Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Kolleginnen und Kollegen der Linken! Sie sprechen mit der Aktuellen Debatte zentrale Leerstellen der neuen Bundesregierung an. Kaum im Amt, bricht Streit los zur Bürgerversicherung, zum Umgang mit der Linken, zur Schuldenbremse, zur Einkommenssteuer. Die Ampelregierung hatte wenigstens eine Vision und hat sie im Streit in wesentlichen Teilen umgesetzt. Die neue Regierung streitet nur, und das von Anfang an. Zentrale Werte sind nicht zu finden.

Schauen wir auf den Bereich soziale Grundsicherung: Fehlanzeige. Besonders deutlich wird das beim Thema Mindestlohn. Gerade in Ostdeutschland, wo rund 30 % der Beschäftigten auf den Mindestlohn angewiesen sind, deutlich mehr als im Westen, ist ein existenzsicherndes Lohnniveau entscheidend. Die Erhöhung auf 15 €, bislang nur ein Versprechen, keine verbindliche Festlegung. Der Koalitionsvertrag bleibt vage, und die SPD hat öffentlich dazu noch gejubelt.

Oder Humanität: ebenfalls Fehlanzeige. Wer den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige einschränkt, wer Bundesaufnahmeprogramme wie das für Afghanistan einstellt und an der Grenze Abschottung betreibt, handelt weder christlich noch weitsichtig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Familien zu trennen verhindert Integration. Wer seine Liebsten zurücklassen muss, kann in einem neuen Land kaum ankommen. Und das steht im Widerspruch zu jeglichem konservativen Bekenntnis zur Familie.

Oder soziale Sicherheit: Fehlanzeige. In der Ampelkoalition haben gerade wir GRÜNEN uns für einen neuen Geist in der Grundsicherung stark gemacht, basierend auf Vertrauen und Eigenverantwortung. Jetzt erleben wir die Rückkehr zu Misstrauen und Sanktionskeulen. Totalsanktionen gegen sogenannte Totalverweigerer, die es in Wahrheit überhaupt nicht gibt, bedienen einzig alte Ressentiments. Nach unten zu treten, wird dann zynisch als Leistungsgerechtigkeit verkauft.

Was wirklich existenziell bedrohlich ist: auch bei Klimaschutz und Umwelt - Fehlanzeige. Das spreche ich so drastisch an, nicht, weil es das grüne Kernthema ist, sondern weil die Folgen der Klimakrise uns alle bedrohen. Da ist es schon ein Erfolg, dass das Heizungsgesetz und der Windkraftausbau nicht frontal angegriffen werden.

Olaf Meister hat in der Wirtschaftsdebatte klargemacht, wie entscheidend der nachhaltige Umbau der Wirtschaft gerade für uns in Sachsen-Anhalt ist. Auch verliert der Koalitionsvertrag kaum ein Wort über Umwelt- und Artenschutz. Nur 29 vage Zeilen auf 146 Seiten. Das ist wirklich ein Armutszeugnis. Angesichts des massiven Artensterns ist das fahrlässig hoch fünf.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Linken)

Wenn Mütterrente, Pendlerpauschale und Steuersenkung für die Gastronomie die zentralen Projekte der neuen Bundesregierung sind, dann fragt man sich: Geht Politik tatsächlich noch ambitionsloser? Hält man den Koalitionsvertrag in den Händen, verehrte CDU und SPD, möchte man den Staub herunterputzen, so altbacken kommt er daher. Das Modernste ist noch, dass es diesen Vertrag auch als Digitalversion gibt.

Nicht nur wir sind unzufrieden. Es gärt ganz offensichtlich auch an den Reihen der Regierungsfraktionen. Die Nichtwahl von Herrn Merz im ersten Wahlgang spricht Bände. Warum aber auch sollte man die Hände für vier Jahre Stillstand heben? Dass es Zweifler in den eigenen Reihen gibt   offenbar ist das völlig an Herrn Merz vorbeigegangen  , ist kein gutes Zeichen. Selbst im zweiten Wahlgang fehlten noch drei Stimmen. Das ist eine schwere Bürde für diese Koalition.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass sich Herr Merz nicht durch Weitsicht auszeichnet, konnten wir schon häufiger erleben. Es fing an mit der vermeintlich überraschenden und nach eigener Aussage überhaupt nicht geplanten gemeinsamen Abstimmung mit der AfD kurz vor der Bundestagswahl. Dann brauchte es anscheinend erst die Zollpolitik von Herrn Trump, um Herrn Merz klarzumachen, dass sich Deutschland mit der bestehenden Schuldenbremse selbst lähmt.

Aktuell wird trotz des Gutachtens des Verfassungsschutzes immer noch kein AfD-Verbotsverfahren vorangetrieben. Gleich viermal hat der neue Kanzler mit Blindheit von sich reden gemacht. Keine guten Aussichten für Deutschland,

(Beifall bei den GRÜNEN)

erst recht keine guten Aussichten für Ostdeutschland und Sachsen-Anhalt. Dabei bräuchten wir jetzt in zentralen Politikfeldern starke Impulse und verlässliche Zusagen.

(Zuruf von der CDU)

Erstes Stichwort: Demokratieförderung. Da hat zuletzt die FDP die verlässliche Demokratieförderung per Gesetz blockiert. Dabei braucht es eine starke Zivilgesellschaft, unterstützt durch Programme wie „Demokratie leben“ als Schutz gegen rechts und Stimme für unsere Demokratie. Da gehen uns Strukturen und qualifizierte Fachkräfte verloren, denn schon jetzt reichen die Gelder nicht aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist für uns besonders fatal, weil wir eine Landtagswahl vor der Brust haben, bei der eine gesichert rechtsextremistische Partei zu einem neuen Schlag gegen die Demokratie ausholt.

(Lachen bei der AfD)

Es braucht die klare Botschaft an den Bund: Sorgen Sie für verlässliche und bedarfsgerechte Finanzen all der Vereine und Bündnisse, all der Menschen, die sich tagtäglich mit ihrem Gesicht und ihrem Körper vor die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Schauen wir uns Umfragen zur Demokratie an, und schauen wir ganz schlicht auf die Wahlergebnisse in unserem Land, dann kommt man um den Befund nicht mehr herum: viele Menschen im Osten sind der Demokratie verlorengegangen. Vertrauen in staatliche Institutionen und ihre Handlungsfähigkeit ist auf einem Tiefststand. Populisten und Rechtsextreme nutzen das für reaktionäre und völkische Phantasmen. Umso wichtiger ist es, demokratische Antworten auf den Vertrauensverlust zu finden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das hatten wir bereits ausführlich hier im Zuge unseres Antrages dargelegt, den Ostbeauftragten nicht nur zu erhalten, sondern aufzuwerten. Wir brauchen neue demokratische Beteiligung, ob das Bürgerräte, Bürgerbudgets oder Bürgerbeauftragte sind. Das könnte und sollte die Ostbeauftragte leisten. Ihre Agenda sollte sein, den Osten als Demokratielabor zu entwickeln, um Herz und Kopf der Menschen hierzulande neu zu gewinnen.

Leider gibt es keine Impulse in diese Richtung; im Gegenteil. Die Position wird deutlich geschwächt. Alles, was Carsten Schneider aufgebaut hat, geht den Bach herunter. Sie wird abgekoppelt vom Kanzleramt und verschwindet irgendwo im Finanzministerium.

Der Strukturwandel ist zentral für Sachsen-Anhalt. Ja, der Kohleausstieg wird fortgeschrieben. Das ist immerhin gut. Der Ausstieg bis zum Jahr 2038 scheint gesichert. Aber da wir bereits im vorigen Jahr das Ziel, 1,5°C nicht zu überschreiten, global gerissen haben   jeder Monat in diesem Jahr ist deutlich zu heiß  , muss man konstatieren, das reicht nicht. Das Jahr 2035 ist als mögliches Ziel von der Ampel angedacht gewesen. Das hätte man beibehalten müssen. NRW, das größte Bundesland, hat immerhin das Jahr 2030 in den Blick genommen. Der Bund wird hierbei seiner Verantwortung nicht gerecht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

So, wie wir die Altlasten der Vergangenheit in den Blick nehmen müssen, so auch die wirtschaftliche Gestaltung der Zukunft. Auch hierfür brauchen wir als Land den Bund. Unsere Chemieindustrie steht vor großen Herausforderungen. Um diese zu stemmen, braucht es ein Sonderprogramm zur Transformation. Die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion ist eine Herkulesaufgabe, die für unser wirtschaftliches Wachstum und für die Zukunft des Landes unerlässlich sind.

Wir brauchen - nehmen wir nur das Kraftwerk Schkopau, das sich radikal verändern muss - eine moderne Kraftwerksstrategie der neuen Bundesregierung. Dafür muss unser Ministerpräsident Haseloff auf der Bundesebene nachdrücklich agieren und sich nicht nur hierhin stellen und sagen: ach, das ist doch eigentlich alles ganz nett, lasst die doch einmal machen. Denn der Osten und Sachsen-Anhalt werden im Bund ganz offensichtlich nicht automatisch mitgedacht.

Auch wenn die Wirkmächtigkeit von Haseloff und Schulze ganz offensichtlich begrenzt ist

(Minister Sven Schulze: Was? - Ulrich Thomas, CDU, lacht)

- schauen wir nur auf Ihre Bemühungen; Sie haben sich selber in der „Tagesschau“ hingestellt und Ihre Enttäuschung darüber gezeigt, dass Sachsen-Anhalt in der neuen Bundesregierung nicht repräsentiert wird  ,

(Minister Sven Schulze: Das habe ich nicht gesagt!)

jetzt heißt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, mögen sie noch so klein sein   jeder muss halt das beitragen, was er kann  , um die Interessen der neuen Länder zu wahren.

(Ulrich Thomas, CDU: Robert war eine richtig große Nummer in Brüssel! Robert hat uns gerettet!)

Nur dann haben wir die Chance, ostdeutsche Perspektiven in die Bundesdebatten einzubringen und unsere Zukunftsthemen, Strukturwandel, klimaneutrale Chemieindustrie und Demokratie, gemeinsam voranzubringen.

Ostdeutschland schaut dem Wandel ständig in die Augen. Zur erfolgreichen Bewältigung des Wandels braucht es eine Bundesregierung, die den Mut der Menschen hier vor Ort anerkennt und unterstützt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir erwarten gezielte Investitionen in klimafreundliche Industrie, moderne Infrastruktur und regionale Innovationen. Sachsen-Anhalt hat das Potenzial, erfolgreiche Modellregion des Strukturwandels zu werden. Dafür braucht es aber Rückenwind aus Berlin und nicht nur warme Worte.

(Ulrich Thomas, CDU: Und keine GRÜNEN!)

Herzlichen Dank.