Sebastian Striegel (GRÜNE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fragen Sie einmal Männer auf der Straße, wo Frauen die größte Angst haben, Opfer einer Straftat zu werden. Sie werden Orte wie den dunklen Park oder die verlassene Straße bei Nacht hören. Fragen Sie aber Frauen oder schauen Sie sich Statistiken zu Gewalttaten bis hin zu Totschlag oder Mord an, zeigt sich: Die meisten dieser Gewaltdelikte gegen Frauen verüben nicht Fremde, sondern ihre Partner oder Expartner. Der unsicherste Ort für Frauen in Deutschland ist nicht die Straße, ist nicht der Park, sondern es ist, statistisch gesehen, ihr Zuhause.
Mir geht es nicht darum, Angst zu schüren. Es ist schön, sich zu verlieben und mit seiner Partnerin oder mit seinem Partner zusammenzuwohnen und eine Familie zu gründen. Viele tun das auch mehrmals im Leben. Es sind nicht alle Männer. Aber warum sind es nahezu nur Männer, die am Ende einer Beziehung ihrer Partnerin oder Expartnerin Gewalt antun? - Neben Erleichterung und Befreiung können während einer Trennung auch Gefühle wie Trauer, Angst, den Partner zu verlieren, die Not, das traute Heim aufzugeben, sich einen neuen Alltag aufzubauen, vorherrschend sein. Das betrifft aber alle Geschlechter.
Seinen Partner, seine Partnerin umzubringen, ist also kein Beziehungsdrama. Vielmehr sind es Kontroll- und Besitzanspruch eines Mannes gegenüber einer Frau, Auswüchse der patriarchalen Struktur, nach der Frauen ungleich seien.
Erst in der vergangenen Woche ereignete sich ein solcher Femizid in Magdeburg auf offener Straße. Er reiht sich ein in weitere Fälle, bei denen Frauen in Sachsen-Anhalt in diesem Jahr von ihrem Partner oder Expartner getötet wurden. Deutschlandweit passiert das im Übrigen alle zwei bis drei Tage, allein 63 mal in diesem Jahr.
Ich lese den Antrag der Fraktion Die Linke als einen Weckruf, dieses Thema weiter in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. Dabei sind mir drei Punkte wichtig:
Erstens. Nach der Istanbul-Konvention sind wir verpflichtet, geschlechtsspezifische Gewalt entsprechend strafverschärfend zu werten. Daher ist bereits vor drei Jahren § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches um geschlechtsspezifische oder sich gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, erweitert worden. Die Regelung ist insoweit gut, als sie für alle Delikte gilt, auch bei der Auslegung der niedrigen Beweggründe bei Mord.
Das führt mich aber zu der Frage sie ist auch schon aufgeworfen worden : Inwieweit ist der reformierte § 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs in der Rechtsanwendung wirklich schon breit angekommen? Bietet Sachsen-Anhalt Fortbildungen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für Bereiche wie Femizide an? Ich habe dazu eine entsprechende Anfrage an die Landesregierung eingereicht.
Zweitens. Es ist wichtig, dass Femizide in der Rechtsprechung als solche erkannt und bestraft werden. Noch wichtiger aber ist, dass wir, bevor es so weit kommt, ein in sich stimmiges und koordiniertes System zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt haben, ein Konzept, das über gute personelle, räumliche und finanzielle Kapazitäten verfügt. Funktionieren unsere Fallkonferenzen? Haben wir genug Plätze in den Frauenhäusern? Und, ganz wichtig: Sind unter deren Schutz Frauen in der Lage, ihren Alltag so gut wie möglich weiterzuführen? Und erfahren die Gefährder Einschränkungen, nicht die betroffenen Frauen?
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der Linken)
Drittens. Wir müssen dazu kommen, dass es auch eine breite Auseinandersetzung von Männern über Männlichkeitsbilder gibt. Es kann nicht sein, dass sich trotz des Gleichheitsgebots in unserer Verfassung Vorstellungen in den Köpfen von Männern halten, wonach Frauen nicht selbstbestimmt eine Beziehung eingehen, führen oder beenden können. Es kann nicht sein, dass wir die dahinterliegende strukturelle Ungleichwertigkeitsvorstellung nicht erkennen und weitertragen. Das will ich vor allen Dingen noch einmal deutlich auch in Ihre Richtung, Herr Tillschneider, sagen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der Linken)
Das ist ein Problem, das Männer über alle gesellschaftlichen Strukturen hinweg betrifft. Ich halte es daher für richtig und wichtig, dass Männer auch persönlich in ihrem eigenen Leben überprüfen, wie anfällig sie für Besitz- und Kontrollmechanismen sind, und Verantwortung für ihr eigenes erfülltes Leben übernehmen, das über den Zeitpunkt einer Trennung hinaus Bestand hat.
Unsere Fraktion wird für eine Überweisung stimmen. Wenn wir in der Rechtsanwendung nicht weiterkommen, muss das Gesetz hier eindeutiger werden. - Herzlichen Dank.