Kerstin Eisenreich (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die anhaltenden Proteste der Landwirtinnen und Landwirte bundesweit und auch hier in Sachsen-Anhalt sind der Anlass für die heutige Debatte. Sie kommen nicht aus dem Nichts. Die angekündigten unmittelbaren Einsparungen im Bundeshaushalt bei Agrardiesel und der Kfz-Steuer in der Landwirtschaft waren allerdings nur der Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht hat. Wie so oft und leider auch in zahlreichen anderen Bereichen wurden kurzfristige Entscheidungen zu Einsparungen getroffen, ohne überhaupt abzuwägen, welche Folgen das hat. Die Proteste sind berechtigt und wir als LINKE unterstützen sie.

(Zustimmung von Thomas Lippmann, DIE LINKE)

Ohne die tägliche Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte würde unser Leben ganz anders aussehen, wenn wir uns täglich selbst bekümmern müssten, was auf unseren Tellern landet. Deshalb verdient die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte - egal ob ökologisch oder konventionell, ob in Familie, als Genossenschaft oder Unternehmen strukturiert - hohe Wertschätzung. Wir sagen daher an dieser Stelle mit Respekt: Danke für Ihre Arbeit, für Ihre Leistung zu unserer Ernährung. 

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Elrid Pasbrig, SPD)

Ganz sicher kann man über den Charakter der Demonstrationen unterschiedlicher Auffassung sein. Allerdings müssen wir nun feststellen, dass aufgrund der für kommenden Sonnabend angekündigten Proteste die hier im Hohen Hause vorgesehene Gedenkveranstaltung anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages nunmehr abgesagt werden soll. Das finden wir angesichts unserer historischen Verantwortung gerade in einer Zeit sich immer stärker offenbarenden Rechtsextremismus unerträglich und verantwortungslos.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Doch zurück zu den Einsparungen. Finanzminister Lindner fordert, dass jeder seinen Beitrag leisten müsse. Wirklich jeder? - Das können wir getrost bezweifeln. Denn während bei Sozialausgaben, z. B. beim Bürgergeld oder bei der Kindergrundsicherung, im Umweltbereich und in vielen weiteren Bereichen, so auch in der Landwirtschaft, gekürzt wird, werden Rüstungsausgaben weiter hochgefahren. Es finden sich eben einmal 200 Millionen € zusätzlich für Hubschrauber. Gleichzeitig werden andere klimaschädliche Subventionen, bspw. Dienstwagenprivileg oder Kerosinsteuer, oder eine angemessene Besteuerung gerade in Krisenzeiten angehäufter riesiger Vermögen überhaupt nicht angefasst -

(Beifall bei der LINKEN)

das alles übrigens auch mit Zustimmung und Billigung der CDU. Wovon reden wir also hier eigentlich heute? Eine CDU, die im Bund 16 Jahre regiert hat

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das stimmt! Das stimmt wirklich mal!)

und seit 22 Jahren im Land regiert, eröffnet mit der heutigen Aktuellen Debatte den Wahlkampf, und zwar auf dem Rücken der Landwirtinnen und Landwirte, die unser täglich Brot produzieren und mit enormen notwendigen Veränderungen konfrontiert sind. Das ist zynisch, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜNE)

Sie, die CDU, tragen genauso Verantwortung für einen jahrzehntelang verhinderten Umbau hin zu einer nachhaltigen, modernen und zukunftsfesten Landwirtschaft. 

(Beifall bei der LINKEN)

Der Druck auf die Landwirtinnen und Landwirte ist enorm groß. Der Klimawandel und der notwendige Erhalt natürlicher Ressourcen erfordern diesen. Das funktioniert jedoch nur, wenn die Existenz landwirtschaftlicher Betriebe gesichert ist und die sozialen Bedingungen für die Beschäftigten hin zu fairen und auskömmlichen Einkommen verbessert werden.

Gleichzeitig kämpfen die Landwirtinnen und Landwirte seit Jahren mit gestiegenen Boden- und Pachtpreisen, weil das wertvolle Gut Boden zum Spekulationsobjekt für Investoren geworden ist. Diesen Befund teilen wir alle, obwohl ich das in der Vorrede überhaupt nicht gehört habe. Doch ein echter Wille bei der CDU, den Zugang zur Ressource Boden durch bezahlbare Pacht- und Bodenpreise zu ermöglichen, und eine Regulierung von Anteilkäufen an landwirtschaftlichen Betrieben sind weiterhin nicht in Sicht. Eine echte Transparenz auf dem Bodenmarkt und damit die Sicherung einer vielfältigen Agrarstruktur sind es ebenso wenig. Das liegt hier im Land in Ihrer Verantwortung, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei der LINKEN)

Werden all diese Maßnahmen nicht umgesetzt, werden uns zukünftig allein die hohe Produktivität und effiziente Strukturen in der landwirtschaftlichen Produktion in Sachsen-Anhalt nicht weiterhelfen. Weitere Betriebsschließungen und Arbeitsplatzverluste drohen. Junge Menschen werden überhaupt nicht motiviert, ihre berufliche Perspektive in der Landwirtschaft zu suchen. Denn schon längst hegen viele Landwirtinnen und Landwirte erhebliche Zweifel, ob ihre Arbeit, ihre Leistungen und ihr Beitrag zur Ernährung überhaupt noch wichtig oder gewollt sind.

Zu den genannten Problemen werden ihnen durch Großschlachtereien,  molkereien sowie Lebensmittelkonzerne Preise diktiert, die ihre Erzeugungskosten überhaupt nicht decken. Die Kosten für Betriebsmittel steigen dagegen aufgrund der zahlreichen Krisen erheblich. Damit fühlen sich Landwirtinnen und Landwirte, z. B. die Milchbauern, völlig alleingelassen. Diese Marktmacht und unlauteren Handelspraktiken müssen endlich durchbrochen und den Landwirtinnen und Landwirten muss eine faire Verhandlungsposition eingeräumt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir uns hier im Hause alle einig sind, dass sich für die Landwirtschaft etwas zum Positiven ändern soll, dann reichen der Blick nach Berlin und die Kritik an der Bundesregierung eben nicht. Wir in Sachsen-Anhalt, allen voran Sie als CDU mit dem verantwortlichen Minister Schulze, haben die Verantwortung und Handlungsspielräume. Wir finden, es muss dringend offen und auf Augenhöhe miteinander geredet werden. Deshalb fordern wir auf der Landesebene einen Agrargipfel, in dem alle Beteiligten angehört und mit fairem Interessensausgleich gemeinsam Kompromisse ausgehandelt werden, wie eine zukunftsfeste Landwirtschaft hier im Land aussehen soll und welche finanzielle Untermauerung dazu notwendig ist.

Das erfordert natürlich auch, sich auf die anderen und ihre Position einzulassen und dann auch Zugeständnisse zu machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Konkrete Maßnahmen, z. B. zum Tierwohl und dem entsprechenden Umbau von Ställen, sollen schon jetzt vom Land gefördert werden. Das ist unsere Auffassung und das geht. Dazu haben unsere Nachbarn in Thüringen bereits vorgelegt. Ich denke, guten Beispielen sollte man dringend nacheifern. Denn vom Bund - das haben viele gesagt, auch in der Vergangenheit - ist momentan nicht viel zu erwarten. 

Die in der letzten Legislaturperiode des Bundestages eingesetzte Borchert-Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung ist an mangelndem politischen Rückhalt zerbrochen. Auch die parallel eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft ist in ihrer Arbeit stecken geblieben - aus dem gleichen Grund. 

In der damaligen großen Koalition und jetzt in der Ampelregierung fehlt dieser politische Rückhalt. So kann man Vertrauen komplett verspielen. Also wäre es doch an der Zeit, hier im Land zu schauen, welche Maßnahmen wir in Sachsen-Anhalt schon umsetzen könnten, und gemeinsam mit den berufsständischen Vertretungen zu erarbeiten, wie diese umsetzbar sind. Dazu braucht es eine verlässliche Finanzierung im bevorstehenden Doppelhaushalt 2025 und 2026. Zudem muss - darauf wurde vorhin schon kurz eingegangen - auch der bürokratische Aufwand für die Landwirtinnen und Landwirte reduziert werden, damit die Förderungen für Investitionen auch abgerufen und zweckentsprechend eingesetzt werden können. Diesbezüglich ist noch eine Menge Luft nach oben.

(Beifall bei der LINKEN)

In den letzten Jahren hat die Landwirtschaft teilweise deutliche Ernte- und Einkommensverluste durch Dürre, Starkregen, Hagel, Hochwasser, Stürme usw. erlitten. Leider sind wir hier, auch im Agrarausschuss, bei den Diskussionen zum Extremwetterereignisfonds nicht weitergekommen. Über private Versicherungen ist das offenbar schlicht nicht organisier- und bezahlbar. Wir schlagen deshalb vor, einen landeseigenen Entschädigungsfonds einzurichten, in den Land, Bund sowie Landwirtinnen und Landwirte einzahlen. Diese Idee für einen sogenannten Mehrgefahrenfonds ist übrigens nicht neu. Meine Fraktion hat einen solchen bereits angesichts des Hochwassers im Jahr 2013 vorgeschlagen. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landwirtschaft der Zukunft wird sich wahrscheinlich deutlich von der heutigen unterscheiden. Aber eines wird bleiben: Wir brauchen eine am Gemeinwohl orientierte Landwirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese muss die Ernährungssouveränität und regionale Wertschöpfung sichern sowie Natur und Klima vor der Haustür und weltweit schützen. Sie ist aber auch eine Landwirtschaft, bei der die dort Tätigen von ihrer Arbeit leben können und deren Produkte bezahlbar sein müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu brauchen die Betriebe verlässliche und leistbare Rahmenbedingungen und kein jährliches Hin und Her mit neuen Förderungen. Die Agrarpolitik muss sich ändern, wenn der Umbau in der Landwirtschaft gelingen soll. Dieses Vertrauen muss sich die Politik erst wieder erarbeiten. Dafür braucht es mehr als tolle Demo-Bilder von zuständigen CDU-Ministern. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Vielen Dank, Frau Eisenreich. - Es gibt zwei Fragen, wenn Sie diese zulassen: zunächst von Herrn Heuer und dann von Frau Frederking. - Herr Heuer, bitte. 


Guido Heuer (CDU): 

Sehr geehrte Kollegin Eisenreich, wozu brauchen wir einen Agrargipfel? - Unser Minister ist im ständigen Austausch mit den Landwirtschafts- und Forstwirtschaftsverbänden. Man hört allenthalben, dass unsere Land- und Forstwirtschaft mit der Arbeit unseres Ministers und seines Ministeriums sehr zufrieden ist. Das muss man hier einmal ganz klar und deutlich festhalten. 

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

- Ja, wenn Sie jetzt feststellen, dass das gegenüber Frau Dalbert nicht so schwer ist, dann könnte ich das fast unterschreiben. 

Das Wort Zukunft höre ich oft von Ihnen. Dort eine Kommission, dort ein Gipfel. Das klingt nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis. Ganz ehrlich: Dafür haben wir die Landesregierung. Dafür haben wir die Verwaltung. Sie sind da. 

Die Rahmenbedingungen werden z. B. in Berlin vereinbart. Wenn Sie wirklich etwas wollten, dann könnten Sie fordern, dass die Glyphosatfestlegungen der EU eins zu eins in deutsches Recht umgesetzt werden und wir nicht immer noch einen obendrauf setzen wollen und darüber reden müssen. Das würde heißen, dass wir als eines der wichtigsten Mitglieder und große Volkswirtschaft der EU misstrauen. Sichern Sie lieber die Wettbewerbsfähigkeit unserer Bauern, bevor sie einen Zukunftsfonds gründen, in den unsere Landwirte, die sowieso schon gebeutelt sind, auch noch einzahlen sollen. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Das waren teilweise Anmerkungen. - Frau Eisenreich, Sie haben das Wort, bitte. 


Kerstin Eisenreich (DIE LINKE): 

Sie haben eine Menge Fragen in Ihren Beitrag gepackt. Das ist ein bisschen schwierig. 

In Bezug auf den Gipfel geht es nicht allein darum, dass sich der Fachminister allein mit den berufsständischen Vertretungen trifft; denn dazu gehören ein paar mehr. Das ist der Sinn eines solchen Gipfels. Dazu gehört die Wissenschaft. Dazu gehören aber auch die Umweltverbände. Das muss miteinander ausgehandelt werden. Es tut mir leid. 

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das sieht der Minister nicht so!)

- Ich weiß, dass der Minister das nicht so sieht, aber wir sehen das so. Wenn man eine umfassende Änderung in der Landwirtschaft will, dann muss man all diese Aspekte berücksichtigen. 

In Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit muss ich fragen: Wie viele Freihandelsabkommen haben Sie als CDU organisiert und befürwortet? Genau das fällt uns maßgeblich auf die Füße, wenn es um Billigimporte in der Landwirtschaft geht. Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie auf der einen Seite immer nur die Wettbewerbsfähigkeit beklagen, aber auf der anderen Seite solche Dinge befürworten. Dann gilt es, anders heranzugehen, aber das tun Sie nicht. 

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Frau Frederking. 


Dorothea Frederking (GRÜNE): 

Ich habe zwei Fragen. Sie hatten die Borchert-Kommission und die Zukunftskommission Landwirtschaft erwähnt. Sie sagten, diese seien stecken geblieben. Ist Ihnen nicht bekannt, dass sowohl Vorschläge aus der Borchert-Kommission als auch der Zukunftskommission umgesetzt werden. Aus der Borchert-Kommission werden die Tierhaltungskennzeichnung, die Finanzierung der Stallumbauten und die Anhebung der Tierschutzstandards umgesetzt. Die ZKL hat aktuell unter anderem die Ernährungsstrategie verabschiedet. Meine erste Frage ist, ob Ihnen nicht bekannt ist, dass das umgesetzt wird. 

Zu meiner zweiten Frage. Sie sprachen den Milchmarkt an. Der Milchmarkt funktioniert in weiten Teilen nicht. Das führt dazu, dass wir ruinöse Milchpreise haben. Das heißt, die Erzeugerpreise liegen unter den Produktionskosten. Viele Betriebe müssen aufgeben. Wir brauchen also gewinnbringende Erzeugerpreise. Sind Sie der Meinung, dass es sinnvoll wäre, wenn jetzt der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung auch von Sachsen-Anhalt unterstützt werden würde?


Kerstin Eisenreich (DIE LINKE): 

Borchert-Kommission und Zukunftskommission. Tatsächlich ist es so - das sind die offiziellen Mitteilungen  , dass sie ihre Arbeit aufgegeben haben - ganz klar  , auch wenn jetzt einzelne Maßnahmen umgesetzt werden. 

Ich denke, wir müssen dringend darüber reden, warum das passiert ist und warum der politische Rückhalt fehlte. Einzelne Maßnahmen sind gut, aber es geht immer um ein komplexes Maßnahmenpaket, weil einfach mehr dazugehört. Ich glaube, diesbezüglich sind wir wirklich noch sehr rudimentär unterwegs. 

Es gibt mit Blick auf den Umbau der Ställe zu recht Kritik. Herr Heuer hat es gesagt. In Bezug auf die Finanzierung - die Finanzierung vom Bund wird im Moment nicht kommen - haben wir als Land die Möglichkeit, einzugreifen. Thüringen hat einen Vorschlag gemacht. Sie finanzieren es selbst. Damit könnte unseren eigenen Landwirtinnen und Landwirten ein positiver Rückhalt gegeben werden, um erste Maßnahmen umzusetzen. 

Frau Frederking, die Erzeugerpreise habe ich in meiner Rede nicht berücksichtigt, aber dazu könnte ich sehr viel sagen. Sie wissen, zehn Minuten sind nicht lang genug. 

(Dorothea Frederking, GRÜNE: Deshalb habe ich gefragt!)

- Das ist sehr freundlich. - Natürlich müssen wir endlich dazu kommen, dass die Landwirtinnen und Landwirte Preise für ihre Produkte bekommen, die ihren Aufwand und ihre Kosten wirklich komplett decken. Davon sind wir noch weit entfernt. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Das ist doch eine Aussage. 


Kerstin Eisenreich (DIE LINKE): 

Mit der EU-Vorgabe gibt es einen Handlungsrahmen, der umgesetzt werden muss. 


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding: 

Wir alle wissen, wie komplex das Thema der Preisbildung gerade im Landwirtschafts- und Lebensmittelbereich ist. - Frau Eisenreich ist am Ende angelangt.