Rüdiger Erben (SPD):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der antragstellenden Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will ich für den Antrag zu der heutigen Aktuellen Debatte ausdrücklich danken. Denn an der Aktualität des Themas besteht kein Zweifel, und es besteht sicherlich auch kein Zweifel daran, dass dieses Thema die Menschen in unserem Land bewegt.

Mich erreichten in den letzten Tagen sehr viele Meinungsäußerungen von Menschen, die nicht verstehen können, dass sich in Zeiten der Pandemie, selbst in Landkreisen, die eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 1 000 aufweisen, Hunderte von Menschen ohne Masken und Abstand versammeln und der Staat aus ihrer Sicht nur zusieht.

(Zurufe)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wo finden eigentlich die wirklichen Anti-Corona-Demonstrationen in unserem Land statt? Nach Mitteilung des Innenministeriums   Frau Ministerin hat es eben auch noch einmal gesagt   nahmen an den angemeldeten und nicht angemeldeten Versammlungen am Montag dieser Woche in Sachsen-Anhalt circa 14 000 Personen teil. Allein am selben Tag wurden in Sachsen-Anhalt mindestens 30 000 Coronaschutzimpfungen durchgeführt.

(Beifall)

Was heißt das? Anti-Corona-Demos finden auch bei uns vor allem in den Impfzentren und Hausarztpraxen statt, und sie finden jeden Tag aufs Neue statt.

(Zustimmung)

Im Durchschnitt werden in Deutschland mittlerweile täglich über eine Million Coronaschutzimpfungen durchgeführt, und die Demonstranten gegen die Coronamaßnahmen sind eine verschwindende Minderheit, die lautstark suggeriert, sie spreche für die schweigende Mehrheit.

(Zustimmung)

Ich erkenne eine Reihe von Parallelen zu den Pegida-Protesten ab dem Jahr 2015. Die Argumentations-Whistler waren damals genau dieselben, die ich eben beschrieben habe. Das Ergebnis kann man heute vor allem im benachbarten Freistaat Sachsen sehen. Ich glaube, es ist absolut kein Zufall, dass gestern Durchsuchungen unter anderem bei einem Pegida-Organisator im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Morddrohungen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten stattgefunden haben. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis dieser Entwicklung und der falschen Weichenstellungen.

(Zustimmung)

Denn dass Rechtsextremisten, Reichsbürger und Verschwörungsideologen dort so leichtes Spiel haben, ist letztendlich die Folge des Umgangs mit den angeblich besorgten Bürgern ab dem Jahr 2015.

Wir erleben das heute auch in Sachsen-Anhalt, wenn auch nur in abgeschwächter Form. Ich war entsetzt, als ich am letzten Wochenende erfuhr, dass der hauptamtliche Bürgermeister der Stadt Teuchern am Freitagabend auf einer Versammlung von Impfgegnern in Naumburg in Bezug auf die am selben Tag vom Deutschen Bundestag beschlossene Impfpflicht in bestimmten Berufen erklärte, dass damit   Zitat   eine rote Linie überschritten sei   Zitatende   und er   Zitat   demokratische Verhältnisse nicht mehr sehe   Zitatende.

(Zuruf: Körperverletzung!)

Er hat dies unter ausdrücklicher Nennung seiner Amtsbezeichnung getan. Das ist geradezu ein Ritterschlag für Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger. Sie bekommen von einer Amtsperson bestätigt, dass es die sogenannte Coronadiktatur wohl tatsächlich gibt.

(Daniel Roi, AfD: Nein, die Impfpflicht! - Weitere Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens seit dieser Woche ist doch jedem klar, hinter wem man hinterherläuft, wenn man an solchen Versammlungen teilnimmt. Deswegen ist es auch eine Verharmlosung, wenn von „überwiegend bürgerlicher Klientel“, die „weitgehend friedlich demonstriert“, die Rede ist.

(Daniel Roi, AfD: Das hat gerade die Innenministerin auch gesagt! - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Diese Beschreibung ist für Querdenker und andere geradezu eine Einladung, dem Staat auf der Nase herumzutanzen.

(Zustimmung)

Weitgehend friedlich und bürgerlich gekleidet zu sein, ist keine Rechtfertigung für Rechtsbruch. Dieser Rechtsbruch findet auf diesen Demos massenhaft statt.

(Daniel Roi, AfD: Ach so!)

Rechtsverstoß Nummer 1

(Zuruf: Was hat denn das mit Rechtsbruch zu tun?)

- hören Sie zu; das werden Sie gleich hören  :

(Zuruf: Ja!)

Nach § 14 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes hat derjenige, der die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel zu veranstalten, dies spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlungsbehörde unter Angabe des Gegenstands der Versammlung anzumelden.

(Oliver Kirchner, AfD: Das ist doch gar keine Versammlung!)

Dies gilt nur für die Versammlungen nicht, die sich aus aktuellem Anlass augenblicklich

(Zuruf: Also!)

und ohne Veranstalter bilden - Spontanversammlungen  , und für Versammlungen, bei denen der mit der Versammlung verfolgte Zweck bei Einhaltung der Anmeldefrist nicht erreicht werden kann -Eilversammlungen.

(Daniel Rausch, AfD: Da haben wir es doch! - Zuruf: Siehste! - Weitere Zurufe)

Genau Letzteres

(Zuruf: Ja!)

ist bei den Coronademos eben nicht der Fall.

(Daniel Rausch, AfD: Sie wollen die Grundrechte beschneiden! - Weitere Zurufe)

Sie haben hier eben bereits Dringliche Anfragen erwähnt. Ich habe auch eine gestellt. Dieser zwölfseitige Stapel Papier

(Zuruf: Ja!)

umfasst die angemeldeten und die nicht angemeldeten Coronademonstrationen in den vergangenen Wochen in Sachsen-Anhalt bis zum Stichtag am letzten Donnerstag.

(Zuruf: Aha!)

Sie können erkennen, etwa die Hälfte dieser Veranstaltungen war nicht angemeldet.

(Zuruf: Ja, und? - Daniel Rausch, AfD: Die Leute treffen sich spontan!)

Ich habe mir Einzelne herausgepickt, die definitiv keine Eil- und Spontanversammlungen waren und diese Voraussetzungen nicht erfüllen.

(Daniel Rausch, AfD: Woher wollen Sie das wissen?)

Rechtsverstöße Nrn.  2 und 3: In § 3 Abs. 7 der Corona-Eindämmungsverordnung wird die Regelung in § 14 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes unter dem Gesichtspunkt von instruktionsschutzrechtlichen Gründen wiederholt. Zudem gelten natürlich auch auf Versammlungen die allgemeinen Hygienevorschriften des § 1 Abs. 1 der Verordnung.

(Zustimmung)

Jetzt zeige ich Ihnen noch einmal die Liste, insbesondere die Seite, auf der die nicht angemeldeten Demonstrationen zu sehen sind. Ich habe nämlich auch gefragt, welche dieser Versammlungen mit Auflagen belegt worden sind. Wenn es Auflagen gab, dann ist in der rechten Spalte ein „X“ zu sehen. Ich zeige Ihnen die Seite. Gucken Sie einmal, wie viele „X“ zu sehen sind.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das sehen wir nicht! Das ist zu weit weg)

Diese Liste ist ein Sinnbild dafür, wie ungestört Querdenker und ihre Mitläufer in diesem Land schalten und walten können. Schon in der Zeit der Bundesnotbremse legten sogenannte Autokorsos an vielen Stellen den Verkehr lahm.

(Zuruf)

Während die Nichtdemonstranten wegen Ausgangsbeschränkungen zu Hause saßen, fuhr man hu-pend durch unsere Städte. Während in Bayern und Hamburg der Judenstern mit der Inschrift „Ungeimpft“ strafrechtlich verfolgt wird, war er in Sachsen-Anhalt wochenlang auf den Demos des Rechtsextremisten L. zu sehen.

So haben Akteure, die aus unterschiedlichsten, aber eben auch aus rechtsextremen Strukturen kommen, seit Monaten die Grenzen ausgetestet und festgestellt, dass diese Grenzen nicht besonders eng gezogen sind.

Selbstverständlich kann jeder und jede gegen politische Entscheidungen demonstrieren, aber dabei müssen auch die Regeln beachtet werden.

An einer Stelle will ich dem Kollegen Striegel ausdrücklich widersprechen: Wir müssen uns auch fragen, ob die Regeln immer ausreichend sind. Ich will daran erinnern, dass in der vorigen Wahlperiode die Änderung des Versammlungsgesetzes an den Kollegen der GRÜNEN gescheitert ist;

(Zustimmung- Zurufe: Richtig! - Gott sei Dank! - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

denn eine entscheidende Lücke haben wir im Versammlungsrecht in Sachsen-Anhalt.

Ich will auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Frage des Messengerdienstes Telegram eine ganz entscheidende für die Organisation dieser Strukturen ist und dass man es nicht einfach mit Datenschutzgesichtspunkten und Grundrechtsfragen beiseitewischen kann.

Ich will es wiederholen: Auch, wenn Versammlungen weitgehend friedlich und von bürgerlich aussehenden Menschen dominiert sind,

(Lachen)

werden häufig Gesetzesverstöße verwirklicht.

(Zuruf von Oliver Kirchner, AfD)

Es werden Verstöße zugelassen, über welche man bei keinem Verkehrssünder in Sachsen-Anhalt hinwegsehen würde. Das darf aus meiner Sicht nicht so bleiben. Polizei, Versammlungs- und Ge-sundheitsbehörden dürfen keine falsch verstandene Kulanz üben.

Ich schließe mit der Forderung, dass sich der Staat von Querdenkern, Reichsbürgern und Verschwörungsideologen nicht auf der Nase herumtanzen lassen darf. - Herzlichen Dank.

(Beifall)