Michael Scheffler (CDU):

Danke. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das europäische Stromverbundnetz ist eine der größten technischen Anlagen der Welt. Von Höchstspannungsleitungen über Hochspannungs-, Mittelspannungs- bis zu Niederspannungsnetzen sind letztlich alle Stromkunden und Stromerzeuger miteinander verbunden. Noch bis in die 1990er-Jahre war es relativ einfach. Der Strom wurde zentral in den hohen Spannungsebenen erzeugt und zum Verbraucher verteilt. Heute wird Strom in allen Ebenen, von der Niederspannung bis zur Höchstspannung, produziert. Auch die Kunden sind in allen Ebenen angeschlossen. Neue Verbraucher etwa zur Nutzung der Elektromobilität, Wärmepumpen und hochsensible Roboteranlagen hängen im Stromnetz.

Aber auch die Erzeugungsseite ist komplett anders aufgestellt. Große Fotovoltaikparks, große Windparks, aber auch kleine PV-Anlagen erzeugen Strom genauso wie Kohle- oder Atomkraftwerke. In diesem Stromnetz schwingt die Spannung in Europa in einer Frequenz von 50 Hertz. Gibt es mehr produzierten Strom, als verbraucht werden kann - oder umgekehrt -, führt dies zu einer Abweichung der Frequenz. Das hat Abschaltungen, Stromausfälle, Netzzusammenbrüche und letztlich einen Blackout zur Folge. Um dies zu verhindern   vor allem um zu viel Strom im Netz zu vermeiden  , haben die Versorger ein Netzsicherheitsmanagement in den von ihnen zu verantwortenden Netzen installiert. Das heißt, die Netzbetreiber greifen ein und schalten Erzeugung gezielt ab.

Wie Mitnetz Strom, zuständig im Süden von Sachsen-Anhalt, mitteilt, gab es im Jahr 2020 in ihrem Netz 308 solcher Eingriffe. Die meisten davon, nämlich 174, in Sachsen-Anhalt. Der Rest verteilt sich auf Brandenburg und Sachsen. Die Zahlen im Jahr 2021 werden ähnlich sein. Das Unternehmen musste die Erzeugung aus regenerativer Energie drosseln, um einen Netzausfall zu vermeiden. An 93 Tagen im Jahr konnten die Erzeugungsanlagen aus Gründen der Netzsicherheit gar nicht einspeisen.

Diese Zahlen zeigen, dass ein ungezügelter Zubau durch EEG-Strom nicht effektiv ist. Die Diskussion der Berliner „Klima-Regierung“ um mehr Windräder geht zumindest in Sachsen-Anhalt an der Realität vorbei.

(Zustimmung)

Das Problem wird nicht gelöst, sondern verschärft. Wir benötigen aus diesem Grund einen schnelleren Netzausbau als regenerativen Erzeugungszubau bzw. eine schnelle Nachholung im Netzausbau, um bereits vorhandene Mehrmengen aufnehmen zu können.

(Zustimmung)

Sehr geehrte Abgeordnete! Ich war viele Jahre bei enviaM Mitnetz beschäftigt. Ich weiß noch genau, wie ich im März 2015 mit meinen damaligen Kollegen der Netzplanung in den Kommunen die Pläne für eine seinerzeit schon dringend notwendige neue 110-kV-Leitung von Kloster Mansfeld nach Aschersleben vorstellte. Das ist jetzt sieben Jahre her. Wie mir meine ehemaligen Kollegen mitteilten, ist mittlerweile das Raumordnungsverfahren abgeschlossen und das Planfeststellungsverfahren eröffnet. Es wurde eine notwendige Überplanung der Gesamtmaßnahme abgeschlossen. Im ersten Quartal 2022 soll die überarbeitete Variante den Kommunen, den betroffenen Eigentümern und den großen Bewirtschaftern vorgestellt werden.

Ich war bei den ersten Gesprächen in den Städten und Gemeinden, z. B. in der Einheitsgemeinde Stadt Gerbstedt und den dort betroffenen Ortschaften, dabei. Zwischen dem Termin damals und heute liegen eine Kommunalwahl und in Gerbstedt zwei Bürgermeisterwechsel. Mitnetz gibt an, dass die Zusammenarbeit mit dem Landesverwaltungsamt sehr gut läuft und zügig vorankommt. „Sehr gut und zügig“ heißt in der Praxis: sieben Jahre. Dort wird immer noch nicht richtig gebaut. Dieses Beispiel zeigt, dass wir an dieser Stelle keinen schnelleren Zubau von Wind benötigen, sondern im Stromnetzausbau eine Beschleunigung des Planungs- und Genehmigungsverfahrens.

(Beifall)

Unsere Deutschlandkoalition hat sich deshalb im Koalitionsvertrag diesem Ziel verpflichtet.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Genauso ist es!)

Neben dem schnelleren Netzausbau könnte man überschüssigen Strom, z. B. den aus den vorhin genannten 93 Tagen, speichern. Auch dies hat die Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart. Im Kapitel „Energiespeicher - Erfolgsgarant für eine funktionierende Energiewende“ sprechen wir uns klar und eindeutig für die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich Speichertechnologie aus.

Wir, die CDU-Fraktion, unterstützen genauso stark das Thema Wasserstoff. Wir werden die bestehende Wasserstoffstrategie des Landes Sachsen-Anhalt umsetzen, vorhandene regionale Wasserstoffprojekte wie in Leuna, im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen oder in Staßfurt unterstützen und weiterentwickeln.

(Zustimmung)

Sie sehen: Der Koalition und der CDU-Fraktion sind die Themen Netzstabilität und Energiespeicherung sehr wichtig. Sie nehmen deshalb breiten Raum im Koalitionsvertrag ein.

Zum wichtigen Industriestandort Sachsen-Anhalt zählen auch annehmbare Strompreise. An dieser Stelle ist eine Entlastung dringend und auch kurzfristig nötig. Deshalb fordert die CDU-Fraktion eine kurzfristige und zeitweise Reduzierung der staatlichen Abgaben wie Steuern und Umlagen auf Strom, Gas und Öl. Wir unterstützen ausdrücklich eine entsprechende Initiative des Wirtschaftsministers Sven Schulze beim Bundeskanzler.

Langfristig sind die hohen Netznutzungsentgelte, gerade in Sachsen-Anhalt, ein Standortnachteil. Die populäre Forderung, die Kosten für den Netzausbau, für regenerative Energien deutschlandweit gleichmäßig zu verteilen, kann allerdings schnell zum Nachteil für unser Land werden. Die Netzbetreiber bei uns   und auch in anderen nord- und ostdeutschen Ländern   sind bereits viel weiter im Ausbau als in Süddeutschland. Die dabei entstandenen Kosten haben bisher die Kunden hierzulande allein tragen müssen.

(Zuruf: So ist es!)

Das heißt, dies müsste angemessen berücksichtigt und gewürdigt werden.

Eine einfache Umstellung des Systems würde dazu führen, dass unsere Bürger und Unternehmen   welche bisher allein die Kosten für den Ausbau hierzulande gestemmt haben   in Zukunft am notwendigen Ausbau, vor allem im Süden, mitzahlen müssen. Unsere Region würde doppelt belastet werden. Dies geht so nicht. Deshalb können wir zum jetzigen Zeitpunkt einer deutschlandweiten Angleichung der Netzentgelte nicht zustimmen. Dies bedarf einer längeren Diskussion und einer genauen Abwägung.

Zum Schluss noch zum Thema Blackout: Sie können die in den letzten Jahren bekanntesten und größten Stromausfälle googlen. In diesem Zusammenhang nenne ich drei sehr bekannte Beispiele: Am 8. Januar 2021 um 13:04 Uhr   dieses Beispiel wurde vorhin schon genannt   fand ein starker Frequenzabfall in Österreich statt. Der Grund dafür war ein Kraftwerkausfall in Rumänien. Der Vorgang gilt als jüngster Fast-Blackout in Europa.

Am 13. April 2021 waren mehr als 300 000 Einwohner in Dresden ohne Strom. Der Grund dafür war ein Jahrmarktluftballon, der im Umspannwerk landete. Das war der größte Stromausfall im letzten Jahr in Deutschland.

Am 4. November 2006 um 22:10 Uhr waren Westdeutschland, Frankreich, Belgien, Italien und Landteile bis Spanien mehrere Stunden ohne Strom. Das ist der bisher größte Stromausfall in Europa. Viele Menschen sprechen von einem echten Blackout. Der Grund dafür war eine geänderte planmäßige Abschaltung einer Höchstspannungsleitung über dem Ems Kanal aufgrund einer Überführung eines Kreuzfahrtschiffs aus der Meyer Werft.

Diese Aufzählung könnte man durch weniger bekannte Stromausfälle, Blackouts und Fast-Blackouts fortsetzen. Dabei sehen wir: Das Risiko eines Blackouts ist immer vorhanden. Die tatsächlichen Ursachen für die Großstörungen lagen jedoch nie beim eingespeisten regenerativen Strom.

(Zuruf: Genau!)

Das heißt, die Formel „Viel EEG-Strom gleich große Gefahr eines Blackouts“ ist nicht zutreffend. Zutreffend ist jedoch, dass das Stromnetz mit zunehmender regenerativer Einspeisung anspruchsvoller geworden ist. Wenn wir das Stromnetz nicht zügiger ausbauen und nicht durch Speicher stabilisieren, können wir uns keine zusätzliche regenerative Erzeugung leisten.

Der CDU-Fraktion ist die Netzstabilität wichtig. Die CDU bekennt sich zum Industriestandort Sachsen-Anhalt. Deshalb benötigen wir einen Netz-, Speicher- und Wasserstoffausbau. - Vielen Dank.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Scheffler. - Herr Scharfenort hat sich für eine Kurzintervention gemeldet. - Eine Kurzintervention ist immer möglich. Sie können hier vorn stehen bleiben, Herr Scheffler; Sie können sich aber auch wieder hinsetzen, wenn Sie möchten.


Jan Scharfenort (AfD):

Herr Scheffler, vielen Dank für Ihren sachlichen, fachlichen und ruhigen Vortrag, dem ich in großen Teilen auch zustimme. Sie haben auch die richtigen Probleme angesprochen, nämlich den Netzausbau, bei dem wir überhaupt nicht weiterkommen. Etwas, das noch nicht geklärt ist   dazu muss noch geforscht werden - und für das es noch keine praktikablen Lösungen gibt, ist das gesamte Thema der Speicherfähigkeit.

Meinen Sie daher nicht wie auch ich, dass ein verantwortungsvoller Politiker erst einmal etwas sicher haben sollte, sprich sichere Netze, sprich Stromspeicherfähigkeit, und erst dann planmäßig aussteigen sollte? Wir machen es genau umgekehrt: Wir setzen uns Ziele, steigen brutal aus, die Lösungen sind aber noch nicht da, und wir hoffen darauf, dass es die Ingenieure schon irgendwie richten werden. Ich denke, das wird diesmal schiefgehen.


Michael Scheffler (CDU):

Ich habe es gesagt und Sie wissen das auch,  Sie haben sich ja auch belesen: Wir sind im Bereich der Speicherfähigkeit aktiv bzw. forschen dazu, bauen auf und errichten große Speicher, auch in der Wasserstofftechnologie. Also das läuft parallel. Ansonsten stimmt das.