Andreas Silbersack (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Versorgungssicherheit, Stromnetzstabilität ist ein Thema, das uns umtreibt, gerade weil wir uns in einem Transformationszeitraum befinden. Wir sind im Strukturwandel - alles Themen, die wir schon in den letzten Landtagsdebatten hatten; denn die Frage des Kohleausstiegs ist ein Thema, das uns eigentlich in jeder Debatte umtreibt.

Wir haben das Problem der Versorgungssicherheit zu lösen. Wir haben die Frage zu klären, wie wir das tun. Es besteht Einigkeit darüber, dass das Thema Gas in den nächsten Jahren und dem nächsten Jahrzehnt als Brückentechnologie von wesentlicher Bedeutung sein wird. Das ist ein Fakt. Dem sollte man sich nicht verschließen. Es bringt auch nichts, wenn wir Gespenster an die Wand malen, die im Augenblick nicht existent sind. Aber wir müssen die Zukunft mit Bedacht betrachten und schauen, welche Möglichkeiten es gibt.

Wir hatten in der letzten Debatte die Diskussion darüber, wie es mit der Kohle aussieht. Die AfD hatte keinen Antrag dazu oder sieht nicht in ihrem Programm vor, dass man neue Tagebaue eröffnet. Insofern ist die Zukunft der Kohle tatsächlich endlich. Darüber sollte eigentlich Einigkeit hier im Saal bestehen.

Meine Damen und Herren! Die Fakten, was das Thema Versorgungssicherheit angeht, lassen sich an Zahlen orientieren. Am 28. September veröffentlichte der Verband für Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik VDE eine Pressemitteilung mit dem Titel „Stromversorgung in Deutschland so gut wie noch nie“. Die vom VDE erhobene Störungsverfügbarkeitsstatistik habe demnach für das Jahr 2020 belegt, dass die durchschnittliche Stromunterbrechungsdauer pro Kunde mit 10,2 Minuten auf einem Rekordtief lag. Im Jahr 2019 betrug dieser Wert zwölf Minuten. Im Vergleich mit Daten anderer Industriestaaten lag Deutschland nach Südkorea auf Platz 2 mit einigem Abstand zu den folgenden Niederlanden und Österreich. Drei von vier Stromkunden hätten überhaupt keine Unterbrechung zu verzeichnen gehabt. So kann man Entwarnung für die Industrie und die Gewerbebranche geben, da sich die Zahl der Spannungseinbrüche insgesamt auf gleichbleibendem Niveau befindet.

Des Weiteren sichern die Netzbetreiber zusätzlich mit großem Aufwand die hohe Versorgungszuverlässigkeit. Auch bei fortschreitendem Umbau des Energiesystems und zunehmendem Betrieb bis an die technischen Grenzen sei daher die Stromversorgung in Deutschland sehr zuverlässig. - Das ist der Fakt der Aktualität, meine Damen und Herren.

Über diese zusätzlichen Erkenntnisse hätten wir auch nach der Veröffentlichung der begleitenden Netzanalyse debattieren können, die die Bundesnetzagentur auf der Grundlage des Monitorings Ende März erstellen und veröffentlichen wird, meine Damen und Herren. Offensichtlich wollte die AfD auf diese Faktenanalyse nicht warten, sondern heute schon dieses Thema diskutieren. Das Problem liegt klar auf der Hand. Wir brauchen auch in Zukunft Energie und wir brauchen mehr Energie. Das ist überhaupt keine Frage. Deshalb befinden wir uns in einem Transformationswandel und -wechsel, den wir angehen. Deshalb ist es wichtig, faktenbasiert zu arbeiten und sich an den Realitäten zu orientieren.

Wir wissen, dass wir Energie brauchen. Wir wissen auch, dass wir Importeur sind. Wir nehmen mit Beginn des nächsten Jahres die letzten verbleibenden Atomkraftwerke vom Netz. Gleichzeitig steigen wir aus der Kohleverstromung aus. Durch die ständig steigende Elektrifizierung von Fahrzeugen, Anlagen und Maschinen oder zur Gewinnung von Wasserstoff wird sich der Bedarf nach Energie innerhalb weniger Jahre stark erhöhen.

Laut des Instituts Prognos wird der Energiebedarf bis 2030 um ca. 20 % steigen. Allein die Chemieindustrie, die ihre CO2-Bilanz seit 1990 bereits um die Hälfte reduziert und aktuell einen Bedarf von 54 TWh bis 2030 angegeben hat, geht davon aus, dass sich dieser Bedarf bis 2050 auf 262 TWh, also knapp das Fünffache, entwickelt.

Ein wichtiger Baustein ist daher die Einführung von Energiestandards für alle elektrischen Geräte und Informationen zu den jeweiligen Energieverbräuchen, damit den Bürgern ermöglicht wird, selbstständig und aktiv den eigenen Verbrauch und die Kosten zu reduzieren. Auf Unternehmensseite können bspw. effizientere Elektromotoren und Druckluftsysteme ebenfalls einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Gesamtheit des Stromverbrauchs zu verringern.

Laut Umweltbundesamt werden aktuell knapp 70 % des Energieaufkommens durch Import diverser Energieträger aus dem Ausland gedeckt. Als Freier Demokrat bin ich Fortschrittsoptimist, aber auch mir fehlt die Phantasie, wie der Industriestandort Deutschland ohne substanzielle Importe bestehen kann. Doch was wären Schritte, die wir unternehmen könnten?

Ein Thema - und das wird viel diskutiert - ist das Thema Windkraftanlagen. Wir wissen, dass wir in dem Bereich sehr weit vorn sind, und wir müssen schauen, dass wir unsere Kulturlandschaft dabei nicht in Mitleidenschaft ziehen. Aber wir müssen uns diesem Thema stellen. Windenergie ist ein Thema. Wenn Sie die Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Industrie fragen, dann werden Sie hören, dass diese neuen Energien auch genutzt werden, aber mit Maß und Mitte. Wir müssen nicht so tun, als seien nur wir diejenigen, die dort die Zukunft beschreiten. Wir sollten hier einen Gleichschritt mit Augenmaß anwenden, meine Damen und Herren.

Aber ohne die Menschen vor Ort geht das Ganze mit der Windenergie nicht voran. Wir müssen die Menschen vor Ort mitnehmen, egal, ob das kleine Dörfer oder große Ortschaften sind. Sie müssen die Menschen bei dieser Frage der Windenergie mitnehmen. Sie müssen klarere Regeln zur Planung von Windenergieanlagen bringen, und Sie müssen auch etwaige Wertverlustdiskussionen führen, die Landwirte und Eigentümer haben, die sich mit dem Thema der Windenergie auseinandersetzen. Aber wir kommen nicht umhin, dieses Thema positiv nach vorn zu treiben. Das steht fest und ohne das wird es nicht funktionieren.

Ich denke, Sachsen-Anhalt tut gut daran, die Dinge positiv und nicht negativ zu besetzen. So richtig schnell werden wir das Problem mit der Energie nicht lösen. Wir können mehr Solarparks und Fotovoltaikanlagen errichten. Hierbei sind die Anforderungen recht ähnlich wie bei Windkraftanlagen. Aber auch hier sind die Planungszeiträume schwer zu kalkulieren und hierbei ist das Thema der Entbürokratisierung von wesentlicher Bedeutung.

Eine weitere Möglichkeit ist das Thema der Geothermie. Im Gegensatz zur Windkraft und Fotovoltaik steht die Geothermie für eine verlässliche und regelbare Energiequelle, jedoch sind auch hierbei Planungsverfahren sehr langwierig. Zudem gilt es, Bereiche des Bergrechts, des Wasserrechts und des Umweltrechts zu beachten und ggf. Anpassungen vorzunehmen. Daher wird auch diese Variante keine schnell erwünschten Lösungen bringen. Doch stellt sich die Frage, was wir langfristig im Zuge der Versorgungssicherheit tun können.

Wir benötigen ein strategisches Zusammenspiel, um die genannten Möglichkeiten bestmöglich auszunutzen. Für eine klimaneutrale Zukunft reicht es nicht aus, uns auf eine der genannten Energieformen zu verlassen. Wir brauchen den Mix. Wir brauchen Gas als Brückentechnologie. Wir müssen aber auch klar sagen, es gibt nicht nur grünen Wasserstoff. Wenn Sie in die Industrie blicken, dann stellen Sie fest: Im Augenblick gibt es dort im Wesentlichen oder ausschließlich grauen Wasserstoff. Das ist eben auch ein Fakt.

Das letzte Jahr hat uns gezeigt, was passiert, wenn kein Wind weht und die Sonne ein Jahr lang nicht mitspielt. Diese Unsicherheiten können wir uns auf Dauer nicht leisten. Daher bedarf es eines engmaschigen Geflechts aus vielen miteinander kombinierten Systemen, die sich bei Bedarf gegenseitig ersetzen können.

Aber wir müssen weiterhin auch die Technologieoffenheit leben und Anreize für Schlüsseltechnologien von morgen setzen. So können wir die Möglichkeiten der mit Algen betriebenen Fotobioreaktoren nutzen und so die Energie der Zukunft aus schnell nachwachsenden und reproduzierbaren Stoffen gewinnen.

Es gibt in unserem Land noch unzählige weitere clevere Ideen. Daher laden wir die kreativen Pioniere ein, mutig zu sein und neue Wege zu gehen. Geben wir den Unternehmen, den Erfinderinnen und Erfindern in Sachsen-Anhalt den Raum, den sie benötigen, um gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Silbersack. - Herr Scharfenort hat sich zu einer Intervention gemeldet. Danach hat Frau Frederking eine Frage. - Herr Scharfenort, bitte.


Jan Scharfenort (AfD):

Dazu, dass die Schwankungen nicht zunehmen, möchte ich mehrere Quellen nennen. Sie können es selbst überprüfen, falls Sie noch einen alten Wecker haben, der nicht quarzgesteuert ist. Vielleicht kennen Sie das noch aus den 80er- oder Anfang der 90er-Jahre. Sie werden feststellen, dass die Uhren, diese Digitalwecker, heutzutage sehr ungenau gehen. Das ist eine direkte Folge der Schwankungen in unserem Netz.

Sie können sich im Internet, in Echtzeit, die aktuelle Frequenz unseres Stromnetzes anschauen. Sie werden dabei merken, dass wir eher eine Unterspannung haben, die dazu führt. Die Schwankungen liegen nicht mehr um den Mittelwert von 50 Hz.

Ich empfehle Ihnen dringend, sprechen Sie einmal mit den Vertretern der Stadtwerke in Ihrem Wahlkreis. Sprechen Sie unter vier Augen ganz ehrlich darüber, wie sie die Probleme sehen. Wie soll denn bspw. vor Ort die Elektromobilität bewerkstelligt werden? Die Leitungsnetze sind dafür überhaupt nicht ausgelegt.

Ich nenne Ihnen einmal eine Quelle aus der kommunalen Wirtschaft. Bereits im letzten Jahr gab es in der „Zeitung für kommunale Wirtschaft“ einen schönen Artikel darüber, dass die Schwankungen eben doch zunehmen. Die Quelle ist hierfür die Industrieallianz für regionale Energiesicherheit, die IARES - Vielen Dank.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, möchten Sie gleich darauf reagieren?


Andreas Silbersack (FDP):

Ja. - Das mit den Quarzweckern kann ich im Augenblick nicht beantworten. Das, was ich sagen kann, ist: Wenn Sie sich einmal mit den Vertretern der Stadtwerke Halle unterhalten, die eines der modernsten Gaskraftwerke in Europa überhaupt betreiben,

(Zustimmung)

dann werden Sie feststellen, dass dort die Zukunft betrachtet wird. Dort sagt man, man habe die Sachen im Griff. Denn man betrachtet dort die Dinge aus der Perspektive der Zukunft. Natürlich hat man im Augenblick noch diese Brückentechnologien. Aber die Vertreter der Stadtwerke Halle z. B. sagen: Wir packen es an. Genauso sollten wir es auch tun, meine Damen und Herren.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Frederking.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Herr Silbersack, Sie haben geäußert, dass es erforderlich sei, die Windenergienutzung positiv voranzubringen. Wir haben round about 2 800 Windenergieanlagen. In den letzten Jahren sind es auch nicht mehr geworden. Sie sind größer geworden, leistungsstärker. Wir haben also mehr Windenergie, aber nicht unbedingt mehr Windenergieanlagen.

Nun will der Bund, dass die Bundesländer 2 % der Landesflächen für die Windenergienutzung ausweisen. Wir haben in Sachsen-Anhalt ungefähr 1 % ausgewiesene Flächen. Wenn mehr Flächen ausgewiesen werden würden, dann könnten alte Windanlagen an ungünstigen Standorten aufgegeben und an besseren Standorten neu aufgebaut werden.

Meine Frage ist: Sehen Sie darin eine Chance, die Landschaftsbilder zu entlasten?

(Zuruf: Nein!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, bitte.


Andreas Silbersack (FDP):

Ich halte den Ausbau der Windenergie grundsätzlich für denkbar. Aber in der Zukunft halte ich es für wesentlich wichtiger   das ist meines Erachtens in der Vergangenheit nicht so erfolgt  , dass man den Interessensausgleich aller Beteiligten wesentlich stärker ins Auge fasst und schaut: Wo ist Windenergie tatsächlich möglich?

Wenn ich auf meinem Weinberg sitze und auf die Querfurter Platte schaue und dort tatsächlich ein breit angelegter Ausbau der Windenergie stattfindet, dann muss ich einfach sagen: Wir müssen die Menschen vor Ort mitnehmen. Denn die verstehen das nicht mehr.

(Zuruf: Die wollen das doch gar nicht!)

Deshalb glaube ich, ist es wichtig zu sagen: Wir wollen Windenergie. Wir müssen aber alle Interessensgruppen, die davon betroffen sind, einbeziehen. Dann gehe ich dabei mit, dass wir die Dinge steigern können. Aber wenn wir sagen müssen „zulasten der Bevölkerung vor Ort, zulasten der Interessen der Einzelnen, zulasten der Eigentümer, zulasten der Werte der Grundstücke“, dann ist das eine Einbahnstraße, die ich so nicht mitverfolgen kann.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Frederking, aber wirklich nur eine kurze Nachfrage.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Mir ging es um die Flächen, die neu ausgewiesen werden sollen. Alte, ungünstige Standorte könnten dann aufgegeben werden. Das war meine Frage, wie Sie die Chancen dabei sehen, ob das in Ihrem Sinne ein positives Vorankommen ist.


Andreas Silbersack (FDP):

Im Grunde genommen habe ich das gerade gesagt. Man sollte sich das anschauen, man sollte es prüfen, aber man sollte den Interessenausgleich mit im Blick haben, ehe man eine Neuausweisung vornimmt.

(Zuruf: Genauso ist das!)