Cornelia Lüddemann (GRÜNE):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Bereits vor vier Wochen haben wir hier im Hohen Haus über den aktuellen Koalitionsvertrag debattiert. Ich muss sagen, nach dem heutigen Vortrag hat sich meine Einschätzung nicht geändert. Wie sollte es auch anders sein auf der Grundlage dieses Koalitionsvertrages, der die Uneindeutigkeit zum Standard erhoben hat?

(Zustimmung)

Keine Vision, kein großer Plan, keine Idee für diese Koalition, in welche Richtung das Land in den nächsten fünf Jahren entwickelt werden soll.

(Zurufe)

Ich muss sagen, ich war ein wenig enttäuscht, denn selbst die wenigen konkreten Passagen im Koalitionsvertrag, die zumindest die Idee eines Zieles gehabt haben könnten,

(Zuruf)

sind im Vortrag überhaupt nicht zu Gehör gebracht worden, d. h., sie spielen eigentlich überhaupt keine Rolle, sie sind gar nicht so wichtig;

(Zustimmung)

ganz abgesehen davon, dass auch diese Passagen nicht ausfinanziert und nicht inhaltlich untersetzt gewesen wären und schwer nachvollziehbar waren. So bleiben Allgemeinplätze übrig, ambitionslos wie der gesamte Koalitionsvertrag.

(Zustimmung - Zurufe)

Das ist tragisch; denn wir leben in Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker Mut beweisen müssen, in denen allerorten Veränderungen zu gestalten sind, in denen es nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner oder um Pfründesicherung gehen darf, sondern in denen die großen Themen und Herausforderungen unserer Zeit angenommen werden müssen. Spätestens seit der Bundestagswahl ist doch klar, dass sich die jüngere Generation neue Wege wünscht und auf Veränderungen getrimmt ist: Klimakrise, Identifikationsverlust im ländlichen Raum, demografische Krise, Strukturwandel und Corona.

Ja, die Herausforderungen werden benannt. Aber wie gehen wir nun wirklich damit um? Welche sind die zukunftsgestaltenden Antworten? Ich habe nur gehört: Wir wollen ordentlich verwalten, und wir sind schon froh, wenn wir das nach fünf Jahren halbwegs geschafft haben. Das ist das Maximale, das die Bürgerinnen und Bürger von der neuen Regierung Haseloff zu erwarten haben.

(Zustimmung)

Schwarz-Rot-Gelb gestaltet nicht, ist nicht im Ansatz stark, nicht im Ansatz modern oder krisenfest, sondern ambitionslos. Für mich liest sich dieser Koalitionsvertrag so, als ob völlig egal sei, was in fünf oder zehn Jahren ist. Das ist ein Koalitionsvertrag im Geiste der und des Alten. Das ist wirklich bitter, denn die heutigen jungen Menschen sind massiv davon betroffen, was heute an politischen Fehlern gemacht wird. Mir persönlich ist es wirklich komplett schleierhaft, wie man wenige Wochen nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen solchen Koalitionsvertrag auf den Weg bringen kann, der die Freiheitsrechte der künftigen Generationen massiv benachteiligt.

(Zustimmung)

Überrascht bin ich davon allerdings nicht. Die CDU hat sich schon in den letzten Jahren immer wieder deutlich als Politsaurier geoutet und jeglichen Fortschritt abgelehnt.

(Zustimmung - Zurufe: Oh!)

Neuester Beleg dafür ist die aus meiner Sicht wirklich haarsträubende Kritik an dem VW-Chef und seinen Thesen für ein zukunftsfestes und nachhaltiges Deutschland. Gott sei Dank werden sich weder VW noch Daimler noch andere Großkonzerne von der Kritik aus Sachsen-Anhalt beeindrucken lassen und weiter und bald ausschließlich Elektroautos herstellen.

Meine Damen und Herren! Klimaschutz braucht klare Leitplanken. Das ist nicht nur gut für Firmen, sondern vor allem für die Menschen hier im Land. Verbindlicher Klimaschutz geht nur mit einem rechtsverbindlichen Klimaschutzgesetz. Wir brauchen klar nachvollziehbare Ziele und Maßnahmen. Im Koalitionsvertrag wird zwar das Ziel genannt   es ist fast das einzige konkrete Ziel bei der CO2-Einsparung  , aber es wird kein Weg beschrieben, wie wir den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen erreichen wollen.

(Zustimmung)

Es ist insofern auch kein Wunder, dass sich drei junge Menschen stellvertretend auf den Weg gemacht haben, um dieses Land vor dem Bundesverfassungsgericht zu verklagen. Mich wundert es nicht.

(Zurufe)

Das ist ein Vorgang, der hätte vermieden werden können. Alle, die in der vorangegangenen Legislaturperiode dabei waren, kennen das Klima- und Energiekonzept der Landesregierung. Die mehr als 70 guten Maßnahmen hätten zu einem Klimaschutzgesetz weiterentwickelt werden können.

(Zuruf: Alles Unsinn! - Weitere Zurufe)

Dabei geht es   das will ich noch einmal ganz deutlich sagen   nicht nur um ökologische Aspekte. Es geht dezidiert auch um die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands, es geht auch um ökonomische Aspekte.

(Zustimmung - Zurufe)

Ich zitiere immer wieder gern den Wirtschaftsweisen Prof. Südekum:

    „Das Land, das als erstes die Klima- und Ressourcenneutralität erreicht, hat seine wirtschaftliche Basis auf den Weltmärkten für Jahrzehnte gesichert.“

Mit erneuerbaren Energien, grünem Wasserstoff und der Technologie dazu kann Sachsen-Anhalt Energieland bleiben. Wir müssen es tun, nicht darüber reden.

Wie gesagt, der Vertrag ist mega-ambitionslos - im Allgemeinen, aber im Besonderen beim Klimaschutz. Mir ist natürlich aufgefallen, dass es auch diese Passage aus dem Manuskript nicht in den Vortrag geschafft hat. Sie sind ambitionslos. Als Beispiel dafür will ich anführen, dass er auf einem Kohleausstieg im Jahr 2038 beharrt. Damit wird die Übernahme der Ambitionslücke des Bundes auch in Sachsen-Anhalt nachvollzogen. Überhaupt ist es an vielen Stellen ein beliebtes Stilmittel, auf den Bund oder auf Europa zu verweisen und sich hier im Land wegzuducken und die Verantwortung abzuschieben.

Für mich heißt Verantwortung, nach klarer Lageeinschätzung klare Maßnahmen einzuleiten. Ich nehme bei Ihnen strukturelle Verantwortungslosigkeit wahr. Statt wenigstens auf den konkret vorhandenen Grundlagen aufzubauen, wird eine Hintertür geöffnet, um ggf. sogar noch später aus den fossilen Energien auszusteigen. Ich sage ganz klar: Auf jedes Dach gehört eine PV-Anlage, und wir als Land müssen bei den Landesimmobilien Vorreiter sein. Man muss auch sehr viel mehr tun, um die Akzeptanz von Windkraft vor Ort zu erhöhen, indem man den Menschen vor Ort einen ökonomischen Nutzen davon bringt. Aber der Landesentwicklungsplan sagt dazu, wie auch an vielen anderen Stellen, nichts aus.

(Zuruf)

Die Menschen im Land sollen wissen: Von dieser Landesregierung in Sachsen-Anhalt wird es für die große Menschheitsaufgabe, den Versuch, die Klimakrise zu begrenzen und auf den 1,5-Grad-Pfad von Paris zu kommen, keine Unterstützung geben.

(Zustimmung)

Stattdessen gibt es die wirklich absurde Vorstellung, die schon jedes kindliche Animationsspiel widerlegt, dass der Bau von neuen Straßen ein wirksamer Beitrag gegen die Klimakrise wäre. Ich halte es für Steuergeldverschwendung, wenn die Gelder zur Abmilderung des Strukturwandels in solche Dinosaurierprojekte investiert werden.

(Zustimmung - Zurufe - Unruhe)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir bewegen uns hier in einer unrühmlichen Tradition. Umweltschutz hatte im Regierungshandeln in diesem Land selten hohe Priorität.

(Unruhe)

Das kann ich auch aus den Erfahrungen der letzten fünf Jahre bestätigen: Jede wirklich relevante Maßnahme im Bereich Umweltschutz musste erkämpft werden. Aber es kann offenbar immer noch schlimmer kommen. Im Umwelt- und Naturschutz droht nun eine rückwärtsgewandte Politik, die selbst das zuletzt Erreichte ignoriert und zurückdreht.

(Zuruf)

Verbindlichkeit und Finanzierung bleiben komplett außen vor. Wenn im Koalitionsvertrag von Entbürokratisierung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren geschrieben wird, so heißt das doch im Klartext nichts anderes, als dass Umweltschutzauflagen, Verbandsklagerecht und Beteiligungsverfahren von Bürgerinnen und Bürgern angegriffen werden sollen.

Sehr konkret wird mangelnder Umweltschutz im Bereich Abfallwirtschaft. Mit dieser Koalition droht unser Bundesland zur Müllhalde der Republik zu werden.

(Zustimmung - Zurufe: Oh! - Weitere Zurufe)

Statt den Kurs fortzusetzen, unsere Historie als Müllimportland zu beenden, sollen nun mit mehr und größeren Deponien mehr Abfälle billig untergebracht werden. Auch die Naturgipsgewinnung soll ausgebaut werden. Aber aufgepasst: Alle Naturgipsvorhaben liegen in FFH-Gebieten, also in besonders schützenswerten Umweltregionen. Das zeigt sehr deutlich, dass diese Koalition den Natur- und Artenschutz ignoriert und gesellschaftliche Konflikte provoziert.

(Zuruf: Quatsch!)

Für den Mobilitätsbereich gibt es einige schöne Stichworte, die zum Teil aus der letzten Legislaturperiode übernommen wurden, keine Frage.

(Zurufe: Oh!)

Aber wohin es insgesamt gehen soll, welche Ziel erreicht werden sollen - keine Ahnung. Heutzutage müsste man doch annehmen, dass der Modal Split so verändert werden muss, dass sich der Umweltverbund stärkt. Aber davon lese ich nichts. Im Gegenteil: Auf dem parlamentarischen Abend des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen hat Ministerin Hüskens sehr deutlich gemacht, dass sie ihre Tätigkeit im Bereich des motorisierten Individualverkehrs sieht.

(Zustimmung)

Das haben die dort anwesenden Personen, die den kommunalen Verkehrsbereich vertreten, nicht gern gehört. Das ist auch eine schlechte Nachricht für all diejenigen, die mit dem Rad fahren oder die den Bus nutzen.

Noch einmal zu jungen Menschen; das liegt mir persönlich sehr am Herzen. Ich habe bereits davon gesprochen, wie die Freiheitsrechte der jungen Menschen mit Füßen getreten werden.

(Zurufe: Oh!)

Aber auch im Heute traut man den jungen Menschen wenig zu.

(Zurufe)

Es gibt weder vollumfänglich verbriefte Kinderrechte noch den Einsatz für eine Kindergrundsicherung auf der Bundesebene, die zumindest annähernd gleiche Chancen für alle befördern würde. Es gibt auch keine Absenkung des Wahlalters. Es gibt kein klares Bekenntnis zur Schulsozialarbeit. Auch die tarifgerechte Jugendarbeit ist entgegen der Ankündigung des Ministerpräsidenten nicht erwähnt worden.

(Zurufe)

Unklar bleib, wie die Digitalisierung der Schulen und eine überfällige Gehaltsangleichung für die Lehrkräfte realisiert werden sollen. Das ist ein verheerendes Signal für die jungen Menschen, aber eben auch für potenzielle junge Familien. In der Befundlage, dass dies ein wesentliches Problem dieses Landes ist, sind sich immer alle einig.

Ebenso verheerend ist das vom Koalitionsvertrag ausgehende Signal an all diejenigen, die sich Sorgen um die Demokratie machen. Ein Demokratiefördergesetz wird es nicht geben und damit auch keine Verbindlichkeit. Im Gegenteil: Die andauernden Angriffe der CDU auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lassen in ein abstruses Demokratieverständnis blicken. Der Rundfunkbeitrag wird nach wie vor dafür benutzt, um den Menschen Sand in die Augen zu streuen und sie für dumm zu verkaufen, anstatt klar zu sagen, dass der Rundfunkbeitrag nur das abbildet, was die Politik bei den Rundfunkanstalten bestellt hat und dass das finanziert werden muss.

(Zuruf)

Wir haben nun stattdessen Schaden an der Demokratie, Imageverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine Schwächung des Medienstandortes Halle zu beklagen. Gegen Hasskriminalität fehlen weiterhin konkrete Abwehrmaßnahmen; eine entsprechende Schwerpunktstaatsanwaltschaft ist nicht vorgesehen. Die Polizei soll zwar materiell gestärkt werden   richtig, wir stehen dazu; das haben wir in der letzten Legislaturperiode noch nicht geschafft  , aber wie steht es um die innerpolizeiliche Demokratisierung? - Fehlanzeige.

Es wurden, wie gesagt, einige klare grüne Zielstellungen aus dem letzten Koalitionsvertrag übernommen; das finde ich gut: Radverkehr   wichtig  , Pflege im Quartier   wichtig  , Landeszentrum Jugend und Kommune, Azubiticket   das sind einige Beispiele. Aber jetzt kommt das große Aber: Alles, wirklich alles in diesem Vertrag steht unter dem Finanzierungsvorbehalt. Ich weiß wirklich, wie die Finanzen in diesem Land aussehen, keine Frage. Aber wir haben in der letzten Legislaturperiode Kernprojekte vor die fiskalische Klammer gezogen, um den Menschen im Land zu zeigen, in welche Richtung wir dieses Land entwickeln wollen.

(Zuruf: Lastenräder, ja! - Zustimmung)

Das alles wird jetzt nicht mehr passieren. Der Finanzminister ist der eigentliche Herr im Hause Staatskanzlei.

Kolleginnen und Kollegen! Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Menschen am besten sind, wenn sie in einem einheitlichen Geist wirken, wenn sie einer gemeinsamen Idee folgen, wenn sie Teil eines größeren Gesamtprojektes sind. Das dürfen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land von dieser Koalition nicht erwarten.

Sachsen-Anhalt bis spätestens 2035 klimaneutral zu machen, hätte ein solches verbindendes Gesamtprojekt werden können. Denn nur sozialverträglicher Klimaschutz sichert auf Dauer nachhaltigen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.

(Zustimmung)

Ich werde Ihnen heute die realen, apokalyptischen Zustände, auf die wir uns ohnehin zubewegen, ersparen.

(Zurufe: Oh!)

Die Menschen, die mit offenen Augen durch das Land gehen, kennen das. Die anderen hören sowieso nicht mehr zu, denen ist nicht zu helfen, keine Frage. Ich werde allerdings mein Versprechen erneuern, dass wir eine konstruktive Opposition sein werden, dass wir den Finger in die offenliegenden Wunden legen werden, dass wir auf Defizite hinweisen werden und dass wir auch nicht nachlassen werden, dies insbesondere im Klima- und Artenschutz zu tun. Denn das ist das Kernprojekt, das diese Generation leisten muss.

(Zustimmung)

Herr Ministerpräsident Haseloff, Sie konnten uns nicht als Koalitionspartner halten,

(Lachen - Unruhe)

aber wir bleiben Ihnen in diesem Sinne als Mahner und Drängler für Klimaschutz erhalten. - Vielen Dank.

(Zustimmung)