Tagesordnungspunkt 24

Beratung

Impfschutz stärken - Impfaufklärung fördern, Grundimmunisierung sichern

Antrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/5492


Diesen Antrag wird jetzt Frau Anger für die Fraktion Die Linke einbringen. 


Nicole Anger (Die Linke): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Impfen ist eine der wirksamsten Maßnahmen, um Infektionskrankheiten und ihre teilweise lebensbedrohlichen Folgeerscheinungen zu verhindern. Impfungen schützen nicht nur Einzelne, sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Verantwortung. Gerade diejenigen, die auf den Schutz der Gemeinschaft angewiesen sind, Säuglinge, chronisch Kranke, ältere Menschen, Menschen mit geschwächtem Immunsystem, sind besonders auf eine hohe Impfquote angewiesen. Doch dieser Schutz gerät aktuell ins Wanken. Lassen Sie uns diesbezüglich auf die Zahlen und Fakten schauen, die unter anderem vom Landesamt für Verbraucherschutz im jährlichen Impfbericht dargestellt werden. 

Meine Damen und Herren! In Sachsen-Anhalt beobachten wir bedauerlicherweise einen Rückgang der Impfquoten bei Kindern und Jugendlichen, aber längst nicht nur dort. Grundsätzlich lässt sich feststellen, Grundimmunisierungen werden zu spät oder gar nicht abgeschlossen. Nur knapp zwei Drittel der Kleinkinder haben bis zum Alter von 15 Monaten eine vollständige Grundimmunisierung mit der wichtigen Sechsfachimpfung erhalten. Das ist bundesweit der schlechteste Wert. Liegt die Impfquote unter 90 %, dann verlieren wir den Gemeinschaftsschutz. Die Herdenimmunität bleibt dann nur noch ein Schlagwort. 

Die Konsequenzen sind längst spürbar. Keuchhustenfälle haben sich innerhalb eines Jahres, also von 2023 auf 2024, mehr als verzehnfacht. Hiervon betroffen sind insbesondere Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 17 Jahren. 

Auch bei Masern, Hib, Hepatitis B und Pneumokokken nehmen die Fallzahlen wieder zu. Das sind Infektionen, die wir mit einem ausreichenden Impfschutz längst weitgehend zurückgedrängt hatten. 

Die aktuellen Einschulungszahlen belegen weiterhin, dass nur 88,4 % der Kinder eine vollständige Grundimmunisierung gegen Polio haben. Acht Landkreise liegen unter 90 %. Dabei gilt laut WHO eine Impfquote von mindestens 95 % als notwendig, um einen wirksamen Schutz der Bevölkerung sicherzustellen. 

Bei Diphtherie und Tetanus hat sich die Impfquote ebenfalls verschlechtert, und zwar von ehemals 96 % auf nur noch 89,9 %. Der Altmarkkreis Salzwedel weist mit 84,2 % die niedrigste Quote im Land auf. Bei Hib, einer Erkrankung, die bei ungeimpften Kindern zu lebensbedrohlichen Hirnhautentzündungen führen kann    


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Anger, einen Augenblick bitte. - Zwiegespräche über den Gang hinweg sind wirklich schwierig. 

(Zuruf) 

Wir sind jetzt bei der letzten oder vielleicht der vorletzten Rede dieses Tages. Wir sind beinahe am Ziel, weswegen ich um ein wenig Disziplin bitte. - Frau Anger, bitte. 


Nicole Anger (Die Linke):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Bei Hib, einer Erkrankung, die bei ungeimpften Kindern zu lebensbedrohlichen Hirnhautentzündungen führen kann, liegt die durchschnittliche Impfquote bei nur noch 87,3 %. In neun Landkreisen unterschreitet sie die 90-Prozent-Marke mit regionalen Unterschieden von bis zu 14 Prozentpunkten. 

Nur knapp 62 % der Kinder verfügen bei der Einschulung überhaupt über einen vollständigen Gesamtimpfstatus. Das heißt, alle von der Stiko empfohlenen Impfungen wurden nur bei zwei von drei Kindern bis zur Einschulung durchgeführt. 

Meine Damen und Herren! Diese Entwicklung zeigt: Wir verlieren an Schutz. Keuchhusten, Polio und Tetanus sind keine Krankheiten von gestern, sie sind zurück und sie treffen uns dort, wo wir am verletzlichsten sind. 

Was bedeutet das konkret? - Wir erreichen unsere Gesundheitsziele nicht, und zwar nicht zufällig, sondern systematisch. Eltern fühlen sich unzureichend informiert, haben vielleicht nicht alle Impfungen im Blick, werden zu wenig erreicht. Arztpraxen arbeiten am Limit. Der öffentliche Gesundheitsdienst wurde über Jahre hinweg ausgedünnt und Fachkräfte fehlen. 

Und die Reaktion der Landesregierung? - Appelle und Pressemitteilungen zur Impfwoche. Die Gesundheitsministerin ruft im Rahmen der Europäischen Impfwoche dazu auf, Impflücken zu schließen. Das ist gut gemeint und sicherlich auch völlig richtig, aber Appelle allein reichen nicht. Es braucht handfeste Maßnahmen, niedrigschwellige Angebote, verbindliche Öffentlichkeit, vielleicht auch Anreize wie das Bonusheft, das man beim Zahnarzt oder der Zahnärztin bekommt. 

Meine Damen und Herren! Gesundheit ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Wenn wir wissen, und das tun wir, dass Impfungen verzögert erfolgen, dass viele Kinder im entscheidenden Alter noch keinen ausreichenden Schutz haben, dass Eltern zunehmend verunsichert sind, dann darf sich Gesundheitspolitik nicht in Mahnungen erschöpfen, dann müssen wir handeln und nicht mahnen,

(Beifall bei der Linken)

und zwar handeln mit guten Konzepten, mit Präsenz vor Ort und einem klaren politischen Willen, mit einer koordinierten, öffentlich getragenen Impfkampagne, die informiert und aufklärt. 

Meine Damen und Herren! Wir brauchen Aufklärungskampagnen, die auf Augenhöhe informieren, und zwar in Schulen, Kitas, in den sozialen Medien, bei Beratungen im Rahmen von Vorsorge, bei Schwangeren über Hebammen. Wir brauchen funktionierende Impferinnerungssysteme, wie sie in anderen Ländern längst Standard sind. Wir brauchen einen stark aufgestellten öffentlichen Gesundheitsdienst, der nicht nur in der Krise sichtbar ist, sondern dauerhaft präsent, ansprechbar und vor Ort, und zwar in jeder Region und in jedem Landkreis. 

Was wir mit unserem Antrag fordern, das ist keine kurzfristige Werbemaßnahme, sondern eine langfristige, dauerhafte Initiative für Prävention und Vertrauen, eine Offensive, die die Empfehlung der STIKO konsequent umsetzt, von der frühen Grundimmunisierung über die HPV-Impfung bis zum Schutz älterer Menschen vor Grippe, Gürtelrose und Pneumokokken. 

Meine Damen und Herren! Es darf nicht vom Wohnort abhängig sein oder vom Zufall, ob ein Kind oder ein Erwachsener geschützt ist oder eben nicht. Gesundheitsschutz muss für uns alle zugänglich, erreichbar und verlässlich sein. Es geht um ein Gesundheitssystem, das schützt, bevor es handeln muss, um eines, das aufklärt, bevor es zu spät ist, und um eines, das vor allen Dingen alle Menschen erreicht und nicht nur die, die sich ohnehin gut auskennen. 

(Beifall bei der Linken)

Meine Damen und Herren! Wenn wir heute handeln, dann können wir verhindern, dass alte Krankheiten wieder neue Realität werden, und wir können ihre teils schwerwiegenden Begleiterscheinungen vermeiden, die unter Umständen im schlimmsten Fall zum Tod führen. Wenn wir heute handeln, dann zeigen wir, dass öffentlicher Gesundheitsschutz für alle Menschen in unserem Land da ist, als wesentliche Säule der Daseinsvorsorge. 

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank. 

(Beifall bei der Linken)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Anger. - Es gibt eine Intervention von Frau Dr. Schneider. 


Dr. Anja Schneider (CDU): 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da wir uns irgendwie darauf geeinigt haben, dass nur wenige Reden gehalten werden, möchte ich wenigstens ein, zwei Punkte nennen. Also, ich hoffe, dass wir das Thema im Sozialausschuss behandeln und dann wirklich einmal gucken, was wir für Zahlen haben; denn die Grundimmunisierung bei unseren Schulanfängern liegt bei 95 %, also bei Röteln, Mumps, Masern usw. 

(Zustimmung bei der SPD und von Markus Kurze, CDU - Ministerin Petra Grimm-Benne: Ja! Genau!)

Wir sind als Sachsen-Anhalt wirklich Vorbild. Wir sind weit vorne. Ich lobe ja nicht oft das Sozialministerium, aber das machen sie wirklich gut. 

(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)

Sie haben die HPV-Impfung angesprochen. 76 % der jugendlichen Mädchen bis zum 17. Lebensjahr sind HPV-geimpft. Damit sind wir Spitzenreiter in der Bundesrepublik. 

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Das muss man einmal sagen. Ich möchte auch meinen ganz herzlichen Dank an alle Eltern in Sachsen-Anhalt aussprechen, die so verantwortungsvoll mit ihren Kindern umgehen. Also, das kann man dramatisieren, mit großen Kampagnen wirklich die Jugendschutzuntersuchungen wahrzunehmen   es wird selbstverständlich über Impfungen beraten  , aber, ich denke, gerade bei diesem Thema sind wir in Sachsen-Anhalt ganz weit vorne. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Anger, wollen Sie reagieren? 


Nicole Anger (Die Linke): 

Ja. - Vielen Dank für Ihre Intervention an der Stelle. Es gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass die Zahlen unter anderem aus dem Impfbericht des Landesamtes für Verbraucherschutz stammen und aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die ich an die Landesregierung gestellt habe. Also, es sind keine Zahlen, die ich mir erstellt habe, sondern die wirklich eine Grundlage vom Land an der Stelle haben. 

Ich finde es gut, wenn wir darüber im zuständigen Ausschuss sprechen, vor allen Dingen auch deshalb, weil Sie HPV gerade angesprochen haben. Wir mögen bei Mädchen eine steigende Quote haben, aber gucken Sie einmal auf die Zahlen für Jungen. 

(Dr. Anja Schneider, CDU: Bei den Jungen liegt sie bei 42 %! - Dr. Katja Pähle, SPD: Ja!)

Auch darauf liegt eine große Verantwortung. Bei Jungen ist der Anteil mit HPV-Impfungen sehr gering, Frau Dr. Schneider. 

(Dr. Anja Schneider, CDU, meldet sich zu Wort)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Dr. Schneider, kurz! 


Dr. Anja Schneider (CDU): 

Ganz kurze Antwort. Bei den Jungen liegt die Quote bei 42 %. Das ist deutlich weniger, aber auch damit sind wir im Bundesvergleich 

(Dr. Katja Pähle, SPD: Spitze!)

ganz weit vorne. Das möchte ich noch sagen. 

Ach so, die Zahlen, ganz kurz nur. 

(Unruhe) 

Es ist natürlich regional unterschiedlich. Das reicht von 83 % bis 97 %, aber im Endeffekt, wenn man das aufsummiert   wir werden das besprechen und dann schauen wir uns das noch einmal genau an. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Ich verstehe Frau Dr. Schneider jetzt so, dass Sie eine Überweisung dieses Antrages an den Sozialausschuss beantragt. Ja?

(Zustimmung von Konstantin Pott, FDP)


Nicole Anger (Die Linke): 

Ich freue mich, Frau Dr. Schneider, wenn Sie sich das Dashboard vorher genau angucken und die Zahlen, die ich gerade genannt habe, nachverfolgen können. Auch im Impfbericht des Landesamtes für Verbraucherschutz, wie gesagt, finden Sie das wieder. Darin können Sie das alles nachlesen. Ich freue mich, wenn wir darüber beide dann im Ausschuss auf der Grundlage der Fakten diskutieren.