Guido Kosmehl (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident, Ich habe volles Vertrauen darin, dass Sie mir rechtzeitig das Wort entziehen werden, falls ich überziehen sollte.

Das war wieder eine furiose Rede vom Kollegen Rausch, der erst ganz zum Schluss klar Position bezogen hat. Dazwischen ging es immer hin und her: Ich kann das anerkennen, aber ich weiß auch nicht so richtig, wo ich stehe. - Herr Rausch, ich will, bevor ich in meine Rede einsteige, das Grundproblem nennen, das Sie als AfD-Fraktion nicht verstehen wollen. - Er hat den Saal gerade wieder verlassen. Der EU-Binnenmarkt ist das Kernelement der Europäischen Union. Wer den Binnenmarkt will - das würde ich Ihnen jetzt einmal unterstellen, weil Sie das am Ende gesagt haben , der muss auch die EU wollen.

(Zustimmung von Holger Hövelmann, SPD)

Wer aber die EU verlassen oder die EU auflösen will, der löst sich auch vom Binnenmarkt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN, und von Andreas Silbersack, FDP)

Es gibt kein Rosinenpicken. Teil der Europäischen Union zu sein heißt eben auch, Teil des Binnenmarktes zu sein.

(Zurufe von der AfD)

Wie sehr die Menschen darunter leiden, wenn sie Extremisten auf den Leim gehen, merken die Menschen in Großbritannien anhand des Brexits. Dort hat man nämlich den Binnenmarkt verlassen. Es gab Versprechungen, es würde Investitionen in das Gesundheitssystem geben. Das ist alles ausgeblieben. Die wirtschaftlichen Handelsbilanzen haben sich verschlechtert und Investitionen sind weniger geworden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade wir Deutsche und gerade auch Sachsen-Anhalt profitieren vom gemeinsamen Binnenmarkt. Das ist die Grundlage unseres Wohlstandes.

(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP, bei der CDU und von Olaf Meister, GRÜNE)

Unser Wohlstand wird natürlich auch durch weitere Handelsabkommen und durch globale Handelsbeziehungen weiter gestärkt. Dabei müssen wir natürlich bei einem Blick in die Vereinigten Staaten feststellen, dass sich das wesentliche Verlassen auf einen Handelspartner auf der anderen Seite des Atlantiks vielleicht für die Zukunft nicht als das erweisen wird, was man verlässlich nennen kann. Deshalb ist das gerade auch jetzt die Chance, nach neuen Handelspartnern zu schauen, nach neuen Lieferketten zu schauen und auch nach neuen Verbindungen zu schauen, wie man gemeinsam die Wirtschaft auf Seiten der beiden Länder voranbringen kann. Dazu schaue ich einmal in den asiatischen Raum, z. B. nach Japan oder auf das EU-Vietnam-Handelsabkommen oder auf das Abkommen mit Singapur. Wir haben bereits einige Verbindungen aus Europa in den asiatischen Raum. Das gilt es zu stärken.

Außerdem gehe ich noch einmal auf die andere Seite des Atlantiks, nach Kanada. Die leiden besonders unter der Situation. Die sind jetzt noch selbstbewusster in ihrem Nationalbewusstsein, seitdem Donald Trump sie einfach eingemeinden wollte. Auch denen können wir eine gute Chance bieten. Deshalb habe ich es nie verstanden, warum bei der Linken in Deutschland - dazu rechne ich Die Linke, GRÜNE und große Teile der SPD - eine solche Skepsis gegenüber CETA geherrscht hat. Das gemeinsame Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada hätte für beide und hat es jetzt, weil es Gott sei Dank in Kraft getreten ist, tatsächlich die Handelsbeziehungen verbessert und neue Möglichkeiten gegeben.

(Zustimmung bei der CDU, und von Konstantin Pott, FDP)

Sie waren dagegen; Sie und viele Gewerkschaften. Ich kann mich noch an die großen Demonstrationen erinnern. Dabei ging es viel um TTIP, aber es ging auch um CETA.

Ich bin dem Kollegen Hövelmann sehr dankbar, dass er heute angedeutet hat, dass man das nachträglich anders bewerten kann und jetzt vielleicht auch anders einschätzen muss.

(Zustimmung von Jörg Bernstein, FDP, und von Guido Heuer, CDU)

Sie wissen, dass ich eine große Affinität zu den Vereinigten Staaten von Amerika habe. Ich bin sehr häufig im Austausch, gerade auch mit Abgeordneten aus den Bundesstaaten. Es gibt nicht nur Donald Trump und die Regierung von Donald Trump. Das ist hier in Deutschland fast untergegangen: Noch wenige Wochen bevor die Zollankündigung kam, gab es eine Initiative von demokratischen Senatoren, die den Präsidenten aufgefordert haben, jetzt endlich die Zölle gegenüber China anzuheben: Man müsse jetzt einmal einen faireren Handel hinbekommen. Die Demokraten waren schon immer skeptisch gegenüber dem Freihandel. 

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir die amerikanische Politik verstehen. Denen geht es am Ende ums Ergebnis. Wenn man sieht, dass man ein dauerhaftes Defizit hat, dann will man das natürlich abbauen. Es gibt aber andere Möglichkeiten, als einfach illusionslos irgendwelche Nummern für Zölle zu nennen. Ich habe mir das einmal aufgeschrieben: Es waren von USA gegenüber China 104 %, dann 125 %, dann 145 %. Bei den Chinesen waren es auf der anderen Seite 84 % und 125 %. Sie haben sich vorgestern geeinigt. Jetzt sind es gegenüber China nur noch 30 % und von den Chinesen gegenüber den Amerikanern noch 10 %. Es wurde erst einmal für 90 Tage ausgesetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können in einer globalisierten Welt für alle Seiten nur dann Wohlstand generieren, wenn wir möglichst wenig oder keine Handelshemmnisse mehr haben. Dabei geht es eben nicht nur um die Zölle, also tarifäre Handelshemmnisse, sondern es geht dabei auch um die nichttarifären Handelshemmnisse, die z. B. bei TTIP, bei CETA und bei Mercosur eine Rolle gespielt haben, wie die Anerkennung von Prüf- und Zulassungsbeschränkungen. Warum muss ich ein Arzneimittel sowohl in der Europäischen Union als auch in Amerika zulassen, obwohl die Zulassungsstandards gleichwertig sind? Das sind Dinge, die wir für eine globalisierte Wirtschaft ungemein brauchen: dass wir möglichst wenige Hemmnisse haben. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß - das erwarten Sie von einem Liberalen, wenn er über Freihandel redet  , dass es das Allerallerbeste wäre, wenn wir die World Trade Organization, die WTO, dazu bringen würden, endlich ein weltweites Handelsübereinkommen für alle zu bringen, das allen gleichzeitig gleiche Chancen bietet. Solange das aber nicht geht, müssen wir auch auf bilaterale Abkommen setzen. 

Da wir die Handelspolitik - jetzt ist Herr Rausch immer noch nicht da - auf die Ebene der Europäischen Union gesetzt haben, verhandelt Europa als Binnenmarkt mit 450 Millionen Verbrauchern eben mit den anderen Ländern. Ich glaube, dass es gelingen kann, dass es gelingen wird, dabei weiter voranzukommen. 

Am Ende, meine sehr geehrten Damen und Herren, sage ich Ihnen ganz gelassen: Wir als Europa müssen Stärke zeigen und dürfen uns nicht zum Spielball von Donald Trump machen lassen. Wir müssen selbstbewusst auftreten für unsere Unternehmen, die gute Waren exportieren wollen, genauso wie wir es unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch den Zuliefererunternehmen ermöglichen müssen, günstig Waren von außerhalb nach Deutschland einzuführen, ohne dass dies das Produkt am Ende unrentabel macht. 

Wir als Sachsen-Anhalt exportieren Waren im Wert von rund 900 Millionen € in die USA und sind deshalb daran interessiert, diesen Markt nicht zu verlieren. Deshalb die Aufforderung: Wir als Land Sachsen-Anhalt können zwar nicht direkt einwirken, aber unsere Wege und unsere Stimmen müssen in Richtung Brüssel gehen, damit sich die Europäische Union schnell auf den Weg macht, diesen - so will ich ihn nennen - Handelskrieg zu beenden und wieder zu einem normalen Handel zurückzukehren. Dann haben wir immer noch genügend damit zu tun, Handelshemmnisse abzubauen. Das wird die Aufgabe eines neuen Freihandelsabkommens sein, das wir hoffentlich auch mit den USA oder weltweit abschließen können. - Vielen Dank. 

Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Kosmehl. Das waren neun Minuten und sechs Sekunden, aber Herr Scharfenort hat eine Intervention. - Bitte. 


Jan Scharfenort (AfD):

Ich freue mich, dass ich heute viele Plädoyers für den freien Welthandel gehört habe - auch von der SPD  , was grundsätzlich positiv ist. Ich hoffe auch - das habe ich Ihrer Rede entnommen  , dass wir vielleicht sagen können: Wir sollten pragmatisch mit der US-Zollpolitik umgehen. Hochmut hilft hierbei keinem, Arroganz auch nicht. Vielmehr sollte man möglichst schnell in Verhandlungen kommen. Ich denke, die Gegenseite ist verhandlungsbereit. Wir sehen ja, dass man mit China vorankommt und dass Großbritannien mit den USA schon ein Zollabkommen geschlossen hat. 

Ich möchte noch auf einen Aspekt hinweisen, der in der Debatte bis jetzt nicht genannt wurde, der eine Mahnung sein kann im Hinblick auf unsere Geld  und Währungspolitik. Was machen denn die USA? Was müssen sie vielleicht auch machen? - Die USA - das wurde angesprochen - haben sehr viele Handelsbilanzdefizite. Wir wissen, dass die Musik in der Welt mittlerweile woanders spielt, nämlich zunehmend im asiatischen Raum. Dort gibt es Bestrebungen, stabilere Währungen aufzubauen, Waren nicht mehr unbedingt in US-Dollar zu handeln. Diese Gefahr hat die US-Regierung erkannt. 

Die USA sind also perspektivisch gezwungen, diese Handelsbilanzdefizite abzubauen, um die amerikanische Hegenomie, die US-Dollar-Stärke zu erhalten. Das können sie erst einmal nur mit einer Zollpolitik. Denn wie werden denn die Handelsbilanzdefizite bezahlt? - Die werden am Ende mit US-Staatsanleihen bezahlt. 

Jetzt stellen Sie sich einmal vor - die Anklänge gibt es ja  , dass es eine starke BRICS-Währung, gibt, die an ein knappes Gut wie den Goldstandard gekoppelt ist. Was passiert dann mit dem US-Dollar? - Der rauscht komplett in den Keller und das wäre ein Riesenproblem für die USA. Insofern ist das durchaus eine Notwendigkeit. Dieses Verständnis sollten wir dafür auch entwickeln; denn wir sollten das als etwas Normales betrachten. Das hätte durchaus auch noch unter der Biden-Regierung kommen können. Darauf sollten wir ganz nüchtern reagieren und für uns die besten Bedingungen aushandeln. 

(Zustimmung von Felix Zietmann, AfD)


Guido Kosmehl (FDP):

Herr Scharfenort, Sie haben jetzt einen weiteren Aspekt angesprochen, der fiskalisch, wirtschaftspolitisch in den nächsten Jahren noch eine große Herausforderung weltweit, aber insbesondere für die Vereinigten Staaten sein wird. Dass die Vereinigten Staaten seit, ich würde sagen, mindestens 1993 über ihre Verhältnisse leben, ist bekannt. Ein großer Haushaltsüberschuss wurde zuletzt unter Bill Clinton erwirtschaftet. Seitdem haben wir häufiger Shutdowns erlebt. Man hat immer wieder die Höchstverschuldungsgrenze nach oben gezogen, übrigens, wie man so schön sagt, bipartisan, also überparteilich. Man hat dann irgendwie versucht, eine Lösung zu finden, aber immer nach oben; die Druckmaschine lief heiß. Ich glaube, es war Richard Nixon, der Anfang der 70er-Jahre die Goldbindung des US-Dollar aufgegeben hatte. Seitdem gibt es den Verfall der Währung. 

Ich glaube bei all dem nicht - ich bin aber auch kein Finanzpolitiker  , dass der Dollar auf absehbare Zeit als Leitwährung abgelöst wird. Aber es besteht eine Gefahr für die Wirtschaftspolitik, auch für die Staatsfinanzen der USA, dass einiges ins Rutschen kommt. Die Administration unter Donald Trump versucht, etwas gegenzusteuern. Aber eigentlich - damit sind wir wieder beim Kern der Politik in einem kleinen Landtag - heißt solide Finanzpolitik, dass man mit den zur Verfügung stehenden Einnahmen auskommt und die Verschuldung nicht ins Unendliche treibt. -  Vielen Dank. 

(Zustimmung bei der FDP)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Kosmehl. Das war ein solides Zeitmanagement, aber eine Frage haben wir noch. Die haben Sie noch nicht gesehen. 


Guido Kosmehl (FDP):

Ach so.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Büttner, bitte. 


Matthias Büttner (Staßfurt) (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kosmehl, Sie haben in Ihrer Rede auf den Brexit als Negativbeispiel hingewiesen und darauf, dass Großbritannien durch den Austritt aus der EU so viele Probleme hätte. Ich frage Sie einmal Folgendes: Sind Ihnen denn die Zahlen nicht bekannt? - Großbritannien hatte zwischen 2021 und 2023 ein Wirtschaftswachstum von 3,7 %, während die Europäische Union ein Wirtschaftswachstum von 2,8 % hatte. Das bedeutet, dass Großbritannien die Europäische Union outperformt hat. 

Ähnlich verhält es sich übrigens bei Deutschland. Deutschland hatte im Jahr 2022 ein Wirtschaftswachstum von 1,4 %, Großbritannien 4,1 %. Im Jahr 2023 hatte Deutschland ein negatives Wirtschaftswachstum von minus 0,3 %, Großbritannien ein plus von 0,6 %. Ich frage Sie: Ist denn das, was Sie uns genannt haben, das richtige Beispiel oder kennen Sie bloß die aktuellen Zahlen nicht? Wobei, was heißt aktuell? - Die sind gar nicht so aktuell, die sind schon älter. Kennen Sie die Zahlen nicht? 


Guido Kosmehl (FDP):

Ich gebe gern zu, dass ich jetzt nicht genau weiß, welches Wirtschaftswachstum das Vereinigte Königreich jedes Jahr hatte. Ich habe die Zahlen parat, die im letzten Jahr im Parlament in London diskutiert worden sind hinsichtlich der Investitionen bspw. in den Gesundheitssektor, hinsichtlich der öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur - diese sind zurückgegangen  , all das, von dem Nigel Farage, Boris Johnson und andere versprochen hatten, es würde plötzlich nach oben gehen. Darunter leiden die Menschen ein Stück weit. 

(Zuruf von Matthias Büttner, Staßfurt, AfD)

Insbesondere Unternehmen leiden darunter, dass es Handelshemmnisse gibt, um in den EU-Binnenmarkt zu kommen; ihnen wurden Zölle und andere Dinge auferlegt. Insofern sage ich Ihnen ganz offen: Dieser Brexit war keine Erfolgsgeschichte für die Menschen. Und dass Großbritannien teilweise höhere Wachstumsraten hat als Deutschland, war in den vergangenen 15 Jahren schon häufiger der Fall, weil wir in Deutschland, ich sage einmal, immer unter unseren Möglichkeiten geblieben sind und nicht alles entfesselt haben, was in diesem Land steckt.