Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident): 

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Domine, quo vadis - Sie haben die Bibel, das Neue Testament bemüht. Als Petrus Rom verlassen wollte, erschien ihm der Herr Jesus, der auf die Frage „Herr, wohin gehst du?“ antwortete: „Ich gehe zurück nach Rom, um mich erneut kreuzigen zu lassen“. Das hat Petrus dazu gebracht, umzudrehen, und er ist dann auch den Märtyrertod gestorben. Ein Nachfolger von Petrus ist gerade wieder gewählt worden. - Wer also diese Begrifflichkeiten nutzt, muss bezüglich des Einstiegs auch verkraften, dass es jetzt etwas grundsätzlicher wird.

Heute ist hier in diesem Landtag schon viel über das, was Berlin, den Koalitionsvertrag und die neue Bundesregierung betrifft, gesprochen und diskutiert worden - angefangen von der Landwirtschaft in der Regierungsbefragung bis hin zur Regierungserklärung des Wirtschaftsministers und zu einer Reihe von Unterthemen. Deswegen will ich das, was ich ursprünglich vorbereitet habe, zur Seite legen und Folgendes sagen: All das, was Sie, Frau von Angern, gerade vorgelesen haben, ist eine Agenda von Stichworten, die alle schon einmal in einem Gesellschaftsmodell idealtypisch zu erreichen versucht wurden. Das Ende war ein Bankrott - das muss man ganz klar sagen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Umgekehrt haben wir die Wiedervereinigung erleben dürfen. Wenn wir heute auf Deutschland und auch auf Sachsen-Anhalt schauen, dann stellen wir fest, wir leben wir trotz aller Probleme - Sie können sich gern einmal meine alten Schmalfilme aus der ersten Hälfte meines Lebens anschauen - in einem Land, das es so nirgendwo sonst auf der Welt gibt,

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Zuruf von der CDU)

und das verbunden mit einem hohen Grad an Solidarität für Notleidende, für Flüchtlinge, was ebenfalls einzigartig auf dieser Welt ist. Unabhängig davon - da sind wir auch beim Ansatz dieser neuen Koalition und dieser neuen Regierung - bedarf es in bestimmten Bereichen dringend eines Politikwechsels, damit Defizite im Vollzug, aber auch generell Überforderungen unseres Sozialstaates vermieden werden und wir die Dinge, die Sie zu Recht angesprochen haben - Investitionsstau usw. - aus eigener Kraft realisieren können.

Ich kenne Friedrich Merz seit mehr als 15 Jahren; er ist hier in Sachsen-Anhalt wirtschaftlich tätig gewesen; ich könnte Ihnen das genau beschreiben. Friedrich Merz weiß um die Probleme gerade auch unseres Bundeslandes und des Ostens, ansonsten hätten wir bestimmte Dinge, die eigentlich von den Spielregeln her bei der Erstellung eines Koalitionsvertrags nicht eingeplant waren - nämlich die Benennung von Einzelprojekten und Einzelmaßnahmen -, nicht unterbekommen - und das durchaus konzertiert von beiden Seiten auch durch unsere ostdeutschen Vertreter in den Koalitionsverhandlungen, wenn ich etwa an Carsten Schneider, Frau Pähle, Sven Schulze und an alle anderen, die dort mit gewirkt haben, denke.

Ich will eines erwähnen, weil es für unsere Leitbranche Chemie existenziell ist. Die Gasspeicherumlage - ein Betrag von 3,5 Milliarden € bis 4 Milliarden € - wäre nicht mit aufgenommen worden, wenn wir nicht mit allen Kräften, die wir hatten, gesagt hätten, dass dies für uns wichtig ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Kein anderes Einzelprojekt in der Größenordnung von mehreren Hundert Millionen Euro hat dort Platz gefunden, aber unser Zukunftszentrum in Halle steht darin und wird realisiert.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Bei jedem Regierungswechsel ist es kritisch, ob wir es hinbekommen, dass das, was wir über den Kohleausstieg im Sinne von Strukturgesetzen, Strukturhilfe und Maßnahmengesetzen organisieren, bei der bestehenden Haushaltslage prolongiert und weiterfinanziert wird; das sind immerhin 3,2 Milliarden € über den Bundesarm und 1,6 Milliarden € über den Landesarm. Das sind fast 5 Milliarden €, die wir nur dafür bekommen, dass wir unserer klimapolitischen Verantwortung gerecht werden - die Sie auch zu Recht eingefordert haben. Da kommen und wollen wir auch nicht heraus, aber dort brauchen wir Kompensation. Wenn ich dann auch noch die zusätzlichen 2,5 Milliarden € bis 3 Milliarden € aus den entsprechenden Nothilfe- bzw. Strukturhilfe-Programmen des Bundes, die wir über die Verfassungsänderung ermöglicht haben, mit hineinrechne, dann sind wir bei 7,5 Milliarden €, die derzeit auf die Straße gebracht werden oder in der Vorbereitung sind, auch was die Anwendung von Bundesgesetzen anbelangt.

Ich könnte Ihnen viele Sachen benennen, die wir ohne diese Möglichkeiten, die uns der Bund eingeräumt hat und die wir erkämpft haben, nicht realisieren könnten. Ich will ein paar Stichworte nennen, hinter denen jeweils viele Millionen Euro stehen: Bildungscampus Naumburg, Campus Halle-Neustadt, digitale Daseinsvorsorge ländlicher Raum, Verbesserung der Mobilitätsangebote, Grüner Wasserstoff, interdisziplinäre Transferforschung, Forschungsinfrastrukturressourcen, Reallabore, Großforschungszentrum für nachhaltige Chemie CTC. Dazu haben wir heute im Kabinett die Gesellschaftermitwirkung und den Beschluss zu einer gGmbH mit wesentlichem Standort in Merseburg beschlossen. 

(Zustimmung von Sven Czekalla, CDU)

Wir haben die digitale Transformation der Pflege des TPG in Halle mit 140 Millionen € und die Digitalisierung pflanzlicher Wertschöpfungsketten DiP in Halle zusammen mit Gatersleben mit 105 Millionen €.

Das sind alles Sachen, die wir erkämpft haben, die letztendlich unabhängig von ansonsten stattfindenden Einzelinvestitionen als roter Faden den Weg, der Sachsen-Anhalt in die Zukunft führen soll, aufzeigen können. Wir werden es schaffen, dieses alles zu platzieren und mit Leben zu erfüllen, damit es uns möglich ist, dieses Land in eine gute Zukunft zu führen.

Natürlich wissen wir, warum die Lage in der Chemie oder in der Automobilzuliefererindustrie mit 25 000 Arbeitsplätzen momentan so prekär ist. Wir wissen, dass die Zeit vor dem Ukraine-Krieg, vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine andere wirtschaftliche Rahmensetzung bot. Natürlich wissen wir auch um die Problematik „Trump und die Vereinigten Staaten“ mit der Abschottungs- und Zollpolitik, die den internationalen Freihandel auch für uns als Exportnation erschwert. 

Das ist uns alles bewusst, bloß sind das Rahmenbedingungen, die man weder der Bundesregierung noch der Landesregierung zuordnen kann, weil es schlicht und ergreifend globale Entwicklungen sind, die misslich und schlimm und furchtbar sind und die generell mit diplomatischen Mitteln aufgelöst werden müssen. Aber wir müssen uns dem stellen, und wir werden die Kraft haben, dies gemeinsam hinzubekommen. Das wird auch mit dieser Bundesregierung stattfinden, weil es automatisch unabhängig von kurzfristig ermittelten Sympathiewerten wie folgt läuft:

Was ist am Wahltag des Bundeskanzlers passiert? - Als die erste Wahl nicht funktioniert hat, ist der DAX automatisch abgestürzt. Als die Wahl dann stattgefunden hat, kam wieder Hoffnung in die Gesellschaft und in die Wirtschaft. Das ist ein Indikator, bei dem man nicht von Kapitalismusmodellen Ihrer Couleur ausgehen muss.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe mir gerade Ihren Parteitag in Chemnitz angesehen und angehört. Demnach soll dieses System der freien und sozialen Marktwirtschaft im Sinne von Demokratie auch in der Wirtschaft und den Möglichkeiten, die wir Gott sei Dank heute haben, vernichtet werden. Man muss sich einmal ins Stammbuch schreiben, welches Gesellschaftsmodell der alten Couleur uns wieder zugemutet werden soll. Das sollten wir hier in der demokratischen Mitte gemeinsam verhindern; wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass sich diese Entwicklung positiv ergibt.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich könnte noch vieles an Statistiken aufführen. Aber die Wahlen zu einem Führungsamt wie dem eines Kanzlers oder Ministerpräsidenten führen immer dann zu einem guten Erfolg, wenn man einen zweiten Wahlgang braucht. In diesem Sinne: Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Heiterkeit)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Herr Haseloff, es gibt eine Frage von Eva von Angern. - Sie können sie stellen.


Eva von Angern (Die Linke): 

Vielen Dank, Herr Landtagspräsident.- Herr Ministerpräsident, ich scheine Sie augenscheinlich mit meiner Rede getriggert zu haben, obgleich Sie dieses Mal gar nicht im Fokus meiner Rede standen. Aber ich habe zwei Fragen an Sie. 

Zum einen haben Sie mir vorgeworfen, dass die Forderungen, die ich hier für Die Linke vorgetragen habe und die alle nicht neu sind - das wissen Sie auch, Sie hören mir immer gut zu -, das Land in den Bankrott führen würden. Ich möchte noch einmal kurz darstellen, was das für Forderungen waren: eine höhere Qualität in den Kindertageseinrichtungen, eine Kindergrundsicherung, die Rentenkasse für alle, wobei ich auf Österreich verwiesen habe, funktionierende Schulen, bezahlbare Mieten und Nebenkosten, die Wiedererhebung der Vermögensteuer und eine aufgabengerechte Finanzierung der Kommunen. Ich frage Sie: Was davon führt unser Land in den Bankrott?

Ich habe noch eine zweite Frage. Ich habe Sie seit vielen Jahren - und das finde ich gut -, aber auch jetzt im Konkreten gegenüber der aktuellen Bundesregierung als Mahner, den Osten nicht zu vergessen, empfunden. Jetzt frage ich Sie: Wo finde ich die ostdeutsche Perspektive in diesem aktuellen Koalitionsvertrag?


Dr. Reiner Haseloff (Ministerpräsident): 

Kommen wir zum Ersten. Diese Liste finden Sie von den Stichworten, von den Überschriften her praktisch in jedem Partei- und Wahlprogramm derer, die als Ihre Konkurrenten unterwegs sind. Ich kenne keine Partei, die keine Kindertagesstättenförderung mehr haben will oder die keine gute Durchfinanzierung der Kommunen möchte usw.

Sie wissen genau, wie die Finanzsituation Sachsen-Anhalts aussieht. Andere Länder kämpfen noch um Haushalte; wir haben einen, und bis zum letzten Euro haben wir alles im System.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Wir kämpfen jetzt eher darum, zum Beispiel beim Rückgang der Kinderzahlen, dass wir, was die qualitative Seite anbelangt, das Geld im System gut eingesetzt sehen und ggf. den Betreuungsschlüssel usw. verbessern können.

Ich will Ihnen aber eines sagen: Ein Großteil oder ein nicht unerheblicher Teil unserer Finanzen läuft über den Länderfinanzausgleich. Die drei oder vier Geberländer - je nachdem, ob Hamburg dabei ist; das wechselt   haben sich gerade in den letzten Tagen sehr klar zur Verwendung der Mittel geäußert. Es ging auch um den Königsteiner Schlüssel bezüglich der Sonderfonds bzw. der Sonderinvestitionsmittel. Dieser Schlüssel ist zu unseren Gunsten. Wir bekommen mehr, als uns nach Bevölkerungsanteil zusteht, weil die wirtschaftliche Schwäche bzw. Stärke und die Steuerkraft ebenfalls im Algorithmus mit abgebildet werden.

Diese Länder sagen klar: Sie finanzieren nur weiter - ansonsten läuft die Klage in Karlsruhe weiter-, wenn mit der Nutzung dieser Mittel so umgegangen wird, dass wir uns nicht Dinge leisten, die sie sich in ihrem Land nicht leisten können, denn auch die laufen mittlerweile auf der Kante. Ich kann Ihnen das an den Elternbeiträgen meiner beiden Enkelkinder hier und meiner drei Enkelkinder in Bayern beschreiben. Dazwischen ist ein Faktor 2 bis 3,

(Angela Gorr, CDU: Mindestens!)

während 9 Milliarden € alleine von Bayern in den Finanzausgleich fließen. Das müssen wir im Sinne der Fairness miteinander diskutieren, etwa wenn wir weitere Forderungen haben, obwohl die Konditionen und Standards, die wir ab dem Tag der Geburt haben, bei uns auf einem Niveau sind, das in Deutschland und, wenn man ein paar skandinavische Länder auslässt, wahrscheinlich auch in Europa einzigartig ist.

Wir müssen an dieser Stelle auch unsere Argumentationsfähigkeit bewahren. Deshalb muss ich davor warnen, die sozialen Maßnahmen - die wir uns alle wünschen würden, wenn wir ausreichend Geld hätten - ständig zu steigern, während wir uns auf der anderen Seite z. B. im Kabinett lange damit beschäftigt haben, wie wir das Verkehrsproblem hier in Magdeburg gelöst bekommen: Wer soll das alles finanzieren? Kriegen wir das über die Sonderfondsmittel hin? Was muss man im Landeshaushalt umschichten, damit wir diese unsägliche Verkehrssituation entspannen können?

Ich bitte Sie, sich das bei den Dingen, die ein System überfordern und bei denen einem anschließend schlicht und einfach nichts anderes übrig bleibt, als einem anderen Land, das Gott sei Dank vorhanden war, beizutreten, einmal vor Augen zu führen; denn wir haben niemandem mehr, der beitreten kann, um letztendlich auch unsere Probleme zu lösen. Das heißt, man muss den Realismus haben, dass man ein System, eine Demokratie destabilisieren kann, indem man soziale Leistungen und Maßnahmen so hoch entwickelt, dass es irgendwann schlicht und einfach zum Staatsbankrott kommt. 

Wenn Sie sich anschauen, wie wir gerade versuchen, diese Infrastrukturlücke - die Verteidigungsseite lassen wir außen vor - mithilfe dieser 500 Milliarden €, die in Deutschland von der Eisenbahn bis sonst wohin gebraucht werden, zu schließen, und wenn wir sehen, dass wir sie über mehrere Generationen hinweg refinanzieren müssen, dann wissen Sie auch, dass wir die Mittel an anderer Stelle - ich könnte Ihnen Positionen im laufenden Haushaltsplan benennen, bei denen wir die Mittel konsumtiv auch für nichtdeutsche Bürger einsetzen, weil wir solidarisch sind, und weil wir sagen, wir gehen an dieser Stelle im Prinzip trotzdem weiter human unseren Weg   geordnet einsetzen müssen. 

Eine Destabilisierung der Demokratie in dem Sinne, dass wir uns zu viel vornehmen und unsere Leistungskraft dies nicht ermöglicht, werden wir nicht zulassen; denn auch das ist politische Verantwortung. Deswegen bitte ich darum, dies zu respektieren - das ist damit gemeint  , ohne es als persönlichen Rückball für Sie zu interpretieren.

Jetzt habe ich den zweiten Teil Ihrer Frage vergessen. 

(Eva von Angern, Die Linke: Ostdeutschland!)

- Ostdeutschland, ja. - Wir sind durchaus vertreten. Schauen Sie sich die Bevölkerungsanteile an. Ich bin z. B. sehr dankbar, dass wir in einem neuralgischen Ministerium, in dem verdammt viel zu entscheiden ist, mit unserem Tino Sorge einen parlamentarischen Staatssekretär haben, der sehr gut im Geschäft ist und der an dieser Stelle auch sehr viel einbringen wird, genauso wie die Kollegen aus den anderen ostdeutschen Ländern, die wesentliche Positionen innehaben.

Mit Carsten Schneider haben wir     Ich denke nicht parteipolitisch; denn eine Koalition ist eine Mannschaft, und es geht nicht darum, dass von Anfang an schlicht und einfach schon wieder der nächste Wahlkampf ausgerufen wird, sondern ihr gehören Vertreter aus unseren Bundesländern an und diese versuchen mit ihren Erfahrungen, mit ihren bisherigen Positionen, die sie wahrgenommen haben, dort für uns gute Politik zu machen. Dies ist im Text dieses Koalitionsvertrages sehr, sehr gut abgebildet, und zwar auch bezüglich unserer wirtschaftlichen Herausforderungen; denn dort entscheidet es sich. 

Gehen Sie davon aus, dass wir alle gut vernetzt sind. In den nächsten Tagen werde ich mit mehreren Bundesministern, und zwar vor allen anderen Kollegen im Westen und im Süden, Kontakt haben bzw. Termine wahrnehmen. Zwei Tage vor der Wahl des Bundeskanzlers hat Friedrich Merz auf unseren Wunsch hin mit dem CEO von Dow Chemical telefoniert, den er aus einer früheren beruflichen Tätigkeiten persönlich gut kennt, und hat das Thema Dow Chemical sehr gut durchdekliniert, sodass Sven Schulze und ich in der entsprechenden Belegschaftsversammlung sprechfähig waren. 

Das sind Dinge, die Deutschland nur bedingt beeinflussen kann. Wir können im Prinzip bei all den Dingen, bspw. bei der steuerlichen Seite und im Zusammenhang mit der weiteren Terminierung bestimmter Zwischenschritte, und zwar auch des sogenannten Green Deals, der Klimavereinbarung usw., versuchen zu schieben und zu regulieren. 

In Bezug auf die Automobilbranche ist das auf europäischer Ebene schon geschehen, weil man gemerkt hat, dass man an bestimmten Dingen objektiv einfach nicht vorbeikommt usw. Das kann man alles machen. Der eigentliche Knackpunkt ist aber, dass wir eine nachhaltige CO2- und damit emissionsfreie Industrie haben wollen, und zwar auch in der Chemie, obwohl es der Chemismus nicht zulässt. Bei bestimmten Prozessen - das kann man in der Gleichung hinten sehen - kommt CO2 heraus. Das kann man nicht durch eine andere Energiequelle kompensieren, sondern es ist der Chemismus, der dort abläuft. 

Diese Abtrennungsnotwendigkeit, CO2 komplett zu verbringen und in Deutschland nirgendwo speichern zu können, weil es inzwischen zum politischen Tabu und in Teilen auch zu einem rechtlichen Tabu erklärt wurde, führt dazu, Pipelines in die Nordsee bauen zu müssen. Gleichwohl weiß man noch nicht, ob man dies mit internationalem Seerecht und den ganzen Standards und Verträgen, die existieren, bspw. in Bezug auf das Verpressen, vereinbaren kann. 

Hinzu kommt der Kostenfaktor. Wenn diesbezüglich nicht die generellen Rahmenbedingungen in Europa verändert werden - an dieser Stelle muss die Bundesregierung ihren Part leisten, aber die anderen 26 müssen ebenso mitmachen, damit es zu einstimmigen Beschlüssen kommt  , dann werden wir zwischen diesen Welt- und Wirtschaftsmächten Asien, vor allem China und den Vereinigten Staaten schlicht und einfach zerrieben. 

Wir können uns dann entscheiden, ob wir noch eine Rolle spielen, ob wir unseren Wohlstand und damit auch die Stabilität unserer Demokratie aufrechterhalten und ob wir vor allen Dingen auch in der Lage sind, das Klima wirklich positiv zu verändern; denn jeder abgewanderte Industriearbeitsplatz aus Deutschland erhöht die Emissionen an anderer Stelle, weil das Produkt selbst trotzdem produziert wird, allerdings nicht gemäß unseren Standards. 

Über diese Gesamtbilanzen müssen wir diskutieren, und zwar angefangen in Brüssel, über Berlin bis nach Sachsen-Anhalt. Wir haben in Bezug auf die Nachhaltigkeit und mit Blick auf diese Klimaziele genügend Projekte; diesbezüglich müssen wir uns überhaupt nicht verstecken. Jeden Tag wird irgendwo eine Windmühle neu errichtet. Das kann man gut oder nicht gut finden, aber es ist notwendig, wenn man unsere Versorgungssicherheit im Blick hat; denn Alternativen werden wir bald nicht mehr haben bzw. haben sie in Teilen bereits jetzt nicht mehr. 

Demzufolge muss darüber eine gesamtgesellschaftliche Diskussion geführt werden. Diese ist aber nicht mehr parteipolitisch zu führen, sondern darüber muss mit der Bevölkerung insgesamt diskutiert werden. Wir sind mit Blick auf das, was uns möglicherweise noch bevorsteht, noch ganz am Anfang. - Das zum Einstieg. 

Damit ich nicht den gesamten Zeitplan sprenge, würde ich mich jetzt hinsetzen, Herr Präsident.