Tobias Krull (CDU):

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum demokratischen Verständnis meiner Fraktion gehört es, dass politische Entscheidungen innerhalb und außerhalb des Parlaments intensiv diskutiert werden können. Das ist schlussendlich auch eine der Errungenschaften der friedlichen Revolution von 1989/1990. Das Demonstrationsrecht wurde nicht ohne Grund in der Verfassung, unserem Grundgesetz, verankert. Dieses kann durch andere Rechtsvorschriften eingeschränkt, aber nicht abgeschafft werden.

Ich denke, wir alle haben in der einen oder anderen Form schon an Demonstrationen teilgenommen. Das ist auch unser gutes Recht. Aber jede und jeder, der sich an einer solchen Demonstration beteiligt, sollte sich sehr genau anschauen, mit wem er dort Seite an Seite marschiert,

(Zustimmung)

ob sein Anliegen tatsächlich vertreten wird oder ob er als Deckmantel für ganz andere Absichten dient.

Seit Beginn der Schutzmaßnahmen, vor allem im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie, erleben wir hier ein Demonstrationsgeschehen in einem erheblichen Umfang und einer erheblichen Intensität. Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Nicht jeder, der sich an einer solchen Demonstration beteiligt, gehört gleich zum Kreis der Coronaleugner oder hat extremistische Ansichten. Es ist aber festzustellen, dass häufig Verschwörungstheorien propagiert werden, von denen man sich auf das Deutlichste distanzieren muss und kann.

(Zustimmung)

Verschwörungstheorien sind ja keine Neuheit, sondern es gab sie wohl schon immer. Insbesondere die Menschen mit jüdischem Glauben waren hiervon immer wieder betroffenen. So gibt es den Mythos der jüdischen Weltverschwörung oder den Vorwurf von Brunnenvergiftungen, die immer wieder zu schrecklichen Pogromen geführt haben. Andere Theorien sind die Illuminaten, geheime Weltregierungen oder die Anschläge des 11. September.

Im Rahmen der Coronaproteste erleben wir etwas sehr Merkwürdiges. Einerseits werden die Opfer der NS-Diktatur vereinnahmt und missbraucht. Vermutlich können sich der eine oder die andere hier im Saal daran erinnern, dass sich im letzten Jahr auf einer Querdenker-Demonstration in Hannover eine junge Dame mit Sophie Scholl verglich. Bei entsprechenden Demonstrationen wurden „Ungeimpft“-Sterne getragen, die bewusst auf die Symbolik der sogenannten Judensterne anspielten. Man vergleicht sich also mit den Opfern der NS-Diktatur. Das ist ein Vergleich, der aus meiner Sicht nicht nur lächerlich, sondern ausgesprochen gefährlich ist,

(Zustimmung)

weil er die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost und die Opfer politisch missbraucht. Auf der anderen Seite wird auch der vermeintliche oder tatsächliche jüdische Glauben von bekannten Impfbefürwortern thematisiert. Die vermeintlich jüdische Weltverschwörung wird heraufbeschworen und schlimmste antisemitische Vorurteile werden verbreiten. Hierfür darf es keine Toleranz und kein Verständnis geben. Das ist Unsinn, das ist gefährlich und teilweise auch juristisch relevant.

(Zustimmung)

Wenn Menschen Sorgen im Zusammenhang mit Corona haben, dann muss man diese ernst nehmen. Aufklärung und gegenseitiger Respekt sind dabei wichtig. Aber genau dieser Respekt fehlt aus meiner Sicht an vielen Stellen. Es gibt kaum den Willen zur Differenzierung, sondern vielfach nur noch ein Denken in Schwarz-Weiß-Mustern.

Das gilt auch für das Demonstrationsgeschehen selbst. Es fängt schon damit an, dass in sozialen Netzwerken oder Messenger-Diensten dazu aufgerufen wird. Die rechtlichen Regelungen zur Anmeldung von Demonstrationen werden absichtlich ignoriert, weil man keine Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen will. Auch die notwendigen Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie werden unterlassen. Damit gefährdet man nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mitmenschen. Das ist nicht nur leichtsinnig, sondern stellt aus meiner Sicht eine fahrlässige Gefährdung Dritter dar.

Um es noch mal ganz deutlich zu machen: Wenn es aus einer solchen Situation heraus zu Straf- oder Gewalttaten kommt, ist dies durch nichts, durch absolut nichts zu rechtfertigen.

(Zustimmung)

Diese müssen verfolgt und geahndet werden. Das Gewaltmonopol liegt eindeutig beim Staat und muss auch durchgesetzt werden. Dabei müssen natürlich die Polizeikräfte vor Ort entscheiden, was tatsächlich möglich ist oder wo im Rahmen von Abwägungsprozessen unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Gegebenenfalls muss dann die Verfolgung von Straftaten im Nachgang durch die entsprechenden Ermittlungsbehörden erfolgen.

Auf die Herausforderung im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen ist die Innenministerin bereits eingegangen. Die Bilder von Aufmärschen mit Fackeln vor Privathäusern von politischen Verantwortungsträgern sowie Drohungen gegen Ärztinnen und Ärzte oder gegen Impfteams erinnern mich an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Dafür haben die Betroffenen partei- und fraktionsübergreifend Solidarität verdient. Es geht aber auch darum, dass wir als Gesamtgesellschaft ein Zeichen setzen, dass politischer Diskurs niemals mit Drohungen und Einschüchterungen oder Straftaten geführt werden darf. Es liegen Vorwürfe gegen polizeiliche Einsätze im Rahmen dieser Demonstrationen vor. Dies gilt es aufzuarbeiten. Wir lehnen als Fraktion aber aufs deutlichste die Vorverurteilungen von eingesetzten Polizistinnen und Polizisten ab.

Diese haben es genauso verdient, mit Respekt behandelt zu werden, denn sie halten nicht nur sprichwörtlich den Kopf hin, um Recht und Ordnung durchzusetzen. Hierfür haben sie unseren herzlichsten Dank verdient.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor Kurzem war ich im Dialog mit Magdeburger Gastronomen. Der wachsende Wegfall aller Betriebs- und Weihnachtsfeiern hat zu erheblichen Einbußen geführt. Gleichzeitig wurde die Ware beschafft, um über die Weihnachtstage entsprechende Angebote zu unterbreiten. Das geschah mit erheblichen Risiken.

Die Gastronomie gehört zweifelsohne neben der Kulturwirtschaft, dem Hotel- und Beherbergungsgewerbe, den Schaustellern, dem Messe- und Veranstaltungswesen und dem Einzelhandel zu den Branchen, die am härtesten von den Schutzmaßnahmen betroffen sind.

Wenn hier Unsicherheiten auftauchen, kann Ihnen am besten mit einer verlässlichen Politik bei der Gewährung der notwendigen Hilfen begegnet werden. Dabei muss man sich den Bedarfen anpassen. Es darf keine Überkompensierung der Schäden geben, aber die Hilfen zum jetzigen Zeitpunkt müssen anders strukturiert sein als zu Beginn der Pandemie.

Staatliche Einrichtungen sind gefordert, sich an allen Bedürfnissen der Betroffenen und an ihrem Handeln zu orientieren, natürlich basierend auf Recht und Gesetz, z. B. wenn es um die Gewährung von Kurzarbeitergeld geht. Wenn wir hier entsprechend handeln, verhindern wir aktiv Frustration, Enttäuschung und Radikalisierung bei den Betroffenen.

Bezüglich der Impfung gilt Ähnliches. Hier gilt es, die Aufklärung voranzutreiben und gegen verbreitete Mythen anzugehen. Leider gibt es viele Fehlinformationen, die einfach unreflektiert verbreitet werden. Auch hier gilt der Grundsatz: Wenn Du etwas liest, prüfe die Quelle und Inhalte und denke mindestens zweimal darüber nach, bevor Du es mit einem Like versiehst oder gar teilst oder weiterleitest.

Das gilt ausdrücklich auch für die Wortwahl. Wenn hier mit Absicht von „Notzulassung“ gesprochen wird, ist dies fachlich einfach falsch.

(Beifall und Zurufe)

Für alle Covid-19-Impfstoffe gibt es in der EU die sogenannte bedingte Marktzulassung. Das heißt, die normalen Beurteilungszeiten werden erheblich verkürzt. Die Grundsätze von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit bleiben aber gewahrt.

(Beifall und Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vermittlung demokratischer Werte erfolgt nicht nur in der Schule oder in Projekten der Landeszentrale für politische Bildung, sondern vor allem auch im Kreise der Familien und im Freundeskreis.

Hier kann und muss jeder Mensch in unserem Land seinen Beitrag dazu leisten, demokratische Prozesse zu gestalten. Dazu gehört auch die Akzeptanz, dass es eben auch unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Themen gibt. Und das gilt auch für dieses Hohe Haus. Wenn jemand glaubt, dass er automatisch recht hat, wenn er besonders laut und besonders aggressiv in seiner Sprache ist, dann muss ich den enttäuschen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall)

In diesem Sinne werden wir als Fraktion alles unternehmen, um einer gesellschaftlichen Spaltung entgegen zu wirken. Wir schreiben niemanden ab und unterbreiten Gesprächsangebote. Gleichzeitig gibt es aber für uns rote Linien, wie die Verharmlosung des Holocaust, Straf- und Gewalttaten oder deren Androhung. Wer sich so verhält, hat seine Dialogunfähigkeit aktiv unter Beweis gestellt.

Auch wenn es eine laute Minderheit in Fragen der Coronabekämpfung gibt, dürfen wir nicht die Mehrheit der Gesellschaft vergessen, die die entsprechenden Maßnahmen nicht nur mitträgt, sondern befürwortet und dies auch unter persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Einschränkungen.

Wenn wir von den Menschen draußen erwarten, dass sie dialogfähig sind, dann sollten wir diesen Anspruch auch selbst in diesem Hohen Haus umsetzen. Wir streiten hier, wir sollten aber fair bleiben. Was ich heute und während der beiden letzten Tage an Äußerungen unter der Gürtellinie erleben musste, ist nicht parlamentswürdig. Das möchte ich an dieser Stelle bemerken.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Krull, vielen Dank. - Ich sehe keine Nachfragen und keine Bemerkungen. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes, am Ende dieses Sitzungstages, am Ende dieser Sitzungsperiode, am Ende der parlamentarischen Tätigkeit in diesem Jahr angekommen.