Juliane Kleemann (SPD):

Herr Präsident! Hohes Haus! Die Geschichte der Bohrschlammgrube Brüchau beginnt in der DDR, weil die Altmark sich als eine Region mit sehr viel Erdgas, allerdings mit sehr geringen Methananteilen, in Europa entpuppte. Die energiearme DDR erkannte hierin ihre Chance und ging ans Werk. Seit August 1961 sind dort mehrere Bohrungen passiert, viele Hunderte sind in der Region vorhanden. Alles, was bei der Förderung nicht gebraucht werden konnte, wurde in Gruben in die Nachbarschaft gekippt - Mixturen aus giftigen Schlämmen, Schmiermitteln, Quecksilber, anderen Schwermetallen, Benzol. War eine Grube voll, Erde darüber - Ruhe. 

Mit der Wende wurde zum Glück eine erträgliche Anzahl dieser Gruben saniert. Das hat schon mehrere Hundert Millionen Euro gekostet. Die Giftschlammgrube Brüchau, euphemistisch auch Silbersee genannt, ist anders für die Region, für die Menschen und die Natur. Brüchau ist eben nicht eine von vielen Bohrschlammgruben, sondern eine besondere Herausforderung mit einer besonderen Gefährdung. Es ist eben auch nicht eine Angelegenheit von wenigen, sondern beschäftigt den gesamten Landkreis und darüber hinaus. 

Die Abfälle, die in Brüchau aus der Erdgasförderung und  reinigung lagern, sind vermengt auch mit Stoffen aus der Chemieindustrie - ein viele Zehntausende Tonnen schweres Gemisch aus Pestiziden, Pestizidabwasser, Chlorkohlenwasserstoff, Kohlenwasserstoff, Cyaniden, Säuren, Quecksilber, Quecksilberverbindungen, Arsenverbindungen, Chromverbindungen, Kupferverbindungen, Cadmium, Strontium, Galvanik, Erdgaskondensat, Bohrabfälle - ein Cocktail, der in seiner Giftigkeit nicht zu unterschätzen ist, ein Cocktail aus dem Erbe der DDR und ihrer nicht vorhandenen Achtsamkeit auf Umweltschäden sowie der nachwendig weiter offen gehaltenen Anlage bis zum Jahr 2012. 

Mehr als nachvollziehbar finde ich, dass die Menschen vor Ort ein zufriedenstellendes Ende dieses bitteren Kapitels von anfänglicher Euphorie über den Rohstoff Erdgas als Energie- und Wirtschaftsquelle, ein Ende dieses Kapitels von Unverantwortlichkeit und Bequemlichkeit erwarten.

(Unruhe)

Der Kreistag des Altmarkkreises Salzwedel hat vorgestern beschlossen, dass eine Klage gegen die Entscheidung des LAGB zu unterstützen ist. Vermutlich wird der BUND diese Verbandsklage einreichen. Der Beschluss wurde einstimmig gefasst. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Frau Kleemann, warten Sie kurz. - Ich würde bitte darauf orientieren, die Gespräche zumindest in einer so beschränkten Lautstärke zu führen, dass im Präsidium über die Gespräche in den Bänken hinaus etwas ankommt. - Sie haben das Wort, Frau Kleemann. 


Juliane Kleemann (SPD): 

Der einstimmige Beschluss des Kreistages des Altmarkkreises bezieht sich in seinem vierten Punkt auch auf den einstimmigen Landtagsbeschluss der letzten Legislaturperiode. Ich erinnere an den aktuellen konkreten Stand der Daten: Von den ca. 190 000 t in der Grube liegenden Abfällen sind 700 t bis 1 000 t Sondermüll. Der Rest sind Bergbauabfälle. Davon sind ca. 50 % gering mit Schadstoffen belastet und damit für die Deponieklassen I und II geeignet, allerdings gehören die anderen 50 % in die Deponieklassen III und IV. Diese letztgenannten Abfälle, und zwar ca. 90 000 t, sind hochgradig mit Quecksilber verunreinigt. 

Die Betreiberfirma - wir haben es heute und auch in der letzten Plenarsitzung bereits mehrmals gehört - schlägt vor, dieses Material vor Ort zu konditionieren, d. h. zu sichern und dann wieder in die Grube zu verbringen. Ich frage: Entspricht das der EU-Quecksilber-Verordnung? Wie sind Artikel 13 Abs. 3 Buchstabe b, so meine ich, bzw. Artikel 11 zu interpretieren? - Das muss klargestellt sein. Wenn ja, dann möge man das bitte so darstellen, dass keine Zweifel an der Korrektheit und der Wirksamkeit des Verfahrens bestehen. All das, was Zweifel nährt, ist in diesem Verfahren schlecht.

(Zustimmung von Hendrik Lange, Die Linke)

Quecksilber ist aber nicht das einzige Problem; denn von den 90 000 t Abfällen der Deponieklassen III und IV sind wiederum ca. 27.000 t zusätzlich radioaktiv belastet. Für diese 27 000 t ist es gesetzlich erforderlich, ein radiologisches Gutachten beizubringen, um zu ersehen, ob und, wenn ja, wie sie bewegt werden dürfen. 

Ich weiß nicht, ob ich das übersehen habe. Ich habe es jedenfalls nicht gefunden, aber es kann an mir liegen. In der sogenannten Ergänzung 2 zum Abschlussbetriebsplan der Grube Brüchau aus dem Oktober letzten Jahres finde ich dazu jedenfalls nichts. 

Es ist demnach zwar so, dass die Werte nach der Abscheidung des Quecksilbers eine Verbringung unter Tage möglich machten, aber auch diesbezüglich gilt, liebes LAGB: mehr Transparenz. Es gibt einen Unterschied zwischen Menschen zu informieren und Menschen zu beteiligen. Die Menschen müssen mitgenommen werden, sie müssen in diesem Prozess mitgenommen werden. Das ist mehr als geboten. Das verlorengegangene Vertrauen wiederzuerlangen, ist das Gebot der Stunde. Das ist in diesem Verfahren mehr denn je nötig. 

Brüchau wird zwar im allgemeinen Sprachgebrauch als Deponie bezeichnet, formal ist es aber keine Deponie. Rechtlich gesehen handelt es sich um eine bergbauliche Abfallentsorgungsanlage. Dieses Hin und Her in der Sprache ist besonders irritierend, weil einerseits immer wieder mit der Deponieverordnung argumentiert wird, andererseits diese gerade nicht gelten soll, weil Brüchau keine Deponie ist. 

Für eine bergbauliche Abfallentsorgungsanlage gelten andere Regeln als für eine Deponie. Ein Verfahren nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz mit Planfeststellung, Beteiligung, geologischer Erkundung und dergleichen mehr hat meines Wissens nicht stattgefunden. Ich betone es erneut: Es kann gerade an dieser Stelle nicht genug kommuniziert werden, womit wir es zu tun haben und warum es rechtlich sauber ist, wenn es sich miteinander vermengt. 

Im vorgelegten Abschlussbetriebsplan aus dem Oktober letzten Jahres, der aus meiner Perspektive eher keine Ergänzung ist, sondern eine Alternative, wird unter dem Abschnitt „Nachsorge“ Folgendes festgehalten - ich zitiere  :

„Die Nachsorgephase für die gesicherte Deponie Brüchau beginnt nach Fertigstellung des 2. Bauabschnitts. Sie umfasst die erforderlichen Überwachungs-, Kontroll- und Unterhaltungsmaßnahmen auf dem gesicherten Deponiestandort für die Abdichtungs- und Entwässerungselemente. Im Rahmen der Nachsorge wird die Stabilität des Deponiekörpers bzw. der darin enthaltenen Abfälle sowie der Auswirkungen der Sicherungsmaßnahmen auf das Grundwasser geprüft und beurteilt. 

Die Nachsorge kann enden, wenn die Deponie in einen Zustand überführt wurde, der auch zukünftig keine Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit erwarten lässt.“

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Klarheit, dass eine Einkapselung Sicherheit brächte, und Klarheit, welches Regelwerk gilt, ist das Gebot der Stunde. Diese Formulierung in dem Abschlussbetriebsplan ist aus meiner Perspektive jedenfalls eher hinderlich. Jede Uneindeutigkeit, jede mehrdeutig interpretierbare Antwort ist hinderlich. 

Die widersprüchliche Sprache in den Unterlagen zwischen Deponie und bergbaulicher Anlage fördert dieses Misstrauen. Deswegen schwebt die Frage im Raum, nach welchem Recht wir uns alle ausrichten müssen und was wir akzeptieren müssen, wenn es entschieden ist. 

Sie, Herr Minister - Sie haben vorhin selbst darauf hingewiesen  , haben in der letzten Plenarsitzung auf meine Frage hin ganz deutlich gemacht und haben es soeben wiederholt und betont, dass das LAGB rein formal keinen Handlungsspielraum hatte, da die Zulassungsvoraussetzungen für die Variante Einkapselung vorlagen waren und wir eine andere Lage der Möglichkeiten haben als seinerzeit beim einstimmigen Landtagsbeschluss zur Auskofferung.

Wenn es aber doch Wege gibt - es war eine Sternstunde in der Debatte, dass das vorhin sehr sachlich gewesen ist  , dann müssen wir noch einmal genau schauen, mit welchen Bedingungen wir es zu tun haben, also was es heißt, wenn die Firma econ industries diese Anlage aufbauen müsste, ob wir diese Zeit hätten oder nicht, und ob das für das LAGB eine andere Ausgangsposition schaffen würde.

Wir müssen all diese Dinge, glaube ich, so transparent wie möglich beschreiben, damit die Entscheidung dann vor Ort mitgetragen werden kann. Ich glaube, alles, was am Ende zu einer Entscheidung führt, bei der die Menschen vor Ort das Gefühl haben, nicht beteiligt worden zu sein und eine andere Variante vielleicht besser gewesen wäre, ist, wie auch immer, nicht förderlich.

Vertrauen, Klarheit, Ehrlichkeit und Nachvollziehbarkeit, darum geht es. Alles, was schwammig bleibt, oder auch alles, was sich hinter reines Verwaltungshandeln zurückzieht, ist für uns insgesamt, und für den politischen Raum sowieso nicht, nicht gut. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir werden noch darüber zu reden haben. Es steht die Frage im Raum, wie der Beschluss aus dem Jahr 2020 mit der jetzigen Situation zusammenzubringen ist. Ich finde, das sind wir als Parlament den Menschen und der Natur vor Ort schuldig. Im Moment müssen wir wahrscheinlich sowieso erst einmal abwarten, was aus der Klage wird und wie es weitergeht. 

Trotzdem haben wir parallel, finde ich, noch einiges an kommunikativer Arbeit, an Klarstellung und an fachlicher Debatte zu leisten. Noch einmal: Informieren ist etwas anderes als transparent zu kommunizieren und die Menschen mitzunehmen und ernstzunehmen. - Vielen Dank. 

(Beifall bei der SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Ich sehe keine Fragen.