Tagesordnungspunkt 9
Aktuelle Debatte
Soziale Gerechtigkeit beginnt vor Ort! Gesellschaftliche Spaltung verhindern, Armut in Sachsen-Anhalt bekämpfen!
Antrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/4040
Es ist eine Zehnminutendebatte. - Sie haben das Wort, Frau von Angern.
Eva von Angern (Die Linke):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der Staatsminister leitete seine Regierungserklärung gestern mit den Worten ein, es sei guter parlamentarischer Brauch, vor einer Europawahl auf die Errungenschaften, das Geleistete der Landesregierung im Kontext Europas hinzuweisen. Ich sage für Die Linke: Vor einer Kommunal- und einer Europawahl ist es in unserer Verantwortung und selbstverständlich, auf die Situation in den Kommunen unseres Landes zu schauen.
(Zustimmung bei der Linken)
Wie geht es also den Menschen in Sachsen-Anhalt? Wie geht es den kommunalen Mandatsträgerinnen, die jeden Tag eine unschätzbare ehrenamtliche Arbeit vor Ort leisten? Denn, meine Damen und Herren, Gerechtigkeit beginnt vor Ort und endet im besten Fall nicht an den Grenzen Europas.
(Zustimmung bei der Linken)
Wir sind hochaktuell mit unserer Aktuellen Debatte. Das gilt nicht nur, weil am 9. Juni Kommunalwahlen sind, sondern schauen Sie in die heutige Ausgabe der „Volksstimme“. Ich zitiere aus einem Bericht über die Studie der Forschungsgruppe um Prof. Q.:
„Städte und Gemeinden bräuchten finanzielle Handlungsspielräume, ‚die demokratische Mitbestimmung ermöglichten, Begegnungsorte erhalten und kulturelle Infrastruktur ausbauen können‘."
- Korrekt. - Meine Damen und Herren! Vor einigen Wochen demonstrierten Tausende auf den Straßen und Plätzen für die Demokratie. Es ist bemerkenswert, dass es bis heute immer noch Kundgebungen auch in Ostdeutschland gibt. Viele Menschen positionieren sich klar. Sie wollen in einem funktionierenden Gemeinwesen leben. Sie wollen eine demokratische Öffentlichkeit. Sie wollen ein gutes und sicheres Zusammenleben.
Nicht nur meine Partei Die Linke, sondern auch andere demokratische Akteure haben in diesen Wochen mitdemonstriert. Wir haben dafür geworben, politisch aktiv zu werden und bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt zu kandidieren.
Ein Mandat in einer kommunalen Vertretung heißt, Verantwortung zu übernehmen, und zwar Verantwortung vor Ort ganz nah an den Menschen. Mit einem kommunalen Mandat kann man langfristig am Gelingen unseres Zusammenlebens mitwirken. Wenn wir dieses Werben für politisches Engagement ernst nehmen, dann sollen, nein, ich sage sogar, müssen wir ernsthaft fragen, was ein kommunales Mandat im Jahr 2024 bewirken kann. Welche Entscheidungen können im Kreistag, Stadtrat oder Gemeinderat getroffen werden? Was hat eigentlich ein Ortschaftsrat für Möglichkeiten?
Allein in dieser Hinsicht gibt es, wie wir wissen, bereits innerhalb der kommunalen Familie heftige Auseinandersetzungen. Denn Entscheidungen kosten in aller Regel Geld und das ist oft viel zu knapp. Denn welchen tatsächlichen finanziellen Spielraum haben heutzutage noch Kommunen, um freiwillige Aufgaben umzusetzen?
Meine Damen und Herren! In der heutigen Landtagssitzung werden wir auch über grundlegende Änderungen im Kommunalverfassungsgesetz Sachsen-Anhalt entscheiden. Wie so oft bei dieser Landesregierung stellen wir auch hier fest: Was nicht passt, wird ausgeblendet.
(Thomas Krüger, CDU: Jaja!)
Insbesondere die Regelung zur Haushaltsführung mit der Vorlage der Jahresabschlüsse bereits ab dem Jahr 2025 stößt auf große Kritik.
(Zustimmung bei der Linken - Guido Kosmehl, FDP: Oh!)
Denn die Neuregelungen im KVG würden viele Kommunen in Sachsen-Anhalt ab dem Jahr 2025 in die vorläufige Haushaltsführung zwingen, also de facto in eine Haushaltssperre. Hierfür bedarf es dringend einer Übergangslösung bzw. einer Verschiebung der geplanten umstrittenen Finanzregelung um mindestens ein Jahr. Sie können nachher darüber entscheiden.
(Zuruf von der FDP: Bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag vielleicht?)
- Der Sankt-Nimmerleins-Tag ist, glaube ich, nicht in einem Jahr. Also, ich kann rechnen.
Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt, Andreas Dittmann, kritisierte diese Regel mit sehr emotionalen Worten. Ich zitiere: Sie treffe die Kommunen ins Herz. - Das heißt, dass gerade dort, wo es um das funktionierende Gemeinwesen geht, Geld gespart, Spielräume weggestrichen werden sollen.
Es sind die sogenannten freiwilligen Leistungen, also die Jugendarbeit oder der öffentliche Zuschuss für Kitas oder für die Vereinsarbeit, die im Zweifel auf der Kippe stehen, aber auch das Dorfgemeinschaftshaus, das im besten Sinne des Wortes das soziale Herz nicht weniger Kommunen ist. Deshalb gibt es klare Signale an die Landesregierung. Die Kommunen brauchen mehr Zeit, um die Haushaltsabrechnung an das neue Regelwerk anzupassen, und allen in der Landesregierung sowie in der Koalition ist das bekannt. Dennoch wollen sie es durchboxen.
(Zustimmung bei der Linken - Zurufe von der CDU)
Die Räte in Hecklingen bspw. - im Übrigen nicht nur von der Linken; das war ein sehr bemerkenswerter Vor-Ort-Termin für mich - sagten mir, der einzige Entscheidungsspielraum, den sie noch hätten, sei die Erhöhung der Friedhofsgebühren, um irgendwie noch Geld einsetzen zu können. Nun gehört auch die Friedhofsgebühr, das Sterben zum Leben dazu. Aber ganz ehrlich: Das macht ein kommunales Mandat nun wirklich nicht attraktiv.
(Zustimmung bei der Linken)
Mein Kollege Herr Gebhardt hat hier schon aus der wunderschönen Stadt Hettstedt berichtet, dass der Stadtrat so sehr bedrängt ist, dass die Stadträte nicht einmal mehr über die Sanierung von zwei Parkbänken entscheiden können. Auch das macht ein kommunales Mandat nicht attraktiv.
(Unruhe)
Wenn wir Kommunalpolitikerinnen sehenden Auges in einer solchen Situation belassen, dann müssen wir uns nicht wundern, dass der Abstand zur Politik wächst. Mit dem Abstand zur Politik wächst auch die Uneinsichtigkeit in den politischen Ausgleich. Wenn es vor Ort am Selbstverständlichen mangelt, dann wächst auch ein neues Konkurrenzgefühl und dann werden auch Mittel für andere in Frage gestellt.
Man sollte als politisch Verantwortlicher dringend darauf achten, falsche Konkurrenzen nicht anzufachen. Deshalb sage ich ganz klar in Richtung der CDU und der FDP: Ihre Kampagne gegen das Bürgergeld ist verheerend.
(Beifall bei der Linken)
Seit Monaten untergraben Sie die Redlichkeit der Betroffenen. Aus einer Sozialstaatsgarantie wird in Ihren Reden immer mehr das Infrage-Stellen sozialstaatlicher Verantwortung. Ich würde mit Ihnen lieber über die sozialstaatliche Verantwortung von Superreichen reden.
(Beifall bei der Linken - Lachen - Zurufe)
Ganz aktuell ist ein Vorschlag der FDP, das Bürgergeld um 30 % zu kürzen, sollte z. B. zumutbare Arbeit ohne Grund abgelehnt werden. Da bleibt mir die Luft weg.
(Zurufe von der FDP)
Sie wollen die Ärmsten dieses Landes noch ärmer machen.
(Beifall bei der Linken - Zurufe von der FDP)
Denn damit steht automatisch die Behauptung im Raum, die Leute bekämen derzeit zu viel Geld. Und ich habe alles richtig gemacht, wenn Sie hier schreien.
(Zustimmung bei der Linken - Zuruf von der FDP: Sie haben es nicht verstanden! - Weitere Zurufe von der FDP - Lachen)
Nebenbei erklären Sie Ihre eigene Regierung in Berlin für blöde, die nämlich gerade eben erst dieses Gesetz beschlossen hat. Die FDP tut so, als wäre das zugestandene Existenzminimum eine Luxusveranstaltung, als sei der Musterwarenkorb im KDW gepackt worden. - Ist er nicht.
(Beifall bei der Linken - Guido Kosmehl, FDP: Sie haben nicht eine sozialpolitische Leistung eingeführt!)
Meine Damen und Herren! Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie den Kindern von Bürgergeldempfängerinnen antun? Haben Sie sich einmal in deren Lage versetzt? Sie sollten sich schämen!
(Zustimmung bei der Linken)
Werden Sie sich der Tatsache bewusst, dass sich von Armut betroffene Kinder und Jugendliche, die so gar nichts für diese Situation können, genau für diese Situation schämen.
(Guido Kosmehl, FDP: Das ist billiger Populismus!)
Kinder haben das verdammte Recht, glücklich aufzuwachsen, ohne finanzielle Sorgen und ohne Scham.
(Zustimmung bei der Linken - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Meine Damen und Herren! Wir erinnern uns an die mutigen Wortmeldungen unter dem Slogan „Ich bin armutsbetroffen“. Die enorme Teuerung von Nahrungsmitteln und anderen Lebenshaltungskosten ist unbestreitbar. Wir haben hier mehrfach darüber gesprochen. Die Inflation ist Sorge Nummer eins bei den Menschen in Deutschland.
In Sachsen-Anhalt - das sind aktuelle Zahlen der Armutskonferenz Sachsen-Anhalt - leben mehr als 400 000 Menschen, die arm oder armutsgefährdet sind. Wir sind bundesweit eines der Länder mit der höchsten Armutsquote - welch ein Armutszeugnis im wahrsten Sinne des Wortes.
(Beifall bei der Linken)
Frau Ministerin Grimm-Benne sagte aktuell zur Delegiertenversammlung des Landesfrauenrates, dass mehr als 40 % der Alleinerziehenden und ihre Kinder in Sachsen-Anhalt armutsbetroffen sind. Das ist eine besorgniserregende Zahl. In dieser Situation wäre der Kampf gegen Armut, der Kampf gegen Kinderarmut die erste Pflicht jeder Landesregierung.
(Zustimmung bei der Linken)
Notwendig wäre der Druck aus Sachsen-Anhalt für eine Umsetzung einer echten Kindergrundsicherung. Stattdessen kämpfen die Koalitionspartner in Berlin gegeneinander. Notwendig wäre der Druck aus Sachsen-Anhalt in Richtung Berlin für eine echte Bildungsoffensive, für eine Sanierung der Kommunalfinanzen eben auch im Zusammenspiel von Bund, Land und Kommunen. Notwendig wäre ein kostenfreies, ein gesundes Mittagessen in Kitas und Schulen.
(Sven Rosomkiewicz, CDU: Na klar, alles frei! Genau!)
Das wäre ein Beitrag, der Familien und Kindern tatsächlich helfen würde. Notwendig wäre endlich auch die Beitragsfreiheit in Krippe und Kindergarten. Aber unseren Gesetzentwurf haben sie fast ohne Debatte einfach abgelehnt. Das wären übrigens alles Gründe, um nach Sachsen-Anhalt zu ziehen und zu bleiben.
(Zustimmung bei der Linken)
Was ist die Realität, die bittere Realität? - Der Ministerpräsident betont immer wieder, gefragt und ungefragt, dass nun endlich Sozialleistungen gekürzt werden müssen. Ich habe die Landesregierung vor einem Jahr - und aktuell hat es meine Kollegin Frau Hohmann noch einmal getan - nach ihrem Plan gegen Armut, gegen Kinderarmut gefragt. Was ist das Ergebnis? - Sie verweist auf die Bundesebene. Ein Plan, meine Damen und Herren, gegen Armut, gegen Kinderarmut sieht anders aus. Sie haben schlicht keinen Plan.
(Zustimmung bei der Linken)
Nun könnte man auf die Idee kommen, dass Sie bei dem etwas tun, wo Sie die Möglichkeit haben, etwa den Mindestlohn im Rahmen eines Tariftreuegesetzes erhöhen. Zur Wahrheit gehört nämlich, dass ein Großteil der Bürgergeldempfängerinnen arbeitet. Sie müssen aufstocken. Sie arbeiten und das entspricht eben ausdrücklich nicht dem Zerrbild, das CDU und FDP gern zeichnen. Nehmen Sie zur Kenntnis: In Sachsen-Anhalt ist man arm trotz Arbeit.
(Zustimmung bei der Linken)
Meine Damen und Herren! Die Entsolidarisierung gegenüber gesellschaftlichen Gruppen ist eine gefährliche Tendenz. Wir sind in einer Zeit, in der der Zusammenhalt massiv bröckelt und Sicherheiten schwinden. Sie kennen auch die Zahl zum Bevölkerungsschwund in Sachsen-Anhalt.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Eva von Angern (Die Linke):
Der Sozialstaat ist keine Hängematte, sondern er ist ein Schutzversprechen moderner Gesellschaften. Sozialpolitik ist die Basis unserer Demokratie. Die Menschen unseres Landes brauchen eine Landesregierung, die diese Basis verteidigt. Das tun Sie nicht. Wir werden dieser Politik weiterhin die Stirn bieten. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der Linken)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Es gibt eine Nachfrage. - Herr Kosmehl, bitte.
Guido Kosmehl (FDP):
Sehr geehrte Frau Kollegin von Angern, ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, sich immer an einer Partei abzuarbeiten. Aber das ist Ihre Entscheidung.
Ich würde Sie nur mit Blick auf die Entscheidungen in der Politik auf Bundes- und auf Landesebene wie die Erhöhung des Kindergeldes, die Erhöhung des Kindergrundfreibetrages bei der Steuer mit Zustimmung der Freien Demokraten fragen: Sind Sie wirklich der Meinung, dass die Freien Demokraten auf Bundes- und Landesebene in den letzten Jahren für die Kinder tatsächlich einen Sozialabbau betrieben haben?
(Beifall bei der FDP)
Eva von Angern (Die Linke):
Herr Kosmehl, jetzt haben Sie mir zwei Bälle vor das Tor gelegt. Zum einen möchte ich darauf hinweisen, falls es die Kolleginnen und Kollegen der CDU nicht mitbekommen haben: Ich meinte ausdrücklich auch Sie, wenn ich von der CDU und der Verantwortung hier im Land Sachsen-Anhalt sprach.
Aber ich komme gern zu Ihrer Frage zum Kindergeld zurück. Ich finde es immer wieder total spannend, auch heute, im Jahr 2024, noch einmal darauf hinweisen zu müssen: Bürgergeldempfängerinnen und Bürgergeldempfängern wird das Kindergeld eins zu eins angerechnet.
Das heißt, das, was Sie machen, hilft mir und meinen Kindern. Ich sage Ihnen aber, mir und meinen Kindern brauchen Sie nicht zu helfen. Helfen Sie den Kindern von Alleinerziehenden, die von Armut bedroht sind. Helfen Sie den Bürgergeldempfängerinnen und deren Kindern, aber nicht mir. Sie unterstützen und fördern den Reichtum dieses Landes und höhlen damit immer mehr und mehr unsere Bevölkerung und Gesellschaft aus, Sie bestätigen die Armut und verfestigen sie.
(Beifall bei der Linken - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP - Jörg Bernstein, FDP: Wir arbeiten!)