Andreas Silbersack (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein Thema, über das man viel sprechen kann. Aber es ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Dinge ein Stück weit miteinander vermischt werden und dass deshalb aus liberaler Sicht noch einmal eine Positionierung erfolgen muss.

Die Liberalen auf Bundes- und auf Landesebene würden sich ein Einwanderungsgesetz wünschen,

(Zustimmung)

ein Einwanderungsgesetz, das deutschlandweit wichtig ist, aber insbesondere auch für Sachsen-Anhalt.

Bei diesem Einwanderungsgesetz geht es natürlich darum, Humanität und Ordnung miteinander zu verbinden. Es geht darum, diejenigen, die nach Deutschland, nach Sachsen-Anhalt kommen wollen und können, mitzunehmen, aber auch diejenigen vor Ort, damit sie die Menschen wirklich als willkommen begrüßen und das auch wirklich so empfinden. Das heißt, wir müssen die kulturellen Themen miteinander verbinden. Aber das geht nur, indem man positiv miteinander umgeht und aufeinander zugeht. Deshalb, glaube ich, sieht unser Programm der FDP vor, erst einmal zu unterscheiden zwischen Arbeitsmigration und Flüchtlingsmigration.

Wir müssen also genau unterscheiden, aus welchen Gründen die Menschen hierherkommen. Das, lieber Herr Striegel, haben Sie in Ihrem Antrag nicht gemacht. Sie haben hier die Arbeitsmigration zuvorderst angesprochen. Das vermittelte den Eindruck, dass Sie alles so meinen.

Ich glaube, wir sind in vielen Punkten durchaus beieinander; denn insgesamt betrachtet gilt doch für uns in Deutschland und in Sachsen-Anhalt: Wenn wir keine Willkommenskultur pflegen und entwickeln, dann werden Leute von außen nicht gern hierherkommen.

An dieser Stelle reden wir nicht nur über Menschen aus Afghanistan, aus dem Irak oder aus Syrien, sondern wir reden auch über Menschen, die aus Russland, Kasachstan, Usbekistan oder Polen kommen, also aus den Ländern, die uns seit Jahren sehr gewogen sind und die uns immer als Land hochhalten.

Wer mit Menschen außerhalb Deutschlands spricht, insbesondere mit Menschen aus Osteuropa, der merkt sehr schnell, wie wertgeschätzt man wird. Wenn Sie mit Ihrer Nichtwillkommenskultur auch diese Menschen ansprechen, obwohl Sie etwas anderes meinen, dann ist das unverständlich im eigentlichen Sinne. Deshalb, glaube ich, ist es wichtig, dass wir eine Willkommenskultur haben, die die Themen Humanität und Ordnung miteinander verbindet, aber eben auch zwischen Arbeitsmigration und Fluchtmigration unterscheidet.

Das Thema, das die GRÜNEN heute hier aufgerufen haben, ist aber das Thema Arbeitsmigration. Dort sprechen die Zahlen in Sachsen-Anhalt   dafür sind wir als Parlament verantwortlich   eine eindeutige Sprache. Denn in Sachsen-Anhalt gibt   die Ministerin hat es gesagt   ungefähr 100 000 bis 120 000 Ausländerinnen; davon stammt ungefähr die Hälfte aus Osteuropa. Wir haben einen Migrationsanteil in Sachsen-Anhalt von 8 %. Damit sind wir am Ende der Fahnenstange. Wir können mit diesem Prozentsatz die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.

(Zustimmung)

Johannes Hauser als Landwirt hat sich gemeldet. Gehen Sie einmal zu den Unternehmerinnen und Unternehmern fragen Sie sie einmal, was wird, egal, ob es sich um den Weinbau, um die Viehwirtschaft oder um einen anderen Bereich handelt. Fragen Sie einmal, was im Bereich der Pflege im ländlichen Raum wird. Wer soll die Leute pflegen?

(Zuruf: Schön Arbeitssklaven importieren!)

Es geht einfach darum, dass wir verstehen, dass wir nur dann, wenn wir als Sachsen-Anhalt im Ranking mit den anderen Bundesländern auch nur ansatzweise aufholen bei der Anwerbung von Fachkräften und Arbeitskräften   deshalb ist das Benennen beider Begriffe so wesentlich  , Erfolg haben werden.

Wir müssen die Menschen mit offenen Armen empfangen. Dabei vergessen wir selbstverständlich nicht, dass Ordnung auch ein wesentlicher Punkt ist, um die Leute, die hier leben, nicht zu verprellen. Aber das Wesentliche beim Thema Arbeitsmigration ist, dass wir mit offenen Armen dastehen. Ohne offene Arme kommt niemand Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung)

Deshalb ist es wichtig, dass im Koalitionsvertrag   die Ministerin hat es gesagt   diese Dinge aufgegriffen worden sind. Natürlich brauchen wir eine schnellere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Was meinen Sie denn, wie das im medizinischen Bereich im ländlichen Raum ist? Da finden Sie keinen Hausarzt mehr, da finden Sie die Themen nicht mehr. Daher ist es wichtig, dass wir diese Abschlüsse anerkennen. Wir müssen alles tun, weil das ein wesentlicher Baustein ist. Vorhin wurde gesagt, dass das sozusagen erschlagen wäre. Nein! Natürlich ist Zuwanderung ein wichtiger Baustein für die Frage, wie wir die Themen der Zukunft lösen. Wir müssen erkennen, dass ohne diesen Baustein nichts geht.

Ich freue mich sehr darüber, dass Vietnam gerade im Bereich der Gastronomie ein Thema war. Jeder, der Gastronomen kennt, die Vietnamesen bei sich im Betrieb haben, wird feststellen: Mein Gott, das ist doch super. Das funktioniert. Wenn man den Menschen entgegenwirft, eigentlich wollen wir euch nicht, wie fatal ist das denn? Wir sind dabei, Länder aufzubauen, ob das in Osteuropa, in Asien, in Lateinamerika ist. Wir als Sachsen-Anhalt müssen sagen: Hier habt ihr eine Zukunft. Wir bieten euch und euren Kindern die Rahmenbedingungen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir tatsächlich ein Einwanderungsland sind, eine Willkommenskultur leben. Selbst wenn es in Teilen berechtigte Einwände gibt, weil das eine oder andere nicht klappt, wo der Rechtsstaat aktiv werden muss,

(Zuruf)

  der wird auch aktiv  , müssen Sie das im Gesamtkontext betrachten. Deshalb ist es so   das muss ich Ihnen an der Stelle sagen -, dass Sie aus diesem Blickwinkel betrachtet das größte Zukunftsrisiko Sachsen-Anhalts sind,

(Beifall - Zurufe)

weil Sie genau das nicht verstanden haben, dass diese Willkommenskultur wichtig dafür ist, dass Leute hierherkommen. Ansonsten werden Ihre Eltern, Großeltern und Sie selbst später einmal nicht gepflegt, wenn Sie im ländlichen Bereich oder wo auch immer wohnen, weil niemand mehr da ist. Das ist von wesentlicher Bedeutung. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wir uns für dieses Land Sachsen-Anhalt darauf verständigen, den Leuten draußen zu sagen: Ihr müsst nicht nach Hamburg, ihr müsst nicht nach Baden-Württemberg; in Sachsen-Anhalt haben wir Wohnraum, der günstig zu erstehen ist; hier sind die Lebensbedingungen gut; hier sind Sie willkommen; hier haben wir gute Bildung. Das alles sind Themen, die für uns wichtig sind, und daran müssen wir gemeinsam arbeiten.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, selbst die verlängerte Redezeit ist jetzt deutlich überschritten.


Andreas Silbersack (FDP):

Vielen Dank.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, Sie haben aber die Möglichkeit, weiterzureden, wenn Sie Fragen beantworten, zunächst die von Herrn Gallert. Bei Herrn Loth habe ich nicht gesehen, ob es sich um eine Zwischenbemerkung oder eine Frage handelt. - Zwischenbemerkung. Gut. - Herr Silbersack, beantworten Sie eine Frage von Herrn Gallert?


Andreas Silbersack (FDP):

Gern.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Silbersack, Sie haben das Beispiel vietnamesischer Kräfte im Tourismusbereich und an anderer Stelle im Pflegebereich angesprochen. In der letzten Legislaturperiode haben wir eine Ausschussreise dorthin durchgeführt, wo uns das detailliert erläutert wurde. Nun gibt es aber auch den Vorwurf   diesen haben auch Sie von verschiedenen Stellen gehört  , dass man mithilfe des Hereinholens entsprechender Arbeitskräfte versucht, Löhne zu drücken, Sozialdumping zu betreiben usw. usf.

Jetzt frage ich Sie einmal: Ist es nicht in Konsequenz dessen, was Sie als Zielstellung eben gesagt haben, gerade deshalb wichtig, dass wir z. B. auch in solchen Branchen funktionierende Flächentarifverträge haben, damit es nicht zu einem solchen Effekt kommt, dass mit Blick auf die Menschen, die man von außen holt   das trifft auch auf die Landwirtschaft zu  , Lohn- und Sozialdumping betreibt? Es geht darum, dass man soziale Garantien organisiert, und zwar völlig egal, ob der Mensch hier geboren ist oder woanders.

(Zustimmung)


Andreas Silbersack (FDP):

Vielen Dank, Herr Gallert. - Für Flächentarifverträge sind wir als Liberale nur in begrenztem Rahmen begeisterungsfähig.

(Zurufe)

Aber ich will Ihnen eines zur Lebensrealität sagen. Ich rede mit vielen, die Unternehmen haben. Bei ihnen geht es überhaupt nicht um die Frage des Niedriglohns oder des Lohndumpings, weil sie genau wissen, dass man die Leute nur dann in Sachsen-Anhalt hält, wenn man ihnen Löhne zahlt, die für sie attraktiv sind.

(Zustimmung)

Was passiert denn, wenn Sie jemandem, der aus Vietnam hierherkommt, nicht so viel zahlen, dass er es als ausreichend empfindet? Der ist ja nicht doof. Der informiert sich darüber, was er in Bayern, was er in Baden-Württemberg bekommt. Genau das ist unser Problem. Deshalb glaube ich, dass dieses Problem, das Sie bezeichnen, eigentlich gar nicht existent ist.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Gallert, aber kurz.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Silbersack, diese Situation existiert zweifellos. Ich will Ihnen nur sagen: Gerade in dem Bereich ist es so, dass das Hiersein in der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich daran geknüpft ist, dass ein Ausbildungsverhältnis weiter existiert. Sie werden ausdrücklich nicht entsprechend entlohnt. Häufig läuft das Geschäftsmodell: Solange sie in der Ausbildung sind, dürfen sie arbeiten und danach ziehen sie weg. Das ist genau das Problem, um das es hierbei geht.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Jetzt hat Herr Loth eine Zwischenbemerkung.


Hannes Loth (AfD):

Nach den durchaus richtigen Bemerkungen von Herrn Gallert nur noch der kurze Hinweis, dass jeder Arzt, der hier bei uns arbeitet und aus dem Ausland kommt, im Ausland fehlt.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, wollen Sie darauf reagieren?


Andreas Silbersack (FDP):

Ja.   Diese Argumentation können Sie für die eine und die andere Richtung vorbringen. Es ist so, dass die Menschen hierherkommen wollen, und dieser Istsituation müssen und wollen wir uns stellen. Wenn es Ewigkeiten dauert, bis z. B. der Abschluss eines syrischen Arztes anerkannt wird, dann entsteht dadurch eine Hängepartie. Das ist das Kernproblem. Dann hilft er nämlich nicht in der Heimat und auch nicht hier. - Vielen Dank.

(Beifall - Unruhe)