Holger Hövelmann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Artikel 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes steht ich zitiere :
„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
Warum stelle ich das voran? - Dieses Land hat in zwei Diktaturen erlebt, wie Kunst und Kultur in den Dienst einer kulturfeindlichen Ideologie gestellt wurden. Jedes Mal führte dies zu Unfreiheit, zu Zensur, zu Auftritts und Publikationsverboten, zu Gleichschaltung und zu Vertreibung von kritischen und oppositionellen Künstlerinnen und Künstlern, von Geisten, zu einem kulturellen und kreativen Aderlass und zu Verarmung. Jedes Mal herrschte ein kultureller Ungeist und eine unerträgliche Biedermeierei. Herr Tillschneider, Sie und die AfD stehen in der Tradition dieses Ungeistes.
Wer solch einen Antrag wenige Tage nach den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges stellt, der muss sich fragen lassen, welches Ziel wirklich damit verfolgt wird.
(Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und von Olaf Meister, GRÜNE - Oh! bei der AfD)
- Ich erkläre das gleich.
Sie fordern, dass ein ich zitiere Sie : „[…] grundsätzlich bejahender, unbelasteter, respektvoller und wertschätzender Umgang mit der deutschen Geschichte etabliert werden soll.“ - Es gibt keinen unbelasteten Umgang mit der deutschen Geschichte.
(Zuruf von Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD)
Unsere deutsche Geschichte ist belastet mit dem größten Verbrechen, das diese Welt bisher erlebt hat:
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken und bei den GRÜNEN - Oliver Kirchner, AfD: Das hat doch mit dem Antrag nichts zu tun!)
der industriellen Ermordung von 6 Millionen Juden, vielen Millionen Toten und den Zerstörungen infolge des Zweiten Weltkrieges, der von Deutschland ausgegangen ist.
Sie fordern, dass die - Zitat - „sogenannten Gedenkstättenfahrten“ eingestellt werden sollen. Ich plädiere seit Jahren für einen verpflichtenden Besuch dieser Gedenkstätten.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken, bei der FDP und bei den GRÜNEN)
Sie fordern, dass Lehrpläne für Deutsch und Geschichte überarbeitet werden sollen. Die Ministerin hat dazu ausgeführt. Sie fordern die Einführung eines „Stolz-Passes“ für den Besuch von historischen Stätten, die allein Sie ausgesucht haben.
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht - Oliver Kirchner, AfD: Irgendeiner muss es ja aussuchen!)
Es ist schon bezeichnend, was alles in Ihrer Liste der historischen Stätten fehlt: kein Wort von unserem jüdischen Erbe, wie dem Philosophen Moses Mendelssohn oder Kurt Weill; kein Wort über die Moderne und das Bauhaus; kein Wort zur Industriekultur; kein Wort zur neuen Musik. Die Liste ließe sich unendlich fortführen.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Linken, bei der FDP und bei den GRÜNEN)
Ich frage mich, meine sehr verehrten Damen und Herren der AfD, warum Ihre Straße des Deutschen Reiches im 16. Jahrhundert endet
(Lachen bei der Linken und bei den GRÜNEN)
und nicht bspw. mit der Novemberrevolution und der Ausrufung der Republik 1918. - Haben Sie nicht etwas Wichtiges vergessen?
Wir sehen klar, was Sie wollen: eine Umdeutung der deutschen Geschichte, auch wenn Sie das kulturpolitische Wende nennen. Sie wollen Kunst und Kultur in den Dienst Ihres völkischen oder wie Sie es nennen in den Dienst Ihrer patriotischen Bewegung stellen. Dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, sagen wir Nein!
(Beifall bei der SPD, bei der Linken, bei den GRÜNEN und von Guido Heuer, CDU)
Kunst und Kultur bleiben frei, vielfältig und bunt.
Sie wollen auch, dass an die Verbrechen der Nationalsozialisten, die dieses Land in den Untergang gestürzt haben, die verantwortlich sind für die bis heute unerträglichen Menschheitsverbrechen, für den Tod von Millionen von Menschen und für die fast gelungene Vernichtung der europäischen Juden, nicht mehr erinnert wird, dass ungeschehen sein soll, was niemals ungeschehen gemacht werden kann.
(Zurufe von der AfD)
Ihr Antrag steht in einer Reihe mit der Forderung nach einer 180-Grad-Wende und mit dem „Vogelschiss der Geschichte“. Ich sage Ihnen ganz klar: Es wird und es kann keinen wie auch immer gearteten Schlussstrich geben.
(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Beifall bei der Linken)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass die AfD kulturpolitische Auffassungen von gestern und vorgestern vertritt, ist nicht neu. Ihre Kulturpolitik ist geprägt von einer Renationalisierung und einer verstaubten Deutschtümelei. Alles hierbei atmet einen biederen Ungeist. Im Übrigen: Otto der Große war ein Herrscher über einen multiethischen Vielvölkerstaat - heute würde man sagen Multikultistaat - mit vielen Bewohnern mit Migrationsvordergrund.
(Lachen bei den GRÜNEN)
Mit dem Deutschland, wie es im 19. Jahrhundert entstand und wie wir es heute kennen, hat das wirklich gar nichts zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, dass Sie hier versuchen, einen Kulturkampf anzuzetteln. Wir erinnern uns an Ihre abgelehnten Anträge zum Malereipreis Caspar David Friedrich, an die unsägliche Verunglimpfung des Bauhauses und jetzt dieser Antrag; ein Sammelsurium aus Deutschtümelei, zurechtgebogener Geschichte und verfassungsfeindlichen Ansätzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren der AfD, wenn Sie unbedingt Stempel sammeln wollen,
(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Dann gehen Sie in den Harz!)
erwerben Sie die Harzer Wandernadel,
(Olaf Meister, GRÜNE: Genau!)
gehen Sie im Harz wandern.
(Zustimmung bei der SPD, bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Wenn Sie sich richtig anstrengen, bringen Sie es auch zum Wanderkaiser.
(Lachen bei der SPD und bei den Linken - Olaf Meister, GRÜNE: Ja!)
Verschonen Sie uns aber bitte mit Ihren Fantasien zur Wiederkehr des Kaiserreiches. Wir lehnen Ihren Antrag ab. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Wir kommen zu dem nächsten Redner. Das ist Herr Gebhardt von der Fraktion Die Linke. - Ach, Entschuldigung, ich habe die Nachfrage vergessen. - Herr Hövelmann, gestatten Sie eine Nachfrage von Herrn Gallert? - Sie kommen zum Rednerpult, also ja. - Herr Gallert, dann bitte.
Wulf Gallert (Die Linke):
Herr Hövelmann, ich stimme Ihnen in fast allem zu, was Sie gesagt haben. Ich will nur vor dem Hintergrund, dass es z. B. in meinem Wahlkreis in der kleinen, schönen Stadt Werben einmal jährlich einen sehr erfolgreichen Biedermeiermarkt gibt,
(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE, lacht)
davor warnen, eine solche Tradition in irgendeiner Art und Weise mit dem zu verknüpfen, was der Kollege Tillschneider hier vorgetragen hat. Biedermeier ist eine Kunst- und Kulturrichtung, sicherlich auch eine Lebenshaltung, die ein Stück weit durch das Zurückziehen ins Private geprägt ist, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das ist auch etwas, das man, sage ich jetzt einmal, politisch konnotieren kann. Ich würde Ihnen aber auch im Interesse derjenigen, die sich in diesem Kontext bewegen, nicht vorwerfen wollen, dass Sie das machen, was Herr Tillschneider hier gerade vorgetragen hat.
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
Danke, Herr Hövelmann.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Marco Tullner, CDU: Und nach dem Biedermeier kommt der Vormärz!)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Hövelmann.
Holger Hövelmann (SPD):
Vielen herzlichen Dank für die Aufklärung. Ich nehme das reumütig zur Kenntnis.
(Lachen bei der Linken und bei den GRÜNEN)
Ich will aber sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Im gemeinen Verständnis jedenfalls so wie ich es wahrnehme und auch in unserer Bevölkerung ist die Begrifflichkeit des Biedermeiers eher mit dem Biedermann und mit einer etwas verstaubten, rückwärtsgewandten Einstellung verbunden.
(Guido Heuer, CDU: Das stimmt!)
So wollte ich meine Bewertung verstanden wissen. Niemals würde ich auf die Idee kommen, die Biedermeierzeit in irgendeiner Art und Weise zu diskreditieren.