Dr. Katja Pähle (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der langjährige Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Dr. Volkhard K. bezeichnete die Gedenkstätten einmal als kulturelle Grundausstattung der Bundesrepublik. 

(Eva von Angern, Die Linke: Ja!)

Er bezog sich dabei auf den Wandel der Gedenkstätten, von Einrichtungen, die lange um ihre gesellschaftliche und politische Akzeptanz ringen mussten. Denn Gedenkstättenfahrten und das Aufrechterhalten von solchen Gedenkstätten waren nach dem Zweiten Weltkrieg keine Selbstverständlichkeit. Deswegen war das auch so schwierig. Heute ist das nicht mehr aus der bundesdeutschen Erinnerungslandschaft wegzudenken - zum Glück. 

Gedenkstätten sind authentische Orte, an denen das Leid der Opfer bis heute spürbar ist, sie sind Orte der Information, der Forschung und Sammlung, der Präsentation und Kontextualisierung authentischer baulicher Überreste. Gedenkstätten sind Orte der lebendigen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und einer umfassenden und vielfältigen Bildungs- und Vermittlungsarbeit. Sie sind von Unorten - einem Ort, an dem grauenvolle Verbrechen begangen wurden - zu einem Lernort für die heutige, die zukünftigen Generationen geworden. Sie halten das Wissen und die Erinnerung an das, was geschehen ist, wach. 

Das ist deshalb auch so wichtig, weil insbesondere in Bezug auf die Verbrechen des Nationalsozialismus uns die Zeitzeugen langsam verloren gehen, und uns nur noch diese Gedenkstätten und die dortige Aufbereitung geblieben sind, um die junge Generation damit wach zu rütteln und zu informieren. 

Deshalb will ich an dieser Stelle ein besonderes Projekt erwähnen, nämlich das in Halle organisierte „Tagebuch der Gefühle“. Das ist ein Projekt, bei dem sich Schülerinnen und Schüler, und zwar auf freiwilliger Basis, ganz intensiv mit dem Thema Antisemitismus und Verfolgung im Nationalsozialismus auseinandersetzen. Die Schüler verbringen ihre Freizeit damit, Lebensläufe zu recherchieren und aufzudecken, was mit den Nachbarn in der Zeit des Nationalsozialismus passiert ist. Sie besuchen freiwillig Gedenkstätten der Judenverfolgung wie Auschwitz, haben das aber mittlerweile auch in europäischen Nachbarländern fortgesetzt. Solche Projekte braucht es viel, viel mehr, damit Erinnerung wach bleibt. 

(Beifall bei der SPD und bei der Linken)

Viel zu leicht ist es, diese unglaublichen Verbrechen mit dem zeitlichen Abstand zu relativieren, sie als Vogelschiss zu bezeichnen, eine Kehrtwende um 180 Grad zu fordern oder - wie wir es in der letzten Sitzung hören mussten - Raum zu geben, um Vergangenes vergessen zu lassen. All das darf nicht passieren und an dieser Stelle sind meine Fraktion und wir in der Koalition absolut einer Meinung. 

(Beifall bei der SPD und bei der Linken - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich möchte aber auch erwähnen, dass in diese Erinnerungskultur auch die Stätten der SED-Diktatur einzubeziehen sind. Auch hierbei erleben wir in der aktuellen Zeit Relativierungen, Beschönigungen, Schönfärbereien über das, was in der DDR doch so großartig gelaufen ist, und das Weglassen und Vergessenmachen der anderen Dinge. Auch das wird in Familien zu wenig thematisiert, wenn man über 40 Jahre Diktatur redet. 

Lassen Sie mich zum Abschluss eines einordnen. Die Verpflichtung auch von Schulen zu Gedenkstättenbesuchen muss mit Bedacht gesetzt sein. Es muss diskutiert werden, was das für die Schulen bedeutet. Neben den organisatorischen Problemen, die die Ministerin nannte - die man sicherlich lösen kann -, ist es aber auch eine Problematik, die, glaube ich, auch mit der Bildung und Weiterbildung von Lehrkräften zusammenhängt. Diese Besuche müssen pädagogisch gut vor- und nachbereitet werden. 

(Stefan Gebhardt, Die Linke: Steht im Antrag drin! - Ministerin Eva Feußner: Gar nicht! - Stefan Gebhardt, Die Linke: Steht drin im Text!)

Der Besuch alleine verändert das Denken von Schülerinnen und Schülern nicht automatisch. Wir brauchen Konzepte - ich möchte an dieser Stelle den Hinweis der Ministerin aufgreifen - dafür, wie wir es schaffen, dass jeder Schüler, jede Schülerin tatsächlich im Verlauf des Schulbesuches von dieser Zeit erfährt. 

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben einen Anteil von Schülerinnen und Schülern, die vor der neunten Klasse die Schule verlassen. 

(Eva von Angern, Die Linke: Ja!)

Sie haben dann nichts, gar nichts über die Zeit des Nationalsozialismus gehört und erfahren. 

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN)

Die Instrumente der pädagogischen Vermittlung in einer bspw. siebten Klasse müssen dann nur andere sein als das, was bisher unter den Fachlehrern gelebt und getan wird. Das ist eine Zukunftsfrage für uns: Wie stellen wir sicher, dass jeder junge Mensch sowohl über den Nationalsozialismus als auch über das, was in der DDR passiert ist, etwas gehört hat, auch wenn er unter bestimmten Umständen vielleicht schon in der siebten, achten Klasse die Schule verlassen hat? 

Das Projekt „Tagebuch der Gefühle“ ist deshalb entstanden, weil der dortige Projektleiter von einem Schüler im BVJ mit folgender Frage konfrontiert wurde: Wann ist Hitler eigentlich abgewählt worden? - Genau das darf nie wieder passieren.