Dr. Katja Pähle (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist wieder „Murmeltiertag“ im Landtag von Sachsen-Anhalt. Wir diskutieren zum wiederholten Mal über die fehlende Rentengerechtigkeit für zahlreiche Berufsgruppen in der ehemaligen DDR. Dass wir diese Debatte wieder und wieder führen müssen, liegt in diesem Fall nicht an der Antragstellerin, sondern daran, dass das Feld seit 1990, ehrlich gesagt, unbearbeitet geblieben ist.

Ganz ehrlich, Herr Krull: An diesem unbearbeiteten Feld waren wir alle beteiligt; alle, egal in welchen Regierungskonstellationen.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch eine ostdeutsche Kanzlerin hat es in 16 Jahren nicht geschafft, an dieser Stelle Bewegung zu erzeugen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Zuruf von Tobias Krull, CDU)

Ich sage es ganz deutlich: Auch meine Genossinnen und Genossen haben sich an dieser Stelle nicht mit Ruhm bekleckert, genauso wie alle anderen auch.

Es gehört zu den unbestreitbaren Makeln des Wiedervereinigungsprozesses, dass zahlreiche Beschäftigte der Bahn, der Post, aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, aus Naturwissenschaft und Technik sowie aus dem Bergbau der DDR durch das Rentenüberleitungsrecht die Ansprüche auf eine Zusatzversorgung verloren haben, die im Rentensystem der DDR deren Rente über das angehoben hat, was sonst allen als DDR-Rente zur Verfügung stand.

Fachkunde heißt aber nicht Systemnähe. Dieser Fehlschluss, Fachkunde bedeute Systemnähe, konnte anscheinend auch in den Verhandlungen rund um den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik den westdeutschen Verhandlern nicht nahegebracht werden. Die Eingriffe in die Rentenansprüche waren aber rechtmäßig und zulässig. So ist es ausgeurteilt, auch wenn die Betroffenen es nicht nachvollziehen können und ich es, ehrlich gesagt, auch nicht kann. Rechtlich ist es an dieser Stelle ausgeurteilt.

Deshalb schien ein Härtefallfonds ein gangbarer Weg zu sein, um wenigsten die gröbsten Ungerechtigkeiten aufzufangen. Zu der Antragstellung und auch zu der Quote der bewilligten Anträge muss ich jetzt nicht weiter ausführen. Dazu ist von allen Kolleginnen und Kollegen ausgeführt worden.

Ich möchte darauf hinweisen, dass allein das Konstrukt des Fonds nicht dafür sorgen konnte, dass die Erwartungen der Betroffenen befriedigt werden konnten. Erstens knüpfte es nicht an die verlorengegangenen Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, sondern an die Bedürftigkeit, die wirklich nur Empfängern einer Mindestrente den Anspruch eröffnet hat, eine Zahlung aus dem Härtefallfonds zu erhalten.

Zweitens wurde die Problematik vieler DDR-Rentner ohne jeglichen Zusammenhang mit den Lebensschicksalen jüdischer Kontingentflüchtlinge und deutschstämmiger Spätaussiedler verbunden. Auch das muss erwähnt werden. Dass sich nur wenige Länder dafür entschieden haben, sich diesem Konstrukt anzuschließen und in dieses Konstrukt Geld einzustellen, kann man an dieser Stelle sogar verstehen und nachvollziehen.

Was ist jetzt zu tun? - Auch wenn die Aussichten heute noch gering erscheinen und die finanziellen Bedingungen im Bund nicht gerade besser geworden sind, glaube ich, dass wir trotzdem an der Idee des Gerechtigkeitsfonds festhalten sollten. Ich plädiere dafür, dass sich die Landesregierung dieses dicke Brett noch einmal vornimmt, um eine Bundesratsinitiative für einen Gerechtigkeitsfonds auf den Weg zu bringen.

Wir wissen aber, wie sich die anderen Länder seit Jahren parteiübergreifend fachlich positioniert haben. Eine Bundesratsinitiative kann deshalb nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich der Ministerpräsident dafür vorab mit seinem ganzen Gewicht einsetzt und zumindest seine ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen dafür gewinnt. Ich glaube, diese Anstrengung lohnt es.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielleicht ist ein Jahr, in dem viele in der Republik ganz besonders auf Ostdeutschland schauen, dafür genau der richtige Zeitpunkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will wie die anderen Redner die Gelegenheit nutzen, um noch etwas Grundsätzliches zur Rentenversicherung hinzuzufügen, obwohl auch diese Diskussion ein bisschen an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. Denn unser gesetzliches Rentensystem ist stark und belastbar. Auch wenn seit Jahrzehnten von interessierter Seite versucht wird, die gesetzliche Rente krankzureden, ist sie das Rückgrat der Altersversorgung für die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik.

(Zustimmung bei der SPD)

In anderen Staaten Europas lässt sich besichtigen, was eine vollständige Privatisierung anrichten kann. Die Umverteilung auf eine überwiegend private Altersversorgung oder auf komplett aktiengedeckte Rentenfonds ist ein Turbo für Altersarmut.

(Guido Kosmehl, FDP: Was?)

Obwohl es seit Jahrzehnten funktioniert, muss es dennoch an neue Herausforderungen angepasst werden und angesichts des demografischen Wandels weiter gestärkt werden. Das ist kein Hexenwerk. Wir brauchen dafür eine Verbreiterung der wirtschaftlichen Basis, indem alle, ganz besonders die Stärksten, voll für die Finanzierung der gesetzlichen Rente herangezogen werden,

(Zustimmung bei der SPD)

also auch Unternehmer, Selbstständige, Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete oder Ministerinnen und Minister. Wir brauchen eine weitere deutliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns,

(Zustimmung bei der SPD)

damit die unteren Einkommensgruppen gut von ihrer Rente leben können, ohne aufstocken zu müssen oder nur eine Mindestrente zu bekommen. Wir brauchen mehr tarifgebundene Arbeit,

(Zustimmung bei der SPD)

damit Unternehmer und Arbeitnehmer mit guten Löhnen und Gehalt stabil für ein gutes Leben im Alter sorgen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. Es gibt zwei Nachfragen, und zwar zum einen von Herrn Kosmehl und zum anderen von Herrn Bernstein. Lassen Sie diese zu? Sie schauen schon so. - Herr Kosmehl.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Ich habe es aus der anderen Richtung erwartet.


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Pähle, Sie haben zum Schluss eine Reihe von altbekannten sozialdemokratischen Vorurteilen oder Wünschen aufgezählt. Ich möchte Sie etwas konkret zur Aktienrente fragen. Den Weg beschreitet die Ampel, übrigens mit Zustimmung der SPD. Mich hat verwundert, dass Sie dieses Konstrukt als einen Weg in die Altersarmut sehen.

Ich frage Sie ganz konkret: Sind Sie der Auffassung, dass es, wenn man einen Teil der Mittel, die der Bundeshaushalt jetzt in die Rentenkasse gibt, am Aktienmarkt anlegen und Renditen erwirtschaften würde, zu einer Stärkung der Rentenkasse führt und damit zur Absicherung der auszahlbaren Rente? Ist das der Weg in die Altersarmut? Was hat eine Aktiendeckung als Teil des Rentengeldes konkret mit der ausgezahlten Rente zu tun? Ich meine individuell; denn nur dann kommt man in die Altersarmut.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Dr. Pähle.


Dr. Katja Pähle (SPD):

Herr Kollege Kosmehl, ich weiß, dass Sie mir immer sehr, sehr aufmerksam zu hören. Da ich erkältet bin, habe ich es wahrscheinlich ein bisschen vernuschelt. Ich habe gesagt: das komplette Umstellen auf eine aktiengedeckte Rente. Das plant die Ampel gar nicht. 

(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)

- Genau. - Dagegen habe ich auch nichts gesagt. Es geht mir darum, dass wir   dabei ist die Ampel auf einem guten Weg   einen Teilaspekt auf diesem Weg sicherlich gemeinsam beschreiten können und auch wollen. 

(Guido Kosmehl, FDP: Das will auch niemand!)

Aber wer glaubt, dass die Rente am besten funktioniert, indem man alles quasi fondsgebunden, aktiengebunden refinanziert, der ist, glaube ich, auf einem Irrweg. Darauf habe ich in meiner Rede hingewiesen. Wie gesagt, vielleicht habe ich das erkältungsbedingt ein bisschen vernuschelt, aber ich habe von kompletter Umstellung in diesem Bereich geredet. Ich habe nicht gegen das, was die Ampel gerade in Berlin bespricht, gesprochen. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Bernstein.



Jörg Bernstein (FDP):

Vielen Dank. - Frau Dr. Pähle, Sie haben die Forderung aufgemacht, den Personenkreis der Beitragszahler zu erweitern. Nun habe ich damit folgendes Problem: Wenn ich Beiträge zahle, dann erwarte ich dafür eine Gegenleistung. Wie wollen Sie das Thema lösen? Wenn ich den Kreis der Beitragszahler ausweite, dann bedeutet das, dass die Leistungen steigen müssen. Wenn ich das auf die von Ihnen bezogenen Personengruppen beziehe, dann bedeutet das, dass das vorwiegend höhere Einkommensgruppen betrifft. Das wiederum würde höhere Rentenbezüge bedeuten. Wie wollen Sie dieses Problem lösen? 

(Guido Kosmehl, FDP: Aktienrente!)


Dr. Katja Pähle (SPD):

Herr Bernstein, es wäre mir neu, dass Einzahlungen in Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung oder Rentenversicherung einen individuellen, von der geleisteten Einzahlung abhängigen Anspruch definieren. 

(Guido Kosmehl, FDP: Doch! - Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)


Jörg Bernstein (FDP): 

Ja, klar.


Dr. Katja Pähle (SPD): 

Nein. 

(Zuruf: Natürlich!)

Es ist ein Solidarprinzip. Anhand meines eingezahlten Geldes erwerbe ich Rentenpunkte und anhand dieser Rentenpunkte bekomme ich eine Auszahlung. 

(Stefan Ruland, CDU: Aber je mehr Sie hineinpacken, desto mehr bekommen Sie!) 

- Ja, aber   und das wissen wir auch   wir haben keine Eins-zu-eins-Lieferung. Darauf wollte ich gerade hinweisen. Wenn ich in die gesetzliche Krankenversicherung einzahle, aber das, was ich eingezahlt habe, bei Krankheit nicht herausbekomme, dann ist das das Solidarprinzip. 

(Guido Kosmehl, FDP: Richtig!)

Gleichermaßen funktioniert auch das Rentensystem. Es gibt Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen, z. B. wegen ihres frühen Ablebens, nie so viel aus dem Rentensystem herausbekommen, wie sie einmal eingezahlt haben.

(Guido Kosmehl, FDP: Das ist so!)


Jörg Bernstein (FDP): 

Das ist persönliches Risiko.


Dr. Katja Pähle (SPD): 

Es hat dann kein Nachkomme, kein Erbe das Recht zu sagen: Das wurde aber eingezahlt und jetzt bekomme ich das Geld wieder heraus. Das einfach nur zur Erklärung. 

(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)

Ich glaube tatsächlich, dass in der Gesamtbetrachtung   in der Gesamtbetrachtung!   unter Einbeziehung der Gruppen, die ich gerade genannt habe, das Volumen der Rentenversicherung ansteigt, sodass diese Leistungen, gerade auch mit den Schritten der Ampel zur Erweiterung der Einnahmenseite oder der Geldmittel, möglich sind und auch finanzierbar sind. Ich glaube tatsächlich, dass sich das in der Gesamtbetrachtung rechnet, wie übrigens auch bei dem Thema Bürgerversicherung für gesetzliche Krankenversicherungen.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Wie in Österreich z. B.!)


Jörg Bernstein (FDP): 

Ich glaube das nicht. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Wir sind am Ende der Debatte angelangt. Jetzt hat Frau Hohmann für die Antragstellerin das Schlusswort.