Katrin Gensecke (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in Sachsen-Anhalt arm ist, dann ist man mit hoher Wahrscheinlichkeit eine junge Frau oder ein junger Mann, alleinstehend mit zwei Kindern, vornehmlich in einem Teilzeitjob beschäftigt und wahrscheinlich wohnhaft in Halle-Neustadt.
In Sachsen-Anhalt gilt fast jeder Fünfte als armutsgefährdet. Wir liegen dabei bundesweit auf Platz vier hinter Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Das besagen jedenfalls die Zahlen des aktuellen Armutsberichts des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Die neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes bestätigen, dass rund 21 % der Bevölkerung in Deutschland von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, und das sind 17,7 Millionen Menschen.
Haushalte mit einem solchen Einkommen haben es schwer, die Miete und anfallende Rechnungen zu bezahlen und dann möglicherweise noch einen gemeinsamen Urlaub mit den Kindern zu stemmen.
Wer arm ist, der hat nicht nur Schwierigkeiten damit, Rechnungen zu bezahlen. Die finanziellen Engpässe führen vielmehr vornehmlich auch zu massiven physischen, aber auch psychischen Belastungen. Wer arm ist, der ernährt sich weniger gesund, hat damit gesundheitliche Einschränkungen, hat weniger Teilhabe an Bildungs- und Kulturangeboten, hat weniger soziale Kontakte und damit auch wenig berufliche Chancen.
Wenn Armut die eigene Person oder die Familie über lange Zeit betrifft, dann stellt sich immer auch die Frage, wie weit betrifft das die Familie, wie weit stellt sich ein Gefühl von Scham, von Ausgrenzung und schließlich von Resignation und Demotivation aufgrund der eigenen Lage ein.
Hinzu kommt, dass dann noch von Populisten gern die Schwachen, die verletzlichsten Gruppen gegeneinander ausgespielt werden und dass behauptet wird, nur dann, wenn man die Sozialleistungen einkürzt, lösen sich die Probleme in der Gesellschaft von allein. Was für ein beschämendes Geschäft auf dem Rücken der Schwachen in unserer Gesellschaft!
(Beifall bei der SPD)
Wer meint, die Wirtschaft käme in Schwung, wenn viele länger arbeiten, der irrt gewaltig. Ich stimme ganz eindeutig meinem Co-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil zu, der gesagt hat, wer 45 Jahre lang in Krankenhäusern, in Kitas, auf dem Bau für unser Land geschuftet hat, der hat ein Recht auf eine abschlagsfreie Rente, und dabei wird es auch bleiben.
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren! Solche Debatten sind erbärmlich und lenken uns von der eigentlichen Frage ab: Wie wollen wir in unserer Gesellschaft leben? Wollen wir es zulassen, dass es einige gibt, die sehr viel haben, und viele, die weniger oder gar nichts haben, dass Menschen ihre Talente und vor allem ihre Fähigkeiten, ihre Potenziale nicht vollständig entwickeln können, weil sie nicht die Möglichkeit haben teilzuhaben, obwohl sie es wollen?
Ja, es ist besorgniserregend, dass wir gerade hier in Sachsen-Anhalt noch einen hohen Anteil von Kinderarmut haben. Jedes fünfte Kind wächst in Armut auf, was nie zu einem Dauerzustand werden darf.
(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)
Von Armut betroffene Kinder haben eine schlechtere materielle Ausstattung, eine schlechtere Ernährung und schlechtere Chancen in einem ohnehin ungerechten Bildungssystem, weil in diesem nämlich frühzeitig getrennt wird und weil es nicht jedem Kind die Möglichkeiten bietet, die es braucht. Warum schaffen es denn nur die wenigsten Kinder aus einkommensschwachen Familien auf das Gymnasium oder an die Hochschule und machen dort ihren Abschluss?
(Guido Kosmehl, FDP: Was! - Tobias Rausch, AfD: Das stimmt doch gar nicht! Aber doch nicht in Sachsen-Anhalt!)
An Talent mangelt es ihnen nicht, sondern nur an den Chancen, die ihnen eingeräumt werden.
(Tobias Rausch, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)
Kinder, die unter armen Bedingungen aufwachsen, und deren Eltern, die im Niedriglohnsektor zu geringen Löhnen arbeiten, haben später auch ein erhöhtes Risiko, selbst arm zu sein. Daher begrüße ich alle Maßnahmen, damit Kinder und Jugendliche einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung erhalten und um sie dabei zu unterstützen, ihre Chancen wahrzunehmen, sei es beim Übergang von der Kita in die Schule, seien es die Gemeinschaftsschulen und sei es später bei der Ausbildung, egal ob diese Ausbildung eine duale Ausbildung ist, eine schulische Ausbildung oder eine Ausbildung an der Hochschule. Vor allen Dingen unterstütze ich gemeinsames und inklusives Lernen.
Unsere gute Kinderbetreuung, wie wir sie mit dem KiFöG haben, mit dem ganztägigen Bildungs- und Betreuungsanspruch hilft natürlich auch insbesondere Alleinerziehenden dabei, Beruf und Familie besser zu stemmen und miteinander zu vereinbaren.
(Beifall bei der SPD)
Gerade Familien mit zwei oder mehr Kindern - es ist angesprochen worden - profitieren zusätzlich von unserer Geschwisterkindregelung, weil sie hierdurch finanziell entlastet werden.
Arme Menschen sind im Übrigen nicht schuld an ihrer Situation; denn Armut ist häufig Erwerbsarmut. Diese trifft ganz besonders häufig Alleinerziehende, weil sie in Teilzeit arbeiten, in Teilzeit arbeiten müssen, weil sie ihre Doppelbelastung Beruf und Familie ansonsten nicht stemmen können.
Erwerbsarmut heißt arm trotz Arbeit, nämlich dann, wenn am Monatsende nach der Zahlung der Miete und der Nebenkosten nichts oder nur wenig übrig bleibt. Sehr geehrte Damen und Herren! Damit sind wir beim eigentlichen Problem in Sachsen-Anhalt. Das sind nämlich die niedrigen Löhne, die hier gezahlt werden, und die mangelnde Tarifbindung.
Der MDR berichtete vor einigen Tagen darüber, dass die Löhne in einigen Branchen bis zu 23 % unter dem Niveau in Westdeutschland sind. Insbesondere davon betroffen sind die Bereiche der Gastronomie und des Einzelhandels.
Meine Damen und Herren! Wenn das Geschäftsmodell eines Unternehmens nur mit schlechten Löhnen funktioniert, dann führt das dazu, dass wir in der Gesellschaft die niedrigen Löhne derer durch Aufstocken wieder subventionieren müssen. Das kann es doch wohl nicht sein!
(Beifall bei der SPD - Jörg Bernstein, FDP: Kann sich überhaupt keiner mehr leisten, niedrige Löhne zu zahlen! Findet sich ja niemand!)
Die Folge von niedrigen Löhnen sind außerdem langfristig niedrigere Renten. Gute Löhne müssen doch die Grundlage für eine sichere Rente sein. Wer arbeitet, der muss sich darauf verlassen können, dass ihm am Ende seines Arbeitslebens eine sichere Rente ausgezahlt wird. Ich glaube, gerade das verabschiedete Rentenpaket II gibt einiges dazu.
Ich möchte im Übrigen jeden dazu ermutigen, sich in einem Betriebsrat und in einer Gewerkschaft zu engagieren. Das heißt gemeinsam für starke und gute Löhne.
(Beifall bei der SPD)
Bevor wieder etwas anderes behauptet wird: Die Einführung des Bürgergeldes mit der Erhöhung der Sätze zu Beginn des Jahres war richtig und notwendig.
(Beifall bei der SPD)
Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Arbeit lohnt sich. Alles andere ist und bleibt eine Lüge. Wer arbeitet, der hat mehr im Portemonnaie. Wenn es doch nicht reicht, dann gibt es noch die Möglichkeit, das Wohngeld zu beantragen. Gerade uns, der Sozialdemokratie, ist es zu verdanken, dass wir mit dem Wohngeld plus inzwischen mehr Menschen erreichen, dass sie diese Leistung beantragen können.
Für Menschen mit kleineren Einkommen gibt es noch den Kinderzuschlag und - das ist auch schon angesprochen worden, auch wenn das manchmal ein bisschen kompliziert ist - die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.
Zur Kindergrundsicherung ist schon genügend ausgeführt worden.
Zum Abschluss möchte ich sagen, Armut verringert nicht nur die Chancen für die Betroffenen erheblich, Armut gefährdet auch unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Armut spaltet unsere Gesellschaft und entzieht uns die Talente, die wir brauchen, damit wir gute Fachkräfte ausbilden können.
Was wir nicht brauchen, das sind Populismus und Parteien, die sich gegen die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen stellen, die den Mindestlohn abschaffen wollen, die Mitbestimmung im Betrieb verhindern und die sich gegen Gewerkschaften stellen.
Wer soziale Gerechtigkeit, bessere Löhne, mehr Chancen für unsere Kinder will, der ist am rechten Rand völlig falsch aufgehoben. - Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)