Henriette Quade (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir den Begründungstext der CDU-Fraktion zu dieser Aktuellen Debatte anschaue, dann erschließt sich mir daraus eigentlich nur begrenzt, welche Probleme denn nun benannt werden sollen. Denn was Sie dort auflisten, das ist eine Reihe vermeintlicher und tatsächlicher Erfolge. Was dort nicht steht und worum es der antragstellenden Fraktion aber augenscheinlich geht, ist, endlich einmal wieder über Migration, über Flucht und über Abschiebung sprechen zu können, ganz so, als würde dieser Landtag nicht ohnehin inzwischen seit Jahren pausenlos über Migration, Flucht und Abschiebung sprechen.

(Ulrich Siegmund, AfD: Es stehen doch Wahlen an! Klar! - Zustimmung) 

Tatsächlich, muss man sagen, war die CDU-Fraktion im Landtag dem heutigen Bundeskanzler damit schon vor Jahren weit voraus, so weit, dass selbst die AfD-Fraktion damals nicht mitgekommen ist. Herr Kurze übertreibt, wenn es um Flüchtlinge in Burg geht. - Das war damals, im Jahr 2018, die Antwort von Gordon Köhler von der AfD-Fraktion auf Markus Kurze. Der hatte - daran will ich hier erinnern - davon gesprochen - ich zitiere wörtlich  : Wenn ich durch die Burger Innenstadt gehe, sehe ich nur noch Kopftücher. 

Die Stadtbilddebatte, meine Damen und Herren, führen wir hier schon lange. Damals wie heute ist es eine rassistische Debatte,

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei den GRÜNEN)

die sich auf den Satz „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ einkürzen lässt. 

Natürlich hat Herr Kurze damals nicht nur Kopftücher in Burg gesehen, er hat sie gar nicht sehen können, schon deshalb, weil in Burg mehr Männer als Frauen leben. Das hat er einfach behauptet. Er hat damit auch nicht ausgesprochen, was eine schweigende Mehrheit denkt, sondern er hat Stimmung gemacht - Stimmung gegen Menschen, die anders aussehen als Herr Kurze, die anders aussehen als dieser Landtag. 

Nichts anderes hat der Bundeskanzler jetzt getan. Er hat kein Problem benannt, sondern er hat vor sich hin geraunt. Als ihn Menschen nicht verstanden haben, hat er darauf verwiesen, man solle doch einmal Töchter fragen. Was er nur andeutet, das wüssten angeblich alle. Es ist wie mit Herrn Kurze und den Kopftüchern in Burg. Es ist Stimmungsmache. 

(Zustimmung bei der Linken)

Keine und keiner von uns kann am Stadtbild sehen, wer welche Staatsbürgerschaft und welchen Aufenthaltsstatus hat. 

(Zustimmung bei der Linken und bei der SPD)

Was wir durchaus sehen können, ist, dass sich das Stadtbild vieler Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt durch Flucht und Migration in unser Bundesland verändert hat - weit weniger drastisch allerdings als durch die Abwanderung aus unserem Bundesland in westdeutsche Bundesländer. Die dadurch entstandenen Leerstände, die leeren Platten und Häuser, in denen heute viele nicht mehr wohnen wollen, reißen wir bis heute ab. Aber sichtbar ist, dass viele Menschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, hier kleine Gewerbe eröffnet haben, etwa Falafel-Bistros, Shisha-Bars und Barbershops, 

(Unruhe und Lachen)

aber auch Arztpraxen übernommen haben. Wir sehen in den Städten auch mehr Menschen, die nicht wie die Menschen in diesem Parlament weißer Hautfarbe sind. In der Stadtbilddebatte wurden sie alle wieder einmal zum Problem erklärt - dieses Mal nicht von der extremen Rechten, sondern vom Bundeskanzler  , zu einem Problem, das mit Gewalt gelöst werden soll, und zwar mit staatlicher Gewalt in Form von Abschiebungen. 

Diejenigen, um die es in dieser Debatte ging und geht, wissen genau, dass sie unter Generalverdacht gestellt werden - ganz unabhängig von ihrem rechtlichen Status. Und sie wissen auch, dass die Staatsgewalt zuallererst diejenigen treffen wird, die sich besonders gut an Regeln halten, weil sie dadurch aufgefunden werden können, z. B. in den Betrieben, in denen sie ausgebildet werden, oder Kinder bei ihren Eltern, wenn nachts die Polizei klingelt, und dass die Straßengewalt nicht nach dem Aufenthaltsstatus fragt. Sie wissen und sie spüren, wie über sie gesprochen wird. So entsteht kein freundliches Stadtbild. So entsteht ein feindseliges Stadtbild. 

Zeitz z. B. hat nun einen Facharzt weniger, weil er den Rassismus vor Ort nicht mehr ertragen hat. Das ist das Stadtbild, das Sie aufbauen, 

(Beifall bei der SPD)

eines, das Migrantinnen und Migranten, Geflüchtete, Frauen und gut ausgebildete Menschen verlassen. 

Meine Damen und Herren! Weil die Töchter in dieser Debatte eine so große Rolle spielen, will ich auch dazu etwas sagen. Diese Debatte ist nämlich eine sehr männliche Debatte. Das sind in diesem Landtag ja die meisten Debatten, schon weil die größten Fraktionen vor allem aus Männern bestehen. Wenn wir uns die Aufstellung der Listen anschauen, dann wird auch klar - so ist zumindest mein Eindruck  , dass die CDU jedenfalls weiterhin der Auffassung ist, dass Frauen besser Objekte bleiben, 

(Beifall bei der Linken und bei der SPD) 

Objekte, über die sie spricht, statt Menschen, die sie sprechen lässt oder die sogar gleichberechtigt am politischen Leben und an politischer Macht teilhaben.

(Zuruf: Nein! Stimmt nicht!) 

Die Töchter, auf die der Bundeskanzler verwiesen hat, statt selbst die Verantwortung für seine Äußerungen zu übernehmen und sie zu erklären, 

(Zuruf von der CDU)

sollen vermeintlich geschützt werden, geschützt vor dem, von dem geraunt wird. 

Frauen erleben das Stadtbild auch in den Kommunen Sachsen-Anhalts tatsächlich regelmäßig nicht als freundlich und sicher. Das liegt in der Regel an Männern. Da ist es mit dem Stadtbild wie mit dem Sommerfest des Landtages. 

(Zustimmung)

Wer wirklich will, dass Frauen sicher sind, und wer eine freundliche Umgebung schaffen will, der beschäftigt sich mit Männern, nicht mit Abschiebung. Es sind Männer, die einem politischen Gegner als Option gegen Kopfschmerzen etwas nahelegen, das nicht anders verstanden werden kann als der Vorschlag, sich in den Kopf zu schießen. Es sind Männer, die, wenn ein Auto als Tatwaffe gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten eingesetzt wird, denjenigen im Auto für das Opfer halten.

(Zuruf von Andreas Schumann, CDU)

Es sind Männer, die im Stadtbild oder bei Festen des Landtages übergriffig werden. 

(Zuruf von der CDU)

Es sind Männer, die trotz der Kritik des Landesbeauftragten für jüdisches Leben an ihrer antisemitischen Wortwahl festhalten.

(Zuruf von Thomas Staudt, CDU)

Es sind auch Ihre Männer, geschätzte CDU-Fraktion.

(Zuruf von der CDU: Ach!)

Während Ihre Männer gesellschaftlich nicht nur akzeptiert, sondern auch weitgehend privilegiert sind, gilt das für viele der jungen Männer, die in Städten für Frauen zum Problem - übrigens weit mehr als zu einem Problem im Stadtbild - werden, nicht. 

Das entschuldigt diese Männer nicht. Es rechtfertigt ihre Frauenverachtung nicht. Es erlaubt keine Straftat. Doch es ist nicht die Herkunft, die darüber entscheidet, ob jemand kriminell wird, es sind Faktoren wie die Gewalterfahrung, die Teilhabe an Bildung, die soziale und wirtschaftliche Situation, 

(Beifall bei der Linken und bei der SPD)

die psychische Verfassung und die Möglichkeit, psychische Hilfe zu bekommen, die wirtschaftlichen Umstände, die gesellschaftliche und nachbarschaftliche Integration oder Desintegration.

Wenn wir wollen, dass Frauen sicher sind, dann müssen wir an diese Faktoren heran, damit Taten gar nicht erst begangen werden. Das ist besser, als im Nachhinein über Strafen und Abschiebungen zu reden. 

Wir müssen uns die oft jungen Täter anschauen. Wir können sie nicht einfach alle abschieben, schon deshalb, weil die allermeisten deutsche Staatsbürger sind. 

Über die Übergriffe - übrigens auch über den Antisemitismus - der einen reden zu wollen, zu denen der anderen aber keine Worte zu finden, ist nicht nur bigott, es ist auch rassistisch. 

(Beifall bei der Linken und bei der SPD)

Die Töchter in Dienst zu nehmen, um die eigene Argumentation zu rechtfertigen, ihnen aber sonst geflissentlich nicht zuzuhören, ist das Letzte, was Frauen brauchen.

(Zuruf von der AfD)

Diese Debatte und die Äußerungen von Friedrich Merz benennen eben gerade nicht Probleme. Diese Debatte ist eine Fortsetzung dessen, was wir seit Jahren in diesem Landtag sehen und was die extreme Rechte in diesem Bundesland so stark gemacht hat, dass sie im kommenden Jahr erstmals seit dem Ende des Nationalsozialismus in Deutschland einen Ministerpräsidenten stellen könnte. 

Alles, was die stärkste demokratische Fraktion in diesem Landtag bisher dagegen aufzubieten hat, sind ein unbekannter Kandidat, die Übernahme von Themen der extremen Rechten und die Hoffnung, dass am Ende doch alles irgendwie schon gut werden wird. 

Ihre Verantwortung, Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist größer, als Sie offensichtlich bereit sind zu verstehen - für mehr als ein freundliches Stadtbild. - Vielen Dank.