Sebastian Striegel (GRÜNE):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den Vorrednerinnen und Vorrednern ausdrücklich dafür dankbar, dass sie viele Aspekte hier bereits behandelt haben. Ich kann mich deshalb ein Stück weit auf unseren Alternativantrag konzentrieren und muss auf manches, was von Befürwortern wie Herrn Büttner hier vorgetragen worden ist - auch die schlimmen relativierenden Shoa-Vergleiche  , nicht weiter eingehen. Dazu hat Herr Krull das Notwendige gesagt und ich bin ihm ausdrücklich dankbar dafür.

(Zustimmung)

Seit zwei Jahren bestimmt die Pandemie unseren Alltag. Die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung stellen für uns alle - ich glaube, das gilt durch die Bank weg - eine schmerzliche Beeinträchtigung des Lebens und unser aller Freiheit dar. Das solche weitgehenden, praktisch die gesamte Bevölkerung betreffenden Grundrechtseingriffe Widerspruch und auch Protest erzeugen, das ist, glaube ich, auch so etwas wie eine demokratische Selbstverständlichkeit. Denn klar ist: Pandemie nervt, Pandemie frustriert, macht Sorge, macht Angst - all diese Emotionen, berechtigter oder sogar unberechtigter Ärger brauchen Platz. Meinungs- und Versammlungsfreiheit - das hat auch die Innenministerin noch einmal sehr deutlich gesagt - sind auch in Zeiten der Pandemie Wesenselemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Sachsen-Anhalt nicht an das Versammlungsrecht im eigentlichen Sinne herangegangen sind, sondern diesbezüglich vor allem Hygieneauflagen gemacht und Versammlungen nicht per se untersagt haben; jedenfalls über einen kurzen Zeitraum hinaus; denn es gab am Anfang einen kurzen entsprechenden Moment. Es war richtig, das sehr schnell zu korrigieren.

Das Problem ist nicht, dass protestiert wird, sondern das Problem ist, wie protestiert wird. An den aktuellen Protesten beteiligt sich eben nicht ein Spiegelbild der Gesellschaft,

(Zuruf)

sondern ein sehr heterogenes Publikum. Das ist nicht einmütig, aber das ist kein Spiegelbild der Gesellschaft. Die allermeisten in Sachsen-Anhalt beteiligen sich an diesen Protesten nicht. Ich werde später darauf zurückkommen.

Aber wer sich die Demonstrationen anschaut - ich persönlich habe das an einer Vielzahl von Orten getan -, für den ist augenfällig, dass die Aufzüge teils von gewaltbereiten Rechtsextremen gelenkt,

(Zurufe)

dominiert und zur Eskalation getrieben werden.

(Zurufe)

- Sie reden doch immer von Videos. Schauen Sie es sich doch einfach an. Das ist doch kein Problem. Schauen Sie es sich an.

(Zurufe)

- Zum Beispiel in Magdeburg, dort, wo Sie sich herumtreiben, Herr Büttner.

(Zurufe)

Wenn die Teilnehmenden ihre demokratischen Rechte in Anspruch nehmen, können sie nicht gleichzeitig hinter Verschwörungsideologen herlaufen, sich mit Nazis gemeinmachen oder von gewaltbereiten Personen den Weg freiboxen lassen. Hier brauchte es Haltung und Distanzierung. Auch hier gilt: Abstand halten dient der Hygiene.

(Zustimmung)

Selbstverständlich gelten auch für alle Teilnehmenden an den Protesten die Regelungen des Versammlungsrechts und die Vorschriften zur Eindämmung der Pandemie. Einen Aufzug als Spaziergang zu betiteln ändert eben nichts daran, dass es sich um eine Demonstration handelt. Diese Strategie der Selbstverharmlosung - der rechtsextreme Inspirator Götz Kubitschek lässt grüßen - wird nicht erfolgreich sein.

Wer dem Staat auf der Nase herumzutanzen versucht und die demokratische Ordnung ablehnt, der kann sich eben nicht darauf berufen, demokratischen Protest zu üben. An die Landesregierung geht deshalb der dringende Appell, das geltende Recht auch konsequent und gegenüber allen Versammlungen gleichmäßig durchzusetzen - natürlich unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit. Aber Zustände, wie in Magdeburg in den vergangenen Wochen, können so nicht einfach hingenommen werden.

Mir ist wichtig, eines dabei zu betonen: Dort, wo demokratischer Diskurs möglich ist, müssen wir uns auch darum bemühen. Ja, wir brauchen Austausch, und zwar Austausch auf der Basis von Fakten, Austausch auf der Grundlage gegenseitigen Respekts, Austausch nicht mit denjenigen, die laut schreien, sondern vor allem mit denjenigen, die seit 24 Monaten Pandemie ihren Beitrag als schweigende Mehrheit zur Pandemiebekämpfung leisten, und zwar landauf, landab, und die nicht die Chance haben, landauf, landab Versammlungen zu organisieren. Wir brauchen Austausch mit Familien, mit Studierenden, mit den Vätern und Müttern von Schattenkindern, mit denen, die als pflegende Angehörige seit Monaten am Rande ihrer Kraft unterwegs sind.

Für diesen Dialog Raum zu schaffen, das wäre eine Aufgabe, anstatt eine weitere Bühne für Verschwörungsideologen zu geben.

(Zustimmung)

Ich empfinde es daher als ein ermutigendes Signal, dass mittlerweile in einigen Städten und Gemeinden Formate und Möglichkeiten des Austausches auf der Grundlage demokratischer Werte geschaffen werden. Hier kommen Menschen zusammen, um über solidarische Wege aus der Pandemie zu sprechen und der Opfer der Pandemie zu gedenken.

Meine Damen und Herren! Das Bemühen um Diskurs ist zentral in einer Demokratie. Aber es gibt auch einen Punkt, an dem man sagen muss: bis hierhin und nicht weiter. Wer diese Grenze überschreitet, der stellt sich außerhalb des demokratischen Diskurses. Die Reaktion an dieser Stelle muss sein: entschlossener Widerspruch und zivilgesellschaftlicher Widerstand.

Ich bin daher froh, dass auch die engagierte demokratische Zivilgesellschaft Sachsen-Anhalts in den letzten Wochen Gesicht gezeigt und sich Rechtsextremen und Verschwörungsmythologen entgegengestellt hat. Diesen Menschen gilt meine persönliche und, das hoffe ich, unser aller Solidarität; denn sie repräsentieren die demokratische Mehrheit unserer Gesellschaft, und nicht die laute radikale Minderheit, die aktuell unsere Straßen unsicher macht.

(Zurufe)

- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)