Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst will ich Herrn Lizureck noch einmal erklären - weil es vielleicht ein bisschen unterging , wie das mit der Influenza und Corona ist.
(Florian Schröder, AfD: Erklären Sie es uns einmal!)
Die gegen Corona ergriffenen wirksamen Maßnahmen haben selbstverständlich auch gegen Influenza gewirkt, weil es eben Maßnahmen sind, die bei respiratorischen Erkrankungen gegen eine Verbreitung helfen.
(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Nicole Anger, Die Linke)
Respiratorische Erkrankungen sind Atemwegserkrankungen. Das kann man im Übrigen sehr gut an den erfassten Fallzahlen zur Influenza sehen, die man abfragen kann. Die Influenza ist bereits sehr lange eine meldepflichtige Krankheit; die Erkrankungen und die Todesfälle werden gemeldet und erfasst. Das kann man auch heute noch sehen. In den Kliniken wird Influenza im Übrigen genauso behandelt wie Corona. Die Patienten werden isoliert und nur unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen werden die Zimmer betreten.
Nun aber zu meinem Manuskript. - Waren die Sperrungen von Spielplätzen und die Unterscheidung von Friseurläden und Tattoo-Shops bei Schließungsverfügungen wirklich sinnvolle Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie?
(Olaf Meister, GRÜNE, lacht)
- Intrinsisch. - Wie wären meine Kolleginnen in den Kliniken besser zu schützen gewesen, Lehrkräfte, Erzieherinnen? Alles Berufsgruppen, die besonders stark von Ansteckungen betroffen waren. Wir haben viele Kolleginnen erkranken gesehen und wir haben einige Kolleginnen auch verloren, vor allen Dingen während der ersten Welle, als wir weitestgehend ungeschützt waren. Damit meine ich nicht aus dem Beruf, sondern buchstäblich verloren.
Welche Unterstützungssysteme hätten Familien in der Zeit der Schulschließungen gebraucht? Unter welchen Umständen wären die Schulschließungen zu verhindern gewesen? Wie können Entscheidungen unter Druck rechtssicher getroffen werden?
Wie funktioniert eine gute öffentliche Gesundheitskommunikation? Wie zur Hölle konnte es passieren, dass irgendwann genau dort Schwurbler den Ton bestimmen konnten und diejenigen, die noch heute, z. B. mit solchen Anträgen, an dieser Stelle jedes Fitzelchen Populismus und Verhetzungspotenzial aus der Pandemie gezogen haben und ziehen?
Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Pandemiezeit ist wichtig und sinnvoll. Gerade weil in den Bundesländern teils unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt wurden, lassen sich im Vergleich und für die Zukunft gut Rückschlüsse auf geeignete und weniger geeignete Vorgehensweisen ziehen.
Aber es ist nötig, die mit der Regierungskommission verknüpften Erwartungen realistisch zu halten. Wir werden kaum einen konkreten Fahrplan für zukünftige Pandemien bekommen. Neues Virus, neue Herausforderungen; ausgenommen, wir haben das Glück, dass es sich um Influenza handelt. Dann wissen wir ziemlich genau, was geht und was nicht geht.
Eine politische Einflussnahme auf diese Kommission, die die AfD ziemlich unverblümt für sich einfordert, lehnen wir klar und deutlich ab.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD)
Die Fraktionen an der Benennung der Sachverständigen, die angehört und einbezogen werden, zu beteiligen, wäre sicherlich sinnvoll. Mir z. B. fehlt dazu die Perspektive, die Expertise und auch die Erfahrung von beruflich Pflegenden.
Aber es ist völlig absurd, die Zahl der zu Benennenden an die Fraktionsstärke zu knüpfen. Sie haben anscheinend den Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik nicht verstanden. Ja, politische Macht hängt an Mandaten und Wählerinnenstimmen. Aber das können Sie doch nicht ummünzen auf Einfluss in der Wissenschaft.
Reputation und Expertise wird im Wissenschaftssystem selbst erworben. Wissenschaftliche Größe bemisst sich nicht an der Zustimmung auf TikTok oder an einer Wahlurne, sondern an Glaubwürdigkeit und Relevanz, im Übrigen genau das Gegenteil von Ihnen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Heide Richter-Airijoki, SPD - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
In der Wissenschaft geht es nicht um Meinung, sondern um Forschung, Interpretation und Diskussion; dafür braucht und hat es auch unterschiedliche Positionen. Aber vor allen Dingen braucht die Wissenschaft als gemeinsame Basis die Suche nach Wahrheit. Damit meine ich nicht das Kostüm, in das Sie Ihre Propaganda regelmäßig kleiden, sondern Wahrhaftigkeit und wissenschaftlichen Ethos.
Wenn Sie Ihre politische Macht nutzen wollen, um in wissenschaftlichen Gremien bestimmten Stimmen Gewicht zu verleihen, dann ist das schlicht unlauter. Bei der Coronaaufarbeitung geht es nicht um politische Interessenvertretung, sondern um eine wissenschaftliche Evaluation der Coronamaßnahmen, um Aufarbeitung und nicht um Rache.
Sie leben unter anderem von der Verächtlichmachung der Wissenschaft. Das haben wir bereits häufiger an dieser Stelle und nun einmal mehr erlebt. Lassen Sie es doch bitte einfach sein. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Sziborra-Seidlitz, es gibt eine Intervention von Herrn Scharfenort. - Herr Scharfenort, bitte.
Jan Scharfenort (AfD):
Mir hat ein Satz von Ihnen tatsächlich sehr gut gefallen; und zwar der Satz: Die Wissenschaft ist die Suche nach Wahrheit. Das ist wirklich ein schöner Satz, den unterstreiche ich.
Aber ich frage mich dann doch: Warum haben auch Sie Kritiker, namhafte Kritiker, hochdekorierte Menschen aus dem Ausland, aus dem Inland, in die Verschwörerecke gestellt, als Nazis beschimpft usw., die, wie man heute weiß, tatsächlich recht hatten. Hätte man diese nicht in die Diskussion einbeziehen müssen? Denn das wäre nämlich genau im Sinne der Suche nach der Wahrheit; das ist Wissenschaft, da haben Sie vollkommen recht. - Vielen Dank.
(Zuruf von Olaf Meister, GRÜNE)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Sziborra-Seidlitz, bitte.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Als Verschwörerinnen wurden nicht die Wissenschaftlerinnen bezeichnet, sondern diejenigen, die selektiv, wie Sie es gerade wieder getan haben, Einzelmeinungen als die Wahrheit hingestellt haben.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Was tatsächlich passiert ist, hat Frau Richter-Airijoki vorhin mit dem Begriff „Body of Evidence“ umschrieben. Es gibt in einer wissenschaftlichen Diskussion immer unterschiedliche Positionen; es gibt in der Subsummierung etwas, dass man aufgrund der weit überwiegenden Menge an Evidenz, aufgrund der weit überwiegenden wissenschaftlichen Position, als das am dichtesten an die Wahrheit Herankommende ansehen kann.
Was Sie machen, ist genau das Gegenteil davon, nämlich anhand von Einzelmeinungen etwas belegen wollen; sich dann an dieser Stelle aufzublasen und das als die wirkliche Wahrheit zu verkaufen. - Das Gegenteil ist der Fall.