welche politische Kraft geht nicht vom Bürger aus, sondern vom Homo oeconomicus und streicht gern Sozialleistungen und verbrämt es dann als Eigenverantwortung? - Richtig: die neoliberale Denkschule. Wer ist der gelehrigste Schüler? - Auch richtig: die FDP. Also hätte Ihre Überschrift vielleicht besser lauten sollen: Die Geister, die ich rief, die werde ich nun nicht wieder los

(Zuruf: Oh!)

oder ich sehe sie erstmals.

(Zuruf: Das ist komplett unangebracht!)

So wichtig    

(Zuruf)

- Ich war da nicht dabei.

(Zurufe)

So wichtig also die konkreten Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit der Studierenden sind, so wichtig ist auch die grundsätzliche Feststellung, ein rein auf abrechenbare Bildungszertifikate ausgerichtetes akademisches Bildungssystem, bei dem vom ersten Tag an benotete Leistungsnachweise gefordert sind und somit vom ersten Tag an das Damoklesschwert der Abschlussprüfungen und der Sollbruchstelle Masterstudium

(Zuruf: Oh!)

über den Köpfen der Studierenden hängt, befördert eben Stress und Druck und kann der seelischen Gesundheit schaden. - Vielen Dank.

(Zustimmung - Zurufe: Das sieht man an Ihrer Partei! - Mein Gott! - Weitere Zurufe)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Okay. Danke. - Es war jetzt nicht ganz ersichtlich, dass es zu Ende ist. Ich freue mich darüber, dass die Debatte so friedlich und konstruktiv gelaufen ist. Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes.