Tagesordnungspunkt 8

Beratung

Sicher wohnen - solidarische Pflicht zur Elementarversicherung einführen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/5578


Frau Lüddemann, Sie haben das Wort.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Heimat, zu Hause - wo fühlen Sie sich zu Hause, geborgen, werte Kolleginnen und Kollegen? - Ein gemütlicher Ort, ein schöner Lebensraum, ein Ort, an dem wir nach einem anstrengenden Arbeitstag zur Ruhe kommen, uns fallen lassen können, welchen wir persönlich einrichten, mit der Familie und mit Freunden teilen, ein Ort, an dem wir unsere Kinder großziehen und Geburtstage feiern, aber manchmal auch Abschied nehmen - egal wie gebaut, unser Zuhause ist nie ein kalter Betonblock.

Glück, Geborgenheit, Identität, Zugehörigkeit, das sind alles Begriffe, die wir mit einem Zuhause verbinden. Wenn aus diesem sicheren Ort nun ein Opfer der Flutgewalt wird, dann entstehen nicht nur finanzielle Schäden. Es versickern Lebensgrundlagen und ganze Existenzen gehen im Strudel der Zerstörung unter. Schäden, die durch Naturereignisse entstehen, sogenannte Elementarschäden, können jeden und jede treffen. An der Elbe kann es das Hochwasser sein, im Harz ein Feldsturz oder in der Altmark ein Hagel, bei Köthen ein Tornado oder an praktisch fast jeder Stelle, völlig überraschend, ein Starkregenereignis.

Mit dem Klimawandel wird das Wetter gewaltiger. Extreme wie Hochwasser, Hagel oder Stürme werden häufiger und heftiger. Hagelkörner unterbrechen bedeutende Fußballspiele und ein Hochwasser reiht sich an das Nächste. Wir sollten statt von einem Jahrhunderthochwasser lieber von einem Hochwasserjahrhundert sprechen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Und obwohl es vor 100 Jahren auch schon extreme Hochwasser gab, so kann man es nicht mit heute vergleichen.

(Zuruf: Warum nicht?)

Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden Täler immer dichter bebaut und auch der Hausbau ist moderner geworden. Wo früher im Keller nur Holz und Kartoffeln lagerten, stehen jetzt die Waschmaschinen und die Haustechnik. Die Kosten von früher und heute sind nicht vergleichbar.

Jahrzehntelang wurden Siedlungen in Überschwemmungsgebieten ausgewiesen, weil Risikokarten nicht vollständig waren. Das zeigt das Ahrtal beispielhaft; denn es wurde nicht nur ausgewiesen, es wurde auch gebaut.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Mittlerweile wurden diese Karten weitgehend aktualisiert und es gibt strengere Vorlagen. Ein Bundesgesetz zur Verschärfung der Regelungen, das es nämlich verboten hätte, in Überschwemmungsgebieten zu bauen, lag in der Ampelregierung vor, wurde aber durch den überraschenden Ausstieg der FDP nicht verabschiedet.

(Konstantin Pott, FDP: Der Minister wurde übrigens entlassen, durch Sie!)

Somit werden weiterhin Häuser in Überschwemmungsgebieten gebaut. Allein von 2013 bis 2018 wurden 29 Bebauungspläne in Überschwemmungsgebieten erstellt. Dort leben Familien, die sich mittlerweile ein rauschendes Leben aufgebaut haben. Die sehr günstigen Grundstücke treffen im aktuell angespannten Wohnungsmarkt immer wieder auf naive Käuferinnen, fast nach dem Prinzip „einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“.

Fahrlässig wird Wirtschaftlichkeit über Sicherheit gestellt - ein riskantes Pokerspiel, das nicht nur die eigene Existenz gefährdet, sondern auch Einsatzkräfte. Die Anwohnenden vertrauen den Kommunen und unserem Land. Solange also eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, kann es doch nicht so schlimm sein. Im Zweifel wird es der Staat schon richten.

Das Land muss Verantwortung zeigen und ein Verbot ohne Ausnahmen durchsetzen. Starkregenereignisse können wir nicht mehr verhindern. Wir können aber verhindern, dass Hochwasser Lebensgrundlagen zerstören.

Das Bauen in Überschwemmungsgebieten ist also keine alleinige Entscheidung der Menschen. Ein Haus steht nicht allein am Fluss. Straßen, Gasleitungen, Stromkabel, all das sind öffentliche Infrastrukturen, die den Hausbau begleiten, Infrastruktur, die durch den Steuerzahler finanziert wird und die in der Verantwortung des Staates, der Allgemeinheit liegt.

Es ist wichtig, dass wir als Land präventiv eingreifen und generell ohne Ausnahmen das Bauen in Überschwemmungsgebieten verbieten. Nur so kann solidarisch eine Versicherung wirken. Es wäre unfair, weitere Neubauten von zum Teil sogar sehr luxuriösen Häusern zu erlauben. Denn natürlich ist ein Haus am Fluss   der Nachbarn weit weg   eine Mega-Lage und für viele erstrebenswert. Im Schadensfall werden die Kosten dann aber doch von allen getragen.

Diese sind zwar nicht die Regel, aber auch die Ausnahmen wollen wir als Partei nicht gewährleisten. Wenn also ein Fluss mal wieder überläuft, sind auch immer öffentliche Einrichtungen und Bauten betroffen. Am Ende trägt immer der Staat die Kosten, am Ende tragen immer die Menschen die Kosten.

Ähnlich wie bei der Anschnallpflicht oder der Kfz-Haftpflicht stehen die Interessen der Allgemeinheit über denen einer Privatperson. Warum also nicht bei Gebäuden? Die Kfz-Haftpflicht würde doch niemand mehr ernsthaft in Zweifel ziehen. Warum sollten wir nicht Ähnliches für Gebäude einführen?

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn Häuser geschützt werden, bleiben Dächer über dem Kopf und Arbeitsplätze erhalten. Das ist auch für die ganze Gesellschaft von Bedeutung.

Als Land ist es unsere Verantwortung, die Menschen zu schützen und das Land kann dieser Verantwortung unabhängig vom Bund nachkommen. Das hat ein Gutachten ergeben, welches der FDP-Justizminister Buschmann damals beauftragte. Auch in Baden-Württemberg gab es zeitweise eine solche eigenständige Pflichtversicherung.

Eine politische Entscheidung muss vor dem nächsten Hochwasser getroffen werden. Wir müssen jetzt handeln. Am Ende werden die Versicherungen in die Bresche springen. Damit diese sich aber nicht eine goldene Nase verdienen, müssen wir als Land eingreifen und staatlich kontrollieren.

Wir wollen eine solidarische Pflichtversicherung ohne Aktionäre, ohne Beitragszonen. Denn gerade diese führen dazu, dass Versicherer bei einer Änderung solcher Zonen langfristige Verträge kündigen und teuer wieder neu anbieten, unabhängig davon, ob überhaupt ein Schaden auftrat.

Der Preis einer Pflichtversicherung spielt ebenso eine entscheidende Rolle. In den USA spitzt sich die Situation aufgrund der andauernden Katastrophen zu. Die Bilder eines verbrannten Los Angeles haben wir sicherlich alle im Kopf. Auf einen Schlag wurden Zehntausende Menschen obdachlos. Weil diese Naturkatastrophen, genauso wie Überschwemmungen bei uns   bspw. an der Elbe oder denken wir an das letzte Winterhochwasser in MSH   nicht kalkulierbar sind, erhöhen sich die Prämien der Versicherer oder sie ziehen sich gleich ganz aus dem Geschäft zurück.

Die Folge: Die Menschen haben nicht einmal mehr die Möglichkeit, eine Versicherung abzuschließen. Dieses Bild zeigt sich eben auch in Deutschland immer öfter. Wo vor zehn Jahren eine Flutkatastrophe war, ist heute eine Versicherung kaum noch bezahlbar, oder sie wird eben gar nicht erst angeboten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir können in diesem Fall von Frankreich lernen. Frankreich agiert wiederum zusätzlich als Rückversicherer mitsamt Staatsgarantie. Seit 42 Jahren sind dem Staat dabei nur Kosten in Höhe von 263 Millionen € entstanden. Das ist ein Bruchteil der Kosten, die wir in Deutschland bereits investieren mussten.

Dadurch, dass in Frankreich 98 % der Menschen eine Elementarversicherung haben, ergibt sich im Durchschnitt ein Jahresbeitrag von 42 €. Die Summe berechnet sich dabei gerecht nicht nach dem Risiko, sondern nach der Hausgröße.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Kathrin Tarricone, FDP: Was ist denn daran gerecht!)

In Deutschland hat gerade einmal die Hälfte der Hausbesitzer eine Elementarversicherung. Die Kosten können dann auch schnell in den vierstelligen Bereich ragen. Mit staatlichen Kontrollen bleiben Häuser in gefährdeten Gebieten unbezahlbar.

Ähnlich wie in Frankreich können auch nach unseren Vorstellungen die Eigentümerinnen auf eine Pflichtversicherung verzichten. Eine alte Scheune am Fluss oder das nicht bewohnte Haus kann man ausnehmen. Dann muss man aber wissen, dass man im Ernstfall nichts vom Staat bekommt. Man kann nicht vom Kuchen etwas abbekommen, wenn man sich beim Backen nicht beteiligt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Da in Sachsen-Anhalt mehr als die Hälfte der Bevölkerung zur Miete wohnt, ist es notwendig sicherzustellen, dass diese Kosten nicht auf die Mieter abgewälzt werden.

(Kathrin Tarricone, FDP: Auf keinen Fall!)

Obwohl eine Elementarversicherung vielleicht den Fernseher oder das Bett wieder zurückbringen kann, so werden Fotos der Kinder, die Erbstücke der Oma oder der erste Liebesbrief für immer verloren sein. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Menschen in diesem Land nicht nur nach dem Ereignis absichern, sondern vorab alles Mögliche tun sollten, um Fluten und Brände möglichst zu verhindern.

Die Ereignisse vor unseren Haustüren zeigen, dass der Klimawandel kein abstrakter Begriff ist. Der Klimaschutz geht uns alle etwas an, auch wenn es nur darum geht, dass alle die Kosten tragen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir tragen aber auch gemeinsam die Verantwortung und sind quasi gezwungen, gemeinsam Lösungen zu finden, auch wenn einige von Ihnen den Menschen in diesem Land einreden wollen, dass das alles doch gar nicht so schlimm ist und dass das nicht so kommen wird.

So verlor erst vor einem Monat eine Familie in Dardesheim ihr Haus wegen einer Starkregenzelle, und Landwirte fürchten um ihre Ernten. Aber so groß, so offensichtlich die Katastrophen sind, so sind die Möglichkeiten, diese zu verhindern, so billig und so schnell zu realisieren wie möglich, wenn man an einem Strang zieht. Deshalb haben wir in der Bauordnung das Schwammstadt-Prinzip verfestigt. Wenn bei starkem Regen das Wasser in den Städten problemlos abfließt, haben wir weniger Schadensereignisse; denn die Versickerungsflächen werden größer. Anstatt weitere klimapolitische Rückschritte zu unternehmen, gehen wir gemeinsam unermüdlich voran.

Wir werden weiterhin für einen besseren Klimaschutz und für mehr erneuerbare Energien kämpfen. Nur so können wir eine Zukunft aufbauen, in der wir alle sicher leben können. Aber heute soll es darum gehen, solidarisch über alle Häuser hinweg eine Versicherung einzuführen. Dann sind die Prämien auch bezahlbar.

(Kathrin Tarricone, FDP: Aber ohne Mieter!)

Dann haben wir ein kalkulierbares Risiko, wenn doch Schäden entstehen. Das sind wir den Menschen in diesem Land schuldig. - Vielen Dank.