Tagesordnungspunkt 16

Aussprache zur Großen Anfrage

Die Situation für Einelternfamilien und Alleinerziehende in Sachsen-Anhalt

Große Anfrage Fraktion Die Linke - Drs. 8/4880

Antwort der Landesregierung - Drs. 8/5336

Unterrichtung Landtag - Drs. 8/5466

Entschließungsantrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/5570


Für die Aussprache zur Großen Anfrage wurde die Debattenstruktur D, also eine 45-Minuten-Debatte, vereinbart. Reihenfolge der Fraktionen und ihre Redezeit: CDU 13 Minuten, AfD acht Minuten, FDP zwei Minuten, GRÜNE zwei Minuten, SPD drei Minuten und Die Linke vier Minuten. 

Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages erteile ich zuerst der Fragestellerin das Wort. Sie steht bereits am Rednerpult. Frau Hohmann für die Fraktion Die Linke hat nunmehr das Wort. - Bitte sehr. 


Monika Hohmann (Die Linke): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Alleinerziehende Elternteile stellen eine besondere gesellschaftliche Gruppe dar, die vor zahlreichen Herausforderungen steht. In Sachsen-Anhalt sind diese vielfach spürbar. Die demografische Lage, der Arbeitsmarkt und soziale Strukturen beeinflussen das Leben von Alleinerziehenden entscheidend. 

In unserer Großen Anfrage wollten wir die Lebensumstände von Einelternfamilien näher beleuchten. Im Jahr 2023 waren ca. 28,3 % der Familien Alleinerziehende. Das entspricht einer Zahl von ca. 79 000 Einelternfamilien in Sachsen-Anhalt. Davon waren 82 % Frauen und 14 000 Männer. 

Ein Drittel der Alleinerziehenden in Sachsen-Anhalt sind akut von Armut bedroht. Das ist ein großes Problem für unser Land. Es macht deutlich, wer Kinder haben möchte, der ist einem steigenden Armutsrisiko ausgesetzt. Für viele Alleinerziehende reicht der Arbeitslohn kaum zum Leben, weil sie nur über ein geringes Einkommen verfügen und ggf. aufstocken müssen. 

Im Jahr 2023 lag die Armutsgefährdungsquote, also 60 % des Medians der Einkommen, der Menschen in Sachsen-Anhalt bei 15,4 %. Bei Alleinerziehenden war diese Quote jedoch mehr als doppelt so hoch; sie lag nämlich bei 33,1 %. Während immer mehr Alleinerziehende einem Job nachgehen und in Vollzeit arbeiten, ist der Anteil an Teilzeitbeschäftigten weiterhin sehr hoch. Von den ca. 79 000 Alleinerziehenden verfügten im Jahr 2023 ca. 16 900 Personen über ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1 500 € und 2 000 €. Das entspricht einem Anteil von 21,4 %. Dabei hat die Landesregierung anders als in den Jahren zuvor dieses Mal keine Angaben zu den Einkommen unter 1 500 € gemacht. 

Die Zahl für Nettoeinkommen in Höhe von weniger als 1 500 € lag im Jahr 2022 bei ca. 14 700 Personen. Wir gehen davon aus, dass es im Jahr 2023 ähnlich aussah. Wenn das so wäre, dann würde das einen Anteil von 18,6 % ausmachen. Das heißt, wenn man beide Anteile addiert, dann kommt man zu einem Anteil von ungefähr 40 % der Alleinerziehenden, die weniger als 2 000 € netto verdienen. 

Für weitere 12 100 Familien hat die Landesregierung gar keine Daten angeboten. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Wie sieht es nun mit der Erwerbstätigkeit von Alleinerziehenden aus? Darüber ist hier im Hohen Haus immer wieder einmal diskutiert worden. Im Jahr 2023 gab es, wie ich vorhin schon erwähnte, 79 000 Alleinerziehende. Davon waren 50 000 erwerbstätig. Das entspricht einem Anteil von 63 %. Allerdings hatten wir schon einmal einen höheren Wert gehabt, nämlich im Jahr 2019. Damals lag der Anteil der erwerbstätigen Alleinerziehenden bei 66 %. 

Wenn man sich die Zahlen anschaut   das haben wir ja getan  , dann kann man sagen, dass Sachsen-Anhalt mit dieser Erwerbsquote für Alleinerziehende im Ländervergleich auf Platz 11 liegt und im Vergleich mit den anderen ostdeutschen Bundesländern auf Platz 5, d. h. auf dem vorletzten Platz. 

Weiterhin sind 29 000 Elternteile erwerbslos oder Nichterwerbspersonen. Darunter befanden sich im Jahr 2024  8 046 Personen in der Arbeitslosigkeit. Gemessen an allen Arbeitslosen, die wir hier im Land haben, ergibt dies einen Anteil von 9,5 %. Das waren in den letzten Jahren im Schnitt immer zwischen 8 % und 10 % der Alleinerziehenden, die arbeitslos waren. 

Das Schöne war bei dieser Auswertung, dass auch die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städten mit herangezogen worden sind. Die meisten arbeitslosen Alleinerziehenden befinden sich in der Landeshauptstadt Magdeburg und im Landkreis Stendal mit einem Anteil von jeweils 10,7 %. 

Ich habe dann nicht schlecht gestaunt, als ich gesehen habe, den geringsten Anteil verzeichneten   man höre und staune!   der Landkreis Mansfeld-Südharz mit einem Anteil von 7,4 % - also, ein Toppergebnis   und der Landkreis Börde mit einem Anteil von 8 %. Also, es ist doch schon eine Überraschung gewesen. 

Sehr geehrte Damen und Herren! In Bezug auf die Lebensrealitäten von Einelternfamilien bspw. bei Themen wie Kinderbetreuung, Wohnen oder auch Vereinbarkeit von Familie und Beruf verfügt die Landesregierung über eine sehr spärliche Datengrundlage. Es gibt keinerlei spezifische Maßnahmen zur Kinderbetreuung oder zur Entwicklung von Arbeitsmarktprogrammen für Alleinerziehende. Das hat bei uns nur den Schluss zugelassen, dass die Landesregierung keinerlei Motivation hat, um die Lage von Alleinerziehenden zu verbessern. 

(Konstantin Pott, FDP: Oh!)

Wenn man dann die Pressemitteilung der Sozialministerin gelesen hat, die sagte, dass alles gut sei bei den Alleinerziehenden, bei dem, was wir hier alles machten, dann müsste man meinen, es sollte uns topp gehen, aber die Antworten auf die Große Anfrage haben das nicht widergespiegelt. Deshalb kommen wir nur zu dem Schluss, mit dieser wirklich   in Anführungsstrichen   blinden Sozialpolitik muss unbedingt aufgehört werden. 

Die erkennbare Mehrheit an alleinerziehenden Müttern - das wissen wir alle aus den Statistiken - macht das erhöhte Armutsrisiko von Frauen sichtbar. Das vergrößert die Armutsfalle für viele Frauen im Alter. Deshalb haben wir ja auch gerade so viele Frauen, die dann im Alter eine geringe Rente erhalten. 

Hinzu kommt die alleinige Verantwortung für Kinderbetreuung und Hausarbeit, was die alltägliche Belastung im Verhältnis zu Familien mit zwei Elternteilen enorm steigert und besondere Anerkennung sowie Unterstützung verdient. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist aus unserer Sicht zu tun? - Die Lage der Alleinerziehenden muss dringend verbessert werden. Die Landesregierung ist im Zugzwang, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir fordern die Einrichtung eines runden Tisches „Einelternfamilien“ 

(Zustimmung von Eva von Angern, Die Linke)

zur Feststellung der real bestehenden Herausforderungen und Problemlagen im Lebensalltag alleinerziehender Eltern und ihrer Kinder. Wir wünschen uns auch, dass diese die Möglichkeit haben, hieran mitzuwirken, damit sich an ihrer Lebensrealität wirklich etwas verbessern kann; denn wie heißt es so schön: nicht über uns, sondern mit uns reden. 

(Zustimmung bei der Linken)

Außerdem braucht es einen Aktionsplan für Einelternfamilien, um passgenaue Unterstützungsmaßnahmen für Alleinerziehende zu entwickeln. 

In der Antwort auf die Große Anfrage wurden ja aus vielen Ministerien Maßnahmen geschildert, die alle schon gemacht werden. Allerdings sind das oftmals nur Maßnahmen, die ESF-gestützt sind und nach wenigen Jahren auslaufen. Man hat hinterher auch keine Möglichkeit zu schauen, wie denn die Maßnahmen überhaupt gewirkt haben. 

Deshalb sagen wir, dass über diesen Aktionsplan dann auch im Landtag und in den Fachausschüssen beraten werden muss, um zu schauen, wie die Maßnahmen wirklich zielgenau umgesetzt werden können, um dann auch die Maßnahmen des runden Tisches überprüfen zu können. 

Außerdem verlangen wir von der Landesregierung   ich habe erst überlegt, ob ich schreibe, wir bitten, aber ich denke einmal, verlangen ist schon besser  , 

(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Nein, ist zu wenig!)

dass sie sich auf Bundesebene für die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie für zusätzliche Sorgeauszeiten für Alleinerziehende einsetzt. 

(Zustimmung bei der Linken)

Also, ich denke, das ist ein Mindestmaß, das wir auch verlangen können. Wir wissen, dass gerade das Thema der Kindergrundsicherung seit Jahren   ich würde schon behaupten: seit Jahrzehnten   immer wieder ausgesetzt wird. Das hilft natürlich keinem weiter, vor allen Dingen nicht denjenigen, die alleinerziehend sind und Kinder haben. 

Des Weiteren braucht es einen besseren Personalschlüssel in unseren Kitas   das geht schon seit Jahren so, dass es unbedingt kommen muss   

(Ulrich Thomas, CDU: Noch besser?)

und, damit verbunden, flexiblere Betreuungszeiten in den Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt. Wir haben zwar den Rechtsanspruch bis zum 14. Lebensjahr, aber alle, die schon länger hier im Hohen Haus sind, wissen, was wir für Probleme haben mit Kindern, die in Schulen für geistige Behinderungen unterrichtet werden, die dann älter als 14 Jahre sind, für die keine Betreuung gefunden werden kann. Ich könnte noch weitere Beispiele aufzählen. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Sachsen-Anhalt hat in den letzten Jahren mit einem Rückgang der Bevölkerungszahl zu kämpfen. Die Abwanderung junger Menschen in andere Bundesländer und der demografische Wandel führen dazu, 

(Ulrich Siegmund, AfD: Das ist kein Wandel!)

dass immer mehr ältere Menschen in der Region leben. Dies betrifft auch Einelternfamilien, von denen viele allein für ihre Kinder verantwortlich sind, oft ohne familiäre Unterstützung. Der hohe Anteil von Alleinerziehenden, der sich insbesondere in ländlichen Gebieten zeigt, stellt die soziale Infrastruktur vor große Herausforderungen. 

Insgesamt zeigt sich, dass Alleinerziehende in Sachsen-Anhalt vor vielfältigen Problemen stehen. Die ökonomische Unsicherheit, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie psychosoziale Belastungen prägen ihren Alltag. Es bedarf umfassender Strategien und Maßnahmen auf politischer, sozialer und auch kommunaler Ebene, um die Lebenssituation dieser Familien nachhaltig zu verbessern. 

(Marco Tullner, CDU, zustimmend: Sehr richtig!)

- Danke. 

Der Ausbau von Betreuungsangeboten   damit meine ich nicht nur die Kita, sondern auch Schule  , die Förderung flexibler Arbeitsmodelle sowie die Stärkung von sozialen Netzwerken und von Unterstützungsangeboten sind essentielle Schritte in diese Richtung. 

Eine stärkere Sensibilisierung der Gesellschaft für die Bedürfnisse von Alleinerziehenden kann zudem dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und ein solidarisches Miteinander zu fördern. 

Die Herausforderungen sind groß, doch mit einer gemeinsamen Anstrengung von allen, nämlich von Politik, Gesellschaft und sozialen Institutionen, lässt sich die Situation für alleinerziehende Eltern in Sachsen-Anhalt positiv verändern. Deshalb bitte ich Sie   jetzt bitte ich Sie  , stimmen Sie für unseren Entschließungsantrag. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 

(Beifall bei der Linken)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Danke. Ich sehe keine Fragen.

(Zuruf: Doch!)

- Entschuldigung. Rüdiger Erben, ganz am Anfang, genau. Jetzt ist er an der Reihe. - Bitte, Herr Erben. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kollegin Hohmann, wenn man von dem Thema keine Ahnung hat, was ich zugegebenermaßen in dem Falle habe, dann hört man auch genauer zu und liest manchmal vorher genauer nach. Ich habe im Vorfeld der heutigen Sitzung versucht herauszukriegen, was denn der Unterschied

(Guido Kosmehl, FDP, lacht)

zwischen Einelternfamilien und Alleinerziehenden ist. Es ist mir, ehrlich gesagt, nicht gelungen. 

(Anne-Marie Keding, CDU: Mir auch nicht! - Guido Kosmehl, FDP: Oh! - Zustimmung von Marco Tullner, CDU - Unruhe)

Wenn Sie die KI benutzen, dann springt das sofort von „Einelternfamilie“ zu „Alleinerziehende“. Sie haben jetzt z. B. den Satz geprägt, Sie forderten zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden die Einrichtung eines runden Tisches „Einelternfamilien“. An dem Geraune im Saal merke ich, vielleicht wäre es gut, es würde einmal allen erklärt werden, was denn der Unterschied ist. Ich weiß es wirklich nicht. Das ist jetzt keine Spaßfrage, sondern ich weiß es einfach nicht. 

(Eva von Angern, Die Linke: Es kam aber so rüber, Rüdiger!)

- Bitte? 

(Eva von Angern, Die Linke: Es kam aber so rüber, dass es eine Spaßfrage ist!)

- Nein, es ist keine Spaßfrage, sondern ich möchte es wirklich wissen.

(Zuruf von Eva von Angern, Die Linke)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

So, egal, ob aus Spaß oder aus Ernst gestellt, Frau Hohmann hat die Chance, die Frage zu beantworten. 


Monika Hohmann (Die Linke): 

Wir reden ja eigentlich immer von Familien. Familien sind ja für die meisten nicht unbedingt Einelternfamilien. Einelternfamilien sind meist Alleinerziehende. Um diese Gleichstellung von Einelternfamilien und Familien zu erreichen, 

(Eva von Angern, Die Linke: Genau! Das hat etwas mit Respekt zu tun!)

nennt man das in den Fachkreisen Einelternfamilie, 

(Zustimmung von Eva von Angern, Die Linke)

meint aber damit Alleinerziehende. 

(Christian Hecht, AfD: Was! Bitte noch einmal! - Zuruf von der AfD: Völlig gaga!)

Das hat eigentlich nur den Sinn, 

(Christian Hecht, AfD: Das habe ich nicht ganz verstanden!)

dass man beide Familienarten in Einklang miteinander bringt, 

(Rüdiger Erben, SPD: Aha!)

dass man keine Unterschiede macht.

(Christian Hecht, AfD: Wo ist jetzt genau der Unterschied?)


Rüdiger Erben (SPD): 

Also verhalte ich mich   ich sage es einmal vereinfacht   korrekter, wenn ich das Wort „Einelternfamilie“ verwende. Okay.

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Es kommt auf den Fokus an!)


Monika Hohmann (Die Linke): 

Ich hätte auch die ganze Zeit von Einelternfamilien reden können. 

(Christian Hecht, AfD: Aha!)

Dann wäre der Zweifel nicht so groß. Ich habe auch schon beim Schreiben gedacht, es wird bestimmt einer kommen und die Frage stellen. Das konnte ich mir fast denken. 


Rüdiger Erben (SPD): 

Vielen Dank. Jetzt wissen es alle.


Monika Hohmann (Die Linke): 

Herr Erben, das eine ist wirklich diese fachliche Einordnung. Das andere ist dann eben der sprachliche Allgemeingebrauch. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Okay. So. Dann haben wir das jetzt sozusagen beantwortet.