Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist viel zu oft ein ungehörtes Leiden, ein ungesehenes Leiden und leider auch ein ignoriertes Leiden. Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind in besonderem Maße von Gewalt betroffen und sie sind leider auch in besonderem Maße ungeschützt gegenüber dieser Gewalt. Denn Frauen und Mädchen mit Behinderung erleben fast doppelt so oft Gewalt wie Frauen und Mädchen ohne Behinderung, und das überall: in ihrem Zuhause, in der Öffentlichkeit und   besonders perfide   in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Pflege, die ihnen eigentlich Schutz und Unterstützung bieten sollen. 

Die Täter sind zu 97 % Männer, meistens Männer aus dem direkten Umfeld der Frauen und Mädchen: Väter, Stiefväter, Brüder, Onkel, Cousins, Partner, Pfleger, Betreuer, Taxifahrer, Anleiter in der Werkstatt oder Mitbewohner in den Pflegeeinrichtungen. Frauen und Mädchen mit Behinderungen befinden sich oft in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Männern, sowohl emotional als auch körperlich. Diese besondere Nähe macht es Männern leicht, Grenzen zu überschreiten, zu verletzen und zu missbrauchen. 

Gleichzeitig ist es für Frauen und Mädchen mit Behinderungen, die in einer solchen Abhängigkeit aufwachsen, noch viel schwerer, Grenzen und Bedürfnisse auszudrücken und durchzusetzen und sich bei erlebter Gewalt Hilfe zu suchen. Selbst wenn sie sich Hilfe suchen, wird dies oft missdeutet und bleibt viel zu oft unerkannt. 

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade bei Frauen und Mädchen mit geistiger oder seelischer Beeinträchtigung werden die körperlichen und psychischen Folgen der Gewalterlebnisse viel zu selten als solche identifiziert. Stattdessen werden die Folgen von Gewalt, Phobien, Ängste, selbstverletzendes Verhalten oder Schmerzen ohne organische Ursache   all das sind Dinge, bei denen man bei Frauen und Mädchen ohne Behinderung sehr schnell darauf kommen würde, dass etwas nicht stimmt  , bei ihnen oft auf die Behinderung geschoben. Die eigentliche Ursache, die erlebte Gewalt, wird dadurch verkannt oder relativiert. Frauen mit Behinderungen machen dabei noch dazu die Erfahrung, dass ihnen nicht geglaubt wird. 

Frauen und Mädchen mit Behinderungen brauchen deshalb besonderen Schutz, weil sie besonders betroffen sind. Nein, sie brauchen ihn nicht nur, ihnen steht dieser besondere Schutz zu. Sie müssen besser geschützt werden, als es bisher passiert. Sie haben ein Recht darauf, ohne Angst und ohne die Erfahrung von Gewalt leben zu können. 

Wir sind hier in Sachsen-Anhalt wie überall in Deutschland verpflichtet, die hier lebenden Frauen und Mädchen, auch diejenigen mit Behinderung, vor Gewalt zu schützen, und zwar durch die Istanbul-Konvention, durch die UN-Behindertenrechtskonvention und durch Menschlichkeit und Anstand. Derzeit bleibt diese Pflicht unerfüllt. Nur drei Frauenschutzhäuser in Sachsen-Anhalt verfügen über barrierefreie Zugänge und Zimmer. Ein Frauenhaus hat einen barrierearmen Zugang, ein weiteres Sichtblenden und Handlauf für Frauen mit Sehbeeinträchtigungen. Ich sage klipp und klar: Das reicht nicht. Das reicht meilenweit nicht! Jedes einzelne Frauenhaus in Sachsen-Anhalt muss barrierefrei zugänglich sein, und zwar nicht erst übermorgen. 

Doch der Mangel im Hilfesystem beginnt schon vorher. Betroffenen fehlt der Zugang zu Informationen und Beschwerdewegen; Beratungsangebote bleiben viel zu oft unerkannt. Viel zu selten können die betroffenen Frauen und Mädchen die ambulanten Beratungsangebote wahrnehmen, da es an barrierefreien Zugängen und verständlichen Informationsmaterialien fehlt. 

Deshalb braucht es Hilfs- und Beratungsangebote, die zu den Frauen und Mädchen kommen, die sie aufsuchen, und zwar in jedem Landkreis, in jeder kreisfreien Stadt. Gleichzeitig muss die Fach- und Koordinierungsstelle für inklusive Gewaltprävention zum Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, welche im Landesaktionsplan vorgesehen ist, endlich eingerichtet werden. Darüber wird seit 2020 diskutiert. Warum dauert es in Sachsen-Anhalt immer so lange, bis endlich etwas umgesetzt wird? Und warum dauert es so lange, wenn es doch um Gewalterfahrungen von Menschen geht?

Das Thema des Schutzes von Frauen und Mädchen mit Behinderungen vor Gewalt muss endlich angegangen werden. Die betroffenen Frauen und Mädchen sind besonders vulnerabel. Sie benötigen deshalb besonderen Schutz. Die Istanbul-Konvention muss in Sachsen-Anhalt vollumfänglich umgesetzt werden, auch und insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Frauen und Mädchen mit Behinderungen vor Gewalt. 

Wir stimmen dem Antrag der Linken zu. Das Selbstlob der Koalition reicht uns, ehrlich gesagt, nur für eine Enthaltung. - Vielen Dank.