Carsten Borchert (CDU):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte liebe Frau Ministerin Grimm-Benne, wie einer Pressemitteilung von gestern zu entnehmen war, wollen Sie bis Ende 2024 das Bildprogramm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ für Kindergärten aktualisieren. Wir finden es sehr schön, dass Ihr Haus erkannt hat, dass das Programm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ viele Kinder weder zielgerecht auf die Schule vorbereitet, noch für die Schulfähigkeit der einzuschulenden Kinder sorgt.
Die erste Teilfrage: Welche Lücken im Programm sollen mit dieser sogenannten Aktualisierung konkret geschlossen werden? In Ihrer Pressemitteilung heißt es - ich zitiere :
„Das aktualisierte Bildungsprogramm soll allen Kindern unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Fähigkeiten bestmögliche Chancen eröffnen. Künftig werden Demokratie-, Umwelt-, Medienbildung, Vielfalt und Kinderrechte noch intensiver thematisiert.“
Zweite Teilfrage: Sollte man nicht bei der frühkindlichen Bildung eher darauf hinwirken, dass die Schulfähigkeit unserer künftigen Schülerinnen und Schulschüler hergestellt wird und diese vor Schuleintritt wieder die ersten Buchstaben schreiben, die deutsche Sprache sprechen und richtig mit der Schere schneiden können?
(Zuruf von der AfD: Richtig!)
Was soll die in Ihrer Pressemitteilung genannte hochwertige Bildung für Krippen, Kindergärten und Hortkinder sein? Wäre ein verpflichtendes Vorschuljahr im Kindergarten nicht besser geeignet, um die Kinder auf ihren Schuleintritt vorzubereiten?
(Zuruf von der AfD: Sehr gute Frage!)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Frau Grimm-Benne, bitte.
Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):
Sehr geehrter Herr Borchert, ich möchte mich ausdrücklich für die wirklich fachlich fundierten Fragen zum Bildungsprogramm bedanken. Ich glaube, sie kommen als sehr wertschätzend an bei den 18 000 Erzieherinnen und Erziehern, die dieses Bildungsprogramm mit erarbeitet haben.
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der Linken)
Sachsen-Anhalt war das erste Land; im Jahr 2003 hat damals noch die Sozialministerin Gerlinde Kuppe ein sehr modernes Programm gemacht.
(Guido Kosmehl, FDP: Nee!)
- Doch! Gerlinde Kuppe hat im Jahr 2003 das Bildungsprogramm eingeführt.
(Guido Kosmehl, FDP: Damals haben wir regiert!)
- Gut.
(Ministerin Dr. Lydia Hüskens: 2003!)
- Aber sie hat es fortgeschrieben. Das ist jetzt egal.
(Lachen bei der FDP - Guido Kosmehl, FDP: Das ist richtig! - Weitere Zurufe)
- Alles gut.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP - Weitere Zurufe)
- Mensch, damit möchte ich gar nicht gar nicht Federn! Das finde ich ja noch viel schöner, dass Sie das Bildungsprogramm damals eingeführt haben,
(Guido Kosmehl, FDP: Absolut!)
wahrscheinlich noch unter Ihrem Sozialminister.
(Zuruf von der FDP: Gerry Kley! - Guido Kosmehl, FDP: Genau!)
Damit ist ein Prozess in Gang gesetzt worden, dass man nämlich auf frühkindliche Bildung und nicht nur auf Betreuung und Erziehung geachtet hat.
(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)
Diese bahnbrechende Idee der FDP ist dann
(Beifall bei der SPD und bei der FDP - Lachen bei und Zurufe von der FDP)
Ja, man muss auch mal sagen: Es war wirklich ein guter Gedanke zu sagen, das sind nicht nur einfach Anstalten, in denen betreut wird, sondern in denen gebildet wird, und das von Anfang an. Das muss man zumindest honorieren.
(Beifall bei der SPD und bei der FDP)
Aber ich möchte zumindest Gerlinde Kuppe zuschreiben, dass sie auf jeden Fall eine Fortschreibung gemacht hat.
(Guido Kosmehl, FDP: Absolut!)
Jedenfalls hat es im Jahr 2013 das Bildungsprogramm noch einmal gegeben. Damals ist es evaluiert und fortgeschrieben worden. Wer damals schon im Parlament war, der weiß, dass Frau Rabe-Kleberg in aller Munde war,
(Guido Kosmehl, FDP: Das stimmt! Absolut! - Dr. Katja Pähle, SPD, nickt)
viele Anhörung gemacht hat, viele Erzieherinnen und Erzieher aus Halle einbezogen und das Programm fortgeschrieben hat. Das ist übrigens jetzt hier gefestigt.
Dann will ich noch mal deutlich sagen: Als wir das Kinderförderungsgesetz mit der CDU noch einmal novelliert haben, haben wir gesagt, dieses Bildungsprogramm ist es wert, weil darin alle Handlungsempfehlungen enthalten sind, die Sie, Herr Borchert, auch genannt haben, nämlich zum Übergang von der Kita in die Grundschule, zu den manuellen Fertigkeiten, zu Bewegung und zu gesunder Ernährung. All diese Punkte sind enthalten und handlungsanleitend für die Erzieherinnen und Erzieher.
Damit das Bildungsprogramm nicht nur im Regal steht, haben wir mit Ihrer Fraktion sehr oft darum gerungen, dass es mittlerweile als Rechtsverordnung zu unserem Kinderförderungsgesetz aufgenommen wurde.
Ich weiß, man liest nicht jeden Tag die Koalitionsvereinbarung. Aber wir haben gesagt: Das Bildungsprogramm ist in die Jahre gekommen; es gibt ganz verschiedene Punkte, bspw. Umweltbildung. Es gibt mittlerweile Wald-Kitas. Ich denke mal, man weiß das genau; das haben wir nämlich letztens besichtigt.
Es gibt natürlich den Bereich Sprache und Kommunikation. Man möchte die Kinder insbesondere für die MINT-Berufe begeistern - das haben die Vertreter der Handwerksberufe gesagt , also für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik. Deswegen haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass wir die Fortschreibung des Bildungsprogrammes in Auftrag geben, nämlich unter verschiedensten Gesichtspunkten, die von den Fachleuten benannt worden sind und die in ein modernes Bildungsprogramm gehören.
Das „Kompetenzzentrum Frühe Bildung“ - ich glaube, es ist fast in Ihrer Nähe, wenn man die Altmark betrachtet , der Fachhochschule Magdeburg-Stendal hat den Auftrag bekommen, Herr Prof. B., das Bildungsprogramm nicht nur zu evaluieren, sondern weiterzuentwickeln. Darüber habe ich mich gefreut und habe diese Pressemitteilung herausgegeben, weil ich finde, das ist bahnbrechend und wir haben es wieder geschafft, dass wir das, was wir tatsächlich im Kinderförderungsgesetz machen, wieder wissenschaftlich auf den Weg bringen. Dabei werden natürlich all die aktuellen Fragen diskutiert.
Herr Prof. B. hat es uns am 11. April 2024 deswegen gibt es diese Pressemitteilung - im Haus vorgestellt und hat uns dann mitgeteilt, dass der Entwurf im Sommer fertig sein wird. Dann wird es natürlich der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Dann werden wir in verschiedenen Bereichen, mit den Erzieherinnen und Erziehern und mit den Kita-Leiterinnen insbesondere darüber beraten, wie wir das Bildungsprogramm tatsächlich noch besser machen können. - So viel zu Ihrer ersten Teilfrage.
Deswegen sage ich, die Lücken, die im Programm sind, kann ich hier nur holzschnittartig darstellen. Es gibt einen ganzen Bereich, den Herr Prof. B. in einer Powerpoint-Präsentation dargestellt hat, in dem es um noch mehr Punkte geht. Mir war es nur wichtig, die Wald-Kitas hervorzuheben, weil das eine Entwicklung ist, die auch von einem breiten Podium hier im Landtag getragen wird.
Nun zur zweiten Frage, das verpflichtende Vorschuljahr. Ich bin zwar Juristin, aber ich will Ihnen mal nicht rechtlich begegnen. Ich will Ihnen einfach einmal eine fachliche Frage stellen. Wir haben bei den Drei- bis Sechsjährigen, insbesondere im letzten Jahr vor der Kita, eine Inanspruchnahme von 95 bis 96 %. Das ist während Corona ein bisschen zurückgegangen. Aber wir nähern uns eigentlich wieder fast der 100-%-Marke.
Wenn Sie jetzt sagen, Sie möchten auch die Kinder, nämlich die 4 oder 5 % der Kinder, die im letzten Jahr vor der Schule keine Kita besuchen, erreichen, dann ist die Frage: Wo soll die Vorschule angesiedelt werden? Ist es wirklich notwendig, dass man für 5 % entweder ein verpflichtendes letztes Kita-Jahr oder ein verpflichtendes Vorschuljahr vorsieht?
Ein verpflichtendes Vorschuljahr würde für mich bedeuten, Sie setzen das Einschulungsalter um ein Jahr herab. Dann richtet sich alles nach dem Schulgesetz, dann ist man in der Schule. Ich habe aber den Diskussionen im Bildungsausschuss mitgenommen, dass Sie das nicht unbedingt wollen.
Dann würde nur noch ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr übrigbleiben. Wenn ich aber jemanden verpflichte, den Kindergarten zu besuchen, dann muss ich den Besuch beitragsfrei stellen. Das haben andere Bundesländer gemacht.
(Zuruf)
Da frage ich Sie: Ist es politisch gerechtfertigt, für die 5 % der Kinder, die die Kita nicht besuchen,
(Zuruf von Markus Kurze, CDU)
50 Millionen € für die Beitragsfreiheit zur Verfügung zu stellen? Ich meine: Nein. Ich bin der Auffassung, wir sollten diese 50 Millionen €, wenn wir sie denn hätten, dazu nutzen, noch mehr Qualität in die Einrichtung zu bringen.
(Beifall bei der SPD und bei der FDP)
Deshalb bin ich nicht dafür, einmal unabhängig davon, dass es immer noch der Elternwille ist, den Rechtsanspruch in Anspruch zu nehmen; hier werde ich jetzt mal juristisch.
(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)
Ich weiß nicht, warum man 95 % aller Eltern verpflichten soll, wenn man eigentlich nur 5 % der Kinder erreichen will.
Wir wollen - ich hoffe, dass Sie mitmachen - die Sprach-Kita-Kräfte, die wir jetzt vom Bund übernommen haben, entfristen und generell den Kitas zur Verfügung stellen, die das brauchen, um tatsächlich noch mal eine Sprachförderung sowohl in Kita als auch in Schule zu ermöglichen. - So weit erstmal von mir.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke. - Da Sie schon zwei Teilfragen weghaben, können Sie jetzt noch eine Frage stellen.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Carsten Borchert (CDU):
Danke, Herr Präsident. - Meine Frage war ja: Welche Gründe haben Sie? Was im Koalitionsvertrag steht, ist allen bekannt. Aber mir fehlte in Ihren Ausführungen, welche konkreten Gründe es gibt und was genau bis Ende des Jahres verändert werden soll. Dazu haben Sie kein Wort gesagt.
Es geht uns nicht um die 5 %, die nicht in den Kindergärten oder in den Kindereinrichtungen sind, sondern es geht um das ganze System. Von der Warte her sind wir mit den Antworten auch nicht befriedigt. Aber wichtig ist konkret die erste Frage. Warum fassen wir es an? - Weil es im Koalitionsvertrag steht. Aber es muss Inhalte geben; die haben Sie nicht genannt.
Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):
Ich habe es vorhin schon mal gesagt: Wir wollen den Fokus noch mehr auf Bewegung, Gesundheit und Prävention legen, weil wir merken, dass die Kinder - das merken Sie ja auch - damit Probleme haben.
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen soziale und kulturelle Umwelt- und Werteerziehung machen. Wir wollen die Sprache und Kommunikation stärken; denn wir sehen sehr wohl, dass es Probleme hinsichtlich der Sprachentwicklung gibt, übrigens nicht nur bei Flüchtlingskindern, sondern insbesondere auch bei Kindern, die aus prekären Verhältnissen kommen, die sehr viele Schwierigkeiten haben. Wir wollen die künstlerische, ästhetische und musische Bildung stärken. An dieser Stelle folgen wir auch den Ideen der Leiterinnen von Kitas, die gesagt haben, dass wir dabei nachjustieren sollen.
Ein ganz, ganz wichtiger Schwerpunkt wird der Bereich Mathematik, Naturwissenschaften und Technik sein, weil wir nicht früh genug damit beginnen können,
(Beifall bei der SPD und bei der FDP)
für MINT-Berufe zu werben und das tatsächlich in die Elternhäuser zu tragen.
Dann habe ich schon einen Punkt genannt - Stichwort „Wald-Kitas“ , also die Umweltbildung, die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ich habe gesagt, wie wichtig es ist.
(Zuruf: Oh!)
- Ja, man kann z. B. darauf hinweisen, den Müll nicht wegzuwerfen oder - wir haben uns das im Wald angeguckt - das Verständnis für Klimafaktoren zu wecken, z. B. dass der Wald viel Sauerstoff produziert. Ich denke, dort lernen die Kinder auch in der Bewegung, in der Natur. Auch das ist Bildung.
Weiterhin ist ein ganz großer Bereich das Thema „Medien und digitale Bildung“. Unsere Kinder wachsen in einer ganz anderen Zeit auf. Es ist von vielen Medienwissenschaftlern gesagt worden, dass man die Medienkompetenz sehr früh bekommen muss, damit man tatsächlich bestimmte Effekte im späteren Alter auch in der Schule nicht hat.
Ein ganz wichtiger Punkt, Herr Borchert, ist nach wie vor der Übergang von der Kita in die Grundschule. Wir wollen auch, dass die Kinder schulfähig sind.
Damit Sie ein bisschen beruhigter sind, dass wir hierbei nicht spintisieren: Ich habe eines der wenigen Exemplare mitgebracht, weil ich diese Frage ahnte. Ich würde Ihnen das gern übergeben. Wenn Sie das dann noch mal lesen, dann sehen Sie im Grunde, es sind Handlungsempfehlungen, die Erzieherinnen und Erzieher erarbeitet haben. Ich hatte den Eindruck, Sie kennen das nicht. Deswegen würde ich Ihnen das ganz gern übergeben.